Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 30.08.1983, Az.: 1 VG A 55/82
Gewährung eines Ausgleichs für gemeinwirtschaftliche Leistungen im Ausbildungsverkehr; Begriffsbestimmung des Linienverkehrs
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 30.08.1983
- Aktenzeichen
- 1 VG A 55/82
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1983, 18822
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1983:0830.1VG.A55.82.0A
Rechtsgrundlagen
- §1 Nr. 2 KostensatzVO 1980
- § 45a PBefG
Verfahrensgegenstand
Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Leistungen im Straßenpersonenverkehr
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 1983
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Dr. Riemann als Vorsitzenden,
den Richter am Verwaltungsgericht Büschen,
den Richter Gatz sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 1981 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1982 wird dahingehend geändert, daß der für den Zeitraum von September bis Dezember 1980 festgesetzte Soll-Kostensatz in Höhe von 13,9 Pfennig je Personen-Kilometer auf einen Soll-Kostensatz von 16,5 Pfennig je Personen-Kilometer angehoben wird.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer der Klägerin nach §45 a des Personenbeförderungsgesetzes - PBefG - zu gewährenden Subvention.
Die Klägerin betreibt ein Kraftverkehrsunternehmen. Unter dem 18. Mai 1981 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung eines Ausgleichs für gemeinwirtschaftliche Leistungen im Ausbildungsverkehr für das Kalenderjahr 1980 sowie einer Vorauszahlung für das Kalenderjahr 1981. Für den Zeitraum von September bis Dezember 1980 legte sie der Berechnung des Ausgleichsbetrages einen Soll-Kostensatz von 16,5 Pfennig je Personen-Kilometer zugrunde. Sie bezog sich dabei auf §1 Nr. 2 der Verordnung über die durchschnittlichen Verkehrsspezifischen Kosten je Personen-Kilometer nach §45 a des PBefG vom 22. Dezember 1978 i.d.F. der Änderungsverordnung vom 29. August 1980 (Nds. GVBl. S. 343) - KostensatzVO 1980 -. Danach betragen die durchschnittlichen verkehrsspezifischen Kosten bei Unternehmen, die mindestens 50 v.H. ihrer Nutz-Wagenkilometer-Leistungen auf Linien erbringen, welche im Orts- und Nachbarortsverkehr in einer Stadt mit mehr als 80.000 Einwohner betrieben werden und mehr als 24 Fahrtenpaare werktäglich von Montag bis Freitag aufweisen, 16,5 Pfennig je Personen-Kilometer. Die Klägerin errechnete - unter Zugrundelegung einer mittleren Reiseweite im Ausbildungsverk ehr für 1980 einen Ausgleichsbetrag von 885.362,- DM und für 1981 einen Vorausleistungsbetrag von 708.290,- DM.
Die Beklagte gab dem Antrag der Klägerin nur teilweise statt, indem sie mit Bescheid vom 23. Juli 1981 den Erstattungsbetrags für 1980 auf 801.409,- DM und den Vorausleistungsbetrag für 1981 auf 641.128,- DM festsetzte. Sie hatte ihrer Berechnung, was den Zeitraum von September bis Dezember 1980 angeht, gemäß §1 Nr. 3 KostensatzVO 1980 einen Kostensatz von 13,9 Pfennig je Personen-Kilometer zugrundegelegt.
Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren änderte die Beklagte den Bewilligungsbescheid insoweit ab, als sie - nunmehr unter Zugrundelegung einer mittleren Reiseweite von 7 km - den Ausgleichsbetrag für 1980 auf 1.470.830,- DM festsetzte. Das Begehren der Klägerin, den Soll-Kostensatz auf 16,5 Pfennig je Personen-Kilometer anzuheben, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1982 zurück. Zur Begründung führte sie an, der erhöhte Kostensatz könne der Ausgleichsberechnung deshalb nicht zugrunde gelegt werden, weil die Klägerin weniger als 1.531.282 Nutz-Wagenkilometer (50 v.H. ihrer gesamten Nutz-Wagenkilometer) auf Linien mit mehr als 24 Fahrtenpaaren werktäglich von Montag bis Freitag erbringe. Dieses Ergebnis beruhe entscheidend darauf, daß auf den Linien 5 und 15 die vorgeschriebenen Anzahl von Fahrtenpaaren nicht erreicht werde.
Die letztgenannten Linien führen von Wolfsburg über Reislingen nach Vorsfelde. Sie weisen bei einer Gesamtlänge von 10,8 km auf einer Länge von 8,1 km dieselbe Linienführung auf und teilen sich dann in zwei getrennte Linienabschnitte mit den Endpunkten ... (Linie 5) und ... (Linie 15). Im Jahre 1975 hatte der Regierungspräsident in Lüneburg zunächst einen Fahrplan genehmigt, der eine einheitliche Linie 15 mit einem Anfangs- und einem Endpunkt enthielt. (Genehmigungsurkunde-Nr. 1249, jetzt Nr. 230). Unter dem 18. März 1977 stimmte der Regierungspräsident einer Fahrplanänderung zu, nach der die Linie 15 nunmehr abwechselnd die Endhaltestellen ... und ... anfuhr. Im Herbst 1977 änderte die Beklagte, wiederum mit Zustimmung des Regierungspräsidenten in Lüneburg, die Linienbezeichnung 15 in 5/15; dies geschah, wie die Klägerin vorträgt, um dem Fahrgast das Erkennen des jeweils anzufahrenden Endhaltepunktes zu erleichtern. Die Ziffern 5 bzw. 15 seien schneller erfaßbar als der erheblich längere Text auf dem Zielband der Omnibusse, auf dem die Fahrtziele voll ausgeschrieben seien.
Die Klägerin hat am 05. April 1982 rechtzeitig Klage erhoben.
Sie meint, die Linie 5/15 müsse als eine einheitliche Linie mit rund 28 Fahrtenpaaren angesehen werden. Dies führe zu einer Anwendung des §1 Nr. 2 der KostensatzVO 1980, da sie, die Klägerin, nunmehr ca. 51 v.H. ihrer Nutz-Wagenkilometer auf Linien mit mehr als 24 Fahrtenpaaren werktäglich von Montag bis Freitag erbringe. Diese Leistung werde sogar dann noch erreicht, wenn man nur die Strecke der Linie 5/15 berücksichtige, auf der die Streckenführung identisch sei. Im übrigen sei die in der KostensatzVO 1980 vorgenommene, an eine bestimmte Fahrtenhäufigkeit anknüpfende Abstufung der Kostensätze von der in §45 a PBefG enthaltenen Ermächtigung nicht gedeckt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1982 zu ändern und den für den Zeitraum von September bis Dezember 1980 festgesetzten Soll-Kostensatz in Höhe von 13,9 Pfennig je Personen Kilometer auf einen Soll-Kostensatz in Höhe von 16,5 Pfennig Personen-Kilometer anzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die als Verpflichtungsklage zulässige Klage ist begründet.
Der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 23. Juli 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1982 ist insoweit rechtswidrig, als der Berechnung des Ausgleichsbetrages für den Zeitraum von September bis Dezember 1980 ein Soll-Kostensatz von 13,9 Pfennig je Personen-Kilometer zugrunde gelegt worden ist. Entsprechend dem Antrag der Klägerin war vielmehr der in §1 Nr. 2 der KostensatzVO 1980 enthaltenen Soll-Kostensatz von 16,5 Pfennig je Personen-Kilometer in Ansatz zu bringen.
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das 50,98 v.H. und damit mindestens 50 v.H. ihrer Nutz-Wagenkilometer-Leistungen auf Linien erbringt, welche im Orts- und Nachbarortsverkehr in einer Stadt mit mehr als 80.000 Einwohnern betrieben werden und mehr als 24 Fahrtenpaare werktäglich von Montag bis Freitag aufweisen. Dieses Ergebnis beruht u.a. darauf, daß die - hier allein umstrittenen - Linien 5 und 15 entsprechend der Ansicht der Klägerin eine einheitliche Linie bilden, auf der dann die erforderliche Anzahl von Fahrtenpaaren erbracht wird.
Der Anerkennung einer einheitlichen Linie steht zunächst nicht entgegen, daß sich diese nach einer größtenteils identischen Streckenführung in zwei Teilstücke verästelt.
Auch die Beklagte stellt nicht in Abrede, daß nach der Begriffsbestimmung des Linienverkehrs eine Linie mehrere Ausgangs- und Endpunkte aufweisen kann. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Anleitung zum Ausfüllen des Erhebungsbogens zum Jahresbericht - Statistik der Personenbeförderung im Straßenverkehr - des Statistischen Bundesamtes, in der Beispiele von Liniengestaltungen enthalten sind. Dort heißt es auf Seite 14:
"Wenn sich eine Linie einmal oder mehrmals verästelt, dann ist aus der einfachen Länge des Linienstammes und der einfachen Länge aller Äste und Zweige die Linienlänge zusammenzurechnen."
Die Anerkennung der Linie 5 und 15 als eine Linie i.S. der KostensatzVO 1980 rechtfertigt sich zum einen aus ihrer Entstehungsgeschichte. Der Regierungspräsident in Lüneburg hatte im Jahre 1975 einen Fahrplan genehmigt, der eine einheitliche Linie 15 mit je einem Anfangs- und einem Endpunkt enthielt. Diese Linie blieb nach dem oben Ausgeführten als einheitliche Linie erhalten, als - ohne Änderung der Linienbezeichnung - im Jahre 1977 nunmehr abwechselnd zwei verschiedene Endpunkte angefahren wurden. Allein die spätere Einführung der differenzierten Bezeichnung 5/15 führte nicht zu einer Aufspaltung der bis dahin vorhandenen einheitlichen Linie 15 in zwei verschiedene Linien.
Für die Bewertung der Linien 5/15 als einheitliche Linie spricht zusätzlich die weitgehend identische Streckenführung. Die Gesamtstreckenlänge der Linie 5/15 beträgt 10,8 km. Die Verästelung in zwei Teilabschnitte erfolgt nach einer Fahrstrecke von 8,1 km; der Anteil des "Linienstammes" an der Gesamtlinie beträgt somit 75 v.H. Die Verästelung erfolgt erst in dem als Endziel angefahrenen Stadtteil Vorsfelde. Im Stadtkern von Wolfsburg und im Stadtteil Reislingen verläuft die Streckenführung parallel, selbst die ersten 4 Haltestellen in Vorsfelde werden noch gemeinsam angefahren. Erst die letzten 3 Haltepunkte differieren.
Da nach alledem die Voraussetzungen des §1 Nr. 2 der KostensatzVO 1980 erfüllt sind, kann offen bleiben, ob die Rechtsansicht der Klägerin zutrifft, wonach die in der genannten Verordnung vorgenommene Differenzierung der Soll-Kostensätze nach der Anzahl der werktäglichen Fahrtenpaare von der in §45 a PBefG enthaltene Ermächtigung nicht gedeckt ist. Im übrigen würde die gerügte fehlende gesetzliche Ermächtigung den Anspruch der Klägerin nicht stützen. Sollte nämlich ihre Rechtsansicht zutreffend sein, so wäre die Regelung des §1 Nr. 2 der KostensatzVO 1980, die den von der Klägerin beanspruchten Kostensatz in Höhe von 16,5 Pfennig je Personen-Kilometer ausweist, nichtig. In diesem Fall könnte die Klägerin die Bewilligung des begehrten Kostensatzes nur dann verlangen, wenn feststünde, daß der Verordnungsgeber auch bei einem Verzicht auf das Kriterium der Fahrtenhäufigkeit und unter Beibehaltung der übrigen Voraussetzungen des §1 Nr. 2 der KostensatzVO 1980 den Kostensatz gleichwohl auf 16,5 Pfennig je Personen-Kilometer festgesetzt haben würde. Eine solche Feststellung läßt sich indessen nicht treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §167 VwGO i.V.m. §708 Nr. 11 ZPO.
III.
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Verwaltungsgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht.
gez. Büschen
gez. Gatz