Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.02.2016, Az.: 11 K 10076/15

Rechtswidrige Versagung der Durchführung einer Vorsteuerberichtigung aufgrund der Geringfügigkeitsgrenze des § 44 Abs. 1 UStDV

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.02.2016
Aktenzeichen
11 K 10076/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 30237
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2016:0218.11K10076.15.0A

Fundstellen

  • BBK 2017, 221
  • DStR 2017, 10
  • DStRE 2018, 99-100
  • MwStR 2017, 98

Amtlicher Leitsatz

Bei den Anschaffungs- und Herstellungskosten vertretbarer Sachen nach § 44 Abs. 1 UStV kann nicht die vertragliche Vereinbarung mit dem Lieferanten sondern entsprechend der Sicht eines Durchschnittsverberbrauchers nur die handelsübliche Anzahl, Größe oder Menge maßgebend sein.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob es aufgrund der Geringfügigkeitsgrenze in § 44 Abs. 1 UStDV dem Beklagtem, dem Finanzamt (FA), versagt war, eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG durchzuführen.

2

Der Kläger hatte für seinen landwirtschaftlichen Betrieb zum 1. Januar 1998 zur Regelbesteuerung optiert. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2010 widerrief er die Option, so dass seine Umsätze seit dem 1. Januar 2011 gem. § 24 UStG nach Durchschnittssätzen besteuert werden. Die Umsatzsteuererklärung 2011 ging am 21. Dezember 2012 bei FA ein. Danach ergab sich eine Umsatzsteuerfestsetzung von 18.425,94 €.

3

Im Rahmen einer Außenprüfung nahm der Prüfer an, dass der Wechsel der Besteuerungsform eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a UStG darstellt. Er nahm daher eine Überprüfung der Vorsteuerberichtigung des Umlaufvermögens gemäß § 15a Abs. 2 UStG vor. Der Kläger hatte im Jahr 2011 Lieferungen aus dem Anbau von Kartoffeln, Weizen, Gerste, Raps und Roggen getätigt. Die Lieferung der Kartoffeln erfolgte aufgrund von Anbau- und Lieferverträgen zum Festpreis. Geliefert wurde in Teilmengen auf Abruf.

4

Für die Lieferungen für Getreide und Raps wurden von den Empfängern Gutschriften erstellt. Die Gutschriften fassen mehrere Lieferungen zusammen. Teilweise enthalten sie Hinweise auf vorhandene Kontrakte. Die einzelnen Lieferungen erfolgten zum jeweils gleichen Kilopreis. Der Prüfer sah die einzelnen Lieferungen als Teillieferungen eines Rahmenvertrags an. Der Rahmenvertrag bilde das Berichtigungsobjekt. Durch diese Beurteilung waren die Grenzen des § 44 Abs. 1 UStDV überschritten. Der Prüfer nahm daher eine entsprechende Vorsteuerkorrektur vor. Dabei ermittelte er für nicht direkt zuzuordnende Kosten die auf die einzelnen Fruchtarten entfallenden Vorsteuerbeträge pro Hektar unter Zugrundelegung von Vergleichszahlen und rundete diese zu Gunsten des Steuerpflichtigen ab. Die der Schätzung zugrundliegenden Werte sind vom Kläger auch auf Befragen in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2016 nicht in Zweifel gezogen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 15 des BP-Berichts vom 11. November 2013 verwiesen.

5

Das FA erließ am 31. Januar 2014 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid. Den Einspruch hiergegen wies es mit Bescheid vom 16. März 2015 als unbegründet zurück. Im Gegensatz zur Lieferung von Masttieren, wie sie dem Urteil des BFH vom 3. November 2011, V R 32/10 zugrunde lag, sei bei der Lieferung von vertretbaren Sachen wie Getreide, Kartoffeln und Raps keine Individualisierung mehrerer eigenständiger Wirtschaftsgüter möglich. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger mit seinen Abnehmern Rahmenverträge abgeschlossen habe. Da die Vereinbarungen in den Rahmenverträgen die Betragsgrenzen nach § 44 UStDV überschritten, sei eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a Abs. 2 UStG vorzunehmen.

6

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger geltend, bei der Lieferung von Getreide, Kartoffeln und Raps handele es sich wie bei Schweinen um die Lieferung vertretbarer Sachen. So wie das Berichtigungsobjekt nach § 15a Abs. 2 UStG im Falle der Lieferung von Schweinen das einzelne Schwein sei, müsse dies bei der Lieferung von Getreide, Kartoffeln und Raps die Dezitonne oder Tonne Getreide etc. sein. Nach diesen Maßeinheiten würden handelsüblich Preise und Qualitäten von landwirtschaftlichen Bodenerzeugnissen festgelegt. Die in einem Rahmenvertrag festgelegte Menge könne schon deshalb nicht ein einheitlicher Liefergegenstand und damit Berichtigungsobjekt sein, da bei Abschluss der Vereinbarung die exakten Mengen und Qualitäten noch nicht bekannt seien. Auch sei nach EuGH-Rechtsprechung auf die Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Also komme es darauf an, nach welcher Maßeinheit handelsüblich Preise und Qualitäten von landwirtschaftlichen Produkten festgelegt würden.

7

Der Kläger beantragt,

8

die Umsatzsteuer 2011 unter Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids vom 31. Januar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2015 auf 18.425,94 € herabzusetzen.

9

Das FA beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung beruft es sich auf seine Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Voraussetzungen einer Vorsteuerberichtigung zu Lasten des Klägers liegen nicht vor.

13

Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nur einmalig zur Ausführung eines Umsatzes verwendet wird, die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist nach § 15a Abs. 2 UStG eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen. Die Berichtigung ist für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem das Wirtschaftsgut verwendet wird (§ 15a Abs. 2 Satz 2 UStG). Eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a Abs. 2 UStG ist auch beim Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG gegeben (§ 15a Abs. 7 UStG). Danach wären im Streitfall die Vorsteuern zu berichtigen.

14

Abweichend von § 15a UStG findet jedoch nach § 44 Abs. 1 UStDV eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nicht statt, wenn die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallende Vorsteuer 1.000,- € nicht übersteigt. Diese Vereinfachungsregelung stellt nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut auf das Wirtschaftsgut als Berichtigungsobjekt ab.

15

Bei der Auslegung des Merkmals "Wirtschaftsgut" ist grundsätzlich eine Einzelbetrachtung vorzunehmen. Hierfür spricht, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen des Leistungsaustauschs bei Vorliegen eines Bündels von Einzelleistungen und Handlungen jede Leistung als eigene selbständige Leistung anzusehen ist (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 25. Februar 1999 C-349/96, Card Protection Plan (CPP), Slg. 1999, I-973 Rdnrn. 29, 30; vom 27. Oktober 2005 C-41/04, Levob, Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 Rdnrn. 19 bis 22; zum Ganzen BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2010 V R 9/10, BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 306 [BFH 28.10.2010 - V R 9/10], [BFH 28.10.2010 - V R 9/10] unter II.3.a aa, m.w.N.). Hiervon gilt eine Ausnahme, wenn die Einzelbetrachtung dazu führt, dass eine wirtschaftlich einheitliche Leistung künstlich aufgespalten wird. Dies ist etwa der Fall, wenn sog. untrennbare Leistungen vorliegen (vgl. im Einzelnen BFH-Beschluss in BFHE 231, 360 [BFH 28.10.2010 - V R 9/10], [BFH 28.10.2010 - V R 9/10] BStBl II 2011, 306 [BFH 28.10.2010 - V R 9/10], [BFH 28.10.2010 - V R 9/10] unter II.3.a cc (2), m.w.N.). Ob eine einheitliche Leistung vorliegt, ist aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu bestimmen und im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung durch das Finanzgericht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. April 2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712, unter II.2.d; vom 6. September 2007 V R 14/06, BFH/NV 2008, 624, unter II.2. und 3.; vom 6. Dezember 2007 V R 66/05, BFHE 221, 60, BStBl II 2008, 638 [BFH 06.12.2007 - V R 66/05], [BFH 06.12.2007 - V R 66/05] unter II.3.; vom 13. Januar 2011 V R 63/09, BFHE 233, 64, BStBl II 2011, 461 [BFH 13.01.2011 - V R 63/09], [BFH 13.01.2011 - V R 63/09] unter II.1.a). Aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist ein "Wirtschaftsgut" ein Gut, das nach der Verkehrsauffassung selbständig verkehrsfähig und bewertbar ist (BFH-Urteil vom 3. November 2011 V R 32/10, BStBl II 2012, 525).

16

Bei vertretbaren Sachen kann nach diesen Grundsätzen nicht die vertragliche Vereinbarung mit dem Lieferanten sondern entsprechend der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers nur die handelsübliche Anzahl, Größe oder Menge maßgebend sein (so auch Rau/Dürwächter, UStG, § 15a Anm. 181; a.A. BMF-Schreiben vom 6. Dezember 2005 - IV A 5 - S 7316 - 25/05, BStBl. I 2005, 1068). Anders stände der für die Berichtigung maßgebende Grenzbetrag im Belieben der Vertragschließenden und die Gleichheit der Besteuerung bliebe nicht gewahrt. Auf die Rahmenverträge abzustellen, wie es vorliegend das FA tat, ist schon deswegen nicht möglich, weil die zu liefernde Menge an Ernteprodukten nach diesen wie der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2016 glaubhaft dargetan hat, noch gar nicht feststand.

17

Ist die handelsübliche Menge (Tonne oder Dezitonne) der gelieferten Ernteprodukte als Wirtschaftsgut anzusehen, so findet keine Vorsteuerberichtigung statt, weil die Herstellungskosten entfallende Vorsteuer jeweils unter 1.000,- € gelegen hat.

18

Die Umsatzsteuer des Streitjahres ist danach antragsgemäß herabzusetzen.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

20

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 2 i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.