Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 17.03.2020, Az.: 2 U 226/19
Anspruch auf Vergütung oder Schadensersatz für erbrachte Straßenreinigungsarbeiten; Fehlendes Aufmaß von Kehrmetern durch einen Auftragnehmer; Verwirkung von Ansprüchen; Einrede der Verjährung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 17.03.2020
- Aktenzeichen
- 2 U 226/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 66530
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 11.07.2019 - AZ: 9 O 566/19
Rechtsgrundlagen
- § 241 Abs. 2 BGB
- § 214 Abs. 1 BGB
In dem Rechtsstreit
AA GmbH, gesetzlich vertreten durch die Geschäftsführer BB und CC, Ort1,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
Stadt DD, vertreten durch den Bürgermeister EE, Ort2,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...), den Richter am Oberlandesgericht (...) und den Richter am Oberlandesgericht (...) auf die mündliche Verhandlung vom 10.03.2020 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.07.2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
[Entscheidungsgründe]
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage auf Vergütung bzw. Schadensersatz für erbrachte Straßenreinigungsarbeiten der Jahre 2008 und 2015-2017 in Anspruch. Widerklagend begehrt die Beklagte die Feststellung des Nichtbestehens der Vergütungspflicht auch für die weiteren Jahre ab 1997.
Die Klägerin führt unter anderem Straßenreinigungen für Kommunen durch. Seit 1973 war sie auch für die Beklagte tätig, entweder als Subunternehmerin für die Firma FF oder aufgrund eines direkten Vertragsverhältnisses. Durch Vertrag vom 11.01.1985 wurde das Vertragsverhältnis der Beklagten mit der Firma FF auf eine neue Grundlage gestellt. Dabei verständigten sich die Vertragsparteien in § 7 des Vertrages darauf, dass die Zahl der Kehrmeter erstmalig durch ein gemeinsames Aufmaß festgestellt werden sollte. Ob dieses gemeinsame Aufmaß in der Folgezeit tatsächlich erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig. Seit 1997 ist die Klägerin ohne Beteiligung der Firma FF für die Beklagte tätig.
Die Klägerin hat behauptet, ein gemeinsames Aufmaß sei nicht festgestellt worden. Vielmehr seien die abzurechnenden Kehrmeter stets von der Beklagten bestimmt worden. Auf die Richtigkeit dieser Angaben habe sie vertraut und diese ihren Abrechnungen zugrunde gelegt. Erst als sie im Jahre 2017 eine Telematik-Software eingesetzt habe, habe sie festgestellt, dass erhebliche Abweichungen zwischen den von den Gemeinden vorgegebenen und den von der Software ermittelten Kehrmetern bestanden hätten. Die mittels der Software ermittelten Längen habe sie stichprobenartig nochmals mit dem Laufrad manuell überprüft. Diese manuelle Prüfung habe die Berechnungen der Software bestätigt. Gegenüber den Vorgaben der Beklagten ergebe sich in den Jahren 2008 und 2015-2017 eine Differenz von 21.564 zusätzlichen Kehrmetern, sodass sich ein Anspruch auf zusätzlich brutto 24.378,10 € jährlich ergebe.
Die Klägerin war der Ansicht, die Beklagte sei aufgrund des Vertrages verpflichtet gewesen, ihr ein ordnungsgemäßes und zutreffendes Längenaufmaß zu übermitteln. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Die Klägerin habe auch erst im Jahr 2017 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an sie 97.51 2,40 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2018 zu zahlen;
2. die Klägerin von den Kosten der Rechtsanwälte GG, Ort3, In Höhe von 1.973,90 € freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Klägerin über den mit der Klage begehrten Teilbetrag von 97.512,40 € hinaus gegen die Beklagte auch keine weiteren Ansprüche für die Jahre 1997-2007 und 2009-2014 zustehen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Der vorausgegangene Mahnbescheidsantrag sei wegen nicht hinreichender Individualisierung der erhobenen Ansprüche nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung der Ansprüche bis einschließlich des Jahres 2015 geeignet gewesen.
Die Zahl der Kehrmeter sei im Jahr 1985 durch ein gemeinsames Aufmaß festgestellt worden. Im Übrigen habe die Klägerin die tatsächlich gefahrenen Kehrmeter jederzeit selbst nachprüfen können, etwa durch ein neues manuelles Aufmaß.
Zudem seien die Ansprüche der Klägerin ihres Erachtens verwirkt. Seit 2008 habe es keine Veränderungen mehr gegeben und die Maße seien unverändert in den Abrechnungen zugrunde gelegt worden. Die Beklagte habe sich darauf eingerichtet, dass weitergehende Vergütungsansprüche nicht mehr erhoben würden. Die für die Straßenreinigung entstandenen Kosten seien unstreitig anhand eines Umrechnungsschlüssels auf die Einwohner umgelegt worden. Eine rückwirkende Änderung der ergangenen Bescheide sei nicht mehr möglich.
Das Landgericht Oldenburg hat mit dem am 11.07.2019 verkündeten Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen und den Widerklageantrag zugesprochen.
Eine Nebenpflichtverletzungen der Beklagten sei nicht festzustellen, da die Beklagte nicht zur Übermittlung eines zutreffenden Längenaufmaßes verpflichtet gewesen sei. Eine bewusst unzutreffende Längenangabe sei durch die Klägerin nicht substantiiert behauptet worden. Vertragliche Vergütungsansprüche für die Jahre bis einschließlich 2015 seien verjährt, für die Jahre danach verwirkt.
Der Mahnbescheid für das Jahr 2015 habe nicht zu einer Verjährungshemmung geführt, da der im Mahnverfahren geltend gemachte Anspruch nicht hinreichend individualisiert gewesen sei.
Ansprüche aus den Jahren 2016 und 2017 seien verwirkt. Die Beklagte habe davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin keine Ansprüche mehr geltend mache. Das Zeitmoment ergebe sich daraus, dass die zu kehrenden Strecken seit dem Jahr 2008 unverändert seien. Das Umstandsmoment ergebe sich daraus, dass eine rückwirkende Änderung der bestandskräftigen Bescheide, mit denen die Beklagte die Reinigungskosten umgelegt habe, nicht mehr möglich sei und für die Beklagte ein nicht zumutbarer Nachteil entstünde.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Die Klägerin vertritt weiter die Ansicht, die Beklagte habe eine vertragliche Nebenpflicht aus dem Vertrag mit der Klägerin verletzt. Die korrekte Angabe der Kehrmeter sei von der Beklagten geschuldet gewesen. Das folge aus einer Auslegung des Vertrages vom 11.01.1985 aus dem sich ergebe, dass die Zahl der Kehrmeter durch ein gemeinsames Aufmaß festgestellt werden sollte. Daraus könne gerade nicht auf die Verpflichtung der Klägerin zur Ermittlung des Aufmaßes geschlossen werden. Da nur die Beklagte gewusst habe und habe wissen können, welche Zu- und Abgänge von Straßen bei der Errechnung der jeweiligen Entschädigung zu berücksichtigen seien, sei diese bereits nach der Auslegung der vertraglichen Vereinbarung hierzu verpflichtet. Die Verpflichtung der Beklagten folge außerdem aus dem Umstand, dass die Vermessung der zu reinigenden Straßen mit ganz erheblichem Aufwand verbunden sei, den die Klägerin zu leisten nicht imstande gewesen sei. Die Beklagte habe einen erheblichen Vorsprung und Vorteil, was allein die technischen Möglichkeiten und das Vorwissen angehe.
Die Ansprüche bis einschließlich 2015 seien nicht verjährt. Die Klägerin habe erst im Jahr 2017 überhaupt Kenntnis der ihr zustehenden (Nach-) Vergütungsansprüche erlangt und erlangen können. Eine grob fahrlässige Unkenntnis könne der Klägerin nicht angelastet werden. Im Übrigen sei die Verjährung durch den am 28.12.2018 erlassenen Mahnbescheid gehemmt.
Die Ansprüche aus den Jahren 2016 und 2017 seien nicht verwirkt. Bereits das erforderliche Zeitmoment liege nicht vor. Für das Vorliegen des Zeitmoments sei entscheidend, ob und inwieweit dem Rechtsinhaber, hier der Klägerin, eine wesentlich frühere Geltendmachung möglich gewesen wäre und hätte erwartet werden können. Der Klägerin sei eine frühere Geltendmachung nicht möglich gewesen. Die tatsächliche Streckenlänge habe erst im Jahr 2017 erfasst werden können. Auch liege das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoments nicht vor. Die Interessen der Beklagten seien umso weniger schutzwürdig, je besser sie selbst in der Lage sei, die Sach- und Rechtslage zu überblicken. Es sei die Aufgabe der Beklagten gewesen, die zu kehrende Strecke korrekt zu ermitteln und die Klägerin entsprechend zu vergüten.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 11.07.2019 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 97.51 2,40 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2018 zu zahlen und die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen weitergehenden Vergütungsanspruch aus dem mit der Beklagten geschlossen Straßenreinigungsvertrag für die Jahre 2008 und 2015 bis 2017. Die Feststellungswiderklage ist begründet.
1.
Entgegen der Ansicht die Klägerin war nicht die Beklagte, sondern sie selbst als Auftragnehmerin zur Erstellung des Aufmaßes verpflichtet, wenn es - entsprechend ihres streitigen Vortrags - ein gemeinsames Aufmaß nicht gegebenen haben sollte. Schließlich war das Aufmaß Voraussetzung einer prüfbaren Abrechnung ihrer Leistungen. Daran ändert auch der neue, gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigende Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung nichts, wonach "die Vermessung der zu reinigenden Straßen (für sie) mit ganz erheblichem Aufwand verbunden" (...) gewesen wäre bzw. der "Wissensvorsprung" (...) der Beklagten eine einfachere Ermittlung ermöglichen würde. Wollte sie diesen Aufwand vermeiden, hätte sie zunächst die Beklagte zur Erstellung eines gemeinsamen Aufmaßes entsprechend der vertraglichen Regelung in § 7 Abs. 3 (Anlage K 33) auffordern müssen. Aber selbst dann, wenn sich die Beklagte dem berechtigten Verlangen nach einem gemeinsamen Aufmaß widersetzt hätte, wäre der Klägerin nichts Anderes übriggeblieben als ein einseitiges Aufmaß zu nehmen und dessen Richtigkeit im Prozess zu beweisen (vgl. Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 5. Teil Rn. 568). Dazu hätte es aber vermutlich gar nicht kommen müssen. Wie das Schreiben der Beklagten vom 10. Januar 1991 (Anlage K 20) zeigt, war diese zur Ermittlung eines gemeinsamen Aufmaßes bereit.
Aus dem gesamten Inhalt des für die Abrechnung relevanten § 7 ergibt sich überdies eine Vereinbarung, die von vergleichbaren Abrechnungsmöglichkeiten wie z.B. beim Werkvertragsrecht und einer rückwirkend möglichen maßgenauen Abrechnung abweicht. Denn die laufenden Zu- und Abgänge von Straßen sollten nicht jeweils zu den einzelnen Reinigungen, sondern zur Ermittlung der Entschädigung jeweils zum ersten Januar eines jeden Jahres ermittelt werden. Die im Vorjahr eventuell erbrachten Mehr- oder Minderleistungen sollten innerhalb von 10 % der Gesamtleistung nicht besonders berücksichtigt werden. Dies bedeutet eine Abkehr von einer streng maßgenauen Vergütung. Zudem ist vertraglich vereinbart worden, die Vergütung je Kehrmeter bei einer Änderung der Parameter zur Ermittlung der Kosten (z.B. durch Tarifvereinbarungen oder Kraftstoffpreise) jeweils nur für die Zukunft zuzulassen. Auch das deutet darauf hin, dass Änderungen der Anzahl der Kehrmeter als Bestandteil der Vergütungsberechnung nur für die Zukunft vorgenommen werden sollten.
2.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Zwar können sich daraus Rücksichtspflichten unter Vertragspartnern ergeben. Im vorliegenden Fall war aber die Klägerin selbst dazu in der Lage, ihre wirtschaftlichen Interessen auf der Basis eines gemeinsamen oder notfalls einseitigen Aufmaßes zu verfolgen. Die Vorschrift kann nicht dazu dienen, Vertragspflichten anderweitig zu verteilen.
3.
Nach der von den Parteien übereinstimmend geschilderten Historie des Vertragsverhältnisses ist im Übrigen davon auszugehen, dass sie durch ihr schlüssiges Verhalten die von der Beklagten mitgeteilten Kehrmeter zur gemeinsamen Vertrags- und Abrechnungsgrundlage unabhängig von einem weiteren gemeinsamen Aufmaß erhoben haben.
Bei dem zugrundeliegenden Vertrag ist von einem Dienstvertrag auszugehen. Die Vergütung für die Tätigkeit richtet nach der vertraglichen Vereinbarung, die sich wiederum in § 7 Abs. 2 des Vertrages vom 11.01.1985 findet. Demnach sollte die Vergütung "je Kehrmeter" erfolgen. Die Abrechnungspraxis, dass die von der Beklagten angegebenen Kehrmeter zugrunde gelegt wurden, hatten die Parteien bereits unter Beteiligung der FF seit mindestens 1973 und ab der Vertragsübernahme der Klägerin seit 1997 unmittelbar ausgeübt. Die Klägerin hat also kein Aufmaß erstellt, sondern ihre Abrechnung im Ausgangspunkt auf die Kehrmeter gestützt, die zwischen den jeweiligen Vertragsparteien (zunächst also zwischen der FF, der Klägerin und der Beklagten und anschließend unmittelbar zwischen der Klägerin und der Beklagten) festgelegt waren und auch der Ausschreibung zugrunde lagen. Die Beklagte teilte während der Vertragslaufzeiten jeweils mit, ob es im betreffenden Abrechnungszeitraum Zu- oder Abgänge, z.B. wegen hinzugekommener Straßen oder nicht zu reinigender Baustellenbereiche, gegeben hat. Wenn die Klägerin sich auf diese Vertragspraxis einlässt und ihre Berechnungen dementsprechend vornimmt, ohne ein eigenes Aufmaß zu erstellen, hat sie die damit verbundenen Risiken zu tragen. Dies gilt umso mehr, als sie selbst ein unmittelbares Eigeninteresse an einer zutreffenden Berechnung der Kehrmeter hatte und andererseits die Beklagte zu keinem Zeitpunkt versichert hatte, dass die mitgeteilten Zahlen einen Anspruch auf Richtigkeit hätten. Im Gegenteil macht die Vereinbarung eines neuerlichen Aufmaßes im Jahr 1985 deutlich, dass beide damaligen Vertragsparteien eine Überprüfung der tatsächlichen Kehrmeter offenbar für erforderlich oder sachgerecht hielten. Indem die Klägerin in der Folge darauf verzichtet hat, ein eigenes Aufmaß zu erstellen, hat sie das Risiko, dass die abgerechneten Kehrmeter nicht mit der Realität übereinstimmen, bewusst übernommen. Ihr Einverständnis mit den angegebenen Kehrmetern hat sie jeweils durch die vorbehaltlosen Abrechnungen gegenüber der Beklagten kundgetan.
4.
Die Klägerin hätte überdies die Geltendmachung etwaiger Vergütungsansprüche für die Jahre 2016 und 2017 verwirkt.
Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16; Beschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 69/18). Unter Beachtung dieser Maßstäbe erweist sich die Geltendmachung dieser Forderungen der Klägerin als ein der Verwirkung unterliegender Verstoß gegen Treu und Glauben.
Die Klägerin hat die Abrechnungspraxis ohne eigens erstelltes Aufmaß über die gesamte, über vier Jahrzehnte andauernde Vertragslaufzeit (die ursprüngliche Konstellation mit der FF als Hauptauftragnehmerin eingeschlossen) ohne jegliche Einwände akzeptiert. Die für die Abrechnung der Jahre 2016 und 2017 relevanten Straßenlängen sind seit dem Jahr 2008 unverändert.
Der Senat verkennt nicht, dass sich die jährlichen Vergütungen für die Jahre 2016 und 2017 noch innerhalb der Regelverjährung von drei Jahren (§ 195 BGB) bewegen und damit durch die im Jahr 2019 erhobene Klage in unverjährter Zeit geltend gemacht wurden. Die Annahme einer kürzeren Dauer als der Regelverjährung für das Zeitmoment kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, weil dem Gläubiger die Regelverjährungsfrist grundsätzlich ungekürzt erhalten bleiben soll, um ihm die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er einen Anspruch rechtlich geltend macht (vgl. BGH NJW 2014, 1230 [BGH 23.01.2014 - VII ZR 177/13]).
Es müssen besondere Gesichtspunkte sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten unzumutbar anzusehen (vgl. BGH NJW 2006, 219 [BGH 19.10.2005 - XII ZR 224/03]). Der Berechtigte muss sich in einer Weise verhalten haben, aus der der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung entnehmen durfte, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen (vgl. OLG Rostock, Beschluss v. 07.11.2019 - 3 W 83/19). Davon ist vorliegend auszugehen. Nachdem die Klägerin zu keinem vorherigen Abrechnungszeitraum Beanstandungen zur Abrechnungspraxis bzw. zu den der Abrechnung jeweils zugrunde gelegten Kehrmetern erhoben hatte, hat die Beklagte während des gesamten Zeitraums die tatsächlich entstandenen Kosten auf die Eigentümer der betroffenen Grundstücke mit ihren bestandkräftigen Gebührenbescheiden umgelegt. Sie hat daher zur Finanzierung der Straßenreinigung entsprechende Vermögensdispositionen getätigt. Die Gebührenbescheide sind rückwirkend nicht mehr abänderbar, so dass eine Umlage höherer Kosten für die Straßenreinigung für zurückliegende Abrechnungszeiträume nicht auf die betroffenen Eigentümer erfolgen könnte. Dies ginge finanziell zu Lasten der Beklagten, was unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht zumutbar ist, zumal die Ursache hierfür die Klägerin gesetzt hat.
5.
Zutreffend hat das Landgericht zudem festgestellt, dass etwaige Vergütungsansprüche für die Jahre bis einschließlich 2015 verjährt und daher aufgrund der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede nicht mehr durchsetzbar wären (§ 214 Abs. 1 BGB).
Das Landgericht ist auch zu Recht von einer groben Fahrlässigkeit der Klägerin ausgegangen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Geschädigte auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. § 199 Rn. 40). Ihn trifft nämlich die Obliegenheit, sich zumindest über diejenigen Umstände zu informieren, bei denen dies mühelos und ohne erheblichen Kostenaufwand möglich ist (MüKo/Grothe, BGB, 8. Aufl. § 199 Rn. 31; NK/Mansel/Stürner, BGB, 2. Aufl. § 199 Rn. 70). Diese Voraussetzung lag vor. Nach dem unstreitigen Vortrag erster Instanz konnte die Länge der zu vergütenden Kehrmeter unschwer durch ein manuelles Aufmaß ("Laufrad") ermittelt werden. Im Übrigen hätten die Mitarbeiter der Klägerin - wovon das Landgericht ausgegangen ist - die Strecke auch anhand der Kilometerzähler ihrer Kehrmaschinen feststellen können. Dem steht - worauf bereits hingewiesen wurde - der vom erstinstanzlichen Vorbringen abweichende Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung nicht entgegen, da er gem. § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist. Davon abgesehen ist es aber auch nicht nachvollziehbar, wenn die Klägerin behauptet, eine Vermessung der Straßenlängen sei "ihr technisch nicht möglich" (...) gewesen. Die in den (Änderungs-)Mitteilungen der Beklagten (neu) aufgeführten Straßenlängen (vgl. etwa K 9; K 10, K 20, K 24, K 45, K 46) hätten bereits vor Einführung des GPS-gestützten Programms GeoCaptue problemlos manuell nachgemessen werden können. Die Klägerin hat es jedoch (nach eigenem Vortrag) vorgezogen, ihren jährlichen Abrechnungen jahrzehntelang, nämlich "mindestens seit dem Jahre 1973" (Bl. 15 d. A.) ungeprüfte, von der Klägerin übernommene Daten zugrunde zu legen.
6.
Die Verjährung wurde aus den vom Landgericht genannten Gründen (LGU S. 6) nicht durch den am 28. Dezember 2018 erlassenen Mahnbescheid (Bl. 4 d. A.) gehemmt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den in der Berufungsbegründung (...) genannten Fundstellen. Wird - wie hier - eine Mehrzahl von Einzelforderungen geltend gemacht, muss deren Bezeichnung im Mahnbescheid dem Beklagten ermöglichen, die Zusammensetzung des verlangten Gesamtbetrages aus für ihn unterscheidbaren Ansprüchen zu erkennen (MüKo/Grothe a.a.O. § 204 Rn. 32). Diese Voraussetzung war nicht gegeben. Streitgegenstand ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht der "Vertrag vom 06.01.97", sondern - wie sich aus der Klageschrift ergibt - das einzelne Jahresentgelt für die Jahre 2008 und 2015 - 2017. Für die Beklagte war jedoch aus dem Mahnbescheid nicht erkennbar, auf welche Jahre des jahrzehntelangen Vertragsverhältnisses sich die geltend gemachten Forderungen bezogen.
7.
Daraus folgend ist, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, die zulässige Feststellungswiderklage mangels Anspruchs der Klägerin auch begründet.
8.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.