Landgericht Bückeburg
Beschl. v. 25.01.2012, Az.: 4 T 116/11
Vollstreckungsklausel; Wohlverhaltensphase; Rechtsschutzbedürfnis
Bibliographie
- Gericht
- LG Bückeburg
- Datum
- 25.01.2012
- Aktenzeichen
- 4 T 116/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 44368
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 16.12.2011 - AZ: 47 IN 108/08
Rechtsgrundlagen
- § 724 ZPO
- § 201 Abs 2 InsO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung eines Auszugs aus der Insolvenztabelle steht während der Wohlverhaltensphase trotz des sich aus § 294 Abs 1 InsO ergebenden Vollstreckugnsverbots ein fehlendes Rechtsschutbedürfnis des Gläubigers nicht entgegen.
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubiger wird der Beschluss des Amtsgerichts Bückeburg – 47 IN 108/08 – vom 16. Dezember 2011 aufgehoben.
2. Das Amtgericht wird angewiesen, den Gläubigern die Vollstreckungsklausel für den ihre – unter lfd. Nr. 15 zur Insolvenztabelle festgestellte – Forderung betreffenden Auszug aus der Insolvenztabelle zu erteilen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht eröffnete auf den mit einem Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung verbundenen Antrag des Schuldners vom 8. August 2008 durch Beschluss vom 21. August 2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners.
Die Gläubiger meldeten am 26. September 2008 Mietzinsforderungen von 20.456,18 € nebst Zinsen und Kosten, insgesamt eine Forderung von 27.005,71 €, zur Insolvenztabelle an. Die Forderung wurde am 4. November 2008 unter lfd. Nr. 15 festgestellt, ohne dass der Schuldner sie bestritten hätte.
Dem Schuldner wurde nach Durchführung des Schlusstermins durch Beschluss vom 10. Mai 2011 die Restschuldbefreiung angekündigt. Außerdem wurde nach vollzogener Schlussverteilung durch Beschluss vom 11. Juli 2011 das Insolvenzverfahren gemäß § 200 InsO aufgehoben.
Die Gläubiger haben beantragt, ihnen eine vollstreckbare Ausfertigung des Tabellenauszuges zu erteilen. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen vorgebracht, § 201 Abs. 2 InsO sehe die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens vor. Sie hätten trotz des während der Wohlverhaltensphase geltenden Vollstreckungsverbots gleichwohl ein rechtliches Interesse an der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung, um im Falle einer Versagung der Restschuldbefreiung unverzüglich vollstrecken zu können. Es sei zu befürchten, dass es im Falle einer Versagung der Restschuldbefreiung zu zeitlichen Verzögerungen mit der Klauselerteilung komme, sodass andere Gläubiger vorrangig zum Zuge kommen könnten. Sofern trotz bestehenden Vollstreckungsverbotes die Zwangsvollstreckung eingeleitet würde, stünden dem Schuldner dagegen die Rechtsbehelfe der ZPO zur Seite.
Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 16. Dezember 2011 den Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Rechtspfleger im Wesentlichen ausgeführt, die Gläubiger hätten trotz der für ihre Position sprechenden Regelung des § 201 Abs. 2 InsO während der Wohlverhaltensphase kein Rechtsschutzbedürfnis für den gestellten Antrag, weil in der Wohlverhaltensphase ein Vollstreckungsverbot gelte. Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens sei es für natürliche Personen, dass sie von Verbindlichkeiten befreit werden könnten (§ 1 InsO). Dieses Ziel werde jedoch gefährdet, wenn die Schuldner Gefahr liefen, dass sie selbst nach erteilter Restschuldbefreiung mit Vollstreckungsmaßnahmen aus den im Insolvenzverfahren geschaffenen Titeln konfrontiert würden und sich erst dann mit den sie häufig überfordernden Rechtsbehelfen der ZPO gegen die unberechtigten Vollstreckungsversuche zur Wehr setzen müssten.
Gegen diesen ihnen am 20. Dezember 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Gläubiger, mit der sie ihren Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel weiter verfolgen. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, das Risiko einer unzulässigen Zwangsvollstreckung habe in jedem Fall der Schuldner zu tragen. Das sehe die gesetzliche Gesamtkonzeption so vor. Vor unredlichen Vollstreckungsmaßnahmen würden Schuldner – neben den ihnen zustehenden Rechtsbehelfen der ZPO – auch durch strafrechtliche Regelungen geschützt. Auch der Bundesgerichtshof habe in anderem Zusammenhang entschieden, dass Gläubiger im Insolvenzverfahren die bereits anderweitig erlangten Vollstreckungstitel in diesem Verfahren nicht vorzulegen hätten.
II.
Die sofortige Beschwerde (§ 11 Abs. 1 RPflG, § 4 InsO, § 567 Abs. 1 ZPO) der Gläubiger gegen den ihren Antrag zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts Bückeburg ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde ist in der Sache auch begründet, weil das Amtsgericht den Gläubigern zu Unrecht die Erteilung der beantragten vollstreckbaren Ausfertigung versagt hat.
Die gesetzlich normierten Voraussetzungen für die Erteilung einer Vollstreckungsklausel (§§ 4, 201 Abs. 2 InsO, §§ 724, 725 ZPO), für die im Falle der Erteilung einer sog. „einfachen“ Klausel grundsätzlich der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle funktional zuständig ist (§ 4 InsO, § 724 Abs. 2 ZPO), liegen vor. Die Forderung der Gläubiger, die die Vollstreckungsklausel für sich beantragen, ist zum einen von dem Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle festgestellt wurden. Der Schuldner hat zum anderen die Forderung in dem Prüfungstermin nicht bestritten. Schließlich ist das Insolvenzverfahren durch den nach § 200 InsO beendet worden.
Das während des laufenden Restschuldbefreiungsverfahrens bestehende Vollstreckungsverbot (§ 294 Abs. 1 InsO) steht der Klauselerteilung formell nicht entgegen. Die Beantragung und Erteilung einer Vollstreckungsklausel ist in formeller Hinsicht nicht Bestandteil der Zwangsvollstreckung, sondern stellt lediglich eine die Zwangsvollstreckung vorbereitende Maßnahme dar.
Der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Auszuges aus der Insolvenztabelle während des laufenden Restschuldbefreiungsverfahrens steht entgegen der von dem Amtsgericht vertretenen Rechtsauffassung auch nicht ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis der Gläubiger entgegen. Die Gläubiger können während des laufenden Restschuldbefreiungsverfahrens zwar aus dem erstrebten Titel nicht vollstrecken (§ 294 InsO), und sie werden, weil ihre Forderung (wohl) nicht aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung resultiert und daher nicht von einer Restschuldbefreiung ausgenommen wäre (§ 302 Ziff. 1 InsO), auch im Fall der nach dem normalen Lauf der Dinge zu erwartenden Erteilung der Restschuldbefreiung zukünftig aus diesem Titel nie vollstrecken können. Gleichwohl haben die Gläubiger ein anerkennenswertes rechtliches und auch wirtschaftliches Interesse daran, bereits jetzt die für die Einleitung einer gleichwohl zukünftig denkbaren Zwangsvollstreckung die notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen. Denn insbesondere im Fall der Versagung der Restschuldbefreiung (§§ 290, 300 Abs. 2 InsO) wie auch im Fall eines Widerrufs der bereits erteilten Restschuldbefreiung (§ 303 InsO) stünde der Zwangsvollstreckung der Gläubiger wie auch der sämtlicher anderer Gläubiger kein Vollstreckungsverbot mehr entgegen, und angesichts des in der Einzelzwangsvollstreckung geltenden Prioritätsprinzips käme der unverzüglichen Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen, für die die Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels erforderlich ist, dann zentrale Bedeutung zu. Dabei ist auch zu bedenken, dass in einem solchen Fall der Versagung oder des Widerrufs der Restschuldbefreiung nicht nur aus den im Insolvenzverfahren geschaffenen Titeln, für die sich ja sämtliche Insolvenzgläubiger auf dieselbe Weise Vollstreckungsklauseln verschaffen müssten, die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann, sondern ebenso aus den bereits vor dem Insolvenzverfahren gegen den Schuldner ergangenen anderen Titeln, für die in der Regel bereits Vollstreckungsklauseln erteilt worden sind und die sodann sofort wieder als Vollstreckungsgrundlage zur Verfügung stünden. Dies rechtfertigt auch zur Überzeugung der Kammer die Bejahung des erforderlichen Rechtsschutzinteresses an einer Klauselerteilung bereits während des laufenden Restschuldbefreiungsverfahrens. Dem entsprechend wird auch von der mittlerweile wohl einhelligen Meinung in Literatur und Rechtsprechung den Insolvenzgläubigern bereits während des laufenden Restschuldbefreiungsverfahrens ein Anspruch auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Tabellenauszuges zuerkannt (Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl., § 294 Rn. 15; Vallender in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 294 Rn. 10; Herchen in Hamburger Kommentar zur InsO, 2. Aufl., § 201 Rn. 2; Streck in Hamburger Kommentar, a.a.O., § 294 Rn. 6; Braun, InsO, 4. Aufl., § 201 Rn. 15; Kiesbye in Leonhardt u.a., InsO, 3. Aufl., § 294 Rn. 8; Fischer, ZinsO 2005, 69; Pape, ZInsO 2007, 1289, 1312; LG Arnsberg ZVI 2004, 699; LG Göttingen ZinsO 2005, 1113; LG Tübingen NZI 2006, 647; LG Leipzig, NZI 2006, 603). Dies entspricht im Übrigen der Beurteilung in Zivilprozesssachen: auch dort ist für die dort ergangenen Titel eine Vollstreckungsklausel zu erteilen, wenn Vollstreckungshindernisse einer Zwangsvollstreckung aus dem Titel entgegenstehen, namentlich sogar dann, wenn bei dem Prozessgericht bekannt ist, dass über das Vermögen des Titelschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (Wolfsteiner in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., § 724 Rn. 42 m.w.N.; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 69. Aufl., § 724 Rn. 12).
Die von dem Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss dargelegten und vornehmlich auf einen Schutz der Insolvenzschuldner vor unredlichen Vollstreckungsmaßnahmen zielenden Gesichtspunkte sind zwar gewichtig, vermögen an der eindeutigen Rechtslage aber nichts zu ändern. Insoweit wäre es, wenn aus Gründen der Arbeitsbelastung der Insolvenzgerichte und/oder des Schuldnerschutzes ein tatsächliches Bedürfnis dafür besteht, während des Restschuldbefreiungsverfahrens noch keine vollstreckbaren Ausfertigungen der Tabellenauszüge zu erteilen, Aufgabe des Gesetzgebers, hier eine anderweitige Regelung zu schaffen, die dann aber auch die Interessen der Insolvenzgläubiger im Verhältnis zu den über andere Vollstreckungstitel verfügenden Gläubigern hinreichend berücksichtigen müsste.
Die Anweisung zur Erteilung der Vollstreckungsklausel erfolgt gemäß § 4 InsO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO.
Einer Kostenentscheidung bedarf die vorliegende Entscheidung nicht, weil der Schuldner nicht Beschwerdegegner des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist. Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine Veranlassung; dem Beschwerdeantrag der Gläubiger ist entsprochen worden, und dem Schuldner steht gegen die Klauselerteilung (und auch die Anordnung derselben) andere Rechtsbehelfe zur Verfügung.