Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.11.1986, Az.: 2 Ws 208/86
Strafanzeige gegen einen Notar wegen versuchten Prozessbetrugs; Klageerzwingungsverfahren; Amtspflichtverletzung eines Notars; Aufklärung über die Bedeutung einer Vorrangeinräumung ; Antrag auf gerichtliche Entscheidung; Anforderungen an einen Grundstücksübertragungsvertrag; Einräumung eines Nießbrauchsrechts an einem Teil des auf dem Grundstück stehenden und noch weiter auszubauenden Wohngebäudes; Eintragung einer Grundschuld als dingliche Absicherung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.11.1986
- Aktenzeichen
- 2 Ws 208/86
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1986, 14828
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1986:1113.2WS208.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AZ: Zs 972/86
Rechtsgrundlagen
- 19 Abs. 1 S. 1 BNotO
- § 17 Abs. 1 BeurkG
- § 172 Abs. 2 StPO
Fundstelle
- MDR 1987, 518 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Versuchter Prozessbetrug
Prozessgegner
Rechtsanwalt und Notar ...
Sonstige Beteiligte
... vertreten durch Rechtsanwalt ....
Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
hat auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegenüber dem Bescheid des Generalstaatsanwalts in ... vom 22. August 1986
nach dessen Anhörung am 13. November 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin verworfen.
Gründe
I.
Der Beschuldigte beurkundete als Notar unter Nr. 378 der Urkundenrolle für 1982 am 8.12.1982 einen Grundstücksübertragungsvertrag zwischen der Antragstellerin und ihrem Sohn, dem Zeugen .... Vorangegangen war ein Erörterungstermin am 29.11.1982. Der Zeuge räumte seiner Mutter ein Nießbrauchsrecht an einem Teil des auf dem Grundstück stehenden und noch weiter auszubauenden Wohngebäudes ein. Die dingliche Absicherung erfolgte in der Form, daß die Antragstellerin der Eintragung einer Grundschuld über 150.000 DM nebst 18 % Zinsen den Vorrang einräumte. 1984 geriet der Zeuge ... in Vermögensverfall und stellte die Zins- und Tilgungszahlungen für das Grundschulddarlehen ein. Das gesicherte Geldinstitut betreibt die Zwangsversteigerung, wobei zu erwarten ist, daß der nachrangige Nießbrauch erlöschen wird. Im Zivilrechtsweg nimmt die Antragstellerin nunmehr den Beschuldigten wegen Amtspflichtverletzung gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. § 17 Abs. 1 BeurkG in Anspruch, weil er sie u.a. nicht über die Gefahren der Einräumung des Vorranges der Grundschuld vor dem Nießbrauch belehrt habe. Der Beschuldigte hat im Verfahren erster Instanz vortragen lassen, die Antragstellerin sei eingehend über die Vorrangeinräumung aufgeklärt worden und auch von einer theoretischen Zwangsversteigerung sei die Rede gewesen. Aufgrund dieses, ihrer Ansicht nach wissentlich falschen Vortrages hat die Antragstellerin bei der Staatsanwaltschaft ... Strafanzeige wegen versuchten Prozeßbetruges gegen den Beschuldigten erstattet. Nach eingehender Vernehmung des Zeugen ... hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat der Generalstaatsanwalt in ... als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1.
Der Antrag ist entgegen der Ansicht des Generalstaatsanwalts zulässig.
a)
Der von einem Rechtsanwalt gefertigte und unterzeichnete Schriftsatz entspricht den Erfordernissen, die nach der neueren Rechtsprechung des Senats an die Zulässigkeit eines Antrages gemäß § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO zu stellen sind. Danach reicht es aus, wenn die Tatsachen mitgeteilt werden, nach denen genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage bestehen soll, sofern die Beweismittel angegeben werden (Senatsbeschluß vom 10.10.1986 - 2 Ws 209/86 -, hiervon abweichend Beschluß vom 2.3.1982 - 2 Ws 19/82 -). Daß die Antragstellerin den Inhalt des Einstellungsbescheides der Staatsanwaltschaft nicht mitteilt, steht der Zulässigkeit des Antrages nicht entgegen, denn in aller Regel ist dies ebensowenig erforderlich wie die Mitteilung des Inhalts der Beschwerdeentscheidung des Generalstaatsanwaltes sowie die Auseinandersetzung mit beiden (so auch Eb. Schmidt, Lehrkomm, zur StPO, § 172 Rdnr. 14 und Nachtragsband § 172 Rdnr. 8; KMR-Müller, StPO, 7. Aufl. § 172 Rdnr. 52; Roxin, Strafverfahrensrecht, 19. Aufl. S. 239; Peters, Strafverfahrensrecht, 4. Aufl. S. 536; Schulz-Arenstorff NJW 1978, 1302; Rieß NStZ 1986, 433 unter Hinweis auf Löwe-Rosenberg-Rieß, StPO und GVG, 24. Aufl. - 1987 -, § 172 Rdnr. 143 ff; Kleinknecht/Meyer, StPO, § 172 Rdnr. 28 bis zur 35. Aufl.). Der Senat hält nach erneuter Überprüfung an dieser Rechtsprechung fest.
Er folgt nicht der überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung, nach der neben der Sachverhaltsschilderung und der Angabe der Beweismittel der Antrag regelmäßig auch eine Darstellung des Verlaufs des Ermittlungsverfahrens, des Inhalts der angefochtenen Bescheide und der Gründe des Antragstellers für die behauptete Fehlerhaftigkeit der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeentscheidung des Generalstaatsanwalts enthalten muß (OLG Celle, 1. Senat, Beschluß vom 24.9.1986 - 1 Ws 320/86; OLG Düsseldorf NJW 1981, 934 [OLG Düsseldorf 23.09.1980 - 1 Ws 341/80]; OLG München MDR 1980, 250 [OLG München 13.11.1979 - 2 Ws 706/79]; OLG Koblenz NJW 1977, 1461 [OLG Koblenz 02.06.1977 - 1 Ws 123/77]; KG JR 1983, 345; Löwe-Rosenberg-Meyer-Goßner, StPO und GVG, 23. Aufl. § 172 Rdnr. 92; KK-Müller, StPO, § 172 Rdnr. 38; Kleinknecht/Meyer, StPO, 37. Aufl., § 172 Rdnr. 27). Die in diesem Zusammenhang wiederholt angeführte Entscheidung des BVerfG (NJW 1979, 364) nimmt nicht zu der Auslegung des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO Stellung sondern nur zu deren verfassungsrechtlichen Grenzen.
b)
Der Wortlaut der Formvorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO fordert nur die Mitteilung der Tatsachen, die die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Angabe der Beweismittel, nicht die Mitteilung der staatsanwaltschaftlichen Bescheide und eine Auseinandersetzung mit ihnen. Er steht damit deutlich im Gegensatz zu den Vorschriften über die Revisionsbegründung, in der zum Ausdruck gebracht werden muß, daß das angefochtene Urteil mit Fehlern des materiellen oder des Prozeßrechts behaftet ist, die im letzteren Falle im einzelnen mit entsprechendem Tatsachenvortrag belegt werden müssen (§ 344 Abs. 2 StPO). - Die Zulässigkeitsvoraussetzung des Vortrags der angefochtenen Bescheide und der Auseinandersetzung mit ihnen läßt sich auch nicht aus der Erwägung herleiten, mit dem Antrag werde eine Amtspflichtverletzung der Staatsanwaltschaft geltend gemacht, was dementsprechend der näheren Darlegung bedürfe (KG NJW 1969, 108; OLG Celle, Beschlüsse vom 12.6.1985 - 1 Ws 99/85 - und vom 9.7.1985 - 1 Ws 180/85 -). Ziel des Verfahrens ist nicht die Feststellung von Amtspflichtverletzungen. Die Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaft obliegt nicht den Strafsenaten (§ 147 GVG). Ob ihr Amtspflichtverletzungen zur Last fallen, ist für die Entscheidung der Strafsenate unerheblich (Eb. Schmidt a.a.O.). Die Zulässigkeitsvoraussetzung des Vortrags der angefochtenen Bescheide und der Auseinandersetzung damit läßt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, das Klageerzwingungsverfahren diene der Verwirklichung des Legalitätsprinzips (vgl. OLG Koblenz, NJW 1977, 1462 [OLG Koblenz 02.06.1977 - 1 Ws 123/77]). Diese Umschreibung des Zwecks trifft sicherlich einen wesentlichen Teil, ist aber ungenau (Schulz-Arenstorff a.a.O.). Ziel des Verfahrens ist nicht die Feststellung, ob der Staatsanwaltschaft bei Erlaß der Bescheide ein Verstoß gegen diesen Grundsatz unterlaufen ist, sondern ob zur Zeit der Entscheidung des Strafsenats die Erhebung der Anklage gegen den Beschuldigten geboten ist.
Dieses Verfahrensziel ergibt sich aus dem vom Anzeigeerstatter zu stellenden Antrag und dem in § 175 StPO umschriebenen Ergebnis des erfolgreichen Klageerzwingungsverfahrens, der Anordnung der Erhebung der öffentlichen Klage. Es ist auch der Rechtskraftregelung des § 174 Abs. 2 StPO zu entnehmen, nach der durch die Entscheidung des Senats die bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Tatsachen und Beweismittel ausgeschlossen werden (KK-Müller, StPO, § 174 Rdnr. 6; Kleinknecht/Meyer, StPO, 37. Aufl. § 174 Rdnr. 6). Daraus folgt, daß die Anordnung der Anklageerhebung auch dann erfolgen kann, wenn die staatsanwaltlichen Bescheide sachgerecht waren und erst nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen oder Beweismittel sie rechtfertigen (Löwe-Rosenberg-Meyer-Goßner, StPO und GVG, 23. Aufl. § 172 Rdnr. 93).
Läßt sich danach das überwiegend aufgestellte Zulässigkeitserfordernis nicht aus dogmatischen Erwägungen herleiten, so verbleibt die Frage, ob pragmatische Erwägungen dieses Erfordernis so zwingend gebieten, daß eine über den Wortlaut des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO hinausgehende Auslegung unabweisbar ist. Dies läßt sich nicht mit der Notwendigkeit begründen, die Gerichte vor grundlosen und überflüssigen Anträgen zu schützen (Mittelbach DRiZ 1954, 259; H.W. Schmidt SchlHA 1959, 138; Rieß a.a.O.). Klageerzwingungsanträge sind von einem Rechtsanwalt zu unterzeichnen (§ 172 Abs. 3 Satz 2 StPO). Dieses Erfordernis stellt insbesondere in Verbindung mit der erforderlichen Darstellung der Tatsachen und Beweismittel eine fachkundige Überprüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht sicher, bevor der Antrag bei Gericht eingereicht wird. Auch in anderen Fällen wird eine solche Prüfung als ausreichend erachtet. Die Notwendigkeit der Mitteilung der staatsanwaltlichen Bescheide ergibt sich nicht aus einem sachgerechten Informationsbedürfnis des mit dem Antrag befaßten Strafsenats. Die Bescheide sind dem Senat auf Verlangen vorzulegen (§ 173 Abs. 1 StPO) und werden in der Praxis des erkennenden Senats diesem zusammen mit der eingeholten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsakten regelmäßig zugeleitet. Das Fehlen zwingender praktischer Erfordernisse wird durch das Verfahren auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für Klageerzwingungsanträge deutlich. Obwohl in diesen Verfahren weitgehend über die gleichen Fragen zu entscheiden ist wie in dem Klageerzwingungsverfahren, setzt dieser Antrag nur eine Kurzangabe des Sachverhalts und der wesentlichen Beweismittel voraus (§§ 172 Abs. 3 Satz 2 StPO, 117 Abs. 1 ZPO; vgl. Löwe-Rosenberg-Meyer-Goßner, 23. Aufl. § 172 Rdnr. 102 und 107; Kleinknecht/Meyer, 37. Aufl. § 172 Rdnr. 21).
2.
Der danach zulässige Antrag ist jedoch in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalstaatsanwalts nicht begründet. Die öffentliche Klage ist nur dann zu erheben, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß dem Beschuldigten die ihm zur Last gelegte Straftat in der gerichtlichen Hauptverhandlung nachgewiesen werden kann. An dieser Wahrscheinlichkeit fehlt es hier.
a)
Soweit der Beschuldigte im Zivilverfahren hat vortragen lassen, er habe die Antragstellerin eingehend über die Bedeutung der Vorrangeinräumung aufgeklärt, erweist sich sein Vortrag nicht als falsch. Hierüber ist zwar nicht bei der Beurkundung des Vertrages am 8.12.1982, sondern bereits anläßlich eines Vorgesprächs am 29.11.1982 gesprochen worden. Den nur insoweit unrichtigen Tatsachenvortrag hat der Beschuldigte jedoch noch im Verlaufe des Zivilverfahrens berichtigt. Seine Einlassung, bei jenen Erörterungen sei der Antragstellerin und ihrem Sohn die Bedeutung der Vorrangeinräumung auseinandergesetzt worden, wird durch die Angaben des Zeugen ... bei seiner eingehenden Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft bestätigt. Danach sind die seine Mutter und ihn interessierenden Fragen über die Vorrangeinräumung ausgiebig erörtert worden. Auch die Antragstellerin räumt mittlerweile in einer Erklärung vom 5.6.1986 ein, es sei seinerzeit ausführlich über den Nießbrauch und die Vorrangeinräumung gesprochen worden. Sie bestätigt darin ausdrücklich die Angaben ihres Sohnes bei seiner Einvernahme durch den Staatsanwalt.
Der Senat hat im Rahmen dieses Klageerzwingungsverfahrens nicht zu bewerten, ob die Belehrungen des Beschuldigten den Anforderungen des § 17 Abs. 1 BeurkG entsprechen. Diese Beurteilung obliegt allenfalls dem von der Antragstellerin angerufenen Zivilgericht im Rahmen ihrer Schadensersatzklage. Vorliegend geht es lediglich darum, ob der Beschuldigte in jenem Verfahren in Täuschungsabsicht wissentlich falsche Tatsachen vortragen lassen hat.
b)
Auch die weitere Tatsachenbehauptung des Beschuldigten, es sei seinerzeit von einer theoretischen Zwangsversteigerung die Rede gewesen, bietet keinen genügenden Anlaß für die Annahme, der Beschuldigte habe die Zivilkammer vorsätzlich täuschen wollen i.S. der §§ 263, 22 StGB. Selbst wenn hierüber nicht gesprochen worden sein sollte - Anlaß für diese Annahme könnte die Aussage des Zeugen ... geben -, so vermag dies keinen hinreichenden Tatverdacht zu begründen, weil dem Beschuldigten weder Vorsatz noch Täuschungsabsicht nachzuweisen sein wird. Zwischen Erörterungstermin und Klageerwiderung im Zivilprozeß liegen nahezu drei Jahre, in denen der Beschuldigte eine Vielzahl weiterer Beurkundungen unterschiedlichster Art vorgenommen hat. Es ist naheliegend, daß dadurch die Erinnerung nachläßt und Irrtümer bei der Rekonstruktion des Erörterungsgesprächs auftreten. Wegen der festgestellten eingehenden Belehrung konnte sich dem Beschuldigten der Gedanke aufdrängen, mit der Anzeigeerstatterin auch über die Auswirkungen einer Zwangsversteigerung gesprochen zu haben. Für einen solchen Rekonstruktionsfehler bei der Abfassung der Klageerwiderung spricht der Umstand, daß in ihr auf ein Telex des Zeugen ... hingewiesen wird, in dem u.a. der Fall einer Versteigerung behandelt wird.
3.
Da sich der Klageerzwingungsantrag als unbegegründet erweist, war er mit der Kostenfolge der §§ 174, 177 StPO zu verwerfen.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde zulässig (§ 304 Abs. 4 StPO).
Richter am Oberlandesgericht ...
Richter am Amtsgericht ...