Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.12.1993, Az.: I 162/88

Abziehbarkeit eines lebenslänglichen, unverzinslichen Darlehens als Schuldposten; Ermittlung des Gesamtvermögens

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.12.1993
Aktenzeichen
I 162/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 17052
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1993:1214.I162.88.0A

Fundstelle

  • EFG 1994, 591 (Volltext mit amtl. LS)

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Frage, ob ein lebenslängliches unverzinsliches Darlehen als Schuldposten bei der Ermittlung des Gesamtvermögens der Kläger (Kl.) abzuziehen ist.

2

Die Kl. sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Vermögensteuer veranlagt. Mit bestandskräftigem Hauptveranlagungsbescheid auf den 1. Januar 1980 setzte der Beklagte (Finanzamt - FA) die Vermögens teuer auf 8.090 DM fest. Dieser Festsetzung liegt ein abgerundetes Gesamtvermögen von 1.828.000 DM zugrunde. Bei der Ermittlung des Gesamtvermögens berücksichtigte das FA eine lebenslängliche Darlehensverbindlichkeit der Kl. gegenüber ihren Kindern Andreas und Petra in Höhe von 1.505.794 DM mit einem kapitalisierten Wert von 104.865 DM als Abzugsposten. Den Darlehensgrund haben die Kl. im Veranlagungsverfahren wie folgt erklärt: Im Jahre 1969 hätten sie - die Kl. - im Wege vorweggenommener Erbfolge insgesamt vier Grundstücke in Mannheim und Hannover auf ihre damals noch minderjährigen Kinder Andreas und Petra gegen Einräumung eines lebenslänglichen Nießbrauchsrechtesübertragen. In den Jahren 1977 und 1978 hätten ihre Kinder sich zum Verkauf der Grundstücke entschlossen. Sie - die Kl. - hätten einer Löschung des Nießbrauchsrechtes zugestimmt, allerdings mit der Maßgabe, daß sich der Nießbrauch am Verkaufserlös als Surrogat fortsetze. Dementsprechend hätten die Kinder ihnen den Verkaufserlös in Höhe von 1.505.794 DM als zinsloses Darlehen bis zum Tode des Letztversterbenden zur Verfügung gestellt.

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Im geänderten Hauptveranlagungsbescheid auf den 1. Januar 1983 vom 22. Juni 1987 ließ das FA dieses Darlehen nicht zum Abzug zu. Außerdem lehnte das FA die von den Kl. beantragte Neuveranlagung auf den 1. Januar 1981 mit Bescheid vom 16. Juni 1987 mit dem Hinweis ab, daß sich das Gesamtvermögen auf den 1. Januar 1981 auf 1.927.000 DM errechne und damit die Wertabweichungsgrenzen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 Vermögensteuergesetz (VStG) nicht erreicht seien. Auch bei dieser Gesamtvermögensberechnung berücksichtigte das FA die Darlehensverbindlichkeit der Kl. gegenüber ihren Kindern nicht mehr.

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Der Einspruch der Kl. führte zu einer Verböserung des Vermögensteuerbescheides auf den 1. Januar 1983 in einem nicht streitigen Punkt und hatte keinen Erfolg.

5

Mit der Klage wenden sich die Kl. gegen die Nichtberücksichtigung eines Teils des Darlehens in Höhe von 1.180.000 DM. Dies sei der Erlös aus dem Verkauf der ... in Hannover. Der Erlös sei ihnen tatsächlich als Darlehen zugeflossen. Mit dem Darlehen hätten sie die von ihnen jetzt bewohnte Eigentumswohnung im ... in Hannover sowie im kleineren Umfang Wertpapiere erworben. Es sei jedoch nicht richtig, daß ihnen ein Nießbrauchsrecht an dem Verkaufserlös zustehe. Der Verkaufserlös habe zwar ein Ersatz für das aufgegebene Nießbrauchsrecht an den Grundstücken sein sollen, mit den Kindern sei jedoch ausdrücklich ein zinsloses lebenslängliches Darlehen vereinbart worden. Unter Berücksichtigung ihres Lebensalters und der durchzuführenden Abzinsung sei das Darlehen auf den 1. Januar 1981 mit 404.421 DM anzusetzen und in dieser Höhe vom Rohvermögen abzuziehen. Damit errechne sich auf den 1. Januar 1981 ein Gesamtvermögen von abgerundet 1.523.000 DM, das somit vom Gesamtvermögen der letzten Veranlagung (1. Januar 1980) um 305.000 DM abweiche. Damit sei die Wertabweichungsgrenze des § 16 Abs. 1 Nr. 1 VStG überschritten und eine Neuveranlagung auf den 1. Januar 1981 durchzuführen. Auf den 1. Januar 1983 sei das Darlehen mit dem abgezinsten Wert von 461.934 DM zu berücksichtigen.

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Die Kl. beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. Juli 1987 und des Einspruchsbescheides vom 16. Februar 1988 das FA zu verpflichten, die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1981 im Wege der Neuveranlagung auf 6.565 DM und auf den 1. Januar 1983 unter Änderung des Vermögensteuerbescheides vom 22. Juni 1987 auf 12.005 DM festzusetzen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er hält an seiner Auffassung fest, daß das Darlehen nicht als Schuld vom Rohvermögen abzuziehen sei. Ein Abzug von Schulden und Lasten sei nur zulässig, wenn der Schuldner oder Verpflichtete ernstlich mit der Geltendmachung der Schuld oder Last rechnen müsse. Im Streitfall stelle die Darlehnsverpflichtung keine ernsthafte wirtschaftliche Verpflichtung dar, da das Darlehen zu Lebzeiten nicht mehr zurückgezahlt zu werden brauche. Ferner könne das Darlehensverhältnis als solches auch nicht anerkannt werden, weil es in Inhalt und Durchführung einem Fremdvergleich nicht standhalte. Vom wirtschaftlichen Gehalt her liege kein Darlehen, sondern eine Schenkung vor.

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Wegen des Vortrags der Parteien im einzelnen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klageverfahren sowie auf den Inhalt der Vermögensteuerakten 149/03544 des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

10

I.

Die Klage hat im wesentlichen Erfolg.

11

1.

Der Senat vertritt nach durchgeführter mündlicher Verhandlung die Auffassung, daß die Darlehensverpflichtung der Kläger aus dem Darlehensvertrag mit ihren Kindern Andreas und Petra vom 29. April 1977 als Schuldposten vom Rohvermögen der Kl. abzuziehen ist.

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Bemessungsgrundlage für die Vermögensteuer ist nach§ 4 Abs. 1 Nr. 1 VStG das Gesamtvermögen i.S.d. §§ 114-120 des Bewertungsgesetzes (BewG). Nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BewG sind zur Ermittlung des Gesamtvermögens Schulden vom Rohvermögen abzuziehen, soweit sie nicht im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem gewerblichen Betrieb stehen. Weitere Voraussetzung für den Abzug ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Juli 1983 III R 119/80, BFHE 139, 204, BStBl II 1983, 706) nicht nur die rechtliche Verpflichtung zur Erfüllung einer Schuld, sondern auch eine tatsächliche und wirtschaftliche Belastung des Leistungsverpflichteten. Bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen kommt hinzu, daß sie die Kriterien erfüllen müssen, die die Rechtsprechung für die Anerkennung von Verträgen unter nahen Angehörigen entwickelt hat, d.h., sie müssen zivilrechtlich wirksam sein, tatsächlich durchgeführt werden und inhaltlich dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 1. Febr. 1973 IV R 61/72, BFHE 108, 219, BStBl II 1973, 309).

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Der Darlehensvertrag zwischen den Kl. und ihren Kindern ... und ... erfüllt diese Voraussetzungen. Er ist wirksam zustandegekommen, tatsächlich durchgeführt worden und steht nicht im Zusammenhang mit einem gewerblichen Betrieb. Die Rückzahlungsverpflichtung aus dem Darlehen wirkt sich trotz der lebenslänglichen Laufzeit wirtschaftlich belastend aus, weil sie - wenn auch nicht von den Kl., wohl aber von ihren Rechtsnachfolgern - zu erfüllen ist. Das Darlehen hält in seiner inhaltlichen Ausgestaltung auch einem Drittvergleich stand. Dem steht die Vereinbarung der Zinslosigkeit nicht entgegen, weil das Darlehen als Ausgleich für die Aufgabe des Nießbrauchsrechts an den Immobilien gewährt worden war und in diesem Zusammenhang selbst fremde Dritte Nießbrauchsberechtigte sich nicht zu Zinszahlungen bereitgefunden hätten.

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2.

Unter Berücksichtigung des Lebensalters der Kl. an den Veranlagungsstichtagen (65 bzw. 59 Jahre am 1. Jan. 1981 und 67 bzw. 61 Jahre am 1. Jan. 1983) errechnet sich der Gegenwartswert der Darlehensverbindlichkeit gem. Hilfstafel 1 zu § 12 Abs. 3 BewG auf 404.421 DM (Laufzeit 20 Jahre = 34,273 v.H. von 1.180.000 DM) auf den 1. Jan. 1981 und auf 450.134 DM (Laufzeit 18 Jahre = 38,147 v.H. von 1.180.000 DM) auf den 1. Jan. 1983. Damit errechnet sich das Gesamtvermögen auf den 1. Jan. 1981 wie folgt:

Rohvermögen gem. Bescheid 01.01.19811.927.723 DM
./. Darlehensverbindlichkeit404.421 DM
Gesamtvermögen1.523.302 DM
abgerundetes Gesamtvermögen1.523.000 DM.
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Folglich sind die Neuveranlagungsgrenzen des § 16 Abs. 1 VStG überschritten. Unter Berücksichtigung der natürlichen Freibeträge für die Kl. und die seinerzeit im Haushalt lebende gebrechliche Tochter Ingrid ergibt sich ein zu versteuerndes Vermögen von 1.313.000 DM und eine Vermögensteuer von 6.565 DM.

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Auf den 1. Jan. 1983 beläuft sich das Gesamtvermögen auf Rohvermögen gem. Einspruchsbescheid

3.126.742 DM
Steuerschulden lt. Einspruchsbescheid123.548 DM
Darlehensverbindlichkeit450.134 DM
Gesamtvermögen2.553.060 DM
abgerundetes Gesamtvermögen2.553.000 DM.
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Daraus errechnet sich folgende Vermögensteuer:

Freibetrag gem. § 6 VStG nach Antrag140.000 DM
zu versteuern2.413.000 DM
Steuer × 0,5 v.H. =12.065 DM.
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II.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 151 Abs. 3 i.V.m. § 155 FGO und §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.

19

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Abziehbarkeit der Darlehensschuld zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.