Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 28.02.1992, Az.: 9 A 12/90

Alkoholmissbrauch eines Beamten im Dienst ; Pflicht eines Beamten zur Gesunderhaltung ; Aberkennung des Ruhegehaltes eines Beamten; Gemeindliches Selbstverwaltungsorgan als Behörde; Aufgaben eines Samtgemeindebürgermeister in einem Disziplinarverfahren; Entscheidung eines Samtgemeindeausschusses über ein disziplinares Einschreiten gegen einen Beamten

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
28.02.1992
Aktenzeichen
9 A 12/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 17220
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1992:0228.9A12.90.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine Behörde und deren Leiter kann schon nicht ohne weiteres mit einem aus mehreren Personen bestehenden gemeindlichen Selbstverwaltungsorgan und dessen Vorsitzenden gleichgesetzt werden, weil die Stellung eines Samtgemeindebürgermeisters gerade nicht mit der eines Behördenleiters zu vergleichen ist.

  2. 2.

    Für eine wirksame Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Samtgemeindeausschuss aufgrund einer ihm im Wortlaut vorliegenden Einleitungsverfügung einen entsprechenden Beschluss faßt.

  3. 3.

    Ein Beamter hat sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. Dies bedeutet u.a., dass er die Pflicht hat, sich gesund und leistungsfähig zu erhalten, d.h., dass er zur Erfüllung seiner Pflichten seinem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat und es ihm obliegt, diese Arbeitskraft im Interesse des Dienstherrn nicht treuwidrig zu beeinträchtigen und/oder - falls eine solche Beeinträchtigung bereits eingetreten ist - seine Dienstfähigkeit mit allen ihm zumutbaren Mitteln wiederherzustellen.

In dem Rechtsstreitverfahren
hat die Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht Stade
aufgrund der Hauptverhandlung vom 28. Februar 1992,
an der teilgenommen haben:
Präsident des Verwaltungsgerichts ... als Vorsitzender
Richterin am Verwaltungsgericht ... als Berufsrichterin
Gemeindedirektor ... als ehrenamtlicher Richter
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Ruhestandsbeamte ist eines Dienstvergehens schuldig.

Gegen ihn wird auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt. Von der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages wird abgesehen.

Der Ruhestandsbeamte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

I.

Der Ruhestandsbeamte wurde am ... in ... (CSFR) geboren.

2

Nachdem der Ruhestandsbeamte am ...-Gymnasium in ... den Realschulabschluß erlangt hatte, trat er am 1. April 1963 als Verwaltungspraktikant in den Dienst des Kreises .... Mit Wirkung vom 1. April 1965 wurde er nach Bestehen der Verwaltungspraktikantenprüfung mit dem Gesamtergebnis "gut" zum Kreisinspektorenanwärter ernannt. Die Prüfung für den gehobenen nicht technischen Verwaltungsdienst bestand er am 27. März 1968 mit der Note "befriedigend", so daß am 1. April 1968 seine Ernennung zum Kreisinspektor z.A. erfolgen konnte. Anschließend war er als Arbeitsgruppenleiter im Ordnungs- bzw. im Jugendamt des Kreises tätig. Nach vorheriger Abordnung wurde er ab 1. August 1970 zu der kreisangehörigen Gemeinde ... versetzt, wo er als Leiter der Bauverwaltung eingesetzt wurde. Am 6. Oktober 1971 erfolgte seine Beförderung zum Gemeindeoberinspektor, und mit Wirkung vom 5. November 1971 wurde er in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Nachdem er am 10. Februar 1972 die Diplom-Prüfung zum Kommunalbeamten an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in ... mit der Gesamtnote "vollbefriedigend" bestanden hatte, wurde ihm ab 1. März 1972 die Leitung des autonomen Schulzweckverbandes der Gemeinden ... und ... übertragen. Seine Ernennung zum Gemeindeamtmann (Besoldungsgruppe A 11) erfolgte mit Urkunde vom 6. Oktober 1972.

3

Am 16. Oktober 1974 wurde der Ruhestandsbeamte durch den Rat der Samtgemeinde ... zum allgemeinen Vertreter des Hauptverwaltungsbeamten gewählt und trat seinen Dienst als Samtgemeindeamtmann in der Funktion eines stellvertretenden Samtgemeindedirektors nach seiner Versetzung durch die Gemeinde ... am 1. Februar 1975 an. Gleichzeitig übernahm er auch die Funktion eines stellvertretenden Gemeindedirektors bei dem Flecken ... und bei der Gemeinde ... sowie eines Schiedsmannes für den Schiedsmanrbezirk .... In der Verwaltung der Samtgemeinde ... wurde er darüber hinaus Leiter des Bau- und Ordnungsamtes sowie des Fremdenverkehrsbüros.

4

Aufgrund von Vorfällen, die schließlich zur Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens führten, wurde dem Ruhestandsbeamten mit Verfügungen vom 15./18. Dezember 1981 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Funktion des allgemeinen Vertreters des Hauptverwaltungsbeamten sowohl für die Samtgemeinde ... als auch für den Flecken ... und die Gemeinde ... entzogen. Hiergegen suchte er am 15. Januar 1982 bei den Kammern Lüneburg des erkennenden Gerichts um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach (Az.: 4 VG D 3/92) und erhob nach Zurückweisung seines Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1982 am 5. März 1982 Klage (Az.: 4 VG A 99/82). Mit Antrag vom 11. Juni 1982 begehrte der Ruhestandsbeamte seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Im Verlauf dieses Zurruhesetzungsverfahrens wurde ihm durch den Samtgemeindedirektor mit Verfügung vom 2. August 1982 unter Sofortvollzugsanordnung die Führung der Dienstgeschäfte untersagt und ein Hausverbot erteilt. Nachdem der Amtsarzt des Landkreises Medizinaldirektor Dr. ..., der eine nervenfachärztliche Zusatzbegutachtung durch den Facharzt für Nervenkrankheiten Dr., veranlaßt hatte, in seiner abschließenden Beurteilung vom 4. Oktober 1982 zu dem Ergebnis gekommen war, daß der Ruhestandsbeamte an einer Alkoholsuchtkrankheit mit Zeichen eines hirnorganischen Abbaubildes sowie an einem alkoholtoxischen Leberschaden leide und aufgrund seiner fehlenden Bereitschaft, sich therapeutischen Maßnahmen zu unterziehen, beamtendienstunfähig sei, wurde der Ruhestandsbeamte mit Ablauf des 31. Januar 1983 vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die bei den Kammern Lüneburg des erkennenden Gerichts anhängigen Verfahren wurden daraufhin mit Beschlüssen vom 18. Januar 1983 eingestellt.

5

Regelmäßige dienstliche Beurteilungen des Ruhestandsbeamten liegen nicht vor. In einem Zwischenzeugnis der Samtgemeinde ... vom 19. Oktober 1978 wurden seine Leistungen positiv bewertet. Disziplinarrechtlich ist er bisher nicht in Erscheinung getreten. Durch Urteil des Amtsgerichts Uelzen vom 13. Januar 1983 (Az.: 2 b Ds 24 Js 1541/82 - 362/82) wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 3,47 %o zu einer Geldstraße von 30 Tagessätzen zu je 150,00 DM verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde entzogen und eine Sperrfrist von 5 Monaten festgesetzt.

6

Der Ruhestandsbeamte ist seit dem 21. Juni 1968 verheiratet. Aus der Ehe sind 2 Töchter, geboren am 13. August 1969 und 20. Oktober 1972, hervorgegangen. Seine Ehefrau übt den Beruf einer Grund- und Hauptschullehrerin aus. Die finanzielle Situation des Ruhestandsbeamten und seiner Familie stellt sich gegenwärtig wie folgt dar: Der Ruhestandsbeamte erhält ein (ungekürztes) Ruhegehalt in Höhe von netto ca. 2.600,00 DM. Bei ihm liegt eine Minderung der Erwerbstätigkeit um 80 % vor. Das Nettogehalt seiner Ehefrau beläuft sich auf etwa 4.400,00 DM. Seine ältere Tochter beabsichtigt, ab April 1992 zu studieren, die jüngere besucht noch das Gymnasium und strebt nach erfolgreicher Reifeprüfung, die in Kürze ansteht, ebenfalls ein Studium an.

7

II.

Mit Verfügung der Samtgemeinde ... vom 28. Januar 1982 wurden gegen den Ruhestandsbeamten wegen des Verdachts eines Dienstvergehens erstmals disziplinare Vorermittlungen eingeleitet, weil er während des Dienstes regelmäßig unter teilweise erheblicher Alkoholeinwirkung gestanden, seine Dienstgeschäfte nicht ordnungsgemäß erledigt und sich über Dienstanweisungen hinweggesetzt habe. Nach Abbruch der Vorermittlungen beauftragte der Samtgemeindeausschuß in seiner Sitzung vom 6. Dezember 1982 die Verwaltung mit der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens. Diesen Beschluß setzte Samtgemeindedirektor ... mit Verfügung vom 17. Januar 1983 um. Nachdem der zusammenfassende Bericht des zum Untersuchungsführer bestellten (heutigen) Oberregierungsrats vom 7. April 1986 vorlag, leitete Samtgemeindedirektor als Vertreter der Einleitungsbehörde nach entsprechender Beauftragung durch den Samtgemeindeausschuß am 3. Dezember 1986 eine Anschuldigungsschrift der Disziplinarkammer des erkennenden Gerichts zu (Az.: DK A 23/86), die das Verfahren vor der Hauptverhandlung mit Beschluß vom 11. Mai 1988 einstellte, weil es an nicht behebbaren Verfahrensmängeln leide, die es ausschließen würden, die Anschuldigungsschrift zur Nachbesserung lediglich zurückzugeben.

8

Aufgrund der Feststellung in dem Beschluß vom 11. Mai 1988, daß die Einstellung des förmlichen Disziplinarverfahrens nicht zum Verbrauch der Disziplinarklage führe, beschloß der Samtgemeindeausschuß in seiner Sitzung am 5. Dezember 1988 die erneute Einleitung von disziplinaren Vorermittlungen und beauftragte mit deren Durchführung den stellvertretenden Samtgemeindedirektor, Samtgemeindeamtsrat .... Dieser Sachverhalt wurde dem Beamten mit Verfügung des Samtgemeindedirektors vom 3. Januar 1989 mitgeteilt, wobei die Vorermittlungen durch Beschluß des Samtgemeindeausschusses vom 16. Februar 1989 auf den Vorwurf des Alkoholmißbrauchs im Dienst und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Dienst, der Verweigerung einer Alkoholentziehungskur und der Herbeiführung einer Alkoholabhängigkeit beschränkt wurden. Nach Abschluß der Vorermittlungen, Benachrichtigung des Landkreises als Aufsichtsbehörde und entsprechender Beschlußfassung durch den Samtgemeindeausschuß in seiner Sitzung am 7. August 1989 verfügte Samtgemeindedirektor ... die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und die gleichzeitige Einbehaltung von einem Drittel des Ruhegehalts des Ruhestandsbeamten. In der Einleitungsverfügung wurde ihm vorgeworfen, durch einen fortdauernden Alkoholmißbrauch mit dem Ziel, durch ihn dienstunfähig zu werden, und durch seine Weigerung, sich einer Alkoholentziehungskur zu unterziehen, seine Gesunderhaltungspflicht verletzt und dadurch seine Dienstunfähigkeit verschuldet zu haben. Gleichzeitig wurden Samtgemeindeamtsrat ... zum Vertreter der Einleitungsbehörde und der (heutige) Kreisverwaltungsdirektor vom Landkreis ... zum Untersuchungsführer bestellt. Den von dem Untersuchungsführer auf den 5. Oktober 1989 festgesetzten Termin zu seiner Vernehmung zu Beginn der Untersuchung nahm der Ruhestandsbeamte nicht wahr. Im weiteren Verlauf des Untersuchungsverfahrens wurden durch Kreisverwaltungsdirektor am 30. Oktober 1989 die Verwaltungsangestellten ... und ... als Zeugen vernommen. Am 1. November 1989 sagte Samtgemeindedirektor ... und am 25. Januar 1990 der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... als Zeugen vor dem Untersuchungsführer aus. Die ihm mit Schreiben vom 5. Februar 1990 gegebene Möglichkeit zur abschließenden Äußerung nahm der Ruhestandsbeamte wiederum nicht wahr.

9

Nachdem der Untersuchungsführer seinen abschließenden Bericht vom 23. Mai 1990 vorgelegt hatte und die Aufsichtsbehörde benachrichtigt worden war, beschloß der Samtgemeindeausschuß in seiner Sitzung vom 2. Juli 1990, durch den Vertreter der Einleitungsbehörde eine Anschuldigungsschrift der Disziplinarkammer zur Entscheidung vorzulegen. Diese ging am 23. Juli 1990 bei dem erkennenden Gericht ein.

10

Auf Antrag des Ruhestandsbeamten vom 30. August/5. September 1990 wurde durch Beschluß der Disziplinarkammer vom 18. Februar 1991 (Az.: 9 A 16/90), bestätigt durch Beschluß des Niedersächsischen Disziplinarhofes vom 17. Oktober 1991 (Az.: 1 NDH M 5/91), die in der Einleitungsverfügung vom 8. August 1989 angeordnete Einbehaltung von einem Drittel seines Ruhegehalts aufgehoben.

11

In der Anschuldigungsschrift vom 20. Juli 1990 wird dem Ruhestandsbeamten, zur Last gelegt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, daß er seiner Pflicht zur Gesunderhaltung durch dauernden Alkoholmißbrauch und beharrliche Verweigerung therapeutischer Maßnahmen zur Bekämpfung der eingetretenen Abhängigkeit zuwidergehandelt und seine dauernde Dienstunfähigkeit bewußt herbeigeführt habe. Zusammenfassend heißt es in der Anschuldigungsschrift u.a.:

12

Der Ruhestandsbeamte habe ein Dienstvergehen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG) begangen, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt habe. Nach § 62 NBG habe sich ein Beamter mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, d.h., er habe auch die Pflicht, seine Arbeitskraft im Interesse des Dienstherrn zu erhalten und gegebenenfalls die beschränkte oder verlorene Arbeitskraft bestmöglich wiederherzustellen. Über diese Pflicht zur Gesunderhaltung habe sich der Ruhestandsbeamte bewußt und gewollt hinweggesetzt. Er habe schuldhaft die Ursache für seine Alkoholsucht geschaffen, indem er in Kenntnis der Gefahren des ständigen Alkoholmißbrauchs sein Verlangen nach Alkohol vor die Verpflichtung gegenüber seinem Beruf und seinem Dienstherrn gesetzt habe. Er sei sich der disziplinarischen und gesundheitlichen Konsequenzen seines Verhaltens stets bewußt gewesen. Seine Kritik- und Urteilsfähigkeit sei zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen oder auch nur eingeschränkt gewesen. Bereits in den Jahren 1980 und 1981 seien ihm die disziplinarischen Konsequenzen seines Alkoholgenusses von Samtgemeindedirektor ... immer wieder eindringlich vor Augen geführt worden. Da eine Alkoholabhängigkeit im Sinne einer Sucht jedenfalls bis zum Ende des Jahres 1981 noch nicht vorgelegen habe, habe er sein Verhalten unzweifelhaft ändern können und müssen. Dies gelte um so mehr, als ihm spätestens aufgrund des Befundberichtes des Internisten Dr. ... vom 17. Dezember 1981 bekanntgewesen sei, daß eine Suchtgefährdung bestanden habe und bereits ein toxischer Leberschaden infolge des Alkoholgenusses vorliege. Da die Prognose im Hinblick auf eine Suchtgefährdung und im Hinblick auf den Leberschaden bei Alkoholkarenz als günstig beurteilt worden sei, sei die Pflichtwidrigkeit des weiteren Alkoholmißbrauchs evident. Indem der Beamte seinen Alkoholgenuß uneingeschränkt fortgesetzt und beharrlich therapeutische Maßnahmen zur Bekämpfung der dann eingetretenen Abhängigkeit verweigert habe, habe er seine dauernde Dienstunfähigkeit bewußt herbeigeführt.

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Ergänzend nahm der Vertreter der Einleitungsbehörde im Verfahren vor der Disziplinarkammer u.a. noch wie folgt Stellung:

14

Das förmliche Disziplinarverfahren werde durch schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Das bedeute in Verfahren, in denen Einleitungsbehörde der Samtgemeindeausschuß sei, daß dieses Gremium über eine im Wortlaut formulierte Einleitungsverfügung beschließen müsse. Der Beschluß des Samtgemeindeausschusses vom 7. August 1989 sei unter diesen Voraussetzungen gefaßt worden. Die Zuständigkeit des Samtgemeindedirektors für die Ausführung der Beschlüsse des Samtgemeindeausschusses nach §§ 71 Abs. 2, 62 Abs. 1 Nr. 2 Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) und für die Vertretung der Samtgemeinde in Rechts- und Verwaltungsgeschäften nach § 63 Abs. 1 NGO schließe die Befugnis ein, die Einleitungsverfügung und andere verfahrenserhebliche Entscheidungen des Samtgemeindeausschusses zu unterzeichnen. Die Stellung des Samtgemeindebürgermeisters sei mit der eines Behördenleiters nicht vergleichbar, weil er zwar für die Einberufung des Samtgemeindeausschusses und die Verhandlungsleitung in den Sitzungen zuständig sei, während Entscheidungen über Beratungsgegenstände kollegial durch Mehrheitsbeschluß - gegebenenfalls auch gegen seine Stimme - gefaßt würden.

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Er sei als der mit den Vorermittlungen beauftragte Beamte zum Vertreter der Einleitungsbehörde bestellt worden, weil kein anderer geeigneter Beamter der Samtgemeinde für diese Funktion zur Verfügung gestanden habe und rechtliche Hinderungsgründe für diese Entscheidung nicht erkennbar seien.

16

Der Samtgemeindeausschuß sei bei der Einleitung des Vorermittlungsverfahrens und des förmlichen Disziplinarverfahrens umfassend von der Verwaltung durch schriftliche Sachverhaltsdarstellungen in Form von Sitzungsvorlagen und Erläuterungen in den Sitzungen des Ausschusses informiert worden.

17

Nach § 32 Abs. 2 NGO sei für die Zahl der Ratsherren die Einwohnerzahl maßgebend, die das Landesverwaltungsamt aufgrund einer allgemeinen Zählung der Bevölkerung (Volkszählung) oder deren Fortschreibung für einen mindestens 6 Monate und höchstens ein Jahr vor dem Wahltag liegenden Stichtag ermittelt habe. Die von dem Landesverwaltungsamt ermittelte und veröffentlichte fortgeschriebene Einwohnerzahl der Samtgemeinde ... habe zu dem Stichtag der letzten Kommunalwahl 7.292 Einwohner betragen. Daher betrage die Zahl der Ratsherren nach § 32 Abs. 1 NGO 21 Ratsherren. Die Hauptsatzung der Samtgemeinde ... sei am 25. Juli 1980 unterschrieben worden. Samtgemeindedirektor sei die Ernennungsurkunde bereits am 6. Februar 1980 ausgehändigt worden. Eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften wäre im übrigen gemäß § 6 NGO unbeachtlich.

18

Bei Würdigung der Regelungen des § 4 Niedersächsische Disziplinarordnung (NDO) sei eine Verjährung nicht zu erkennen. Ein Verbrauch der Disziplinarklage sei ebenfalls nicht festzustellen, weil ein Disziplinarverfahren erstmals nach Rechtskraft der Verfügung über die Versetzung in den Ruhestand formell eingeleitet worden sei. Die Vergleichsverhandlungen des Prozeßbevollmächtigten der Samtgemeinde ... hätten sich ausnahmslos auf die anhängigen Verwaltungsstreitverfahren im Zusammenhang mit der Entziehung der allgemeinen Vertretung und dem Verbot der Amtsführung bezogen. Die Erklärungen des Prozeßbevollmächtigten hätten keinesfalls die Einstellung des Disziplinarverfahrens umfaßt.

19

Der Vertreter der Einleitungsbehörde beantragt,

dem Beamten das Ruhegehalt abzuerkennen.

20

Der Ruhestandsbeamte beantragt,

das Disziplinarverfahren einzustellen oder ihn freizusprechen.

21

Er nahm schriftsätzlich im einzelnen wie folgt Stellung:

22

Sein Dienstherr habe bei der erneuten Einleitung des Disziplinarverfahrens wiederum erhebliche Verstöße gegen die §§ 34 Satz 2, 127 Abs. 1 Nr. 2 NDO und §§ 80 Abs. 2 Satz 3, 71 Abs. 2 NGO begangen. Die Einleitungsverfügung vom 8. August 1989 trage unter dem Kopf "Samtgemeinde ..." die Bezeichnung "Der Samtgemeindedirektor". Sie sei von Samtgemeindedirektor ... unterschrieben worden. In dem Text der Verfügung, der den Regelungsgehalt bestimme, heiße es dann: "Ich leite gegen Ihren Mandanten ... das förmliche Disziplinarverfahren ein." Aus diesen Zitaten werde ersichtlich, daß bei der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nicht das nach der NDO und NGO berufene Organ, nämlich der Vorsitzende des Samtgemeindeausschusses, sondern der Samtgemeindedirektor tätig geworden sei. Unter dem 9. August 1989 habe der Dienstherr wiederum unter dem Kopf "Samtgemeinde, Der Samtgemeindedirektor" und mit der Unterschrift von Samtgemeindedirektor ... an den Kreisverwaltungsdirektor ... geschrieben. Wiederum ließen Kopfbogen, Unterschrift und die Formulierung des Schreibens nicht den geringsten Zweifel daran, daß Samtgemeindedirektor ... sich Funktionen des gesetzlich berufenen Vertreters des Dienstherrn, also des Vorsitzenden des Samtgemeindeausschusses, angemaßt habe. Er habe einen Akt unternommen, der ausschließlich dem Vorsitzenden des Samtgemeindeausschusses zustehe. Dies stelle einen nicht heilbaren Verfahrensfehler dar.

23

Zum Vertreter der Einleitungsbehörde sei Samtgemeindeamtsrat bestellt worden. Dieser Beschluß des Samtgemeindeausschusses stelle deshalb einen Verfahrensverstoß dar, weil Samtgemeindeamtsrat ... bereits Vorermittlungsführer gewesen sei. Seine Bestellung zum Vertreter der Einleitungsbehörde mache ihn vom Ermittlungsrichter zum Staatsanwalt.

24

Ihm sei bekanntgeworden, daß die Mitteilung an den Rat und den Samtgemeindeausschuß, es bestehe ein Wunsch bzw. eine Weisung des Ministers, gegen den Beamten erneut das Disziplinarverfahren einzuleiten, wesentliches Motiv für die meisten Ratsherren gewesen sei, dieser Absicht zuzustimmen. Die Ratsherren hätten keiner Weisung oder keinem Wunsch des Ministers zuwiderhandeln wollen. Dieser Sachverhalt dokumentiere seine Vermutung, daß Rat und Samtgemeindeausschuß falsch informiert worden seien.

25

Anzuzweifeln sei weiter, ob die Samtgemeinde ... überhaupt Organe habe, die sie wirksam vertreten könnten, und ob ihre Hauptsatzung wirksam sei. Bei der letzten Kommunalwahl habe die Samtgemeinde ... weniger als 6.000 Einwohner gehabt. Gleichwohl seien 21 Ratsherren gewählt worden, wie dies nach der NGO nur zulässig sei, wenn die Samtgemeinde mehr als 7.000 Einwohner gehabt hätte. Die Hauptsatzung der Samtgemeinde ... sei am 7. Juli 1980 von Samtgemeindedirektor ... unterschrieben worden. Zu dieser Zeit sei er aber noch nicht Samtgemeindedirektor gewesen, weil man ihm die Ernennungsurkunde noch nicht ausgehändigt gehabt habe.

26

Es sei bereits Verjährung eingetreten. Die Vorgänge, die zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht worden seien, würden zwischen 8 und 9 Jahren zurückliegen. Wegen der von ihm gerügten Formfehler seien wirksame Unterbrechungsakte nicht festzustellen. Unabhängig von der Verjährung sei ein eventueller Anspruch des Dienstherrn auf die Disziplinarklage aber auch verbraucht. Während das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei den Kammern Lüneburg des Verwaltungsgerichts Stade anhängig gewesen sei, hätten Rechtsanwalt ..., der die Interessen des Dienstherrn vertreten habe, und sein Verteidiger versucht, eine gütliche Einigung zu finden. Dies sei auch gelungen. Aufgrund dieser Einigung sei er vorzeitig auf eigenen Antrag in den Ruhestand getreten. Da es Sinn dieser Einigung gewesen sei, einen Streit über die Richtigkeit der beiderseitigen Behauptungen mit umfangreicher Beweisaufnahme zu vermeiden, sei Bestandteil der Einigung auch ein Verzicht des Dienstherrn auf eine Disziplinarverfolgung gewesen.

27

Zu den ihm in der Anschuldigungsschrift gemachten Vorwürfen hat sich der Ruhestandsbeamte nicht geäußert.

28

Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 9 A 12/90, 9 A 16/90, DK A 23/86, 4 VG A 99/82 und 4 VG D 3/82, der Personalakten des Ruhestandsbeamten, der Vorermittlungsakte und der Untersuchungsakte sowie der beigezogenen Strafakte 2 b Ds 24 Js 1541/82 (362/82) Bezug genommen, die Gegenstand der Hauptverhandlung und der Beratung gewesen sind.

29

III.

Im Gegensatz zu der Auffassung des Ruhestandsbeamten genügt das Disziplinarverfahren den gesetzlichen Anforderungen, so daß für die erkennende Kammer kein Anlaß besteht, das Verfahren gemäß § 69 a Abs. 4 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NDO - wie von dem Ruhestandsbeamten beantragt - einzustellen. Dazu im einzelnen:

30

1.

Soweit der Ruhestandsbeamte vorträgt, daß es bereits an einer wirksamen Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens fehle, weil die nach § 74 Satz 2 NDO zwingend vorgeschriebene schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde nicht von dem Samtgemeindebürgermeister, sondern von dem Samtgemeindedirektor unterschrieben worden sei, beruht diese Auffassung auf dem Beschluß der Disziplinarkammer vom 11. Mai 1988 in dem Verfahren DK A 23/86. In diesem Beschluß wurde festgestellt, daß für Beamte von Samtgemeinden Einleitungsbehörde im Sinne des § 34 Satz 2 NDO der Samtgemeindeausschuß (vgl. § 127 Abs. 1 Nr. 2 NDO i.V.m. §§ 71 Abs. 2, 80 Abs. 2 Satz 3 NGO) und mithin der Samtgemeindebürgermeister als Vorsitzender dieses Ausschusses (vgl. §§ 71 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 3, 31 Abs. 1 Satz 2 NGO) Leiter der Einleitungsbehörde und damit Herr des Disziplinarverfahrens sei. Dieser Auffassung vermag die erkennende Kammer - insbesondere auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Niedersächsischen Disziplinarhofes (vgl. Beschluß vom 6. April 1976 - NDH B (I) 5/75 - n.v.) - nicht zu folgen. Zum einen kann eine Behörde und deren Leiter schon nicht ohne weiteres mit einem aus mehreren Personen bestehenden gemeindlichen Selbstverwaltungsorgan und dessen Vorsitzenden gleichgesetzt werden, weil die Stellung eines Samtgemeindebürgermeisters gerade nicht mit der eines Behördenleiters zu vergleichen ist. Der Behördenleiter steht in der Hierarchie seiner Behörde an "erster Stelle" und trifft daher seine Entscheidungen in alleiniger Verantwortung und mit der durch seine Funktion gegebenen Weisungsbefugnis gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern. Demgegenüber erschöpfen sich die Aufgaben eines Samtgemeindebürgermeisters in der Aufstellung der Tagesordnung, in der Einberufung der Sitzungen des Samtgemeindeausschusses und in deren Leitung (vgl. §§ 71 Abs. 2, 41, 44 NGO), während die Entscheidung über die jeweiligen Beratungsgegenstände in den Ausschußsitzungen durch Mehrheitsbeschluß erfolgt (vgl. §§ 71 Abs. 2, 47 Abs. 1 NGO), so daß der Samtgemeindebürgermeister - und dies gilt auch bei der Frage der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens - gegenüber den übrigen Mitgliedern des Samtgemeindeausschusses keinerlei weitergehende Rechte hat. Zum anderen spricht gegen die in dem Beschluß vom 11. Mai 1988 vertretene Auffassung insbesondere, daß nach der NGO die Ausführung von Beschlüssen des Samtgemeindeausschusses ohne jede Einschränkung dem Samtgemeindedirektor obliegt (§§ 71 Abs. 3, 62 Abs. 1 Nr. 2 NGO) und daß der Samtgemeindedirektor die Samtgemeinde im Außenverhältnis vertritt (§§ 71 Abs. 2, 63 Abs. 1 NGO). Demgegenüber obliegt dem Samtgemeindebürgermeister nach außen hin - abgesehen von Verpflichtungsgeschäften im Sinne des § 63 Abs. 2 NGO und der Ausnahmevorschrift des § 63 Abs. 5 NGO - lediglich die repräsentative Vertretung der Samtgemeinde (§§ 71 Abs. 2, 31 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz NGO). Aufgrund dieser grundlegenden Unterschiede erachtet es die Disziplinarkammer daher für eine wirksame Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens für erforderlich, aber auch ausreichend, daß der Samtgemeindeausschuß aufgrund einer ihm im Wortlaut vorliegenden Einleitungsverfügung einen entsprechenden Beschluß faßt. Dies ist hier unzweifelhaft geschehen (vgl. Niederschrift zu der Sitzung des Samtgemeindeausschusses vom 7. August 1989, Bl. 137 Beiakte C). Ebenso hat der Samtgemeindeausschuß in eigener Verantwortung die Bestellung des Samtgemeindeamtsrates ... zum Vertreter der Einleitungsbehörde und des (heutigen) Kreisverwaltungsdirektors zum Untersuchungsführer beschlossen, während die Umsetzung dieser Beschlüsse nach außen hin dem Samtgemeindedirektor zu Recht überlassen wurde.

31

2.

Die Rüge des Ruhestandsbeamten, daß Samtgemeindeamtsrat nicht zum Vertreter der Einleitungsbehörde habe bestellt werden dürfen, weil er bereits als Vorermittlungsführer tätig gewesen sei, greift ebenfalls nicht durch. Weder aus den §§ 26 f. NDO (Durchführung der Vorermittlungen) noch aus den §§ 34 f. NDO (Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens) läßt sich eine entsprechende Einschränkung ableiten.

32

3.

Zu der Behauptung des Ruhestandsbeamten, daß der Samtgemeindeausschuß die Entscheidung über ein disziplinares Einschreiten gegen ihn aufgrund von falschen Informationen seitens der Samtgemeindeverwaltung beschlossen habe, ist festzustellen, daß sich hier keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, daß der Samtgemeindeausschuß das ihm von § 3 NDO eingeräumte Ermessen pflichtwidrig ausgeübt haben könnte. Die der erkennenden Kammer vorliegenden Sitzungsvorlagen sowie die entsprechenden Sitzungsniederschriften machen vielmehr deutlich, daß in den für die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens maßgeblichen Ausschußsitzungen von einer Weisung des Niedersächsischen Innenministers lediglich im Zusammenhang mit der Einbehaltung von Ruhegehaltsbestandteilen die Rede gewesen ist (vgl. Sitzungsvorlage vom 20. März 1989 - Bl. 121 Beiakte C - und Sitzungsniederschrift vom 3. April 1989 - Bl. 122 Beiakte C -; Sitzungsvorlage vom 27. Juli 1989 - Bl. 127 Beiakte C - und Sitzungsniederschrift vom 7. August 1989 - Bl. 137 Beiakte C -).

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4.

Seine Zweifel daran, ob die Samtgemeinde ... Organe habe, die sie wirksam vertreten können, hat der Ruhestandsbeamte in der Hauptverhandlung vor der erkennenden Kammer nicht aufrechterhalten. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Hauptsatzung ist auf § 6 Abs. 5 Satz 1 NGO zu verweisen.

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5.

Das dem Ruhestandsbeamten zur Last gelegte Dienstvergehen ist schließlich auch weder verjährt, noch ist seitens des Dienstherrn ein Verzicht auf die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens ausgesprochen worden. Angesichts der hier als Disziplinarmaßnahme in Betracht kommenden Aberkennung des Ruhegehalts ist festzustellen, daß § 4 Abs. 2-3 NDO - ebenso wie bei der gegenüber einem noch im Dienst befindlichen Beamten höchstzulässigen Maßnahme (Entfernung aus dem Dienst) - eine Verjährung nicht kennt. Ein Verzicht auf ein disziplinarrechtliches Einschreiten ist - und zwar unabhängig von der Frage der Wirksamkeit - ebenfalls nicht gegeben (vgl. Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Samtgemeinde ... im gerichtlichen Verfahren 4 VG A 90/82 - 4 VG D 3/82 - vom 20. März 1982 - Bl. 181 Beiakte G., vom 8. April 1982 - Bl. 207 BeiakteC -, vom 4. Mai 1982 - Bl. 219 Beiakte B -, vom 4. Juni 1982 - Bl. 226 Beiakte B -).

35

IV.

Aufgrund der vorliegenden Materialien aus dem Vorermittlungsverfahren und dem Untersuchungsverfahren sowie dem Ergebnis der Hauptverhandlung geht die Disziplinarkammer bei ihrer Urteilsfindung von folgendem Sachverhalt aus:

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Als Samtgemeindedirektor ... seinen Dienst bei der Samtgemeinde ... am 1. Februar 1980 antrat, hatte er durch Äußerungen seines Amtsvorgängers, Herrn ..., und des Samtgemeindebürgermeisters, Herrn ..., sowie anderer Ratsherren erfahren, daß bei dem Ruhestandsbeamten in der Vergangenheit gelegentlich eine Alkoholbeeinflussung während des Dienstes erkennbar gewesen sei. Deshalb führte er schon zu Beginn seiner Tätigkeit ein Gespräch mit dem Ruhestandsbeamten und bot diesem an, einen Neuanfang zu machen.

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Bis etwa Mitte Mai 1980 wurden nach diesem Gespräch Alkoholbeeinflussungen im Dienst bei dem Ruhestandsbeamten nicht registriert. Danach fiel Samtgemeindedirektor ... in Abständen von 14 Tagen bis zu 4 Wochen auf, daß der Ruhestandsbeamte wieder dem Alkohol zusprach. In der Woche vom 29. September bis zum 3. Oktober 1980 stellte Samtgemeindedirektor ... eine Alkoholfahne bei dem Ruhestandsbeamten fest. Am Nachmittag des 7. Oktober 1980, gegen 15.00 Uhr, begab sich Samtgemeindedirektor ... zu einer Rücksprache in das Dienstzimmer des Ruhestandsbeamten. Diese roch nach Alkohol und hatte Schwierigkeiten zu sprechen. Nachdem der Ruhestandsbeamte am 8. und 9. Oktober 1980 krankheitsbedingt seinen Dienst nicht versehen konnte, kam es am 10. Oktober 1980 zu einem erneuten Gespräch über den Alkoholgenuß des Ruhestandsbeamten. Bei dieser Unterredung wies Samtgemeindedirektor mit Nachdruck darauf hin, daß weitere Wiederholungen zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen führen könnten. Ferner drohte er dem Ruhestandsbeamten an, ihm im Wiederholungsfalle die allgemeine Vertretung des Hauptverwaltungsbeamten zu entziehen.

38

In der Folgezeit war eine Verringerung der Alkoholbeeinflussung bei dem Ruhestandsbeamten während des Dienstes nicht erkennbar. Er wies häufig eine Alkoholfahne auf. Nach der Kommunalwahl am 27. September 1981 erschien er fast täglich alkoholisiert mit entsprechender Alkoholfahne im Dienst, wobei im Verlaufe des Tages immer deutlicher wurde, daß der Ruhestandsbeamte auch während des Dienstes dem Alkohol zugesprochen haben muß. Er war häufig nicht in der Lage, sich verständlich auszudrücken und lallte nur noch.

39

Am 30. November 1981 fand eine weitere Unterredung zwischen Samtgemeindedirektor ... und dem Ruhestandsbeamten statt, zu der u.a. auch die Verwaltungsangestellte ... als Vorsitzende des Personalrates hinzugezogen wurde. Bei diesem Gespräch erklärte Samtgemeindedirektor, daß er den Ruhestandsbeamten für alkoholabhängig halte, was dieser bestritt, und forderte ihn auf, seine Abhängigkeit durch eine Entziehungskur zu überwinden. Gleichzeitig wies Samtgemeindedirektor ... darauf hin, daß der Ruhestandsbeamte dienstlich verpflichtet sei, zumutbare Heilmaßnahmen, die zu der Beseitigung einer Krankheit führen könnten oder zu der Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit notwendig seien, durchzuführen, und daß die Ablehnung einer Entziehungskur eine vorsätzliche Verletzung seiner Dienstpflichten und damit ein Dienstvergehen darstelle, so daß disziplinarisch eingeschritten werden könne. Ferner wurde der Ruhestandsbeamte ab sofort von seiner Aufgabe, Niederschriften über Gremiensitzungen zu fertigen, entbunden, um ihn nicht zu gefährden oder zu verleiten, bei Sitzungen der Räte in Gaststätten Alkohol zu sich zu nehmen.

40

Mit Schreiben vom 8. Dezember 1981 forderte Samtgemeinde den Ruhestandsbeamten auf, sich bis zum 20. Dezember 1981 zu erklären, ob er bereit sei, sich einer freiwilligen Entziehungskur zu unterziehen. Der Ruhestandsbeamte antwortete daraufhin unter dem 18. Dezember 1981, daß er keineswegs alkoholabhängig sei, seit Jahren seinen Alkoholkonsum auf ein absolutes Minimum beschränke und zur Zeit absolut alkoholabstinent lebe. Unter Bezugnahme auf Feststellungen seines Hausarztes Dr. ..., und des Internisten Dr. ..., lehnte er die Durchführung einer Alkoholentziehungskur ab.

41

Internist Dr. ... hatte aufgrund einer Untersuchung vom 10. Dezember 1981 bei dem Ruhestandsbeamten die Diagnose eines toxischen Leberzellschadens infolge längerfristigen Alkoholgenusses gestellt. Weiter hieß es in dem Befundbericht vom 17. Dezember 1981 u.a.:

"Die Alkoholkarenz ist von dem Patienten offensichtlich ohne Entzugssymptome erreicht worden. Eine Alkoholabhängigkeit im Sinne der Sucht liegt nicht vor. Es handelt sich um einen gesteigerten Alkoholgenuß im Rahmen der regelmäßig anfallenden Ausschußsitzungen u.ä. offizieller Anlässe. In der jetzigen Situation ist die Prognose im Hinblick auf eine Suchtgefährdung und im Hinblick auf den vorhandenen Leberschaden als günstig anzusehen. Unter weiterer Alkoholkarenz werden sich die Leberfermente der Erfahrung nach völlig normalisieren. Zur zusätzlichen Beurteilung des Leberbefundes werde ich noch eine abdominelle Sonographie durchführen."

42

In dem ärztlichen Gutachten des Hausarztes Dr. ... vom 21. Dezember 1981 wurde u.a. ausgeführt, daß der Ruhestandsbeamte an keiner Alkoholabhängigkeit im Sinne einer Sucht leide, zur Weiterbehandlung des bekannten Leberschadens eine Heilkur in absehbarer Zeit aber ärztlich anzuraten sei.

43

Trotz der Feststellungen der ihn behandelnden/untersuchenden Ärzte ließ der Ruhestandsbeamte in der Folgezeit weder Leberkontrolluntersuchungen noch eine Behandlung des Leberschadens durchführen.

44

Bereits am 21. Dezember 1981 zwischen 10.45 Uhr und 12.10 Uhr stellten die Verwaltungsangestellten ..., und ... erneut fest, daß der Ruhestandsbeamte während der Dienstzeit eine Alkoholfahne aufwies, was sich auch anschließend fortsetzte.

45

Am 23. Juni 1982 begab sich Samtgemeindedirektor ... gegen 15.30 Uhr in das Dienstzimmer des Ruhestandsbeamten, um ihm ein Urlaubsgesuch mit Genehmigungsvermerk auszuhändigen. Er fand den Ruhestandsbeamten in einem völlig abwesenden Zustand vor. Dieser starrte Samtgemeindedirektor ... nur an, lallte unverständlich und stand vollkommen unter Alkoholeinfluß. In einer entsprechenden Verfassung beobachtete ihn der Verwaltungsangestellte ... am 24. Juni 1982.

46

Bei der am 7. Juli 1982 im Hinblick auf die beantragte vorzeitige Versetzung in den Ruhestand durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung stellte Medizinaldirektor Dr. ... von dem Gesundheitsamt des Landkreises ... u.a. einen starken alkoholischen Mundgeruch fest und diagnostizierte einen alkoholtoxischen Leberschaden nebst Kreislauffunktionsstörungen sowie den Verdacht auf Alkoholabhängigkeit. Gegenüber dem Amtsarzt erklärte der Ruhestandsbeamte, daß er etwa 4 bis 5 Flaschen Bier pro Tag trinke und daß er am Tage zuvor 3 Gläser Bier und 2 Schnäpse, am Morgen vor der Untersuchung aber keinen Alkohol getrunken habe. Ferner wies der Ruhestandsbeamte darauf hin, daß er nicht alkoholabhängig sei, auf Alkohol verzichten könne, wenn der Arzt ihm eine Karenz verordne, und eine Alkoholentziehungskur auf keinen Fall durchführen wolle.

47

Am 20. Juli 1982 erschien der Ruhestandsbeamte gegen 15.30 Uhr im Ordnungsamt der Samtgemeinde ... bei den Verwaltungsangestellten ... und .... Er lallte nur unverständlich und wirkte stark angetrunken. Die Verwaltungsangestellte hatte am 27. Juli 1982 den Eindruck, daß der Ruhestandsbeamte wieder unter Alkoholeinfluß stand, weil er nur noch zusammenhanglos redete. Am 28. Juli 1982 rief Samtgemeindedirektor den Ruhestandsbeamten um 11.35 Uhr an und bat ihn, zu einer Rücksprache in sein Dienstzimmer zu kommen. Der Ruhestandsbeamte lallte am Telefon kaum vernehmbar: "Ich komme gleich.", erschien aber nicht. Daraufhin begaben sich Samtgemeindedirektor sowie die Verwaltungsangestellten ... und ... in ihrer Funktion als Personalratsmitglieder um 11.50 Uhr in das Dienstzimmer des Ruhestandsbeamten, der teilnahmslos an seinem Schreibtisch saß und unter Alkoholeinfluß stand. Auf die Frage, warum er zu der Rücksprache nicht erschienen sei, gab er keine Antwort und sah Samtgemeindedirektor ... nur teilnahmslos an, der ihm die Vorfälle der letzten Tage und darüber hinaus vorhielt, daß er in den letzten Wochen und Monaten keine Arbeitsleistung mehr erbracht habe. Samtgemeindedirektor ... machte den Ruhestandsbeamten darauf aufmerksam, daß er sich krank schreiben lassen und ein ärztliches Attest über seine Dienstfähigkeit vorlegen müsse, wenn er sich krank fühle und nicht arbeitsfähig sei. Der Ruhestandsbeamte nahm zu den Vorhaltungen nicht Stellung, sondern lallte lediglich kaum vernehmbar, daß er dem Samtgemeindedirektor kein Attest vorzulegen brauche und nicht wisse, was dieser von ihm wolle. Der Ruhestandsbeamte unternahm dann den Versuch zu telefonieren, war aber nicht in der Lage, den Apparat zu bedienen. Samtgemeindedirektor ... erklärte daraufhin, er könne es gegenüber den Bediensteten und der Bevölkerung nicht mehr verantworten, daß ein Beamter des gehobenen Dienstes ein derartiges Verhalten an den Tag lege. Nachdem Samtgemeindedirektor ... die Einleitung weiterer Schritte gegen den Ruhestandsbeamten angedroht und auf ein mögliches Verbot der Amtsführung hingewiesen hatte, stand der Ruhestandsbeamte gegen 12.00 Uhr auf, verließ sein Dienstzimmer und nach einem vergeblichen Versuch, dieses abzuschließen, auch das Rathaus. Anschließend befuhr er um 12.05 Uhr mit seinem PKW die Hauptstraße in .... Eine ihm entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 3,47 %o.

48

Aufgrund des mit Verfügung vom 2. August 1982 ausgesprochenen Verbots zur Führung der Dienstgeschäfte räumte der Ruhestandsbeamte am 24. August 1982 in Anwesenheit der Personalratsvorsitzenden ... und des Verwaltungsangestellten ... seinen Schreibtisch, in dem u.a. 7 leere "Flachmänner" und eine leere Bierdose aufgefunden wurden.

49

Am 3. September 1982 unterzog sich der Ruhestandsbeamte der zur Feststellung seiner Dienstfähigkeit erforderlichen Zusatzbegutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. .... Bei dieser Untersuchung gab er u.a. an: Er habe sich seit 5 bis 6 Jahren durch seine Tätigkeit im Amt und die zusätzliche Protokollführung bei abendlichen Sitzungen erheblich überlastet gefühlt und habe, um sich zu beruhigen, sehr viel Alkohol getrunken. Er habe täglich 16 Stunden arbeiten müssen. Jetzt fühle er sich nicht mehr imstande, seine Tätigkeit auszuführen. Er wolle ausspannen und habe selbst den Antrag gestellt, aus dem Dienst auszuscheiden. Er habe wegen seiner Trunksucht schon den sozialpsychiatrischen Dienst aufgesucht, und ihm sei auch klar, was er angerichtet habe. Er habe aber noch nicht aufgehört zu trinken. Der letzte Arbeitstag sei der 28. oder 29. Juli gewesen. Danach sei er 3 1/2 Wochen im Krankenhaus gewesen. Man habe dort festgestellt, daß der Blutgerinnungswert abgesackt sei und er auch nur die Hälfte des Blutplasmas und die Hälfte der Blutkörperchen habe. Seit einer Woche sei er wieder zu Hause. Er habe auch jetzt weitergetrunken, allerdings nur noch 2 Flaschen Bier pro Tag. Er wolle auch den Bierkonsum lassen, fühle sich dazu aber nicht imstande. Er sei nicht bereit, in eine stationäre Entziehungskur zu gehen. Man könne ihn dazu auch nicht zwingen. Er wisse um seine Suchtkrankheit und wolle jetzt alles unternehmen, um davon loszukommen. Er wolle sich gütlich von seinem Arbeitgeber trennen, um zur Ruhe zu kommen und sich zu erholen. Er wolle 2, 3 oder vielleicht auch 5 Jahre ausscheiden und pausieren.

50

Aufgrund der Untersuchung des Ruhestandsbeamten kam Facharzt Dr. ... in seinem Gutachten vom 23. September 1982 zu folgender zusammenfassender Beurteilung:

"Bei Herrn ..., der als Leiter des Hauptamtes in der Samtgemeinde ... tätig ist, ist seit Jahren ein erheblicher Alkoholmißbrauch bekannt, der von ihm auch zugegeben wird.

Die Untersuchung ergibt jetzt nach wie vor das Bild eines Alkoholabhängigen, der unkritisch und in keiner Weise adäquat zur Trunksucht Stellung bezieht und auch nicht bereit ist, sich entsprechenden therapeutischen Maßnahmen zu unterziehen, sondern wegen seiner Trunksucht und der dadurch gegebenen von ihm subjektiv wahrgenommenen Erschöpfung bereit ist, den Arbeitsplatz aufzugeben und in die Pension zu gehen.

Von medizinischer Seite muß dieses unterstützt werden, da einerseits nach wie vor eine Alkoholsuchtkrankheit ohne Kritik für die Gefährdung gegeben ist und zum anderen sich auch schon Zeichen eines hirnorganischen Abbaubildes abzeichnen, was besonders im Hamburg-Wechsler-Intelligenztest deutlich wird. Ohne Alkohol könnte Herr F. ohne weiteres als Leiter des Hauptamtes tätig bleiben, doch fehlen ihm die Kritik und die Mitarbeit, von der Sucht zu lassen. Da bisher Hinweise auf ein umweltgefährdendes Fehlverhalten durch die Suchtkrankheit nicht gegeben sind, sind Zwangsmaßnahmen entsprechend der Möglichkeiten, die im Psych.-KG niedergelegt sind, nicht durchführbar. Aufgrund des jetzigen Befundes muß Herr F. als dauernd beamtendienstuntauglich angesehen werden, auch wenn er sich bewußt, vielleicht auch gezielt in den Zustand versetzt hat, der zur Beamtendienstuntauglichkeit führte."

51

Dieser Beurteilung schloß sich Medizinaldirektor Dr. ... unter dem 4. Oktober 1982 an und stellte die Dienstunfähigkeit des Beamten fest. Mit Ablauf des 31. Januar 1983 trat der Ruhestandsbeamte in den vorzeitigen Ruhestand.

52

Der vorstehend festgestellte Sachverhalt folgt zur Überzeugung der Disziplinarkammer aus den glaubhaften Aussagen der im Untersuchungsverfahren vernommenen Zeugen ... und ... sowie aus den vorliegenden, in die Hauptverhandlung eingeführten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen. Der Ruhestandsbeamte hat den dargestellten Geschehensablauf zu keiner Zeit in Zweifel gezogen. Die für die disziplinarrechtliche Würdigung zugrunde zu legenden Tatsachen hat er weder im disziplinarrechtlichen Untersuchungsverfahren noch in seinen schriftlichen und mündlichen Einlassungen gegenüber der erkennenden Kammer bestritten.

53

V.

Der Ruhestandsbeamte hat ein Dienstvergehen im Sinne des § 85 Abs. 1 NBG begangen, indem er schuldhaft die ihm innerhalb und außerhalb des Dienstes obliegenden Pflichten verletzte.

54

Gemäß § 62 Satz 1 NBG hat ein Beamter sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. Dies bedeutet u.a., daß er die Pflicht hat, sich gesund und leistungsfähig zu erhalten (sog. Gesunderhaltungspflicht), d.h., daß er zur Erfüllung seiner Pflichten seinem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat und es ihm obliegt, diese Arbeitskraft im Interesse des Dienstherrn nicht treuwidrig zu beeinträchtigen und/oder - falls eine solche Beeinträchtigung bereits eingetreten ist - seine Dienstfähigkeit mit allen ihm zumutbaren Mitteln wiederherzustellen.

55

Diese Gesunderhaltungspflicht hat der Ruhestandsbeamte verletzt, indem er während seiner aktiven Dienstzeit durch einen erheblichen Alkoholmißbrauch seine dauernde Dienstunfähigkeit im Sinne des § 54 Abs. 1 NBG herbeigeführt hat, so daß wegen der gegebenen Alkoholsuchtkrankheit mit Zeichen eines hirnorganischen Abbaubildes sowie wegen eines alkoholtoxischen Leberschadens seine Versetzung in den Ruhestand nach § 55 Abs. 1 NBG erfolgen mußte. Disziplinarrechtlich relevant ist in diesem Zusammenhang insbesondere, daß der Ruhestandsbeamte zu keiner Zeit bereit gewesen ist, sich einer ihm ohne weiteres zumutbaren therapeutischen Maßnahme (z.B. einer Entziehungskur) zu unterziehen, um von seiner Alkoholabhängigkeit befreit zu werden und damit seine Dienstfähigkeit wiederherzustellen.

56

Dieser von dem Ruhestandsbeamten objektiv begangene Verstoß gegen seine Gesunderhaltungspflicht ist ihm auch subjektiv vorwerfbar. Er hat seine durch fortgesetzten Alkoholmißbrauch herbeigeführte Dienstunfähigkeit zumindest grob fahrlässig - wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich - und damit schuldhaft herbeigeführt. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... hat für die erkennende Kammer als Zeuge vor dem Untersuchungsführer nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, daß bei dem Ruhestandsbeamten weder eine Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 Strafgesetzbuch (StGB) noch eine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB bestanden habe und daß auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, daß seine Kritik- und Urteilsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei (vgl. Vernehmungsniederschrift vom 25. Januar 1990, Bl. 63 Beiakte D). Darüber hinaus belegen die zahlreichen Hinweise und Belehrungen durch seinen Dienstherrn - insbesondere Samtgemeindedirektor ...-, das Eingeständnis des Ruhestandsbeamten, daß bei ihm seit Jahren ein erheblicher Alkoholmißbrauch bestanden habe, und seine Äußerung, ihm sei klargewesen, was er angerichtet habe, daß dem Ruhestandsbeamten unzweifelhaft seine Pflicht, den Alkoholmißbrauch zu überwinden und damit seine Gesundheit wiederherzustellen, ebenso wie die - auch disziplinarrechtlichen - Folgen einer Fortsetzung seines bisherigen Verhaltens bewußt gewesen sind, er diese Folgen aber in Kauf genommen hat, weil er offensichtlich jedes Interesse an einer weiteren Tätigkeit für seinen Dienstherrn verloren hatte und von daher auch nicht ansatzweise bereit war, an der Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit mitzuarbeiten. In seinem Fall ist mithin nicht nur in hohem Maße ein Verschulden gegen sich selbst, sondern auch gegenüber seinem Dienstherrn festzustellen.

57

VI.

Der von der erkennenden Kammer festgestellte Sachverhalt und die daran anknüpfende disziplinarrechtliche Bewertung erfordern hier die Verhängung der für Ruhestandsbeamte vorgesehenen disziplinaren Höchstmaßnahme (vgl. § 5 Abs. 2 NDO).

58

Das Dienstvergehen des Ruhestandsbeamten wiegt außerordentlich schwer, weil er durch einen fortgesetzten Alkoholmißbrauch bewußt und gewollt seine Dienstunfähigkeit mit der unausweichlichen Folge einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand herbeigeführt hat. Aufgrund dieses in hohem Maße treuwidrigen Verhaltens ist der jetzige Ruhestandsbeamte für seinen Dienstherrn untragbar und müßte, wenn er nicht in den Ruhestand getreten wäre, aus dem Dienst entfernt werden. Damit liegt die Voraussetzung für eine Aberkennung des Ruhegehalts nach § 12 Abs. 2 Satz 1 NDO vor. Gründe, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, im Falle des Ruhestandsbeamten dennoch von der Verhängung dieser Höchstmaßnahme abzusehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

59

Von der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 76 NDO sieht die Disziplinarkammer ab.

60

Erkennt ein Disziplinargericht auf Entfernung aus dem Dienst oder auf Aberkennung des Ruhegehaltes, so kann dem Verurteilten gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 NDO ein Unterhaltsbeitrag auf bestimmte Zeit bewilligt werden, wenn der Verurteilte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedarf und ihrer nicht unwürdig erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, weil der Ruhestandsbeamte nach seiner wirtschaftlichen Lage eines Unterhaltsbeitrages nicht bedarf:

61

Nach der (rechtskräftigen) Aberkennung des Ruhegehaltes ist der Ruhestandsbeamte für die bisherige Dienstzeit von seinem Dienstherrn nachzuversichern und erhält im Falle der Arbeitsunfähigkeit, die angesichts der Angaben des Ruhestandsbeamten in der Hauptverhandlung bereits heute gegeben sein dürfte, eine Rente. Ferner hat der Ruhestandsbeamte zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgeführt, daß seine Ehefrau als Grund- und Hauptschullehrerin derzeit ein Einkommen von ca. 4.400,00 DM (netto) monatlich erzielt. Hinzu kommt, daß aufgrund der gerichtlichen Entscheidungen im Verfahren 9 A 16/90 die im August 1989 angeordnete Einbehaltung eines Drittels seines Ruhegehaltes aufgehoben wurde und der Ruhestandsbeamte - falls es nicht zu einer erneuten Kürzungsanordnung kommen sollte - bis zu dem rechtskräftigen Abschluß dieses Disziplinarverfahrens seine ungekürzten Ruhestandsbezüge (z.Zt. ca. 2.600,00 DM netto monatlich) erhalten wird. Darüber hinaus sind ihm die ab 1. September 1989 einbehaltenen Bezüge für über 24 Monate nachzuzahlen, so daß es für den Ruhestandsbeamten ohne weiteres möglich und zumutbar ist, für den Fall, daß die Aberkennung des Ruhegehaltes rechtskräftig wird, finanzielle Rücklagen zu bilden. Angesichts dieser wirtschaftlichen Verhältnisse des Ruhestandsbeamten bedarf es - auch unter Berücksichtigung, daß noch Unterhaltsansprüche seiner nicht berufstätigen Töchter bestehen - eines Unterhaltsbeitrages zur Abwendung einer wirtschaftlichen Notlage nach Wegfall des Ruhegehaltes nicht.

62

Die Kostenentscheidung folgt aus § 113 Abs. 1 NDO. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben (§ 111 Abs. 1 NDO).