Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 16.03.2005, Az.: 3 U 120/04
„Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung“

Verletzung der Hinweispflichten des Gerichts sowie eine fehlerhafte Anwendung der Verspätungsvorschriften; Pflicht des Gerichts zum Hinweis auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte; Bezugnahme des Klägers in der Klageschrift, zur Konkretisierung seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit, auf eine dem Schriftsatz beigefügte in sich geschlossene Beschreibung von wenigen Seiten im Rahmen der Geltendmachung von Ansprüchen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
16.03.2005
Aktenzeichen
3 U 120/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 11688
Entscheidungsname
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2005:0316.3U120.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 12.10.2004 - AZ: 9 O 1432/04

Fundstellen

  • OLGReport Gerichtsort 2005, 405-406
  • ZfS 2005, 406 (Volltext mit amtl. LS)
  • zfs 2005, 406 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Macht der Kläger Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend, so darf er in der Klageschrift zur Konkretisierung seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit auf eine dem Schriftsatz beigefügte in sich geschlossene Beschreibung von wenigen Seiten Bezug nehmen.

  2. 2.

    Ist ein Hinweis nach § 139 ZPO geboten, so muss diesem eindeutig zu entnehmen sein, zu welcher Frage es bislang an ausreichendem Vortrag oder an einem Beweisantritt fehlt.

  3. 3.

    Wird der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt und benennt die Partei daraufhin einen Zeugen, so kann dieser Beweisantritt nicht als verspätet zurückgewiesen werden.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 12. Oktober 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Der am ... 1970 geborene Kläger begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

2

Der Kläger war viele Jahre als angestellter Maurer in einem kleinen Betrieb tätig, der sich überwiegend mit der Erstellung von Einfamilienhäusern befasst. Er hat behauptet, seit dem Sommer 2003 aufgrund einer rezidivierenden Lumboischialgie rechts, einer Spondylolyse L 5 und einer Spondylolisthesis L 5/ S 1 berufsunfähig zu sein. Als Anlage zur Klageschrift hat er eine dreiseitige "Berufliche Tätigkeitsbeschreibung"überreicht, aus der sich ergibt, welche Tätigkeiten mit welchem Zeitaufwand von ihm auf einer normalen Baustelle von deren Einrichtung bis zu der zuletzt erfolgenden Erstellung der Hauseingangsstufe zu erbringen seien. Dafür, dass sich diese Tätigkeiten auf jeder Baustelle nahezu gleichbleibend wiederholten und unumgänglich seien, hat der Kläger sich auf das Gutachten eines Bausachverständigen berufen. Mit Verfügung vom 24. Mai 2004 erteilte der Kammervorsitzende den Hinweis: "Der Vortrag zur Berufsunfähigkeit dürfte noch unsubstantiiert sein. Die Tätigkeitsbeschreibung muss entweder auf 1 Woche oder 1 Monat bezogen werden." Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2004 legte der Kläger als Anlagen Tätigkeitsbeschreibungen für seine letzten drei Arbeitswochen vom 1. bis 18. April 2003 vor und berief sich erneut auf Sachverständigengutachten. Unter dem 14. Juni 2004 wurde ihm der Hinweis des Einzelrichters zuteil: "Das Gericht weist darauf hin, dass Sachvortrag in die Schriftsätze gehört und es nicht Aufgabe des Gerichts ist, sich diesen aus irgendwelchen Anlagen herauszusuchen." Der Kläger hat daraufhin seine Tätigkeitsbeschreibung in Form eines Schriftsatzes erneut vorgelegt.

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...

4

Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger zu mehr als 50 % berufsunfähig sei. Insbesondere hat sie bezweifelt, dass er in den von ihm konkret geschilderten drei Wochen tatsächlich die angegebenen Arbeiten verrichtet habe und dass 95 % seiner Tätigkeiten in körperlicher Zwangshaltung zu erbringen und mit schwerem Heben verbunden seien.

5

In der mündlichen Verhandlung am 22. September 2004 hat der Einzelrichter darauf hingewiesen, " dass das vom Kläger angebotene Sachverständigengutachten zum Beweis seiner Tätigkeit vor Eintritt der Berufsunfähigkeit zum Beweis deshalb ungeeignet sein dürfte, da ein Sachverständiger höchstens sagen könnte, wie die Tätigkeit eines Maurers typischerweise bzw. im Durchschnitt aussieht, aber keine Angaben dazu machen kann, wie konkret die Tätigkeit des Klägers aussah." Der Klägervertreter benannte daraufhin zum Beweis für die behauptete Tätigkeit des Klägers dessen Arbeitgeber als Zeugen und kündigte die Benennung weiterer Mitarbeiter als Zeugen an. Dies geschah mit Schriftsatz vom 27. September 2004.

6

Durch Urteil vom 12. Oktober 2004 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er berufsunfähig sei. Bis zur mündlichen Verhandlung habe er sich zum Beweis für seine Behauptungen zu seinem Tätigkeitsfeld lediglich auf Sachverständigengutachten berufen, und damit auf ein gänzlich ungeeignetes Beweismittel, denn ein Sachverständiger könne nichts dazu sagen, wie die Tätigkeit des Klägers konkret ausgestaltet gewesen sei. Auf eine solche juristische Selbstverständlichkeit habe der anwaltlich vertretene Kläger auch nicht weiter im Vorfeld hingewiesen werden müssen, da er bereits durch die Verfügungen vom 24. Mai und 14. Juni 2004 ausdrücklich auf die Unsubstantiiertheit seines Vortrages zur Berufsunfähigkeit hingewiesen worden sei. Danach habe für seinen Prozessvertreter hinreichend Anlass bestanden, sich mit der zu dieser Problematik ergangenen Rechtsprechung vertraut zu machen. Die Hinweispflicht des § 139 ZPO diene nicht dazu, ihm stattdessen zu ermöglichen, den Sachvortrag und die Beweisangebote praktisch allein anhand der gerichtlichen Hinweise nach und nach zusammenstellen zu können. Die Beweisantritte in der mündlichen Verhandlung und im Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 seien zurückzuweisen, weil ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruhe.

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Mit seiner gegen diese Entscheidung frist- und formgerecht eingelegten Berufung rügt der Kläger eine Verletzung der Hinweispflichten des Gerichts sowie eine fehlerhafte Anwendung der Verspätungsvorschriften.

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Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgerichts Osnabrück zurückzuverweisen.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

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Das Verfahren im ersten Rechtszug leidet an wesentlichen Mängeln.

12

Das Landgericht hat gegen seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO verstoßen. Der Kläger hatte erkennbar übersehen, dass - nachdem die Beklagte im Laufe des Verfahrens auch den für die Zeit vom 11. bis 18. April 2003 konkret dargelegten Arbeitsumfang bestritten hatte - insoweit Zeugenbeweis anzutreten war. Hierauf hätte das Landgericht hinweisen müssen.

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Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landgerichts, es hätte eines Hinweises deshalb nicht bedurft, weil der Kläger bereits durch die Verfügungen vom 24. Mai und 14. Juni 2004 ausdrücklich auf die Unsubstantiiertheit seines Vortrages zur Berufsunfähigkeit hingewiesen worden sei.

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Der Hinweis des Kammervorsitzenden vom 24. Mai 2004 bezog sich ausschließlich darauf, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht allgemein, sondern bezogen auf bestimmte Zeiträume darzustellen sei.

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Der Einzelrichter wies dann am 14. Juni 2004 darauf hin, dass eine Bezugnahme in Schriftsätzen auf beigefügte Anlagen unzulässig sei. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, was diese Frage mit der vermissten Substantiierung zu tun haben könnte, ist die dem Hinweis zugrunde liegende Rechtsauffassung bezogen auf den zu entscheidenden Fall unzutreffend. Die gebotene Individualisierung der Klagegründe kann grundsätzlich auch durch eine konkrete Bezugnahme auf andere Schriftstücke erfolgen. Die Gerichte sind lediglich nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Aktenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren (BGH-Report 2003, 1438). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Es handelte sich bei den Anlagen um vier Blätter (je eines pro Arbeitswoche) mit wenigen Zeilen. Das Ansinnen, der Prozessbevollmächtigte des Klägers solle deren Inhalt abschreiben lassen, um die Information dem Gericht in Form eines Schriftsatzes präsentieren zu können, stellt danach eine durch nichts zu rechtfertigende Förmelei dar.

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Ebenso wenig verfängt die Argumentation des Einzelrichters, aufgrund der erteilten Hinweise hätte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers intensiver mit der Rechtsmaterie auseinandersetzen müssen, wobei er dann auch auf die Beweisproblematik gestoßen wäre. Die Pflicht zum Hinweis auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte dient vor allem der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Hinweise sind nicht in der Form kryptischer Andeutungen, quasi als Aufforderung zur Weiterbildung, zu erteilen, sondern es ist knapp aber eindeutig zu benennen, zu welcher Frage es an ausreichendem Vortrag oder an einem Beweisantritt fehlt. Hinweise sind darüber hinaus rechtzeitig zu erteilen. Geschieht dies, wie hier, erst in der mündlichen Verhandlung und benennt die Partei daraufhin einen Zeugen, so kann dieser Beweisantritt nicht als verspätet zurückgewiesen werden (OLG Hamm NJWRR 2003, 1651).

17

Der Senat hält die Durchführung der erforderlichen umfangreichen Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz nicht für sachdienlich und hat die Sache deshalb auf Antrag des Klägers unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.