Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.11.1993, Az.: IX 683/87
Übertragung des Pauschbetrages für Körperbehinderte auf die leiblichen Eltern; Übertragung des Kinderfreibetrages sowohl auf die leiblichen Eltern, wie auch die Pflegeeltern; Zum Begriff des Pflegekindes
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 03.11.1993
- Aktenzeichen
- IX 683/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 18652
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1993:1103.IX683.87.0A
Rechtsgrundlagen
- § 33 b Abs. 5 S. 1 EStG
- § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG
Fundstelle
- EFG 1994, 622 (Volltext mit amtl. LS)
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger den Pauschbetrag gemäß § 33 b Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 7.200 DM für seinen geistesschwachen Bruder in Anspruch nehmen kann.
Der Kläger bewirtschaftet als Landwirt einen ca. 33 ha großen Hof in L., den er durch Vertrag vom ... Dezember 1973 von seinem Vater übertragen bekommen hat. In diesem Vertrag verpflichtete sich der Kläger u.a. zu Altenteilsleistungen an seine Eltern und zu Abfindungen für seine Geschwister. Außerdem verpflichtete er sich, seinem hochgradig schwachsinnigen Bruder E.-H. ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht an zwei Räumen und Bad zu gewähren, ihn - soweit möglich - auf dem Hof zu beschäftigen, ihn unentgeltlich zu beköstigen und zu pflegen, ihm ein monatliches Taschengeld zu zahlen sowie die Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge zu begleichen. Die Verpachtungen wurden grundbuchlich abgesichert.
Anläßlich einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung beantragte dieser, den Pauschbetrag für Körperbehinderte in Höhe von 7.200 DM auf ihn zuübertragen. Er legte einen Schwerbehindertenausweis für E.-H. vor, der eine MdE von 100 v.H. sowie die Merkmale G und H ausweist.
Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte mit Bescheiden vom ... Mai 1987 (für 1981) und vom ... Mai 1987 (für 1982 bis 1984) dieÜbertragung des Pauschbetrages auf den Kläger ab. Zur Begründung führte das FA aus, die Pauschbeträge nach § 33 b EStG könnten lediglich auf die Eltern übertragen werden, wenn der Behinderte selbst diese nicht in Anspruch nehme.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Die Kläger tragen vor, E.-H. sei voll in ihren Haushalt aufgenommen und daher als Pflegekind anzusehen. Die Eltern lebten ebenfalls im Haushalt, könnten sich jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht um E.-H. kümmern.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung der Bescheide vom ... bzw. ... Mai 1987 i.d.F. des Einspruchsbescheids vom ... Oktober 1987 die Einkommensteuern unter Berücksichtigung eines Pauschbetrages für Körperbehinderte von 7.200 DM für alle Streitjahre herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es ist der Auffassung, ein Pflegekindschaftsverhältnis zwischen den Klägern und E.-H. könne nicht anerkannt werden, da das natürlich Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen E.-H. und seinen leiblichen Eltern in den Streitjahren fortbestanden habe. Die Anerkennung eines Pfegekindschaftsverhältnisses setze jedoch voraus, daß das Kind aus dem natürlichen Obhuts- und Pflegeverhältnis zu seinen leiblichen Eltern ausgeschieden sei.
Das Gericht hat den Klägern aufgegeben, durch Vorlage einer amtsärztlichen Bescheinigung nachzuweisen, daß und aus welchen Gründen es den Eltern in den Streitjahren unmöglich war, sich um ihren Sohn E.-H. zu kümmern. Der Kläger hat mitgeteilt, es sei ihm nicht möglich, eine amtsärztliche Bescheinigung seines Vaters vorzulegen, da dieser Ende ... 1989 nach langer Krankheit verstorben sei.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Nach § 33 b Abs. 5 Satz 1 EStG (in der für die Streitjahre geltenden Fassung) kann der Pauschbetrag für Körperbehinderte auf die Eltern übertragen werden, wenn ihn das Kind nicht in Anspruch nimmt. Der Senat geht davon aus, daß E.-H. den Pauschbetrag nicht in Anspruch nehmen konnte, da er keine entsprechenden Einkünfte hatte. Eine Übertragung auf die Eltern wäre danach grundsätzlich möglich. Der Kinderfreibetrag kann indes nicht nur auf die leiblichen Eltern übertragen werden, sondern auch auf die Pflegeeltern. Kinder i.S. des EStG sind nämlich nicht nur leibliche Kinder, sondern auch Pflegekinder (§ 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG). Im Streitfall kann jedoch E.-H. nicht als Pflegekind der Kläger angesehen werden. Der Begriff des Pflegekindes i.S. des EStG setzt u.a. voraus, daß das Kind außerhalb der Obhut und Pflege seiner leiblichen Eltern steht. Leben die leiblichen Eltern des Kindes noch, so ist Voraussetzung, daß das natürliche Obhuts- und Pflegeverhältnis der leiblichen Eltern zu ihrem Kind tatsächlich nicht mehr besteht (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 9. März 1989 VI R 94/88, BStBl II 1989, 680 und vom 14. Dezember 1962 VI 99/62 S, BStBl III 1963, 124).
Im Streitfall fehlt es an der Lösung des natürlichen Obhuts- und Pflegeverhältnisses zwischen den Eltern und E.-H. Das ergibt sich schon daraus, daß die Eltern mit ihrem Sohn zusammen in einem Hause wohnten. Ein Pflegekindschaftsverhältnis könnte allenfalls dann anerkannt werden, wenn die Eltern aus tatsächlichen Gründen nicht mehr in der Lage waren, sich um ihren Sohn E.-H. zu kümmern. Daß dies der Fall war, haben die Kläger nicht nachgewiesen. Allgemeine Behauptungen, daß die Eltern krank und pflegebedürftig gewesen seien, reichen insoweit nicht aus. Zwar mag es den Klägern nur schwer möglich sein, nach dem zwischenzeitlichen Tode des Vaters des Klägers noch entsprechende Nachweise zu erbringen, hinsichtlich der Mutter wäre eine Nachweismöglichkeit jedoch noch gegeben. Es reicht insoweit aus, wenn das natürliche Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu einem Elternteil noch besteht. Dabei kann es nicht darauf ankommen, in welchem Umfang der Mutter noch die (beschränkte) Möglichkeit verblieb, sich um ihr Kind zu kümmern. Dies gilt jedenfalls so lange, wie der Mutter die Pflege und Obhut des Kindes nicht völlig unmöglich ist, z.B. wegen eigener Pflegebedürftigkeit (vgl. BFH-Urteil VI R 94/88). Daß dieses der Fall war, haben die Kläger trotz Aufforderung nicht nachgewiesen.
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.