Landgericht Oldenburg
Urt. v. 03.11.1986, Az.: 13 O 2337/86 - 352 -

Verpflichtung eines Vergewaltigers zur Zahlung von Schmerzensgeld sowie zur Haftung für alle zukünftigen Schäden des Opfers; Vorliegen einer strafrechtlichen Veranwortlichkeit des Täters für die begangene Tat trotz Vorliegens eines Vollrausches; Erfüllung der objektiven zivilrechtlichen Deliktstatbestände durch die strafrechtliche Verwirklichung des fahrlässigen Vollrausches; Anforderungen an die Bemessungen eines angemessenen Schmerzensgeldes; Berücksichtigung sowohl der Schuldunfähigkeit des Täters zum Tatzeitpunkt als auch der Folgen seiner Tat für das Opfer; Gefahr einer dauernden Wesensveränderung des Opfers aufgrund der Tiefe des Schocks nach der Tat; Nichtberücksichtigung der "Einrede des mangelnden Geldes" in der deutschen Rechtsordnung

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
03.11.1986
Aktenzeichen
13 O 2337/86 - 352 -
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 20458
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1986:1103.13O2337.86.352.0A

Verfahrensgegenstand

Schmerzensgeld und Feststellung

In dem Rechtsstreit
...
hat die 13. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Oldenburg (Oldbg)
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 1986
unter Mitwirkung
des Landgerichts Vorsitzenden Richters am Landgericht ...,
des Richters am Landgericht ... und
der Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 20.000,- nebst 4 % Zinsen p.a. auf DM 3.500,- seit dem 26. Oktober 1984 und auf DM 16.500,- seit dem 10. April 1986 zu zahlen.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, daß der Beklagte auch für sämtliche in der Zukunft noch entstehende Schäden, soweit auf der am 9. Juni 1983 getätigten Vergewaltigung beruhen, haftet, soweit dieser Anspruch nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen ist.

  3. 3.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

  4. 4.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 27.000,- vorläufig vollstreckbar.

  5. 5.

    Der Streitwert für den Klageantrag zu Nummer 2 wird auf DM 3.000,- festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht einen Schmerzensgeldanspruch geltend und begehrt die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Zukunftsschäden, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind.

2

Die damals 15-jährige Klägerin wurde am 9. Juni 1983 im Hause ihrer Eltern von dem Beklagten überfallen und vergewaltigt wobei er sie sich dadurch gefügig machte, daß er ihr androht sie umzubringen, ihr Schläge androhte und sie auch am Hals würge. Insgesamt vergewaltigte der Beklagte die Klägerin viermal und erzwang darüberhinaus in drei weiteren Fällen noch den Oralverkehr. Ferner versuchte er noch, eine Taschenlampe in ihre Scheide einzuführen, was aber wegen zu starker Verkrampfung der Klägerin mißlang.

3

Im Tatzeitpunkt hatte der Beklagte eine Blutalkoholkonzentration von 1,26 g Promille bis 1,66 Promille.

4

Wegen dieser Tat wurde der Beklagte wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Wegen weiterer Einzelheiten bezüglich des Tatherganges wird auf das Urteil der Jugendkammer des Landgerichts Oldenburg vom 14. November 1983 - Az. KLs 204 Js 21 734/83 (JK 72/83) -, insbesondere auf Seite 8 bis 16, Bezug genommen.

5

Die Klägerin wurde durch die Tat des Beklagten erheblich zumindest in ihrer psychischen Entwicklung gestört und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur vorübergehend. Sie leidet heute noch unter Angstzuständen und kann immer noch nicht 3 1/2 Jahre nach der Tat über diese sprechen. Aufgrund dieses Verdrängungsprozesses besteht aber die große Gefahr, daß sie einen dauerhaften Schaden wegen der mangelnden, aber dringend notwendigen Aufarbeitung des schrecklich Erlebten und dessen seelischer Verarbeitung erleidet. Die Tat war für sie eine psychische und physische erhebliche Überforderung, die einen tiefsitzenden Schock bedingte. Die Klägerin ist aufgrund des Vorgefallenen bis heute außerstande, normalen, freundschftlichen und altersbedingten Kontakt zu anderen Männern zu finden.

6

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Beklagten zu verurteilen, an sie DM 20.000,- nebst 4 % Zinsen p.a. auf DM 3.500,- seit dem 26. Oktober 1984 und auf DM 16.500,- seit dem 10. April 1986 zu zahlen.

  2. 2.

    festzustellen, daß der Beklagte für sämtliche in der Zukunft entstehende Schäden haftet, soweit dieser Anspruch nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen ist.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er trägt vor,

9

der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch sei überzeugt. Im übrigen könne er ihn wegen seiner eigenen finanziellen Situation nicht zahlen.

10

Zur Tatzeit habe bei ihm eine als Dauerzustand zu qualifizirende tiefgreifende Bewußtseinsstörung im Sinne des § 20 StGB vorgelegen, den er zwar schuldhaft, aber nur in Form der unbewußten Fahrlässigkeit herbeigeführt habe. Er sei deshalb nicht schadensersatzpflichtig.

11

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

12

Die Akte KLs 204 Js 21 734/83 der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Oldenburg, insbesondere das Gutachten Dr. Sydat vom 31. Oktober 1983 und das Urteil vom 14. November 1983, war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist begründet. Aufgrund der von Beklagten vorgenommenen Vergewaltigungshandlungen ist dieser verpflichtet, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 20.000,- nebst den geforderten Zinsen auf die jeweiligen Teilbeträge zu zahlen, §§ 847, 827 Satz 2, §§ 825, 823 Absatz 1 und Absatz 2 BGB, §§ 323 a, 177, 178 StGB, §§ 291, 288 Absatz 1 Satz 1 BGB. Ferner haftet er auch für jeden weiteren zukünftigen Schaden.

14

1.

a

Der Beklagte hat durch sein Handeln am 9. Juni 1983 zum Nachteil der Klägerin den äußeren Tatbestand der Vergewaltigung gemäß § 177 StGB und gemäß § 178 StGB erfüllt. Die Handlungen erfolgten gewaltsam, gegen den Willen der Klägerin, die unter der angstvolles Vorstellung, der Beklagte werde sie umbringen, wenn sie ihm nicht gehorche, alles machte und über sich ergehen ließ, was der Beklagte verlangte. Ihre Angst war begründet, da der Beklagte ihr mit Umbringen gedroht hatte und zur Unterstützung seiner Drohung sie wiederholt auch gewürgt hatte.

15

Der Beklagte handelte insoweit auch mit natürlichem Vorsatz, da er sich sexuell befriedigen wollte und seine Verhaltensweise insoweit auch zweckgerichtet und überlegt war.

16

Zwar war der Beklagte aufgrund des zur Tatzeit bei ihm festgestellten Blutalkoholgehaltes schuldunfähig gemäß § 20 StGB, wie nach Kenntnis des Gutachtens Dr. Sydat zwischen den Parteien nicht bestritten wird. Er befand sich - wie im einzelnen in dem Urteil der Jugendkammer vom 14. November 1983 ausgeführt worden ist - in einem als pathologischen Dämmerzustand bezeichneten Zustand. Diesen führte der Beklagte aber schuldhaft herbei. Ihm war unstreitig seine geringe Alkoholverträglichkeit bekannt, da er bereits früher wiederholt in einen derartigen Zustand totaler Erinnerungslosigkeit gefallen war. Ihm war deshalb bei Beginn seines Alkoholgenusses am 9. Juni 1983, als er in relativ kurzer Zeit nicht unerhebliche Mengen Alkohol trank, voraussehbar und damit auch vermeidbar, daß er erneut in einen derartigen Dämmerzustand verfallen werde. Er mußte und konnte aufgrund seiner früheren Erfahrungen damit rechnen. Ferner war für ihn auch voraussehbar, daß er in diesem Zustand eine gegen das Gesetz verstoßende Handlung begehen würde, wenn er auch nicht unbedingt mit einer Vergewaltigung rechnen mußte. Seine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die begangene Tat liegt damit vor.

17

b

Er hat sich eines fahrlässigen Vollrausches nach §§ 323 a, 177, 178 StGB schuldig gemacht und damit auch den objektiven Tatbestand der §§ 823 Absatz 1 und Absatz 2, 825 BGB erfüllt.

18

Insoweit handelte er auch schuldhaft. Der Beklagte hat auch nach den zivilrechtlichen Beurteilungskriterien seine Verhaltensweise zu vertreten, § 827 Satz 2 BGB. Bei der geschilderten Sachlage kann nicht - wie der Beklagte meint - von einer unbewußtes Fahrlässigkeit insoweit ausgegangen werden, da er des Zustand der Schuldunfähigkeit selbst durch den Genuß alkoholischer Getränke herbeigeführt hat und zwar - wie oben dargelegt wurde - schuldhaft. Er hat damit im Sinne des § 827 Satz 2 BGB ebenfalls schuldhaft gehandelt, da dieses Verschulden nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Beklagte nicht zu wissen brauchte, daß er bei der Zusichnahme von alkoholischen Getränken seine Bewußtseinslage erheblich beeinträchtigen konnte. Hiervon kann aber nach dem oben Gesagten nicht ausgegangen werden.

19

Der Beklagte ist deshalb auch zivilrechtlich für die in den die Schuldfähigkeit berührenden Dauerzustand an der Klägerin begangenen Vergewaltigung verantwortlich, § 827 Satz 2 BGB.

20

c

Der Beklagte ist deshalb gemäß § 847 BGB verpflichtet, der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Dieses hält die Kammer mit DM 20.000,- für angemessen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer sich von folgenden Überlegungen leiten lassen (§ 287 ZPO):

21

Der Beklagte verübte zwar einerseits die ihm zur Last gelegte Tat im alkoholisierten Zustand. Andererseits kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Beklagte durch seine Verhaltensweise in der Klägerin einen Zustand der Todesangst erzeugte und mit ihr in brutaler und erheblich schmerzverursachender Weise mehrfach den Geschlechtsverkehr ausübte. Er hat sie auch durch die Erzwingung des Oralverkehres in erheblicher Weise erniedrigt und durch ein derartiges perverses Ansinnen ihr erhebliches körperliches Unbehagen bereitet. Die Folgen dieser Verhaltensweise des Beklagten waren für die Klägerin auch verheerend. Hierdurch wurde die damals erst 15-jährige Klägerin, die unstreitig bis dahin keine geschlechtlichen Erfahrungen hatte, zutiefst in ihrer seelischen Integrität und Ausgeglichenheit sowie in ihrer weiblichen Ehre verletzt. Diese Verletzung war so gravierend, daß sie bis heute den damals erlittenen Schock nicht überwinden konnte und bisher noch kein altersbedingtes natürliches Verhältnis zu anderen Männern aufbauen konnte. Mangels altersbedingter Aufarbeitungsmöglichkeit des damals Erlebten und auf grund der Tiefe des Schockes besteht die Gefahr einer dauernden Wesensveränderung.

22

Ferner war zu berücksichtigen, daß der Beklagte die Tat im Hause der Eltern der Klägerin beging, in das er zuvor eingedrungen war.

23

Angesichts all dieser Überlegungen war die Kammer der Auffassung, daß der immaterielle Schaden der Klägerin mit DM 20.000 abzugelten ist. Auf keinem Falle konnte sich die Kammer der Meinung des Beklagtes anschließen, daß dies erheblich überhöht ist. Dies gilt um so mehr, als die Tatumstände und die Folgen der Tat unstreitig sind.

24

Auch soweit der Beklagte gegen die Höhe des Schmerzensgeldanspruches einwendet, er könne wegen seiner eigenen finanziellen Situation diesen Betrag nicht aufbringen, rechtfertigt der dies keine andere Beurteilung. Die "Einrede des mangelnden Geldes" kennt die deutsche Rechtsordnung nicht und wird deshalb auch nicht als zulässige Einrede anerkannt.

25

d

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 291, 268 Absatz 1 Satz 1 BGB gerechtfertigt.

26

2.

Der Feststellungsanspruch des Klägerin ist im Umfange des Urteilstenors gerechtfertigt. In Anbetracht der aufgezeigten unstreitigen Tatfolgen sind weitere zukünftige Schäden zu befürchten, so daß die Klägerin auch ein berechtigtes Interesse daran hat, die Haftung des Beklagten für derartige Schäden festgestellt zu wissen, § 156 ZPO.

27

Soweit insoweit gegenüber dem Klageantrag in Urteilstenor eine Ergänzung vorgenommen worden ist, geschah dies nur zur Klarstellung und bedeutet keine teilweise Klageabweisung. In dem klargestellten Sinne ist der klägerische Antrag aufzufassen (§ 133 BGB).

28

3.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.