Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.12.1987, Az.: 21 A 702/87

Asylantrag eines Ghanäers wegen politischer Verfolgung; Rechtsnatur der Ausreiseaufforderung mit der Abschiebungsandrohung; Ausländerbehördliches Ermessen bei der Ausreiseaufforderung; Duldungsgewährung und Duldungsanspruch; Beurteilungszeitpunkt für die Abschiebungsandrohung als faktischem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.12.1987
Aktenzeichen
21 A 702/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 12830
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1987:1218.21A702.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 16.03.1987 - AZ: 10 VG A 144/86

Verfahrensgegenstand

Asylrecht

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen und Duldung

Anerkennung als Asylberechtigter.

Prozessführer

des ghanaischen Staatsangehörigen ...

Prozessgegner

1. die Bundesrepublik Deutschland,

durch den Bundesminister des Innern in Bonn, dieser vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, ...

2. den Landkreis ...

Sonstige Beteiligte

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, ...

Amtlicher Leitsatz

Auf die Rechtmäßigkeit einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach § 28 AsylVfG hat es keinen Einfluß, daß der Ausländerbehörde nachträglich Umstände bekannt werden, die eine Duldung des Ausländers nach § 17 AuslG rechtfertigen,

In der Verwaltungsrechtssache hat der 21. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Czajka,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Große und Groepper
sowie die ehrenamtlichen Richter Marwede und Mumm
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten zu 2) wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 10. Kammer - vom 16. März 1987 geändert.

Die Klage gegen den Beklagten zu 2) wird gleichfalls abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des festgesetzten Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Der aus Ghana stammende Kläger reiste am 14. Mai 1985 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte politisches Asyl mit der Begründung, er sei in Ghana verhaftet und in der Haft geschlagen worden, weil er sich als Mitglied eines "People's Defence Committee" (PDC) geweigert habe, sich zum Dienst in der Armee zu stellen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21. Mai 1986 ab. Daraufhin forderte der beklagte Landkreis (Beklagter zu 2)) den Kläger mit Verfügung vom 27. Juni 1986 unter Androhung der Abschiebung auf, das Bundesgebiet spätestens einen Monat nach "Unanfechtbarkeit des Asylverfahrens" zu verlassen; die Verfügung enthält den Hinweis, daß sie "nur und erst dann" wirksam werde, wenn der Bescheid des Bundesamtes bestandskräftig geworden sei.

2

Die Verfügung des Landkreises wurde dem Kläger zusammen mit dem Bescheid des Bundesamtes am 7. Juli 1986 zugestellt. Am 17. Juli 1986 teilte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten zu 2) fernmündlich mit, daß der Kläger eine deutsche Freundin in ... habe, die bereits ein Kind von ihm bekommen habe; er beabsichtige, diese zu heiraten. Mit der gleichen Begründung beantragte der Kläger wenig später seine Umverteilung nach Hannover.

3

Am 28. Juli 1986 hat der Kläger gegen den Bescheid des Bundesamtes und die Verfügung des Beklagten zu 2) Klage mit dem Antrag erhoben,

  1. 1.

    den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21. Mai 1986 aufzuheben und die Beklage zu 1) zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,

  2. 2.

    die Verfügung des Beklagten zu 2) vom 27. Juni 1986 aufzuheben.

4

Die Beklagten haben beantragt,

die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

5

Durch Urteil vom 16. März 1987 hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen die Beklagte zu 1) als offensichtlich unbegründet abgewiesen; zugleich hat es die Verfügung des Beklagten zu 2) als ermessensfehlerhaft aufgehoben, weil der Beklagte dabei nicht berücksichtigt habe, daß in der Bundesrepublik ein nichteheliches Kind des Klägers lebe, das aus einer Verbindung mit einer deutschen Staatsangehörigen hervorgegangen sei.

6

Auf die fristgerecht erhobene Beschwerde des Beklagten zu 2) hat der Senat mit Beschluß vom 24. August 1987 seine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.

7

Der Beklagte zu 2) tritt der Auffasssung des Verwaltungsgerichts entgegen, daß es sich bei der Abschiebungsandrohung um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handele, der die Ausländerbehörde nötige, ihre Verfügung auch während eines Rechtsmittelverfahrens unter Kontrolle zu halten. Im Zeitpunkt seiner Entscheidung sei ihm nicht bekannt gewesen, daß der Kläger ein Kind mit einer deutschen Staatsangehörigen habe.

8

Der Beklagte zu 2) beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die gegen ihn gerichtete Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Dem Senat liegen die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts und des Beklagten zu 2) als Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor.

Entscheidungsgründe

11

Die Berufung des Beklagten zu 2) ist begründet. Seine Verfügung ist rechtmäßig. Soweit das Verwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt ist und die Verfügung des Beklagten aufgehoben hat, hält sein Urteil einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

12

Das Verwaltungsgericht geht davon aus, daß die Ausreiseaufforderung kein Verwaltungsakt sei. Es hat darum die Klage dahingehend ausgelegt, daß nur die Abschiebungsandrohung angefochten werde. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die Auffassung der Kammer findet im Wortlaut des § 28 AsylVfG keine Stütze. Wenn dort - abweichend von § 10 Abs. 2 AsylVfG - ausdrücklich von einer "Aufforderung" der Ausländerbehörde die Rede ist, so kann damit nichts anderes gemeint sein als eine hoheitliche Anordnung, der Folge zu leisten ist und die darum Regelungscharakter besitzt. Das Verwaltungsgericht stützt seine gegenteilige Ansicht auf eine Kommentarstelle bei Kloesel/Christ (Deutsches Ausländerrecht, Anm. 2 zu § 12 AuslG). Diese Kommentierung betrifft indessen eine Vorschrift, die in dem hier interessierenden Punkt dem § 10 Abs. 1 und 2 AsylVfG und nicht dem § 28 Abs. 1 AsylVfG entspricht. Zustimmung verdient demgegenüber die Auffassung, daß es sich bei der Verfügung der Ausländerbehörde gemäß § 28 AsylVfG um einen einheitlichen Verwaltungsakt mit mehreren Regelungselementen handelt (Marx/Strate/Pfaff, RdNr. 6 f. zu § 28 AsylVfG; vgl. auch GK, RdNr. 15 f. zu § 28 AsylVfG m.w.Nachw.).

13

Der Senat teilt ferner nicht die Meinung des Verwaltungsgerichts, die Verfügung des Beklagten zu 2) sei ermessensfehlerhaft, weil dieser dabei das außereheliche Kind des Klägers unberücksichtigt gelassen habe. Das Verwaltungsgericht hat hierbei verkannt, daß der Ausländerbehörde für den Erlaß der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung grundsätzlich kein Ermessen eingeräumt ist (BVerwG, Urt. v. 03.11.1987 - 9 C 254.86 -; Beschl. d. Sen. v. 18.09.1978 - 21 OVG B 51/87 -). Dies schließt nicht aus, daß die Ausländerbehörde auf Antrag oder in besonders gelagerten Fällen auch von Amts wegen vor oder zeitgleich mit einer Verfügung nach § 28 AsylVfG prüft, ob einem erfolglosen Asylbewerber Duldung gemäß § 17 AuslG zu gewähren ist (vgl. hierzu BVerfGE 67, 43/56 f). Das der Behörde nach dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen macht jedoch nicht auch den § 28 AsylVfG zu einer Ermessensregelung. Hat die Behörde dem Ausländer im Rahmen ihres Ermessens gemäß § 17 AuslG Duldung gewährt oder hat der Ausländer im Falle einer Ermessensschrumpfung einen Anspruch auf Duldung, so ist die Behörde gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG aus Rechts gründen gehindert, den Ausländer zur Ausreise aufzufordern und ihm die Abschiebung anzudrohen. Von einem Ermessensfehler kann insoweit allenfalls die Rede sein, wenn die Behörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG trifft, ohne zuvor öder zugleich über einen gestellten Antrag auf Duldung zu befinden oder bei einer Sachlage, bei der sich die Gewährung einer Duldung von Amts wegen aufdrängt, über eine solche zu entscheiden. Bei einer solchen Sachlage stellt eine Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung zugleich die Versagung einer Duldung dar. Ein Ermessensmangel bei der Entscheidung über die letztere wirkt sich damit zwangsläufig auch auf die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nach § 28 AsylVfG aus, es sei denn, daß die Behörde sich die Entscheidung über eine Duldung ausdrücklich vorbehält oder auf andere Weise eindeutig zu erkennen gibt, daß mit der Verfügung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht zugleich über die Gewährung oder Versagung einer Duldung entschieden werden sollte.

14

Voraussetzung für eine Ermessensbetätigung der Behörde im Zusammenhang mit einer Maßnahme nach § 28 AsylVfG ist jedoch in jedem Fall, daß ihr im Zeitpunkt dieser Maßnahme Umstände bekannt sind, die ihr Veranlassung geben, sich über eine Duldung des Ausländers Gedanken zu machen - sei es, daß ihr ein entsprechender Antrag vorliegt, sei es, daß sich ihr die Notwendigkeit einer Duldung aufgrund von ihr bekannten Tatsachen aufdrängt und sie nach den Gesamtumständen annehmen muß, daß der Ausländer lediglich aus Unkenntnis keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Hingegen haben Umstände, die der Behörde erst nach dem Erlaß aufenthaltsbeendender Maßnahmen gemäß § 28 AsylVfG bekannt werden und die sie darum bei ihrer Entscheidung über diese Maßnahmen nicht berücksichtigen konnte, auf deren Rechtmäßigkeit keinen Einfluß. Über einen erst im Anschluß an eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung gestellten Antrag auf Duldung ist in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden. Ein solcher nachträglicher Antrag mag Anlaß geben, den Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auszusetzen, macht diese Maßnahmen Indessen nicht fehlerhaft. Soweit nachträgliche Umstände eine Prüfungspflicht der Behörde begründen, erstreckt diese sich nicht auf die Grundlagen und Voraussetzungen der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, sondern allein auf die Frage, ob diese zwangsweise durchgesetzt werden soll.

15

Das Verwaltungsgericht begründet seinen gegenteiligen Standpunkt damit, daß es sich bei einer Abschiebungsandrohung "faktisch" um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handele, der nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beurteilen sei. Diese Ansicht ist rechtsirrig. Das Verwaltungsgericht verwechselt die Dauer der behördlichen Maßnahme mit der Dauer der von ihr erzeugten Rechtswirkungen. Die bis zur Erfüllung der auferlegten Verpflichtung durch den Betroffenen oder bis zum Vollzug des Verwaltungsaktes bestehende Pflicht zur Befolgung der getroffenen Anordnung begründet noch nicht den Dauercharakter des Verwaltungsaktes selbst. Der Senat geht daher in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 03.11.1987 - 9 C 254.87) davon aus, daß - ebenso wie bei anderen ordnungsbehördlichen Verfügungen - für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach § 28 AsylVfG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblich ist.

16

In diesem Zeitpunkt lag dem Beklagten zu 2) jedoch weder ein Duldungsantrag des Klägers vor, noch war ihm bekannt, daß dieser Vater eines von einer deutschen Staatsangehörigen in Hannover geborenen Kindes ist. Dies ist dem Beklagten zu 2) erst nach Wirksamwerden seiner Verfügung mitgeteilt worden. Somit bestand für ihn keine Veranlassung, noch hatte er überhaupt die Möglichkeit, diesen Umstand beim Erlaß seiner Verfügung zu berücksichtigen.

17

Daher konnte das erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben.

18

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

19

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Dr. Czajka
Dr. Große
Groepper