Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.06.2019, Az.: 14 W 20/19

Umfang der Zuständigkeit des originären Einzelrichters gem. § 568 ZPO; Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Veranlassung zur Klageerhebung i.S. von § 93 ZPO; Berücksichtigung von nach Eingang der letzten schriftlichen Erledigungserklärung angetretenem Zeugenbeweis als Teil des "bisherigen Sach- und Streitstandes" i.S. von § 91a Abs. 1 ZPO

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.06.2019
Aktenzeichen
14 W 20/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 67297
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2019:0605.14W20.19.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 08.03.2019 - AZ: 12 O 2298/18

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der originäre Einzelrichter entscheidet gemäß § 568 ZPO auch dann über die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung des erstinstanzlichen Einzelrichters, wenn über die Nichtabhilfe die Kammer entschieden hat.

  2. 2.

    Die Beweislast für die fehlende Klageveranlassung nach § 93 ZPO trifft den Beklagten. Dies gilt auch, soweit der Beklagte sich im Rahmen der nach § 91a ZPO zu treffenden Billigkeitsentscheidung auf § 93 ZPO beruft.

  3. 3.

    Wird ein Zeugenbeweis erst nach Eingang der letzten schriftlichen Erledigungserklärung im Sinne von § 91a ZPO angeboten, bleibt dieses Beweismittel unberücksichtigt, da es nicht mehr Teil des "bisherigen Sach- und Streitstandes" ist. Das Gericht braucht in diesem Fall auch keine Prognose zu dem voraussichtlichen Ergebnis einer Beweisaufnahme anzustellen. Es ist vielmehr nach Beweislastregeln zu entscheiden.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Einzelrichters des Landgerichts Osnabrück vom 08.03.2019 wie folgt geändert:

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 2.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.

Gemäß § 568 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet der Senat als Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder, weil die angefochtene Ausgangsentscheidung von einem Einzelrichter erlassen worden ist.

Dem steht nicht entgegen, dass über die Nichtabhilfe die Kammer des Landgerichts in voller Besetzung entschieden hat. Zwar wird verschiedentlich vertreten, dass es für die Zuständigkeit gemäß § 568 ZPO nicht auf den Ausgangs-, sondern auf den Nichtabhilfebeschluss ankomme (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 18.01.2007 - 4 W 10/07 -, OLGR 2007, 372; KG, Beschl v. 16.11.2010 - 2 W 202/10 -, JurBüro 2011, 148).

Nach zutreffender herrschender Meinung ist jedoch unerheblich, wer über die Nichtabhilfe entschieden hat (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.09.2002 - 24 W 29/02, OLGR 2003, 187; OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.10.2003 - 1 W 70/03, OLGR 2004, 115; OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.07.2009 - 5 W 1104/09, MDR 2009, 1243; OLG Hamm, Beschl. v. 16.09.2010 - I-6 W 65/10, NJW-RR 2011, 238). Nach seinem Wortlaut knüpft § 568 ZPO an die angefochtene Entscheidung an. Damit ist die Ausgangsentscheidung gemeint. Das Beschwerderecht der Zivilprozessordnung setzt Ausgangs- und Nichtabhilfeentscheidungen auch nicht etwa gleich, sondern differenziert zwischen beiden Entscheidungen, wie sich aus dem Vergleich von § 568 ZPO und § 572 ZPO, der die Abhilfe- bzw. Nichtabhilfeentscheidung regelt, zeigt. Die Nichtabhilfeentscheidung schafft auch keine neue, selbständige Beschwer, sondern ist bloße Verfahrensvoraussetzung dafür, dass das Beschwerdegericht mit der beschwerenden Ausgangsentscheidung befasst wird.

Die Kosten des Rechtsstreits sind gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO dem Beklagten aufzuerlegen.

Haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Als Folge dieser Regelung wird im Allgemeinen der ohne die Erledigung zu erwartende Verfahrensausgang bei der Kostenentscheidung den Ausschlag geben, d. h. in der Regel wird derjenige die Kosten zu tragen haben, dem sie auch nach den allgemeinen kostenrechtlichen Bestimmungen der ZPO aufzuerlegen gewesen wären (Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 91a, Rz. 24 m. w. N.). Auch der Rechtsgedanke der fehlenden Klageveranlassung des Beklagten aus § 93 ZPO ist dabei anzuwenden (Zöller/Vollkommer, a. a. O. m. w. N.).

Der Beklagte wäre bei Fortführung des Rechtsstreits in der Hauptsache voraussichtlich unterlegen. Dafür spricht, dass er dem Vorbringen des Klägers nicht entgegengetreten ist und dessen Forderung nach Klagerhebung erfüllt hat.

Gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Beklagte aufgrund eines Anerkenntnisses in der Hauptsache unterliegt. Hiervon macht § 93 ZPO lediglich dann eine Ausnahme zugunsten des Beklagten, wenn dieser keine Veranlassung zur Klage gegeben und den geltend gemachten Anspruch sofort anerkannt hat. In diesem Fall sind dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, obwohl er in der Hauptsache obsiegt hat.

Ist nach einem Anerkenntnis des Beklagten streitig, ob er Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat, so trifft ihn die Beweislast für die fehlende Klageveranlassung (BGH, Beschl. vom 21.12.2006 - I ZB 17/06 -, MDR 2007, 1162 = NJW 2007, 3645; OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.01.1995 - 19 W 18/94 -, NJW-RR 1996,62; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 93 ZPO, Rz. 5 Stichwort "Beweislast"; Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 93 ZPO, Rz. 2; Münchener Kommentar/Schulz, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 93 ZPO, Rz. 9; Stein/Jonas/Bork; ZPO, 22. Aufl. 2004, § 93 ZPO, Rz. 16). Denn nach den allgemeinen Beweisregeln muss diejenige Partei, die sich auf einen Ausnahmetatbestand zu ihren Gunsten beruft, dessen Tatbestandsvoraussetzungen darlegen und beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 18.07.2003 - V ZR 431/02, NJW-RR 2003, 1432). Dementsprechend obliegt dem Beklagten die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 ZPO. Dies gilt auch, soweit der Beklagte sich im Rahmen der nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO zu treffenden Billigkeitsentscheidung auf § 93 ZPO beruft (vgl. KG, Beschl. v. 20.04.2015 - 8 W 21/15 -, MDR 2015, 855).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Beklagte darzulegen und zu beweisen hat, dass die ihm als quasi-Haftpflichtversicherer zuzubilligende angemessene Prüfungspflicht bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen war. Bei der Ausgestaltung der den Beklagten treffenden Darlegungs- und Beweislast ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich insoweit um eine negative Tatsache handelt. Dies führt nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, sondern nur zu einer sekundären Darlegungslast des Klägers. Im Anschluss daran muss jedoch die darlegungspflichtige Partei ihren Vortrag konkretisieren und detailliert unter Beweisantritt auf das Bestreiten der Gegenpartei eingehen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.12.2006 - I ZB 17/06 -, a. a. O.; KG, Beschl. v. 20.04.2015 - 8 W 21/15 -,a. a. O.)

Der Kläger ist seiner sekundären Darlegungslast ausreichend nachgekommen. Er hat mit Schriftsatz vom 04.12.2018 durch Vorlage des Schadensmeldungsformulars und dem Telefax-Sendebericht substantiiert vorgetragen, dass der Beklagte bereits seit dem 23.07.2018 Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dem Haftpflichtschadensfall hatte, mit der Folge, dass die der Beklagten zuzubilligende Prüfungsfrist von 2 Monaten bei Klageerhebung am 13.10.2018 bereits abgelaufen war.

Der Beklagte hat nicht rechtzeitig Beweis dafür angetreten, dass das Telefax nicht am 23.07.2018 zugegangen ist. Für die Entscheidung nach § 91a ZPO ist auf den "bisherigen Sach- und Streitstand" abzustellen. Darunter ist, sofern die übereinstimmende Erledigung schriftlich erklärt wird, das gesamte Parteivorbringen zu verstehen, das bis zum Zeitpunkt des letzten Erledigungsschriftsatzes eingegangen ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. vom 01.10.1992 - 4 W 99/92 -, WPR 93, 339). Nach diesem Zeitpunkt, dürfen in der Regel keine neuen Tatsachen und Beweismittel mehr in den Rechtsstreit eingeführt werden. Soweit es um neue Beweismittel geht, können Ausnahme allenfalls für präsente Beweismittel gelten wie z. B. Urkunden oder beigezogene Akten (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 91a ZPO, Rz. 26; Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 91a, Rz. 22 m. w. N.). Wird ein Zeugenbeweis erst nach Eingang der letzten schriftlichen Erledigungserklärung angeboten, bleibt dieses Beweismittel dagegen unberücksichtigt. Das Gericht braucht in diesem Fall auch keine Prognose zu dem voraussichtlichen Ergebnis einer etwaigen Beweisaufnahme anzustellen. Es ist vielmehr nach Beweislastregeln zu entscheiden.

Der Beklagte hat den Zeugen XX erst im Rahmen des Abhilfeverfahrens mit Schriftsatz vom 26.04.2019 zum Beweis des fehlenden Zugangs benannt. Da er sich bereits mit Schriftsatz vom 06.03.2019 der Erledigungserklärung des Klägers angeschlossen hatte, ist der Beweisantritt somit nach den oben genannten Grundsätzen nicht mehr Teil des "bisherigen Sach- und Streitstands", der bei der Entscheidung nach § 91a ZPO Berücksichtigung finden kann.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.