Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 23.05.2007, Az.: 3 B 609/07

Sicherung der Beteiligungsrechte einer Gleichstellungsbeauftragten der Bundesagentur für Arbeit; Funktion einer Gleichstellungsbeauftragten auf einer höheren Ebene; Rechtmäßigkeit einer Organisationsentscheidung zur Optimierung der internen Verwaltung; Beeinträchtigung der Rechte einer Gleichstellungsbeauftragten durch die Verkürzung der Amtszeit

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
23.05.2007
Aktenzeichen
3 B 609/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 32519
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2007:0523.3B609.07.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 09.11.2007 - AZ: 5 ME 222/07

Verfahrensgegenstand

Beteiligungsrecht

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Stade - 3. Kammer -
am 23. Mai 2007
beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Einspruch der Antragstellerin vom 04.12.2006 gegen die Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit vom 30.11.2006 (F.) aufschiebende Wirkung hat, soweit hierdurch der Tätigkeitsbereich einer Gleichstellungsbeauftragten bei der Agentur für Arbeit G. betroffen ist.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens werden geteilt.

Der Streitwert wird auf 2.500,- Eurofestgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Sicherung ihrer Beteiligungsrechte.

2

Die Antragstellerin ist Gleichstellungsbeauftragte bei der Agentur für Arbeit in H.. Sie wurde in dieses Amt im März 2004 gewählt. Ihre Amtszeit endet am 28.03.2008.

3

Mit der als Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung bezeichneten Organisationsentscheidung vom 30.11.2006 legte die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg die Grundsätze für eine "Optimierung der internen Verwaltung" fest. Im Kern beinhaltet diese Entscheidung eine Verlagerung von Aufgaben der internen Verwaltung weg von den einzelnen Agenturen und die Zusammenfassung dieser Aufgaben bei einzelnen, in Anlage 1 der Handlungsempfehlung genannten Agenturen für bis zu sechs Einzelagenturen. Gleichzeitig und parallel dazu wird die Funktion der Gleichstellungsbeauftragten, bisher bei jeder Einzelagentur eingerichtet, in diejenige Agentur verlagert, die auch die übrigen Aufgaben der internen Verwaltung wahrnimmt. Das führt dazu, dass eine Gleichstellungsbeauftragte in I. zukünftig nicht mehr tätig sein wird. Für die Bereiche der Einzelagenturen J., K., L., M. und N. soll eine Gleichstellungsbeauftragte in Bremen tätig sein. Die Handlungsempfehlung soll zum 01.01.2008 umgesetzt werden. Bei ihrer Erarbeitung hat die Gleichstellungsbeauftragte der Zentrale der Antragsgegnerin in Nürnberg mitgewirkt.

4

Gegen diese Organisationsentscheidung legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 04.12.2006 Einspruch ein, den sie damit begründete, dass die Rechte der Gleichstellungsbeauftragten durch die Verkürzung der Amtszeit einerseits und das fehlende Mitwirkungsverfahren andererseits beeinträchtigt seien. Diesen Einspruch wies die Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit unter dem 28.02.2007 zurück. Zusätzliche Einigungsgespräche zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin fanden u.a. am 12.03.2007 ohne Ergebnis statt. Per E-Mail teilte der Geschäftsführer der Agentur O. der Antragstellerin unter dem 26.03.2007 das Scheitern des Einigungsversuchs mit; unter Bezugnahme hierauf gab die Antragstellerin ihrerseits unter dem 10.04.2007 eine entsprechende Erklärung ab.

5

Mit dem am 26.04.2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin Klage erhoben (3 A 608/07) und begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Sie ist der Auffassung, dass ein Teilverfahren im Sinne des § 17 Abs. 2 BGleiG vorliege; dem hiernach erforderlichen Beteiligungsverfahren sei die Gegenseite bei der Erstellung der Handlungsempfehlung vom 30.11.2006 nicht gerecht geworden.

6

Dem tritt die Antragsgegnerin entgegen. Sie meint, dass die erfolgte Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten bei der Zentrale für eine Organisationsentscheidung, die bundesweit für alle Dienststellen gelte, ausreichend sei; ein Teilverfahren liege damit nicht vor. Im Übrigen würde die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage des § 123 VwGO unzulässigerweise die Hauptsache vorwegnehmen.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

8

II.

Der Antrag hat lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

9

Auszugehen ist davon, dass der Antrag der Antragstellerin, offensichtlich in Anlehnung an personalvertretungsrechtliche Erwägungen formuliert, dahingehend auszulegen ist ( vgl. zur Auslegung eines Antrages im einstweiligen Rechtsschutzverfahren OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.06.2006, 2 ME 436/05 ), dass die Antragstellerin die vorläufige Nichtumsetzung der Organisationsentscheidung der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit anstrebt, solange die nach ihrer Auffassung erforderliche Mitwirkung der örtlichen Gleichstellungsbeauftragten nicht durchgeführt worden ist. Dieses Rechtsziel ist hier jedoch in entsprechender Anwendung der §§ 80 ff VwGO, nicht jedoch durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu erreichen.

10

Die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten einer Gleichstellungsbeauftragten für die Beschäftigten der unmittelbaren und mittelbaren Bundesverwaltung ( vgl. § 3 Abs. 1 Bundesgleichstellungsgesetz - BGleiG - ) ergeben sich aus den §§ 21 und 22 dieses Gesetzes. Nach § 21 Abs. 1 S. 1 BGleiG hat die Gleichstellungsbeauftragte bei Verstößen der Dienststelle gegen die Bestimmungen des Gesetzes ein Einspruchsrecht. Diesen Einspruch hat die Antragstellerin fristgerecht ( § 21 Abs. 1 S. 2 BGleiG ) bei ihrer Dienststelle erhoben. Dass sich der Einspruch gegen eine Organisationsentscheidung der Zentrale und nicht der eigenen Dienststelle richtet, bleibt in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, denn Ansprechpartner der Antragstellerin ist die - "eigene" - Dienststelle, für die die Antragstellerin in ihr Amt berufen worden ist, §§ 16 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 2 BGleiG.

11

Dieser Einspruch der Antragstellerin hat aufschiebende Wirkung, § 21 Abs. 1 S. 3 BGleiG. Damit hat die Antragstellerin ihr Rechtsziel bereits erreicht, ohne dass den Beteiligten dies bewusst ist. Von der Möglichkeit der Anordnung des Sofortvollzuges - § 21 Abs. 1 S. 4 BGleiG verweist auf die §§ 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO - ist vorliegend durch die Bundesagentur kein Gebrauch gemacht worden. Das hat zur Folge, dass die Maßnahme nicht umgesetzt werden kann, denn die aufschiebende Wirkung hält an, wie sich aus der entsprechenden Anwendung des § 80b VwGO - die angegriffenen Organisationsentscheidung ist kein Verwaltungsakt - ergibt. Insbesondere ist die Handlungsempfehlung nicht "unanfechtbar", denn unter Beachtung der besonderen Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 BGleiG hat die Antragstellerin dagegen Klage erhoben.

12

Unter diesen Umständen bedarf es der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs der Antragstellerin nicht; weil die Beteiligten von der Vollziehbarkeit der angegriffenen Maßnahme ausgehen, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs festzustellen, ohne dass insoweit eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich ist ( vgl. hierzu Kopp, VwGO-Kommentar, 14. Aufl. § 80 RdNr. 181 ). Dabei war diese Feststellung auf den Zuständigkeitsbereich der Tätigkeit der Antragstellerin zu begrenzen.

13

Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen für die besondere Anordnung der sofortigen Vollziehung, die nachgeholt werden kann, hier vorliegen, sieht die Kammer auch zur Vermeidung eines weiteren Verfahrens um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Veranlassung, ergänzend auf folgendes hinzuweisen:

14

Die Auffassung der Antragstellerin, nach der sie bei Erstellung der angegriffenen Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung zu beteiligen ist, erweist sich als zutreffend. Soweit die Antragsgegnerin davon ausgeht, die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten bei der Zentrale der Bundesagentur sei ausreichend, beruht dies auf einem verfehlten Verständnis der Funktion der Gleichstellungsbeauftragten in einer verwaltungsmäßig höheren Ebene.

15

Die Funktion der Gleichstellungsbeauftragten auf einer höheren, nämlich der mittleren (hier die Regionaldirektionen) oder der obersten Ebene (Zentrale der Bundesagentur in Nürnberg), ist eine andere als die der Stufenvertretung im Bereich des Personalvertretungsrechts, wie sich aus dem Fehlen einer dem § 82 Abs. 1 BPersVG entsprechenden Vorschrift ergibt. Vielmehr hat im Bereich des Gleichstellungsrechts die "höhere" Gleichstellungsbeauftragte eine Koordinierungsaufgabe. Dies ergibt sich auch aus der Begründung des Gesetzes ( vgl. i. E. BT-Drucksache 14/5679, S. 28 ), wenn es dort zu § 17 Abs. 1 BGleiG heißt:

"Die Vorschrift schafft eine gesetzliche Grundlage für den erforderlichen Meinungs- und Informationsaustausch sowie die Vernetzung der Gleichstellungsbeauftragten des Geschäftsbereichs einer Dienststelle."

16

Weiter wird dort ausgeführt:

"Die Gleichstellungsbeauftragte der obersten Bundesbehörde ist - gegebenenfalls durch entsprechende Erlasse - zuständig für die Gesamtkoordinierung."

17

Damit - von einem Tätigwerden der Gleichstellungsbeauftragten der Zentrale im Zusammenhang mit Fragen, die den Anwendungsbereich des BGleiG bundesweit betreffen können, ist auch an anderer Stelle nicht die Rede - ist allein deren Beteiligung bei Erlass der angegriffenen Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung nicht ausreichend. Vielmehr hat eine schriftliche Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten der unteren Ebenen zu erfolgen, wie sich vor diesem Hintergrund aus § 17 Abs. 2 BGleiG eindeutig ergibt.

18

Dies ist auch inhaltlich sinnvoll, denn - ungeachtet des Inhalts der Aufgabenstellung der "höheren" Gleichstellungsbeauftragten - über die materielle Frage, die sich vorliegend stellt, ob nämlich bei Verlagerung der unteren Gleichstellungsbeauftragten weg von jeder Agentur hin zu einer ( IT-Service-) Agentur mit einer Zuständigkeit für bis zu 6 Einzelagenturen "sichergestellt ist, dass die weiblichen Beschäftigten aller Dienststellen angemessen ... vertreten werden" ( § 16 I 3 BGleiG ), wird aufgrund der Sach- und Ortsnähe am besten die örtliche Gleichstellungsbeauftragte Stellung nehmen können.

19

Inhaltlich entspricht diese Sichtweise auch der Entscheidung des VG Köln vom 12.10.2006 (AZ: 15 K 326/05), soweit dort unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung die bewusst weite Fassung der in § 20 Abs. 1 S. 3 BGleiG festgelegten Mitwirkungsrechte zur Auslegung des Umfangs des § 17 Abs. 2 BGleiG herangezogen wird.

20

Demgegenüber hängt die Beantwortung der Frage, ob durch die Verkürzung der Amtszeit Rechte der Gleichstellungsbeauftragten ( im abstrakten Sinne ) verletzt werden, von weiteren tatsächlichen Umständen ab. Auszugehen ist davon, dass die Gleichstellungsbeauftragte "grundsätzlich" ( § 16 Abs. 2 S. 1 BGleiG ) für vier Jahre bestellt wird. Wenn der Wortlaut des Gesetzes danach Modifikationen der Amtszeit zulässt, spricht Überwiegendes dafür, derartiges auch nach der Bestellung aufgrund einer Organisationsentscheidung für möglich zu halten, wenn sichergestellt ist, dass dem Zweck des Gesetzes entsprochen wird und "die weiblichen Beschäftigten aller Dienststellen angemessen durch eine Gleichstellungsbeauftragte vertreten werden" ( so § 16 Abs. 1 S. 3 BGleiG ). Ob nach Bestellung einer Vertrauensfrau ( § 16 Abs. 3 S. 3 BGleiG ) und etwaiger Übertragung von Aufgaben zur eigenständigen Erledigung auf diese ( § 16 Abs. 3 S. 5 BGleiG ) aus inhaltlichen Gründen Zweifel an einer angemessenen Vertretung der weiblichen Beschäftigten bestehen können, war im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu klären.

21

Soweit die Antragstellerin darüber hinaus bereits jetzt die Beteiligung an der weiteren Erstellung der angegriffenen Organisationsentscheidung begehrt, fehlt ihrem Antrag das Rechtsschutzinteresse, weil nach Klarstellung durch die obigen Ausführungen nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin die gebotene Mitwirkung der Antragstellerin verweigert, so dass der vorliegende Antrag insoweit abzulehnen war.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, wobei klarzustellen ist, dass die Dienststelle auch die der Gleichstellungsbeauftragten entstehenden Kosten zu tragen hat ( § 23 Abs. 4 BGleiG ), weil Anhaltspunkte dafür, dass das vorliegende Verfahren "mutwillig oder aus haltlosen Gründen" in Gang gesetzt worden wäre ( so unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG zu § 44 BPersVG die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/5679, S. 33 ), nicht bestehen.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 2.500,- Eurofestgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt auf der Grundlage der §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG, wobei der Regelstreitwert für das vorliegende Verfahren um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren war.

M. Schulz
Fahs
Dr. Luth