Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.11.2017, Az.: 1 Ss 61/17

Verwertbarkeit des Ergebnisses von freiwilligen neurologisch-physiologischen Tests als Grundlage einer Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr; Begriff der Täuschung im Sinne von § 136a Abs. 1 StPO

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.11.2017
Aktenzeichen
1 Ss 61/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 35932
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Bückeburg - 22.08.2017

Fundstellen

  • DAR 2018, 384-386
  • SVR 2018, 228-231
  • StRR 2018, 19-21
  • StraFo 2018, 67-68
  • VRR 2018, 12-14
  • zfs 2018, 111-113

Amtlicher Leitsatz

Wird ein Beschuldigter im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehalten, ohne dass zuvor ein Fahrfehler festgestellt werden konnte, so begründet eine freiwillige Mitwirkung an neurologisch-physiologischen Test zur Überprüfung seiner Fahrtüchtigkeit in der Annahme, sich auf diese Weise sowohl be- als auch entlasten zu können, jedenfalls dann keine verbotene Einflussnahme auf den Willen im Sinne des § 136a Abs. 1 StPO, wenn anhand der gesamten Fallumstände die Möglichkeit der Abstandnahme von einem Ordnungswidrigkeitenverfahren bestand.

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom 22. August 2017 mit den Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bückeburg zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bückeburg - Strafrichterin - hatte den Angeklagten am 21. Dezember 2016 wegen fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Bückeburg mit Urteil vom 22. August 2017 den Angeklagten unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35,- EUR verurteilt.

Hiergegen wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und beantragt, das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bückeburg zurückzuverweisen.

Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

II.

1. Die vom Angeklagten zulässig erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 1 StPO ist begründet.

Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

a) Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Bückeburg vom 23. Juni 2016 ist dem Angeklagten eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr infolge Genusses berauschender Mittel (Cannabinoide) gemäß § 316 Abs. 2 StGB zur Last gelegt worden. Nach Einspruch des Angeklagten hat das Amtsgericht mit Urteil vom 21. Dezember 2016 den Angeklagten sodann wegen einer Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel nach § 24a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StVG verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft erfolgte mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 2 StGB. Im Berufungsverfahren ist der Angeklagte hingegen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden, ohne dass sich im Hauptverhandlungsprotokoll, dem insoweit gemäß § 274 StPO negative Beweiskraft zukommt, ein rechtlicher Hinweis dahingehend findet, dass das Gericht eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehung in Erwägung ziehe. Auch ein Hinweis außerhalb der Hauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt StPO, 60. Auflage 2017, § 265 Rn. 32; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265, Rn. 58) ist nicht erfolgt. Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich darüber hinaus auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes nach dem Gang des Verfahrens auf andere Weise bekannt gewesen sein könnte.

b) Diese Verfahrensweise verletzt § 265 Abs. 1 StPO. Will das Gericht im Urteil von der mit Anklage und Eröffnungsbeschluss angenommenen Schuldform abweichen, so muss es den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzurichten (vgl. Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265, Rn. 29; Meyer-Goßner/Schmitt aaO. § 265 Rn. 11; BGH VRS 49 (1975) 184).

Es ist auch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte sich auf den entsprechenden Hinweis hin hier anders und wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Denn das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO kann nur ausnahmsweise verneint werden, wenn unter Beachtung der für das Revisionsgericht gebotenen Zurückhaltung zweifelsfrei festgestellt werden kann, dass der Angeklagte sich bei rechtzeitigem Hinweis nicht anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BGH NStZ 1995, 247 [BGH 19.10.1994 - 2 StR 336/94], beck-online; KK-StPO/Kuckein StPO § 265 Rn. 32-33, beck-online).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar hat der Angeklagte sich nicht zur Sache eingelassen, sodass - sollte er diese Verteidigungsstrategie beibehalten - nicht ersichtlich ist, wie er sich hätte anders verteidigen können als geschehen. Indes kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei rechtzeitigem Hinweis auf den veränderten Vorwurf einer vorsätzlichen im Gegensatz zur fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr sein bisheriges Verteidigungsverhalten geändert und ihm dadurch eröffnete andere Möglichkeiten der Verteidigung gegen vorsätzliches Handeln genutzt und so ein ihm günstigeres Ergebnis erzielt haben könnte.

Die Annahme des bedingten Vorsatzes beruht zum einen auf der Menge des festgestellten THC-Blutserumsspiegels von 11 ng/ml, zum anderen auf den durch den Zeugen B. eruierten kognitiven und motorischen Ausfällen des Angeklagten im Rahmen seiner motorischen-physischen Leistungstestung. Dass der Angeklagte sich gegen den durch das Landgericht daraus gezogenen Schluss, er habe zumindest mit seiner Fahruntüchtigkeit gerechnet und sich damit abgefunden, bei einem rechtzeitigen und vollständigen Hinweis möglicherweise mit Erfolg zur Wehr gesetzt hätte, lässt sich bei dieser Sachlage nicht ausschließen.

2. Auf die Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO war deshalb das angefochtene Urteil aufzuheben. Von der Aufhebung waren indes die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen auszunehmen. Denn das weitergehende Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO und der aufgezeigte Verfahrensverstoß berührt die Feststellung zum äußeren Tatgeschehen nicht.

a) Die Verfahrensrüge, mit welcher die Revision unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von § 136a StPO, des fairen Verfahrens sowie des nemo-tenetur-Grundsatzes die Verwertung der Ergebnisse rügt, die aufgrund seiner Mitwirkung an den motorischen Tests erlangt worden sind, erweist sich indes als unbegründet. Die Erkenntnisse aus der Überprüfung der physischen Verfassung im Rahmen der Verkehrskontrolle unterliegen keinem Verwertungsverbot.

Der Angeklagte war im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehalten worden, ohne dass er zuvor durch seine Fahrweise aufgefallen war. Anlässe waren vielmehr die Überprüfung der Winterbereifung sowie der Umstand, dass die Fahrzeugscheiben nur teilweise von einer Schneebedeckung befreit worden waren. Dem kontrollierenden Beamten fielen beim Angeklagten gerötete Bindehäute sowie geweitete Pupillen, ein leichter Alkoholgeruch und ein leichtes Schwanken beim Verlassen des Fahrzeugs auf. Der freiwillige Atemalkoholtest ergab jedoch keinen positiven Befund. Einen Urintest lehnte der Angeklagte ab, woraufhin der Beamte den Angeklagten unter Hinweis auf seine freiwillige Teilnahme zur Ausführung mehrerer motorischer Tests aufforderte. Als Grund hierfür gab er gegenüber dem Angeklagten an, dass dieser sich durch diese Tests sowohl be- als auch entlasten könne. Ausweislich der Urteilsfeststellungen hegte zu diesem Zeitpunkt der kontrollierende Beamte noch keinen Verdacht der Verwirklichung einer Straftat, sondern nur einer Ordnungswidrigkeit.

Ergebnis des Tests waren diverse Auffälligkeiten wie verzögerte Lichtreaktion der Pupillen, starkes Lidflattern und Gleichgewichtsstörungen, woraufhin der Beamte dem Angeklagten den Verdacht einer Straftat nach § 316 StGB eröffnete und ihn nach Maßgabe des § 136 Abs. 1 StPO belehrte. Im weiteren Verlauf ordnete er - nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, den richterlichen Bereitschaftsdienst zu erreichen - eine Blutentnahme an. Im Zuge dieser fand eine weitere ärztliche Untersuchung statt, wobei die zuvor festgestellten Auffälligkeiten nur noch teilweise und in deutlich abgeschwächter Form festgestellt werden konnten. Der später ärztlicherseits festgestellte Untersuchungsbefund ließ sich sowohl mit einem vorherigen Drogenkonsum als auch einer nervösen Belastungsreaktion erklären.

Das Landgericht gründet seine Überzeugung von der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten im Wesentlichen auf das vom Sachverständigen Z. in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten. Dieser stützt sich dabei als Anknüpfungstatsachen für seine sachverständige Bewertung zum einen auf den toxikologischen Befund der beim Angeklagten entnommenen Blutprobe als auch auf die vom Polizeibeamten im Rahmen der Verkehrskontrolle ermittelten physiologischen Auffälligkeiten. In der Gesamtschau könne daraus beim Angeklagten zum Tatzeitpunkt auf derartige kognitive und physische Ausfälle als Folge einer zentralnervösen Cannabiswirkung mit groben Defiziten in den Bereichen von Konzentration, Aufmerksamkeit, Gleichgewicht, Motorik und Koordination geschlossen werden, die zu einer fehlenden Eignung zum Führen von Fahrzeugen geführt habe.

Das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Recht eines Beschuldigten auf ein faires Verfahren verbietet den Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen und verpflichtet den Staat zu korrektem und fairen Verfahren (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07 -, juris). Dabei ist das Recht auf Wahrung seiner Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens umfasst, welches in den Vorschriften der §§ 136a und 163a Abs. 4 Satz 2 StPO seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 701/08 -, BGHSt 53, 294-311, Rn. 36). Danach darf u.a. im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 109, 279, 324; 56, 37, 49). Die Entscheidungsfreiheit ist etwa dann verletzt, wenn die Strafverfolgungsbehörden Täuschungen anwenden, um Geständnisse oder andere belastende Angaben zu entlocken, die sie auf andere Weise nicht erlangen konnten (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 701/08 -, BGHSt 53, 294-311, Rn. 36).

Eine verbotene Täuschung im Sinne des § 136a StPO liegt jedoch nicht in jeder Hervorrufung von falschen Vorstellungen. Der Begriff der Täuschung ist nach allgemeiner Ansicht zu weit gefasst und einschränkend auszulegen (BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 - GSSt 1/96 -, BGHSt 42, 139-157; Gleß in Löwe-Rosenberg, StPO, § 136a, Rn. 39; KK-StPO/Diemer StPO § 136a Rn. 19-27, beck-online). Dabei ist stets der Bezug zur Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung sowie zu den anderen in der Vorschrift aufgeführten verbotenen Mitteln zu berücksichtigen (vgl. BGH aaO.). Eine verbotene Vernehmungsmethode liegt erst dann nahe, wenn sie den Grad einer bewussten Täuschung oder Irreführung erreicht. Auch schließt die Vorschrift nicht jede List bei der Vernehmung aus, sondern verbietet nur solche Irreführungen, die bewusst darauf abzielen, die von § 136 a StPO geschützte Aussagefreiheit zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 07. Januar 1997 - 1 StR 666/96 -, Rn. 6, juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt sich die Aufforderung zur Mitwirkung an motorischen Test zur weiteren Überprüfung der physisch-psychischen Verfassung des Angeklagten nicht mit der Beeinträchtigung der Willensentschließung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Quälerei oder Hypnose vergleichen. Sie stellt sich im vorliegenden Fall auch nicht als eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren dar. Vielmehr ist schon zweifelhaft, ob das Verhalten des kontrollierenden Polizeibeamten überhaupt eine unzutreffende Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Angeklagten beinhaltete. So bleibt nach dem Revisionsvorbringen offen, welches genaue Vorstellungsbild der kontrollierende Beamte bei der Aufforderung zur Mitwirkung an weiteren Test hatte. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Ablauf der Verkehrskontrolle belegen vielmehr, dass beim Angeklagten bereits Auffälligkeiten im äußeren Erscheinungs- und Gangbild vorhanden waren, die Anlass für eine weitere Überprüfung durch den kontrollierenden Beamten boten. Den Fallumständen lässt sich jedoch gerade nicht entnehmen, dass zum Zeitpunkt der verlangten Mitwirkung keine entlastende Wirkung mehr bezüglich eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens, sondern - wie von der Revision behauptet - allenfalls einer Verdichtung der Indizienlage und gar weitergehenden Belastung mit einem möglichen Strafvorwurfs eintreten konnte. Vielmehr bestand nach den Angaben des kontrollierenden Polizeibeamten durchaus die naheliegende Möglichkeit, dass ein weitgehend unauffälliger Testverlauf zu keinen weiteren prozessualen Maßnahmen geführt hätte. Obgleich der avisierten Mitwirkung des Angeklagten für etwaige weitergehende Maßnahmen in der zugrundeliegenden Konstellation ein erhebliches Gewicht zukam, lässt sich jedenfalls der von § 136a Abs. 1 StPO vorausgesetzten gezielten Einsatz eines unzulässigen Mittels nicht belegen. Eine bewusste Irreführung durch den Beamten ergibt sich nach den vorstehenden Ausführungen weder aus dem Revisionsvorbringen noch aus den Urteilsgründen. Insoweit verbleibende Zweifel wirken sich aber bei Verfahrensrügen - wie dem behaupteten Verstoß gegen § 136a Abs. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Auflage 2017 § 136a StPO Rn. 33) - zu Lasten des Revisionsführers aus.

b) Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.