Arbeitsgericht Osnabrück
Urt. v. 23.05.2006, Az.: 1 Ca 867/05
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Osnabrück
- Datum
- 23.05.2006
- Aktenzeichen
- 1 Ca 867/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 45432
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGOSN:2006:0523.1CA867.05.0A
Verfahrensgang
In dem Rechtsstreit
...
hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Osnabrück auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2006 durch
...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 28.11.05 unwirksam sind.
- 2.
Die Kosten des Rechtstreits hat die Beklagte zu tragen.
- 3.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4 110,76 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung, welche die Beklagte mit Schreiben vom 28.11.2005 ausgesprochen hat (Bl. 5 d.A.).
Der Kläger ist bei der Beklagten als Lagerarbeiter tätig - zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 2 055,38 Euro.
Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG.
Neben der ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wurde dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsvertrages unter geänderten Bedingungen angeboten.
Der Kläger hat das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt angenommen, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen gem. § 2 KSchG sozial gerechtfertigt sind.
Wesentlicher Inhalt der angebotenen veränderten Arbeitsbedingungen war ein Lohnverzicht in Höhe von 12,21 % (für den Kläger monatlich 250,96 Euro weniger) und die Vereinbarung eines Prämienlohnsystems, wonach unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich zum verringerten Festgehalt Prämien erzielt werden können.
Diese Umstellung - Lohnkürzung um 12,21 % und Einführung eines Prämienlohnsystems - betrifft sämtliche Mitarbeiter des Lagers der Beklagten, welches in ... bei Osnabrück liegt.
Von den 220 betroffenen Mitarbeitern des Lagers ... haben 162 eine entsprechende einvernehmliche Vereinbarung mit der Beklagten geschlossen. 58 Mitarbeiter, zu denen auch der Kläger zählt, haben die Vereinbarung nicht geschlossen.
Daraufhin hat die Beklagte diesen 58 Mitarbeitern des Lagers ... gegenüber eine Änderungskündigung ausgesprochen, um den Lohnverzicht und die Teilnahme am Prämienlohnsystem einseitig durchzusetzen.
Die Beklagte hat zum 30.05.2005 insgesamt ca. 7 800 Mitarbeiter beschäftigt.
Über das Vermögen der Beklagten war am 01.09.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden (vgl. Bl. 25 bis 27 d.A. des Parallelverfahrens 1 Ca 857/05...). Es wurde jedoch die Eigenverwaltung angeordnet - und zum 01.02.2006 ist die Insolvenz aufgehoben worden.
Im Rahmen des Insolvenzplans (Bl. 63 bis 99 d.o.g.A.) ist die Schließung des Lagers der Beklagten in ... und die Verlagerung der gesamten Lagertätigkeit der Beklagten nach ...- Osnabrück geregelt worden (Bl. 73 d.o.g.A.). Weiterhin heißt es insofern im Insolvenzplan:
"Parallel wurde mit dem überwiegenden Anteil der Mitarbeiter in ... ein Lohnverzicht von 12,21 % vereinbart. Im Gegenzug wurde ein Prämienlohnsystem eingeführt, welches den Mitarbeitern ermöglicht, die durch den Lohnverzicht entstandenen Forderungen auszugleichen.
Insgesamt ist es geplant, die Personalkosten im Bereich Logistik von € 12,4 Mio./Jahr auf rd.€9 Mio. zu reduzieren."
In einem Schreiben (Bl. 100 d.o.g.A.) ist eine "Erklärung" verfaßt worden, wonach nach einem am 10.02.2005 im Rahmen einer Betriebsversammlung im Zentral-Lager Osnabrück-... "eingefangenen Votums" seitens der Belegschaft Zugeständnisse in Form von Lohnverzicht und Mehrarbeit gemacht werden würden. Etwa 80 % der anwesenden Mitarbeiterinnen hätten zugestimmt, 20 % hätten sich enthalten und Ablehnungen habe es keine gegeben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Änderungskündigung sozial ungerechtfertigt und deshalb unwirksam ist. Insbesondere lägen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor.
Ein Recht zur Entgeltkürzung komme nur in Betracht, wenn sonst der Betrieb stillgelegt oder die Belegschaft reduziert werden müßte oder der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers wegfallen würde.
Es schon nicht erkennbar, dass durch den Lohnverzicht der Beschäftigten des Lagers in Eversburg das Unternehmen saniert werden solle - und welchen konkreten Beitrag die Beschäftigten der weiteren Unternehmensteile leisten sollen.
De Kläger hat daher beantragt,
festzustellen, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 28.11.05 unwirksam sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Änderungskündigung zum Zwecke der Senkung der Lohnkosten sei zwar nur in Ausnahmefällen möglich - ein derartiger Ausnahmefall läge hier jedoch vor. Die Beklagte sei ein Sanierungsfall - wie der Insolvenzantrag zeige.
Zur Rettung des Unternehmens sei ein Insolvenzplan aufgestellt worden, der umfangreiche Sanierungsmaßnahmen vorsehe und von allen Beteiligten des Verfahren erhebliche Sanierungsbeiträge verlange - insbesondere die Reduzierung der Personalkosten im Bereich Logistik von derzeit 12,4 Millionen im Jahr auf rund 9 Millionen Euro.
Der Schließung des Lagers Niederaula zugunsten des Lagers... sei ein schwieriger Entscheidungsprozess vorausgegangen.
Nach einer Gesamtwürdigung - bei der insbesondere Kostengesichtspunkte / Einsparungsmöglichkeiten eine ausschlaggebende Rolle gespielt hätten - habe sich die Beklagte angesichts der Erklärung des Lagers ... vom 10.02.05 dazu entschlossen, das Lager Niederaula zugunsten des Lagers ... zu schließen.
Der Lohnverzicht in Höhe von 12,21 % würde zunächst zu einer Gesamteinsparung von ca. 710 000 pro Jahr führen.
Das Prämienlohnsystem stelle jedoch einen angemessenen Ausgleich der Interessenen der Mitarbeiter dar.
Die mit der Änderungskündigung erstrebte Änderung der Arbeitsbedingungen sei dem Kläger zumutbar- angesichts des eingeführten bzw. einzuführenden Prämienlohnsystems.
Weiterhin sei Lohnverzicht auch verhältnismäßig.
Zum einen sei der Lohnverzicht vom Betriebsrat selbst angeboten worden. Zum anderen hätte sonst die Gefahr bestanden, dass die Schließungsentscheidung zu Lasten des Standortes Osnabrück ... ausgefallen wäre.
Letztlich sei der Lohnverzicht auch notwendig, um einen Sanierungserfolg zu erzielen. Der Lohnverzicht sei Gegenstand des Insolvenzplan, welcher von den Gläubigers mit großer Mehrheit von über 99 % der Stimmen angenommen worden sei.
Nur bei vollständiger Einhaltung und Durchsetzung der im Insolvenzplan vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen sei gewährleistet, dass die Entschuldung komplett gelinge und der Anfall weiterer Verluste vermieden werden könne.
Sollte der Insolvenzplan mit den dort vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen nicht komplett umgesetzt werden, bestünde die Gefahr, dass weitere Schließungsmaßnahmen mit daraus folgendem Personalabbau bis hin zur Gesamtschließung des Betriebes erforderlich werden könnten.
Es könne insofern nicht darauf abgestellt werden, ob einzelne Sanierungsmaßnahmen ganz oder teilweise zur Umsetzung gelangen. Entscheidend sei, dass der Insolvenzplan, der aus einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen und Sanierungsschritten bestehe, in seiner Gesamtheit zur Umsetzung gelange, nur in diesem Fall bestehe eine hinreichende Gewähr, dass das mit dem Insolvenzplan beabsichtigte Ziel der Gesamtsanierung und der Erhaltung des Unternehmens auf Dauer erreicht werden könne.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
I.
Die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 28.11.2005 sind unwirksam, denn die Änderungskündigung ist sozial nicht gerechtfertigt.
1.
Grundsätzlich können zwar Gewinnverfall oder Unrentabilität selbst ohne Rationalisierungsmaßnahmen und den dadurch bedingten Wegfall eines Arbeitsplatzes eine Änderungskündigung zur Senkung der Lohnkosten rechtfertigen (vgl. KR-Rost, 7. Auflage 2004, § 2 KSchG, Rdzf. 107a). Wobei eine entsprechende Änderungskündigung mit dem Ziel der Senkung der Lohnkosten am ehesten als sogenannte Massenänderungskündigung denkbar ist - d.h. als Kündigung gegenüber allen oder jedenfalls einem Teil der Arbeitnehmer (a.a.O., Rdzf. 107d).
Insofern ist eine betriebsbedingte Änderungskündigung jedoch nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muß. Ob der Arbeitnehmer die vorgeschlagenen Änderungen in der Weise hinnehmen muß, richtet sich dabei nach dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz ( BAG, Urteil vom 23.06.2005, 2 AZR 642/04 - Leitsatz 1 und 3).
Ein Verstoß gegen den Verhältnismässigkeitsgrundsatz liegt dabei insbesondere dann vor, wenn der Arbeitgeber ein Vertragsangebot unterbreitet, dass einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beinhaltet (a.a.O. unter B.I. 2. a) ee) (1)).
Besteht insofern zwar ein dringendes betriebliches Bedürfnis zur Entgeltkürzung, so ist der Arbeitgeber dennoch verpflichtet, bei der Kürzung des Entgeltes innerhalb des Betriebes Gleichbehandlungsgesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Arbeitnehmer müssen es deshalb billigerweise nicht hinweisen, dass der Arbeitgeber bei wirtschaftlichen Verlusten ohne sachlichen Grund einzelne von ihnen herausgreift (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 28.11.2000, 18 Sa 174/00, Leitsatz).
Deshalb ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht berechtigt, einzelne Arbeitnehmer - auch nicht die Arbeitnehmer einer mit Verlust arbeitenden Abteilung - herauszugreifen und ihr Entgelt einschneidend zu kürzen, während das Entgelt der überwiegenden Mehrzahl der Belegschaft unangetastet bleibt ( BAG, Urteil vom 20.08.1998, 2 AZR 84/98 - 2. Leitsatz).
Werden vielmehr nur für einen Teil der Arbeitnehmer die Löhne gesenkt, bedarf es einer gesonderten Erklärung, warum nicht gleichmäßig alle Mitarbeiter mit dem Gewinnverfall belastet werden. Der Arbeitgeber muss daher zum Beispiel darlegen, dass Verluste gerade aus dem betroffenen Bereich kommen und durch die dort gezahlten verhältnismäßig hohen Löhne mitbedingt sind (KR, a.a.O. Rdzf. 107d; vgl. auch BAG, Urteil vom 20.08.1998, 2 AZR 84/98 unter II. 2. e) und Urteil vom 20.03.1986, 2 AZR 294/95 unter B. IV. 3. c)).
2.
Diesen Anforderungen wird die Änderungskündigung - wird der Vortrag der Beklagten hier nicht gerecht.
a)
Es ist sogar unstreitig, dass die Beklagte lediglich für die 220 Mitarbeiter des Lagers Eversburg-Osnabrück einen Lohnverzicht von 12,21 % unter gleichzeitiger Einführung eines Prämiensystems größtenteils einvernehmlich vereinbart hat und gegenüber 58 Mitarbeitern - auch dem Kläger - zwangsweise im Wege der Änderungskündigung einseitig durchsetzen will.
Es ist jedoch nicht hinreichend ersichtlich und dargelegt, warum lediglich die 220 Mitarbeiter des Lagers Eversburg-Osnabrück von dieser einschneidenden Maßnahme betroffen sind - die weiteren über 7 500 Mitarbeiter jedoch überhaupt nicht.
Dies stellt eine erhebliche Ungleichbehandlung der 220 sehr stark betroffenen Mitarbeiter im Lager Eversburg-Osnabrück gegenüber den über 7 500 restlichen Mitarbeitern dar, die diesbezüglich überhaupt keine Reduzierung hinnehmen müssen.
b)
Gründe für diese Ungleichbehandlung sind nicht ersichtlich - nicht hinreichend und tragfähig dargelegt.
aa)
Soweit die Beklagte sich auf die Einhaltung des Insolvenzplanes beruft, ist dort (vgl. Bl. 73 d.A. des o.g. Parallelverfahrens) lediglich festgehalten, dass mit einem überwiegenden Anteil der Mitarbeiter der Lohnverzicht vereinbart worden ist und dass insgesamt geplant sei, Personalkosten von 12,4 Millionen pro Jahr auf rund 9 Millionen zu reduzieren.
Von einem irgendwie aus dem Insolvenzplan hervorgehenden Zwang, auch die restlichen Mitarbeiter an diesem Lohnverzicht teilhaben zu lassen, ist aus dem Insolvenzplan selbst nichts ersichtlich.
Vielmehr ist keine feste Vorgabe für reduzierte Personalkosten angegeben - sondern nur ein Plan.
bb)
Desweiteren bezieht sich dieser Plan auch nicht auf eindeutige Zahlen sondern nur auf Circa-Angaben.
Damit korrespondiert auch, dass die Beklagte selbst ausgeführt hat, dass mit der Entgeltreduzierung "ca. 710 000 Euro" eingespart werden sollen (vgl. Bl. 14 d.A.).
cc)
Da nach eigenen Angaben der Beklagten bereits 162 Mitarbeiter des Lagers Eversburg den eingeforderten Lohnverzicht unterzeichnet haben, sind somit 162/220 dieser Circa-Summe bereits erzielt - mithin rund 520 000 Euro.
Damit stehen ohnehin lediglich noch knapp 190 000 Euro aus.
dd)
Aus all diesen Zahlen ist jedoch nicht ersichtlich, dass zwingend von den Mitarbeitern des Lagers Eversburg-Osnabrück der alleinige Beitrag zur entsprechenden Kostenreduzierung getragen werden müßte und nicht solidarisch von allen weit über 7 500 Mitarbeitern.
ee)
Auch aus der von der Beklagten vorgelegten "Erklärung" aus den Reihen des Lagers Eversburg kann eine gegenteilige Rechtsfolge nicht abgeleitet werden.
Die Beklagte selbst trägt vor (und ergibt sich aus der unstreitig so abgegebenen "Erklärung"), dass lediglich 80 % der dortigen Mitarbeiter mit einer entsprechenden Reduzierung einverstanden gewesen sein sollen - 20 % sich einer entsprechenden Erklärung enthalten haben sollen.
Da Schweigen jedoch keinesfalls als Annahme zu sehen ist, war somit von vornherein klar, dass 20 % der Mitarbeiter dieser Erklärung nicht eindrücklich zustimmen.
Keinesfalls vermag die Beklagte aus einer bloßen "Mehrheitsentscheidung" abzuleiten, dass auch die - nichtzustimmenden bzw. schweigenden - restlichen Mitarbeiter an eine derartige Erklärung gebunden wären. Für eine derartige Bindung sind schlicht Rechtsgrundlagen nicht ersichtlich.
c)
Infolge dessen vermag die Beklagte weder aus dem Insolvenzplan noch aus der Erklärung vom 10.02.2005 eine hinreichend tragfähige Begründung dafür herzuleiten, dass die 220 Mitarbeiter im Lager Eversburg-Osnabrück erhebliche (weitere) Kürzungen des Grundgehaltes hinnehmen müssen - die über 7 500 anderen Mitarbeiter jedoch nicht.
Weitere möglicherweise tragfähige Gründe für diese Ungleichbehandlung sind nicht ersichtlich.
Damit liegt hier ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu Lasten der von der Änderungskündigung betroffenen Mitarbeiter vor.
Allein deshalb müssen die vorgeschlagenen Änderungen von den betroffenen Arbeitnehmern - hier dem Kläger- billigerweise nicht mehr hingenommen werden. Damit ist die Änderungskündigung sozial nicht gerechtfertigt - und sind die entsprechenden Änderungen der Arbeitsbedingungen folglich unwirksam.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 II ArbGG i.V.m. § 91 I ZPO.
Streitwertbeschluss:
III.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 I ArbGG i.V.m. § 42 IV GKG (2 durchschnittliche Bruttomonatsgehälter a 2 055,38 Euro).