Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 11.09.2024, Az.: 8 U 78/24

Rückzahlungspflicht eines Darlehensnehmers bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
11.09.2024
Aktenzeichen
8 U 78/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 24507
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - AZ: 7 O 784/23

Amtlicher Leitsatz

Die Nichtmitteilung einer rechtskräftigen, mehrjährigen Haftstrafe bei Beantragung eines Darlehens stellt in der Regel einen Umstand dar, der zum Sanktionsausschluss des § 505d Abs. 3 BGB führt.

Beschluss
in dem Rechtsstreit
AA, Ort1
- Beklagter und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
(...)
Geschäftszeichen: (...),
gegen
BB AG Ort2, vertreten durch den Vorstand, Ort2
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
(...)
Geschäftszeichen: (...)
hat das Oberlandesgericht Oldenburg - 8. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...), die Richterin am Oberlandesgericht (...) und den Richter am Oberlandesgericht (...) am 11. September 2024 beschlossen:

[Gründe]

I.

Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

Nach § 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht, wenn nach vorläufiger summarischer Prüfung das Gericht den Rechtsstandpunkt der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 30. April 2018 - 1 W 154/18, juris Rn. 10 mwN). Gemessen hieran besteht aus den nachfolgend unter Ziffer III. genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Berufung.

II.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

III.

Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

1. Hinsichtlich der ausgeurteilten Hauptforderung von 7.796,69 € müsste der Beklagte einen Betrag von 7.576,07 € auch dann zurückzahlen, wenn die Klägerin gegen ihre Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung verstoßen hätte. Denn insoweit handelt es sich um die Rückzahlung der zur Verfügung gestellten Darlehensvaluta. Diese Rückzahlungspflicht des Darlehensnehmers bleibt auch bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung bestehen (Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 83. Aufl., § 505d Rn. 3; Artz in: Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 10. Aufl., § 505d Rn. 4).

In der geltend gemachten Hauptforderung sind lediglich 220,62 € Zinsen enthalten. Mit dem Mahnbescheid wurde eine Hauptforderung von 10.220,62 € geltend gemacht (GA I 4). Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einer Darlehensrückzahlung von 10.000 € und aus Zinsen von 220,62 €. Insoweit ergibt sich aus der Anlage K5 (Anlagenband), dass von den gesamten Vertragszinsen in Höhe von 1.838,36 € eine Gutschrift in Höhe von 1.617,74 € wegen nicht verbrauchter Laufzeitzinsen in Abzug gebracht wurde. Soweit der Beklagte in der Berufungsbegründung meint, dass die bislang geleisteten Zahlungen nach § 367 BGB zu verrechnen seien, übersieht er, dass der Beklagte unstreitig bislang keine Zahlungen geleistet hat.

2. Auch hinsichtlich der als Hauptforderung geltend gemachten Darlehenszinsen in Höhe von 220,62 € bestehen - auch bei einer unterstellten Verletzung der Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung und des Nichteingriffs des Sanktionsausschlusses des § 505d Abs. 3 BGB - keine vollumfänglichen Erfolgsaussichten. Denn der Verstoß gegen die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung führt nach § 505d Abs. 1 Nr. 1 BGB dazu, dass sich der im Darlehensvertrag vereinbarte Sollzins auf den marktüblichen Zinssatz am Kapitalmarkt für Anlagen in Hypothekenbriefe und öffentliche Pfandbriefe, deren Laufzeit derjenigen der Sollzinsbindung entspricht, reduziert. Maßgeblich für die Bestimmung des marktüblichen Zinssatzes ist hierbei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (§ 505d Abs. 1 Satz 2 BGB). Dieser betrug nach dem Vortrag des Beklagten 0,55%. Unter Zugrundelegung dieses Zinssatzes würde sich für den Zeitraum vom 22. Januar 2019 bis zum 7. Juli 2019 ein Zinsbetrag von 25,16 € ergeben, sodass die Berufung hinsichtlich der Hauptforderung (allenfalls) in Höhe von 195,46 € Erfolgsaussichten haben könnte.

3. Zudem hat die Rechtsverteidigung weder hinsichtlich der (restlichen) ausgeurteilten Vertragszinsen bzw. Verzugszinsen noch hinsichtlich der ausgeurteilten Kosten Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin kann sämtliche vorgenannte Zinsen und auch die sonstigen Kosten vom Beklagten verlangen. Denn vorliegend greift die Sanktionierung von § 505d Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB - wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat - schon deshalb nicht ein, da die Voraussetzungen des § 505d Abs. 3 BGB vorliegen.

a) Nach § 505d Abs. 2 BGB kann der Darlehensgeber keine Ansprüche wegen Pflichtverletzung geltend machen, wenn die Pflichtverletzung auf einem Umstand beruht, der bei ordnungsgemäßer Kreditwürdigkeitsprüfung dazu geführt hätte, dass der Darlehensvertrag nicht hätte geschlossen werden dürfen.

Nach dem Akteninhalt dürfte die Pflichtverletzung in Form der Nichtzahlung der Darlehensraten ihren Grund in der Inhaftierung des Beklagten seit dem 21. Februar 2019 haben, welche bis zur Kündigung des Darlehensvertrags durch die Klägerin fortbestand. Aufgrund des mit der Inhaftierung verbundenen Verlustes des Arbeitsplatzes sowie des Arbeitseinkommens war es dem Beklagten nicht möglich, bereits die erste am 1. März 2019 fällige monatliche Rate (vgl. Anlage K 2) und auch die Folgeraten zu zahlen. Wegen dieser Nichtzahlung sind die Mahn- und Lastschriftkosten entstanden. Aufgrund der Nichtzahlung der monatlichen Raten kündigte die Klägerin das Darlehen mit Schriftsatz vom 8. Juli 2019 (Anlage K 5). Aufgrund dieser Kündigung sind die ausgeurteilten Verzugszinsen entstanden, sodass im Grundsatz die Sanktion des § 505d Abs. 2 BGB eingreifen könnte.

b) Vorliegend tritt jedoch der Sanktionsausschluss des § 505d Abs. 3 BGB ein. Danach finden § 505d Abs. 1 und Abs. 2 BGB keine Anwendung, soweit der Mangel der Kreditwürdigkeitsprüfung darauf beruht, dass der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig Informationen im Sinne des § 505b Abs. 1 bis 3 BGB unrichtig erteilt oder vorenthalten hat.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der Beklagte wurde Anfang 2018 durch das Landgericht Osnabrück zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos, sodass das Urteil am 28. November 2018 rechtskräftig wurde (vgl. Schriftsatz vom 6. November 2023, GA I 128). Damit war dem Beklagten bei Abschluss des Darlehensvertrags am 9. Januar 2019 bekannt, dass er diese Haftstrafe in naher Zukunft antreten muss und er seinen Arbeitsplatz und damit sein Arbeitseinkommen verlieren wird. Diese Information hat der Beklagte der Klägerin vorenthalten, obwohl es sich um einen für die Kreditwürdigkeitsprüfung wesentlichen Umstand handelt. Diese Vorenthaltung erfolgte auch vorsätzlich. Für den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, zu denen mangels abweichender Anhaltspunkte auch der Beklagte gehört, ist es offenkundig, dass bei Fehlen anderweitiger Sicherheiten bzw. Vermögensgegenständen das Vorhandensein eines Erwerbseinkommens ein wesentlicher Faktor für die Vergabe eines Darlehens und auch für die Prüfung der Kreditwürdigkeit ist. Im vorliegend zu entscheidenden Einzelfall gilt dieses umso mehr, da der Beklagte unstreitig die mit der Anlage K7 vorgelegten Lohnabrechnungen für September bis November 2018 vorgelegt hat. Auch hierdurch war dem Beklagten die Relevanz des Vorhandenseins eines Arbeitseinkommens für die Vergabe eines Darlehens bekannt. Dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher ist bewusst, dass es einem Darlehensgeber nicht nur darauf ankommt, welches (Lohn-)einkommen in der Vergangenheit erzielt wurde, sondern auch, ob dieses (auch) in Zukunft erzielt wird, um die fälligen Raten bedienen zu können. Wenn in Kenntnis dieses Umstandes trotzdem die anstehende längerfristige Inhaftierung mit verbundenen Arbeitsplatzverlust nicht vor Vertragsschluss dem Darlehensgeber mitgeteilt wird, so lässt dieses nur den Schluss darauf zu, dass dieses vorsätzlich erfolgte, um das Darlehen in Kenntnis der fehlenden, gewiss in Kürze eintretenden Unfähigkeit der Zahlung der fälligen Darlehensraten, trotzdem zu erhalten.

Entgegen der Auffassung des Beklagten war es nicht an der Klägerin, die Frage an ihn zu richten, ob eventuell eine negative Entwicklung der Einkünfte zu erwarten ist. Vielmehr erklärte der Beklagte durch die Vorlage der Lohnabrechnungen für September bis November 2018 konkludent, ihm seien keine Umstände bekannt, dass das Arbeitseinkommen wegfallen wird. Dass mit der Vorlage von Lohnbescheinigungen ein entsprechender Erklärungsgehalt verbunden ist, ist einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher bekannt. Daher ist es in dieser konkreten Situation Aufgabe des Darlehensnehmers - also vorliegend des Beklagten - mitzuteilen, dass er in Kürze inhaftiert wird und sein Arbeitseinkommen wegfällt.

Auch die erforderliche Kausalität (vgl. Roth in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 3. Aufl., § 505d BGB Rn. 32) liegt vor. Bei Kenntnis von der in Kürze anstehenden Inhaftierung und des Wegfalls des Arbeitseinkommens wäre die Klägerin zu einem anderen Ergebnis der Kreditwürdigkeitsprüfung, nämlich einem negativen, gelangt und hätte den Darlehensvertrag nicht abgeschlossen.

c) Aufgrund dieser vorsätzlichen Vorenthaltung von Informationen tritt auch die Sanktion der Ermäßigung des Vertragszinses gemäß § 505d Abs. 1 BGB nicht ein (§ 505d Abs. 3 BGB). Denn dem Verbraucher kommen sämtliche Vergünstigungen von § 505d Abs. 1 und 2 BGB dann nicht zugute, wenn die Kreditwürdigkeit aufgrund von vorsätzlich oder grob fahrlässig vorenthaltenen relevanten Informationen falsch eingeschätzt wurde (Artz in: Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 10. Aufl., § 505d Rn. 14). Dies ist wie bereits dargestellt, aufgrund der fehlenden Mitteilung der anstehenden Inhaftierung der Fall.

3. Zudem stehen der Klägerin die Verzugsschäden auch aus einer anderen Rechtsgrund zu. Der Anspruch begründet sich auch aus der Verletzung eines Schutzgesetzes gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB. Aus den Gesamtumständen ergibt sich der Schluss, dass der Beklagte von Anfang an nicht willens und in der Lage war, die geforderten Raten zu bezahlen. Damit sind die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Eingehungsbetrugs (§ 263 StGB) gegeben (vgl. Senat, Urteil vom 11. April 1991 - 8 U 224/90, NJW-RR 1992, 573, 574). Wie bereits ausgeführt, wusste der Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehensvertrags, dass er in Kürze eine Haftstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten zu verbüßen hat und aufgrund des Arbeitsplatzverlustes die vereinbarten Raten nicht zahlen kann. Dies ist ein Umstand, den der Beklagte im Rahmen der Vertragsverhandlungen ohne Nachfrage der Bank selbst mitteilen musste, insbesondere bei der hier vorliegenden Vorlage von Lohnabrechnungen und der damit verbundenen konkludenten Erklärung der Leistungsfähigkeit. Dass diese Pflicht einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher - wie dem Beklagten - bekannt ist, wurde bereits dargestellt. Dass er diese Angabe gleichwohl nicht tätigte, lässt nur den Schluss darauf zu, dass er diesen Umstand nicht mitteilte, um die Auszahlung des Darlehens trotz fehlender zukünftiger Leistungsfähigkeit zu erreichen, sodass auch der subjektive Tatbestand von § 263 StGB vorliegt.

IV.

Zudem weist der Senat darauf hin, dass die ausgeurteilten Zinsen hinsichtlich eines Teilbetrags von 369,42 € streitwerterhöhend sind. Der Anspruch auf Ersatz von Zinsen erhöht als Nebenforderung den Streitwert und die Beschwer nicht, solange er neben dem Hauptanspruch geltend gemacht wird, § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO. Sobald und soweit die Hauptforderung jedoch nicht mehr Prozessgegenstand ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung gelöst hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2019 - IV ZB 8/18, juris Rn. 6). Ausweislich der Anlage K6 (Anlagenband) berechnet die Klägerin die betragsmäßig geltend gemachten Verzugszinsen in Höhe von 1.565,21 € aus einem Betrag von 10.220,62 €. Dass im Klageverfahren eine niedrigere Hauptforderung verlangt wird, hat seinen Grund darin, dass der Kläger der Hauptforderung nur hinsichtlich eines Teilbetrags von 7.796,69 € widersprochen hat (vgl. GA I 7). Für eine Hauptforderung von 7.796,69 € würden für den Zeitraum 8. Juli 2019 bis 23. Februar 2023 Verzugszinsen in Höhe von 1.195,79 € anfallen, sodass der Differenzbetrag von 369,42 € streitwerterhöhend ist.