Arbeitsgericht Hameln
Urt. v. 23.11.1998, Az.: 3 Ca 156/98

Zulässigkeit einer einseitig durch den Arbeitgeber vorgenommenen Zuweisung dienstlicher Aufgaben; Änderung des Tätigkeitsfeldes; Mindereinnahmen aus einem vertraglich vereinbarten Liquidationsrecht; Direktionsrecht des Arbeitgebers

Bibliographie

Gericht
ArbG Hameln
Datum
23.11.1998
Aktenzeichen
3 Ca 156/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 10051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGHM:1998:1123.3CA156.98.0A

In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Hameln
auf die mündliche Verhandlung vom 23.11.98
durch
den Richter am Arbeitsgericht als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Feststellung der Dienstaufgaben der Klägerin gemäß Schreiben der Beklagten vom 21.07.98 unwirksam ist und das Dienstverhältnis der Klägerin über den 29.08.98 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

  2. 2.

    Die Beklagte trägt (auch) die (weiteren) Kosten des Rechtsstreits bei einem Streitwert von 25.000,00 DM für dieses Schluss-Urteil.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten (zuletzt nur noch) um die Zulässigkeit der einseitig durch die Beklagte vorgenommenen Zuweisung dienstlicher Aufgaben.

2

Die Klägerin, geboren am 22.03.1957, Ärztin für Radiologie, ist seit dem 01.09.1994 nach näherer Maßgabe des Dienstvertrages vom 01.02.1995 (im folgenden: DV) als leitende Oberärztin mit einer Vergütung nach Vergütungsgruppe I a AVR für den Bereich Kernspintomographie in der Abteilung Radiologie des Bathildiskrankenhauses der Beklagten tätig. In § 3 DV haben die Parteien vereinbart:

"§ 3
Dienstaufgaben im Bereich der Krankenbehandlung

(1)
Dem Oberarzt obliegt die Führung und fachliche Leitung der Kernspintomographie. Daneben kann der Oberarzt zur allgemeinen radiologischen Tätigkeit herangezogen werden, soweit die primäre Tätigkeit hierdurch nicht beeinträchtigt wird.

Der Arzt ist für die medizinische Versorgung der Kranken in seinem Bereich verantwortlich. Der Arzt hat nach Maßgabe der vom Träger bestimmten Aufgabenstellung und Zielsetzung des Krankenhauses und der Abteilung alle ärztlichen Tätigkeiten zu besorgen. Hierzu gehören insbesondere folgende Aufgaben:

1.
die Behandlung aller Kranken seiner Abteilung im Rahmen der Krankenhausleistungen (allgemeine Krankenhausleistungen und Wahlleistungen);

2.
die Untersuchung und Mitbehandlung der Kranken sowie die Beratung der Ärzte anderer Abteilungen des Krankenhauses einschließlich der Belegabteilungen, soweit sein Fachgebiet berührt wird;

3.
die nichtstationäre Untersuchung und Behandlung von stationären Kranken anderer Krankenhäuser, auch fremder Träger, soweit die Untersuchung und Behandlung auf Veranlassung des anderem Krankenhauses in seiner Abteilung erfolgt;

4.
die ambulante Untersuchung und Behandlung der im Krankenhaus tätigen Mitarbeiter, denen kein gesetzlicher Anspruch auf Krankenhilfe, kein Anspruch auf Beihilfe oder kein sonstiger Anspruch auf Erstattung der Kosten durch Dritte zusteht;

5.
die ambulante Behandlung von Patienten (außerhalb des Durchgangsarztverfahrens und des Unfallheilverfahrens nach dem Vertrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Bundesverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung vom 01.10.1974 in der jeweiligen Fassung);

6.
die Durchführung von Früherkennungsmaßnahmen, wenn sie aus Anlaß eines stationären Aufenthaltes durchgeführt werden.

(2)
Der Oberarzt kann an der Rufbereitschaft der übrigen radiologischen Fachabteilung im Wechsel mit den übrigen hierfür vorgesehenen Gebietsärzten teilnehmen, wenn dies erforderlich ist.

(3)
Dem Arzt obliegt weiter,

1.
die den Kranken gegenüber bestehenden Aufklärungspflichten zu erfüllen, dabei die vom Krankenhausträger erlassenen Dienstanweisungen sowie die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu beachten.

2.
Kranke, die entgegen ärztlichem Rat ihre Entlassung aus der stationären Versorgung verlangen, darüber zu belehren, dass das Krankenhaus für die daraus entstehenden Folgen nicht haftet.

Die Belehrungen nach Nr. 2 und 3 sind in den Krankenunterlagen zu vermerken.

(4)
Der Oberarzt hat ferner den Dokumentationspflichten nachzukommen, die sich bei den Früherkennungsmaßnahmen ergeben, und die Inhalt der allgemeinen Krankenhausleistungen sind.

(5)
Der Oberarzt erhält das Recht zum Erwerb einer Weiterbildungsermächtigung für das Fach Radiologie. Er gibt dem Chefarzt und dem bereits vorhandenen Oberarzt die Möglichkeit, die fachliche Qualifikation gemäß § 4 Abs. 4 der Kernspintomographievereinbarung zu erwerben.

Hiervon unberührt bleibt die alleinige und ausschließliche Verantwortlichkeit des leitenden Oberarztes für den Fachbereich Kernspintomographie. § 8 Abs. 3 gilt sinngemäß.

Hinsichtlich der Indikationsstellung zu MRT-Untersuchungen, insbesondere zur Frage, ob ein vorliegendes Krankheitsbild mit einer MRT oder CT untersucht werden soll, hat der Oberarzt ständigen engen fachlichen Kontakt mit dem Chefarzt der Abteilung zu pflegen. Im Streitfall soll die für den Patienten am wenigsten belastende Untersuchung stattfinden.

Bei den täglichen Rö-Besprechungen mit den klinischen Abteilungen des Hauses sowie der täglichen internen Rö-Besprechung der Radiologischen Abteilung hat der Oberarzt entsprechend mitzuwirken." (Bl. 7 f. d. A.).

3

Auf den Dienstvertrag sowie auf die Nebentätigkeitserlaubnis und den Nutzungsvertrag vom 01.02.1995 (Bl. 19 f., 21 ff. d. A.) wird hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen.

4

In § 8 Abs. 3 DV ist vereinbart, dass die Klägerin ausschließlich und als einzige für die Kernspintomographiediagnostik das Liquidationsrecht für die gesondert berechenbaren wahlärztlichen Leistungen erhält; sie kann darüber hinaus diesbezügliche Nebentätigkeiten im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung ausüben. Die Einkünfte aus der Nebentätigkeit beliefen sich bislang auf jährlich insgesamt etwa 500.000,00 DM; davon entfielen 300.000,00 DM auf Tätigkeiten im (Vertrags-)kassenärztlichen Bereich.

5

Nachdem die Beklagte die Nebentätigkeitserlaubnis der Klägerin mit Schreiben vom 27.06.1998 zum 30.09.1998 widerrufen, die Dienstaufgaben der Klägerin mit Schreiben vom 21.07.1998 neu festgesetzt und der Klägerin die unbedingte Zustimmung zur Ausübung (Vertrags-)kassenärztlicher Tätigkeit im Rahmen einer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht erteilt hatte, erhob die Klägerin am 06.07.1998 Klage, welche sie mit Schriftsatz vom 27.07.98 erweiterte.

6

Am 02.11.1998 erging ein Teil-Anerkenntnisurteil, in welchem zum einen die Unwirksamkeit des Widerrufs der Nebentätigkeitserlaubnis der Klägerin und der Fortbestand der Nebentätigkeitserlaubnis vom 01.02.1995 festgestellt wurden; überdies wurde die Beklagte zur Erteilung einer unbedingten Zustimmung zur Ausübung vertragskassenärztlicher Tätigkeit verurteilt (Bl. 94 f. d. A.).

7

Hinsichtlich der "Erweiterung der Dienstaufgaben im Rahmen der stationären Patientenversorgung" gemäß Schreiben der Beklagten vom 21.07.1998 macht die Klägerin geltend, die damit verbundene Veränderung des Aufgabenbereichs erweise sich angesicht der vertraglichen Vereinbarungen in §§ 1, 3 und 8 DV als unwirksam. Die dienstlichen Aufgaben seien in § 3 DV abschließend beschrieben. Durch die Neufestlegung der Aufgaben werde, wie es sich auch im Rückgang der zusätzlichen Einkünfte um etwa 25.000,00 DM monatlich zeige, das Äquivalenzgefüge entscheidend gestört. Mit ihren Aufgaben als leitende Oberärztin für den Bereich Kernspintomographie in der Abteilung Radiologie habe die grundsätzlich auf Tätigkeiten im Rahmen konventioneller radiologischer Diagnostik abzielende Weisung vom 21.07.1998 kaum noch zu tun. Durch die Zuweisung allgemein radiologischer Aufgaben dürften die eigentlichen Tätigkeiten im Bereich der Kernspintomographie nicht beeinträchtigt werden. Mit der vertraglich vereinbarten Aufgabenstellung sei die nur mit der Niederlassung des bisherigen Chefarztes Dr. Wagner am Bathildeskrankenhaus zu erklärende Erweiterung der dienstlichen Aufgaben nicht zu vereinbaren.

8

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die durch Schreiben der Beklagten vom 21.07.1998 erfolgte Festlegung der Dienstaufgaben der Klägerin unwirksam ist und das Dienstverhältnis der Klägerin über den 28.08.1998 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Die Beklagte macht geltend, mit der Festlegung der Dienstaufgaben der Klägerin im Schreiben vom 21.07.1998 habe man lediglich die bereits in §§ 3, 4 DV genannten Aufgaben konkretisiert.

11

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 27.07.1998 (Bl. 39 ff. d. A.) und vom 28.10.1998 (Bl. 64 ff. d. A.) sowie im Schriftsatz der Beklagten vom 26.10.1998 (Bl. 58 ff. d. A.) verwiesen.

Gründe

12

Die Klage ist zulässig und begründet.

13

1.

Die Feststellungsklage ist zulässig.

14

Die Feststellungsklage ist geeignet, die dienstlichen Aufgaben der Klägerin im Bereich der Krankenbehandlung angesichts der vertraglichen Vereinbarungen in § 3 DV zu klären. Die Klägerin hat - nicht nur angesichts der aus der Erweiterung der Dienstaufgaben sich ergebenden Reduzierung ihrer Einkünfte aus dem vertraglich vereinbarten Liquidationsrecht - ein rechtlich geschütztes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung der Unwirksamkeit der einseitigen Neufestlegung der Dienstaufgaben. Von der Beklagten als einer diakonischen Einrichtung darf erwartet werden, dass sie eine gerichtliche Feststellung zu den vertraglichen Aufgaben der Klägerin beachten wird.

15

2.

Die Klage ist auch begründet.

16

Die Beklagte kann die - wie sie selbst formuliert - "Erweiterung der Dienstaufgaben im Rahmen der stationären Patientenversorgung" weder auf die §§ 3, 4 DV noch auf das arbeitgeberseitige Direktionsrecht stützen.

17

Gemäß § 3 Abs. 1 DV obliegt der Klägerin die Führung und fachliche Leitung der Kernspintomographie; sie kann daneben zur allgemeinen radiologischen Tätigkeit herangezogen werden, soweit die primäre Tätigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Mit dieser Regelung haben die Parteien die bereits in § 1 Abs. 1 DV vereinbarte Position der Klägerin als leitende Oberärztin für den Bereich Kernspintomographie in der Abteilung Radiologie zusätzlich unterstrichen und mit dem Hinweis auf den grundsätzlichen Vorrang der damit verbundenen Tätigkeiten zugleich auch klargestellt, dass die Klägerin erst in zweiter Linie zu allgemeinen radiologischen Tätigkeiten herangezogen werden kann. In ihrem Interesse an einer vertragsgerechten Verwendung im Bereich Kernspintomographie ist die Klägerin rechtlich geschützt und braucht es nicht hinzunehmen, dass die Beklagte ihr im Zusammenhang mit der Niederlassung des bisherigen Chefarztes in der Abteilung Radiologie, Dr. Wagner, am Krankenhaus Tätigkeiten aus dessen früheren Zuständigkeitsbereich zuweist, die schon aufgrund ihres zeitlichen Umfangs auf eine Beeinträchtigung ihrer primären Tätigkeit im Bereich Kernspintomographie hinauslaufen. Beredter Ausdruck für die mit der Weisung vom 21.07.1998 einhergehenden Veränderungen der beiderseitigen vertraglichen Pflichtenstellung sind die monatlichen Mindereinnahmen der Klägerin aus dem in § 8 Abs. 3 DV vereinbarten Liquidationsrecht für die Kernspintomographiediagnostik in Höhe von monatlich 25.000,00 DM - dies ungeachtet des auch in der Kammerverhandlung nicht zu klärenden Verhältnisses der Liquidationserlöse für wahlärztliche Leistungen oder Ermächtigungsleistungen. Die Erweiterung der Aufgaben der Klägerin erweist sich als (unzulässige) einseitige Änderung wesentlicher Elemente des Dienstvertrages, durch die das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend gestört wird (BAG, 13.5.87, NZA 88, 95).

18

Die Beklagte hat insbesondere nicht erklären können, aus welchen Gründen die Klägerin gemäß Nr. 10 der Weisung vom 21.07.1998 den jetzt am Krankenhaus niedergelassenen, nur noch konsiliarisch beratend tätigen früheren Chefarzt der Abteilung Radiologie, Dr. Wagner, in Hinblick auf die radiologische Versorgung der stationären Patienten ständig zu vertreten hat. Es liegt auf der Hand, dass die Klägerin als leitende Oberärztin für den Bereich Kernspintomographie im Rahmen ihrer vertraglichen Aufgabenstellung nicht auf Dauer mit Aufgaben der konventionellen radiologischen Versorgung betraut werden, welches bislang von dem zwischenzeitlich ausgeschiedenen Chefarzt der Abteilung Radiologie, Dr. Wagner, wahrzunehmen waren.

19

Die Beklagte kann die Weisung vom 21.07.1998 nicht auf das arbeitgeberseitige Direktionsrecht stützen.

20

Das Direktionsrecht ist das Recht des Arbeitgebers, die arbeitsvertraglichen nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers einseitig durch Weisungen konkretisieren zu können. Das Weisungsrecht umfaßt das Recht des Arbeitgebers, die Arbeitspflicht durch einseitige Weisungen, welche Zeit, Ort und Inhalt sowie Art und Weise der zu leistenden Arbeit betreffen können, näher auszugestalten. Soweit die Arbeitspflicht im Rahmen des Direktionsrechts inhaltlich näher festgelegt werden kann, bezieht sich dies sowohl auf die einzelnen Tätigkeiten und die Reihenfolge als auch auf die Begleitumstände, unter denen die Arbeit zu verrichten ist. Die Ausübung des Direktionsrechts unterliegt vielfältigen Begrenzungen; das Weisungsrecht ist die schwächste Rechtsquelle, es muss sich im Rahmen des höheren Rechts halten.

21

Die Weisung vom 21.07.1998 kollidiert mit dem Arbeitsvertrag der Parteien, welche eine erste Grenze für die Ausübung des Direktionsrechts bildet. Die Parteien haben die Aufgabenbereiche der als leitende Oberärztin für den Bereich Kernspintomographie nebst korrespondierendem Liquidationsrecht eingestellten Klägerin im Dienstvertrag festgelegt und dabei zwischen den primären Tätigkeiten (= Kernspintomographie) und weiteren Tätigkeiten differenziert. Das Tätigkeitsfeld der Klägerin kann die Beklagte nicht einseitig durch Weisungen, die auf eine Reduzierung der vertraglich vereinbarten primären Tätigkeit hinauslaufen, ändern.

22

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

23

Der Wert des Gegenstandes bestimmt sich nach der monatlichen Verringerung der Einkünfte der Klägerin aus dem vertraglich vereinbarten Liquidationsrecht.

Streitwertbeschluss:

Die Beklagte trägt (auch) die (weiteren) Kosten des Rechtsstreits bei einem Streitwert von 25.000,00 DM für dieses Schluss-Urteil.