Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 25.11.2002, Az.: 4 A 1250/01
ausbildungsgeprägter Bedarf; Auszubildender; Einrichtungsgegenstände; Genossenschaftsanteil; Hilfe zum Lebensunterhalt; Kosten der Unterkunft; Sozialhilfe; Wohnung; Wohnungsbeschaffungskosten
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 25.11.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 1250/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42101
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 26 BSHG
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von dem Beklagten im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt die Gewährung einmaliger Beihilfen.
Der am 27. September 1981 geborene Kläger lebt gemeinsam mit seiner am 2. Januar 1979 geborenen Ehefrau K., die er am 20. Juli 2001 geheiratet hat, sowie dem am 30. September 2001 geborenen Sohn D. S. in einer bei der Wohnstätte S. eG ab dem 1. August 2001 angemieteten Wohnung (Adresse: B. 34 in S.). Zuvor hatten der Kläger und seine Ehefrau, die sich im Zeitpunkt der Anmietung der Wohnung beide in einer Ausbildung im Friseurhandwerk befanden und Ausbildungsvergütung in Höhe von 508,-- DM (Kläger) bzw. 580,-- DM (Ehefrau) erhielten, bei den jeweiligen Eltern in S. bzw. B. gelebt.
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Eheschließung sowie Geburt des Kindes und des daher geplanten Bezuges einer gemeinsamen Wohnung beantragte der Kläger am 25. Juni 2001 bei der für den Beklagten handelnden Stadt S. zum einen die Übernahme der für die Anmietung der Wohnung B. 34 fälligen Genossenschaftsanteile in Höhe von 2.800,-- DM und zum anderen die Gewährung einmaliger Beihilfen für die Anschaffung verschiedener Einrichtungsgegenstände (E-Herd, Kühlschrank, Essecke, Waschmaschine, Auslegware, Lampen, Gardinen, Rollos, Schlafzimmereinrichtung, Fernseher, Radio, Kinderwagen mit entsprechender Ausstattung und Wickeltisch).
Diesen Antrag lehnte die Stadt S. durch Bescheid vom 29. Juni 2001 ab und begründete dies unter anderem wie folgt: Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen der §§ 60 bis 62 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig sei, hätten gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) keinen Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt, und zwar weder auf laufende noch auf einmalige Leistungen. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Hilfesuchende auch tatsächlich entsprechende Fördermaßnahmen nach dem SGB III erhalte. Die Tatsache, dass die beantragte Ausbildungsförderung noch nicht gezahlt werde, stelle daher keine besondere Härte im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG dar.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 7. Juli 2001 Widerspruch ein und wies zur Begründung unter anderem darauf hin, dass die Ablehnung der Hilfegewährung der Fürsorgepflicht des Staates für die Familie zuwiderliefe. Dem Antrag auf Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe werde durch das Arbeitsamt nur im Falle des Bezuges einer eigenen Wohnung stattgegeben. Die Anmietung könne aber aufgrund der bei ihm und seiner Ehefrau gegebenen finanziellen Situation aus eigenen Kräften nicht erfolgen. Auch sei eine Unterbringung bei seinem Vater bzw. bei seinen Schwiegereltern aufgrund der vorhandenen Räumlichkeiten bzw. der bevorstehenden Versetzung des Schwiegervaters nicht möglich.
Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 6. September 2001 im Wesentlichen - ausgenommen der geltend gemachte Bedarf für einen Kinderwagen, bei dem eine nochmalige Prüfung zu erfolgen habe - zurück und begründete dies wie folgt: Die Formulierung „dem Grunde nach förderungsfähig“ in § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG bedeute, dass die Ausbildung abstrakt, also unabhängig von persönlichen Ausschließungsgründen förderungsfähig sein müsse. Nach Auskunft des Arbeitsamtes S. sei die von dem Kläger und seiner Ehefrau durchgeführte Ausbildung grundsätzlich förderungsfähig nach den §§ 59 ff. SGB III, wobei sich der Bedarf im vorliegenden Fall nach § 65 SGB III bemesse. Dies habe zur Folge, dass ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG nicht bestehe. Nach der Zielsetzung des § 26 BSHG solle nämlich die Sozialhilfe keine versteckte Ausbildungsförderung auf „2. Ebene“ sein. Der grundsätzliche Ausschluss von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt beruhe darauf, dass Ausbildungsförderung durch Sozialleistungen, die die Kosten der Ausbildung und den Lebensunterhalt umfassten, außerhalb des BSHG sondergesetzlich durch das SGB III abschließend geregelt sei. Auch ein besonderer Härtefall im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG sei hier nicht gegeben. Die Folgen des Anspruchsausschlusses träfen den Kläger und seine Ehefrau nicht anders als jeden Auszubildenden in vergleichbarer Situation und seien deshalb von dem Gesetzgeber in Kauf genommen worden. Die Tatsache, dass ein Auszubildender eine Lebensgemeinschaft aufgebe, ausziehe und eine neue Unterkunft finden müsse, sei noch keine atypische und regelwidrige Situation, die besonders berücksichtigt werden müsse. Hinsichtlich der fälligen Genossenschaftsanteile sei noch anzumerken, dass nach Auskunft des Vermieters ein Betrag in Höhe von
1.400,-- DM bereits eingezahlt und für den verbleibenden Betrag von ebenfalls
1.400,-- DM Ratenzahlung vereinbart worden sei.
Der Kläger hat am 24. September 2001 Klage erhoben und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
Aufgrund der in seinem Fall gegebenen besonderen Sachlage liege ein besonderer Härtefall vor, insbesondere wegen der Schwangerschaft seiner Ehefrau. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hätten weder er noch seine Ehefrau Ausbildungsförderung erhalten, so dass in ihrem Fall die beantragte Sozialhilfe auch keine versteckte Ausbildungsförderung auf „2. Ebene“ sein könne. Ihm und seiner Ehefrau sei auch eine Ansparung der beantragten Beihilfen aus eigenen Mitteln aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse nicht möglich gewesen, zumal eine verzögerte Anmietung wegen der Ende September 2001 bevorstehende Niederkunft seiner Ehefrau nicht in Betracht gekommen sei. Schließlich seien die Genossenschaftsanteile in Höhe von 1.400,-- DM ihm von Angehörigen vorgestreckt worden, weil nach der Geburt seines Kindes und trotz bestehenden Mutterschutzes die Möglichkeit der Obdachlosigkeit bestanden habe. Maßgebend für seinen Antrag vom 25. Juni 2001 sei daher nicht ein ausbildungsgeprägter Bedarf gewesen, sondern dieser Antrag habe dazu beitragen sollen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Stadt S. vom 29. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 6. September 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt die an die Wohnstätte S. eG zu zahlenden Genossenschaftsanteile in Höhe von 2.800,-- DM zu übernehmen und ihm eine einmalige Beihilfe für die in seinem Antrag vom 25. Juni 2001 aufgeführten Einrichtungsgegenstände - mit Ausnahme eines Kinderwagens - zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zu seinen Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid weist er auf Folgendes hin:
Seit dem 19. September 2001 (wegen des Mutterschutzes) bzw. 30. September 2001 (Geburt des Sohnes) stünden die Ehefrau des Klägers und das gemeinsame Kind im Bezug von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt, die sich im Oktober 2001 auf 863,84 DM zuzüglich eines Mietzuschusses in Höhe von 404,86 DM belaufen habe. Darüber hinaus seien einmalige Beihilfen im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes in Höhe von 1.130,-- DM bewilligt worden. Lediglich dem Kläger selbst stünden weiterhin aufgrund der Bestimmung des § 26 BSHG keine Leistungen nach diesem Gesetz zu, weil er neben seiner Ausbildungsvergütung Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem SGB III erhalte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A und B) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Stadt S. vom 29. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 6. September 2001 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), weil der Kläger auf der Grundlage des BSHG weder einen Anspruch auf Übernahme der von ihm an die Wohnstätte S. eG zu entrichtenden Genossenschaftsanteile in Höhe von 2.800,-- DM noch auf die Gewährung einer einmaligen Beihilfe für die Anschaffung verschiedener Einrichtungsgegenstände gehabt hat. Dazu im Einzelnen:
Vorauszuschicken ist dabei, dass für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites zunächst nach dem Zeitpunkt zu differenzieren ist, in dem der geltend gemachte Bedarf tatsächlich entstanden ist. Dies bedeutet hier, dass für die geltend gemachte Übernahme der Genossenschaftsanteile auf die Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Anmietung der Wohnung ab 1. August 2001 abzustellen ist, während hinsichtlich der Einrichtungsgegenstände die Sach- und Rechtslage nach der Anmietung maßgeblich ist, weil dieser Bedarf erst mit dem Bezug der Wohnung B.weg .. und nicht schon bei Antragstellung am 25. Juni 2001 tatsächlich entstanden ist.
Ausgehend hiervon, führt diese erforderliche Differenzierung für die Frage der Übernahme der Genossenschaftsanteile dazu, dass § 26 Abs. 1 BSHG - entgegen der Ausführungen der Stadt S. und des Beklagten in den angefochtenen Bescheiden - keine Anwendung findet. Zwar stand der Kläger auch schon vor dem 1. August 2001 in einer dem Grunde nach im Rahmen der §§ 60 bis 62 SGB III förderungsfähigen Ausbildung, gleichwohl kann § 26 Abs. 1 BSHG nicht herangezogen werden, weil der Kläger noch bei seinem Vater in S. wohnte und daher aufgrund des § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe hatte (vgl. § 26 Abs. 2 Nr. 1 BSHG).
Daher käme in seinem Fall zwar grundsätzlich die Übernahme der Genossenschaftsanteile als Kosten der Unterkunft (Wohnungsbeschaffungskosten) auf der Grundlage der §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 5 Regelsatzverordnung durch den Beklagten in Betracht. Sie ist hier aber gleichwohl ausgeschlossen, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass der Unterkunftsbedarf des Klägers und seiner Ehefrau im Sommer 2001 nur durch die Anmietung einer Genossenschaftswohnung zu decken war. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt auch in S. sowie der näheren Umgebung entspannten Situation auf dem Wohnungsmarkt und des Umstandes, dass sich das Bedürfnis nach einer eigenen Wohnung nicht „aus heiterem Himmel“ ergeben hatte, wäre der Unterkunftsbedarf hier auch durch Anmietung einer „normalen“ Wohnung zu befriedigen gewesen. Die Übernahme der Genossenschaftsanteile war daher schon nicht erforderlich, um den notwendigen Lebensunterhalt des Klägers und seiner Ehefrau im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG zu decken.
Da hinsichtlich der beantragten Einrichtungsgegenstände der Bedarf erst nach dem 1. August 2001 tatsächlich entstanden ist und sich der Kläger durch den Bezug einer eigenen Wohnung von diesem Zeitpunkt an nicht nur in einer dem Grunde nach förderungsfähigen, sondern auch tatsächlich nach § 65 Abs. 1 SGB III in Verbindung mit § 13 Abs. 1 bis 3 BAföG geförderten Ausbildung befand, also zusätzlich zu seiner Ausbildungsvergütung Berufsausbildungsbeihilfe erhielt, findet § 26 Abs. 1 BSHG nunmehr auf ihn Anwendung. Dies bedeutet, dass der Kläger seit dem 1. August 2001 die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG erfüllte, und führt dazu, dass er weder einen Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt noch auf einmalige Beihilfen nach dem BSHG hat, soweit diese den ausbildungsgeprägten Bedarf zum Gegenstand haben. Nicht dagegen erfasst der Ausschlusstatbestand des § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG solche Leistungen, die einen Bedarf betreffen, der durch besondere Umstände bedingt ist, die von der Ausbildung unabhängig sind, das heißt, neben Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder dem SGB III können und müssen beispielsweise sozialhilferechtlichen Leistungen wegen besonderer, nicht ausbildungsbezogener Belastungen durch Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft oder Kinderpflege- und -erziehung - wie sie etwa § 23 BSHG regelt - gewährt werden.
Danach gehört aber die von dem Kläger begehrte Beihilfe für die Anschaffung verschiedener Einrichtungsgegenstände - mit Ausnahme des Wickeltisches - als allgemeiner Bedarf an Hausrat und Haushaltsgegenständen zu dem ausbildungsgeprägten Bedarf (vgl. auch: BVerwG, Urt. v. 3. 12. 1992 - 5 C15.90 -, FEVS 43, 221; Beschl. v. 13. 5. 1993 - 5 B 47.93 -, Buchholz 436.0 § 26 BSHG Nr. 9), für dessen Deckung ausschließlich die nach § 65 Abs. 1 SGB III in Verbindung mit § 13 Abs. 1 bis 3 BAföG pauschalierten Leistungen bestimmt sind. Da der Kläger - wie bereits festgestellt - diese Leistungen auch seit dem 1. August 2001 erhalten hat, fehlt es auch an einem Anknüpfungspunkt für eine besondere Härte, weil der Ausschluss einer (auch ergänzenden) Förderung der Ausbildung durch Sozialhilfemittel von dem Gesetzgeber gewollt und daher im Falle des Klägers schon kein atypischer, für die Anwendung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BSHG erforderlicher Sonderfall vorliegt.
Hinsichtlich des Wickeltisches als nicht ausbildungsgeprägtem Bedarf begegnet die Nichtbewilligung einer einmaligen Beihilfe schließlich aber auch keinen Bedenken, weil es an der erforderlichen Notwendigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG fehlt. Insoweit ist es dem Kläger und seiner Ehefrau zuzumuten, auf anderes Mobiliar unter Verwendung einer Wickelauflage zurückzugreifen.