Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.10.2019, Az.: 13 U 48/19
Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten wegen Filesharings; Anwendbarkeit der Faktorrechtsprechung auf Computerspiele; Qualifizierter Verstoß für die Berechnung eines Erstattungsanspruchs nach einem höheren Gegenstandswert
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.10.2019
- Aktenzeichen
- 13 U 48/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 53641
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2019:1014.13U48.19.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 20.05.2019 - AZ: 13 O 42/19
- AG Hannover - 23.03.2018 - AZ: 523 C 8726/17
Rechtsgrundlage
- § 522 Abs. 2 ZPO
Fundstellen
- GRUR-Prax 2020, 85 "Schadensschätzung und Berechnung der Abmahnkosten"
- GRUR-RR 2020, 146-148 "Saints Row IV"
- ZUM-RD 2020, 503-505
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die sog. "Faktorrechtsprechung" des Bundesgerichtshofs zu Rechtsverletzungen durch Filesharing von Musikstücken (BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - I ZR 19/14) ist auf Computerspiele übertragbar (vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. April 2019 - 13 W 7/19).
- 2.
Es genügt für die Erfüllung des Ausnahmetatbestandes des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG nicht, dass der private Nutzer ein urheberrechtlich geschütztes Werk über das Internet zugänglich mache. Vielmehr bedarf es einer besonderen Häufigkeit oder eines qualifizierten Verstoßes, welcher die Berechnung des Erstattungsan-spruchs nach einem höheren Gegenstandswert rechtfertigt. Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus Art. 14 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG) (vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. April 2019 - 13 W 7/19). Mit dieser Vorschrift ist § 97a Abs. 3 UrhG vereinbar.
Tenor:
- 1.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 20. Mai 2019 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
- 2.
Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und ggf. Rücknahme ihrer Berufung aus Kostengründen binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses.
- 3.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.509,60 € (= 860,60 € + 2.649,00 €) festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch wegen des Filesharings des im August 2013 erstveröffentlichten Computerspiels "S. R. IV" über den Internetanschluss des Beklagten an vier Zeitpunkten am 5. und 6. Oktober 2013.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands in erster Instanz sowie der dort gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts (Bl. 288 ff. d.A.) Bezug genommen, mit dem die Kammer der auf Zahlung von 984,60 € Abmahnkosten und 4.599,00 € Schadensersatz gerichteten Klage teilweise stattgegeben hat, nämlich in Höhe von 124,00 € Abmahnkosten und 1.950,00 € Schadensersatz. Zur Begründung hat die Kammer - soweit für das Berufungsverfahren noch von Bedeutung - ausgeführt, sie schätze die Höhe des Schadensersatzes für die Urheberrechtsverletzung nach § 287 ZPO unter Anwendung der Faktorrechtsprechung auf 1.950,00 €, nämlich auf das 50-fache des regulären Verkaufspreises von 39,00 €. Die erforderlichen Aufwendungen für die Abmahnung seien nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG auf Gebühren nach einem Gegenstandswert von 1.000,00 € zu beschränken. Eine Ausnahme von der Deckelung nach Satz 4 der vorgenannten Vorschrift liege nicht vor.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihre weitergehenden Zahlungsanträge weiterverfolgt und ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Klägerin meint insbesondere weiterhin, § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG sei vorliegend nicht anwendbar. Die Deckelung des Ersatzanspruchs sei entweder vollständig europarechtswidrig oder jedenfalls die sogenannte Öffnungs- bzw. Billigkeitsklausel des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG dahingehend europarechtskonform auszulegen, dass eine Deckelung im konkreten Fall unbillig wäre und ausscheide. Bei der Bemessung des Schadensersatzes sei ein Faktor von 100 (statt 50) angemessen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 360 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben [gemeint ist: abzuändern], als die Klage der Abweisung unterlag und es insgesamt wie folgt neu zu fassen:
1. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Hannover vom 23. März 2018 (523 C 8726/17) wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt,
a) an die Klägerin einen Betrag von 984,60 € nebst jährlicher Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Februar 2014 zu zahlen;
b) an die Klägerin einen weiteren Betrag von 4.599,00 € nebst jährlicher Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Februar 2014 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Hinweis auf die sog. Faktorrechtsprechung des Senats.
II.
Der Rechtsache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Ferner ist auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten. Die Berufung hat nach derzeitigem Beratungsstand schließlich offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht teilweise abgewiesen. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Zahlung eines weitergehenden Schadensersatzes (dazu nachfolgend unter 1.) noch auf Zahlung von Abmahnkosten, die den zugesprochenen Betrag von 124,00 € übersteigen (dazu nachfolgend unter 2.).
1. Die Klägerin hat wegen der - dem Grunde nach vom Landgericht rechtskräftig festgestellten - Urheberrechtsverletzung durch den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 2.649,00 € Schadensersatz.
Der Senat hat bereits in seinem - den Parteien bekannten und zwischenzeitlich auch veröffentlichten - Beschluss vom 12. April 2019 (nicht wie in der Berufungsbegründung ausgeführt vom 23. April 2019) zum Aktenzeichen 13 W 7/19 (nicht: 13 W 47/19) ausgeführt, dass die sog. "Faktorrechtsprechung" des Bundesgerichtshofs zu Rechtsverletzungen durch Filesharing von Musikstücken auch auf Computerspiele anwendbar ist. Die Sachverhalte sind hinreichend vergleichbar. Die vorgenannte Rechtsprechung basiert auf dem Einsatz der konkreten Tauschsoftware sowie dem Gefährdungspotenzial der zur Tatzeit online befindlichen Nutzer, die uneingeschränkt auf das urheberrechtlich geschützte Werk zugreifen können (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - I ZR 19/14 - Tauschbörse I, juris Rn. 57 ff.). Diese Gefahr besteht unabhängig davon, ob es sich um Musikstücke, Filme oder Computerspiele handelt. Dem Umstand, dass Musikstücke ein geringeres Datenvolumen aufweisen und daher schneller und häufiger heruntergeladen werden können, kann nach der vom Landgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung des Senats durch den Ansatz eines entsprechend geringeren Faktors Rechnung getragen werden (vgl. zu allem Vorstehenden: Senatsbeschluss vom 12. April 2019 - 13 W 7/19, juris Rn. 13; Senatsbeschluss vom 26. November 2018 - 13 U 72/18, veröffentlicht bei juris).
Im vorliegenden Fall teilt der Senat die Einschätzung des Landgerichts, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Schadensschätzung (nur) auf das 50-fache des Preises für den legalen Erwerb des Spiels zum Beginn der streitgegenständlichen Rechtsverletzungen angemessen ist. Bei der Bemessung des Faktors ist zum einen der Umfang der Verletzungshandlung zu berücksichtigen, die hier das insgesamt viermalige Angebot zum Download an "nur" zwei aufeinanderfolgenden Tagen beinhaltete. Nähere Einzelheiten zur Dauer dieser jeweils auf einen einzelnen Zeitpunkt bezogen festgestellten Verletzungshandlungen sowie zu der Anzahl der erfolgten Downloads bzw. der online befindlichen Nutzer hat die Klägerin nicht dargetan. Insofern erscheint mit Blick auf den weiter bei der Schadensschätzung zu berücksichtigenden Umstand, dass das Computerspiel zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung bereits ca. 2 Monate (so die nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffene Feststellung des Landgerichts im angefochtenen Urteil), jedenfalls aber mindestens 6 Wochen (so die Berufungsbegründung unter erstmaliger Nennung des konkreten Datums der Erstveröffentlichung) auf dem Markt gewesen ist, der Ansatz des Faktors 50 gerechtfertigt. Auch beim Vergleich mit den Sachverhalten der vormals beim Senat anhängigen Verfahren 13 U 72/18 und 13 W 7/19 erscheint die - im Ergebnis übereinstimmende - Bemessung des Faktors mit 50 angemessen. Die Höhe des von der Kammer bei der Schadensschätzung mit nachvollziehbaren Argumenten zugrunde gelegten regulären Verkaufspreises von 39,00 € (statt der mit der Klageschrift angenommenen 45,99 €) greift die Berufungsbegründung nicht erheblich an. Soweit die Klägerin lediglich auf den ihrer Meinung nach "nachgewiesenen, durchschnittlichen Einzelhandelspreis" verweist, fehlt es angesichts des unbestrittenen Vortrags des Beklagten, das Spiel zum Preis von 39,00 € erworben zu haben, gerade an einem solchen Nachweis.
2. Das Landgericht hat auch zutreffend entschieden, dass die Klägerin von dem Beklagten Rechtsanwaltskosten nur bezogen auf einen Gegenstandwert von 1.000,00 €, mithin in Höhe von 124,00 €, erstattet verlangen kann.
Insoweit hat der Senat in seiner Entscheidung im Verfahren 13 W 7/19 (dort Rn. 20 ff. bei juris) ausgeführt, dass sich nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG n.F. der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1.000,00 Euro beschränkt, wenn es sich bei dem Abgemahnten - wie hier unstreitig bei dem Beklagten - erstens um eine natürliche Person handelt, die nicht im Rahmen einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat, und der Abgemahnte zweitens nicht bereits durch Vertrag, aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist.
Zwar sieht § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG eine Ausnahme von der Deckelung für die Fälle vor, in denen diese Deckelung nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Dies ist etwa der Fall, wenn das Ausmaß der Rechtsverletzung vom üblichen Maß in Anzahl oder Schwere abweicht (vgl. BT Drs. 17/13057, 29). Was das übliche Ausmaß einer Rechtsverletzung ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sollte die Annahme einer Unbilligkeit allerdings auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleiben, um die Privilegierung nicht leer laufen zu lassen. Entscheidend für die restriktive Auslegung der Unbilligkeit ist, dass die Deckelung nach der Neuregelung des § 97a UrhG die Regel und nicht länger die Ausnahme sein soll. Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber mit der Deckelung gerade auch Filesharingfälle erfassen wollte, genügt es für die Erfüllung der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nicht, dass der private Nutzer ein urheberrechtlich geschütztes Werk über das Internet zugänglich macht (vgl. Dreier/Schulze/Specht, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, § 97a UrhG Rn. 19b; Reber, a.a.O., § 97a UrhG Rn. 28). Vielmehr bedarf es einer besonderen Häufigkeit oder eines qualifizierten Verstoßes, welcher die Berechnung des Erstattungsanspruchs aus einem höheren Gegenstandswert rechtfertigt. Letzteres kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Privatperson ein solches Werk vor oder unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erscheinen öffentlich zugänglich macht (vgl. Reber, a.a.O.). Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt, weil der Beklagte weder besonders viele Verstöße begangen hat noch seine Rechtsverletzungen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur Erstveröffentlichung des Computerspiels stehen (vgl. Reuther, MMR 2018, 433, 436: kein unmittelbarer Zusammenhang bei einem Abstand von zwei Monaten; ebenso Rathsack, jurisPR-ITR 14/2018 Anm. 6 zu AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 28. August 2017 - 213 C 99/17). Insofern erachtet der Senat den Zeitraum von jedenfalls sechs Wochen für zu lang, um noch von einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Veröffentlichung auszugehen.
Eine andere Auslegung ist - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht unter europarechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt, insbesondere ergibt sie sich nicht aus der Heranziehung von Art. 14 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG), wonach die Mitgliedsstaaten sicherstellen müssen, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in aller Regel die unterlegene Partei zu tragen hat, soweit die Kosten zumutbar und angemessen sind. § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG ist mit der vorgenannten Vorschrift vereinbar, weil auch nach der Richtlinie zumutbare und angemessene Kosten nicht dem Verletzer auferlegt werden, "sofern Billigkeitsgründe dem entgegenstehen". Da § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG für Fälle der Unbilligkeit eingeschränkt wird und es sich nicht um einen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Erstattung von Kosten jenseits einer bestimmten Obergrenze handelt, steht die Richtlinie der Deckelung des Gegenstandswerts nicht entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2019, a.a.O. m.w.N.).
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin selbst in ihrer - mit der Replik vom 8. Januar 2018 als Anlage K 5 (Bl. 111 ff. d.A.) vorgelegten - Abmahnung gegenüber dem Beklagten die Anwaltskosten für die Abmahnung wegen einer angenommenen Deckelung des Gegenstandswerts mit nur 124,00 € angesetzt hat.
Die Voraussetzungen eines von dem Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten betreffend den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch zu trennenden, weiteren Anspruchs auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung von Auskunfts- und Schadensersatzansprüchen, den die Klägerin erstmals in der Berufungsbegründung (auf S. 17, Bl. 368 d.A.) anführt, sind weder schlüssig dargetan noch sonst ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin den geltend gemachten Anspruch i.H.v. 984,60 € stets ausdrücklich auf die vorgerichtlichen Kosten für die Abmahnung mit einem Gegenstandswert von 20.000,00 € (nur) für den Unterlassungsanspruch gestützt.
III.
Da die Berufung der Klägerin im Ergebnis offensichtlich ohne Erfolg bleiben dürfte, sollte sie aus Kostengründen die Rücknahme ihres Rechtsmittels erwägen, das andernfalls im Beschlusswege gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen wäre.