Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 16.07.2018, Az.: 4 A 83/18

Atypik; finanzielle Überforderung; Inhalt; Reichweite; Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 09.12.2014; Verpflichtungserklärung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
16.07.2018
Aktenzeichen
4 A 83/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74325
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Inanspruchnahme aus einer ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärung.

Mit schriftlicher Erklärung vom 18.09.2014 verpflichtete sich der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde des Landkreises A-Stadt, die Kosten für Leistungen zum Lebensunterhalt für den syrischen Staatsangehörigen C. (geb. 04.02.1977) zu übernehmen. Zur Dauer der Verpflichtung heißt es in dem verwendeten Formular, dass sich der Erklärende verpflichtet, „vom Tag der voraussichtlichen Einreise am 01.10.2014 bis zur Beendigung des Aufenthalts (…) oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck nach § 68 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 66 und 67 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für die Ausreise (…) zu tragen.“ Sodann folgt eine genaue Erläuterung, welche Kosten anfallen können bzw. zu erstatten sind.

Der Erklärende bestätigte ferner in dem Formular, zu der Verpflichtung aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage zu sein und erklärte: „Ich versichere die vorstehenden Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht zu haben und gehe eine entsprechende Verpflichtung ein.“ Die Ausländerbehörde dokumentierte zudem durch Ankreuzen eines Auswahlfeldes (bei 4 Alternativen), dass die finanzielle Leistungsfähigkeit des Verpflichtungsgebers „nachgewiesen“ wurde. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung verdiente der Kläger als angestellter Friseur monatlich 900,00 € netto und legte hierüber der Ausländerbehörde eine Verdienstbescheinigung vor (Bescheinigung des Buchführungsbüros, Bl. 55 d.A.). Nach der von dem Erklärenden geleisteten Unterschrift finden sich auf dem Formular noch folgende individuelle Eintragungen: „Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts: bis auf Weiteres“, Zweck des Aufenthalts: humanitäre Gründe, Aufnahme gem. § 23 (1) Nds.“

C. reiste am 19.11.2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären/politischen Gründen nach § 23 Abs. 2 AufenthG. Mit Bescheid vom 05.06.2015 wurde dem Vorgenannten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ihm wurde sodann am 17.06.2015 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.

Der Beklagte gewährte C. Regelleistungen nach dem SGB II, Kosten für Unterkunft und Heizung sowie Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Mit Schreiben vom 30.01.2018 hörte der Beklagte den Kläger dazu an, dass beabsichtigt sei, den Kläger deswegen aus der Verpflichtungserklärung über 19.933,19 € in Anspruch zu nehmen. Hierauf reagierte der Kläger mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 05.03.2018, und trug Folgendes vor:

Er verdiene als Frisör ein Einkommen, mit dem er gerade den eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Es liege ein atypischer Fall vor. Die finanzielle Belastbarkeit des Klägers sei im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu prüfen. Unter Bezugnahme auf einen Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 09.12.2014 (61.21 – 12230/ 1-8 (§ 68)) gehe der Kläger davon aus, dass er über die Geltungsdauer der Verpflichtungserklärung nicht richtig informiert worden sei.

Der Kläger erklärte mit vorgenanntem Schriftsatz außerdem, dass er die Verpflichtungserklärung „wegen Irrtums“ über den Umfang seiner Leistungspflicht anfechte.

Mit Bescheid vom 08.03.2018 forderte der Beklagte von dem Kläger die Erstattung von 19.933,19 € für verauslage Kosten zum Lebensunterhalt für C. im Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 18.11.2017. Der Beklagte versah den Bescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung des Inhalts, dass gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden könne.

Der Kläger erhob hiergegen am 09.04.2018 Klage zum Verwaltungsgericht.

Der Kläger wiederholt sein außergerichtliches Vorbringen und beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 08.03.2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt der Auffassung des Klägers entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht war befugt nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden, weil die Beteiligten hierauf schriftlich verzichtet haben (Bl. 44, 62).

Die Klage ist zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben.

Nach § 80 des Nds. Justizgesetztes i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO ist für Anfechtungsklagen betreffend Verpflichtungserklärungen nach § 68 AufenthG kein Widerspruchsverfahren eröffnet, so dass innerhalb der Monatsfrist (§ 74 Abs. 1 VwGO) gegen den Ausgangsbescheid zu klagen ist. Die am 09.04.2018 gegen den Bescheid vom 08.03.2018 erhobene Klage ist damit fristwahrend erfolgt, ohne dass es auf die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung im Ausgangsbescheid (noch) ankommt.

Die Klage ist auch begründet.

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.1.2017 - BVerwG 1 C 10.16 -, BVerwGE 157, 208, 212, veröffentlicht in JURIS) und damit im vorliegenden Fall das AufenthG in der ab dem 09.11.2017 geltenden Fassung (geändert durch Artikel 10 Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen vom 30. Oktober 2017 – BGBl. I S. 3618)

Der streitbefangene Bescheid des Beklagten, mit welchen der Kläger zur Erstattung von 19.933,19 € herangezogen wird, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Zwar bietet die hier maßgebliche Verpflichtungserklärung des Klägers eine Grundlage für die Erstattung der aus öffentlichen Mitteln für C. verauslagten Leistungen (1.), jedoch ist die Heranziehung des Klägers auf Grundlage dieser Verpflichtungserklärung rechtswidrig (2.).

1. Der Beklagte kann grundsätzlich von dem Kläger die Erstattung der von ihm aus öffentlichen Mitteln für C. verauslagten Kosten zum Lebensunterhalt in Höhe von 19.933,19 € für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 18.11.2017 auf Grundlage der Verpflichtungserklärung vom 18.09.2014 nach § 68 AufenthG verlangen.

a) Eine ausländerrechtliche Verpflichtungserklärung bedarf der Schriftform und ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar (§ 68 Abs. 2 S. 1 AufenthG); dies beinhaltet auch die Befugnis, die Erstattungsforderung per Verwaltungsakt – wie vorliegend geschehen – festzusetzen (BVerwG, Urteil vom 13.02.2014, 1 C 4.13, veröffentlicht in JURIS). Der Erstattungsanspruch steht dabei derjenigen öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Nach § 68a AufenthG, ist zudem bestimmt, dass für vor dem 06.08.2016 abgegebene Verpflichtungserklärungen der Verpflichtungsgeber nur für einen Zeitraum von 3 Jahren, beginnend ab Einreise des begünstigten Ausländers, zur Erstattung herangezogen werden darf (sog. Haftungs-Höchstdauer für Übergangsfälle).

Die vorstehend genannten Voraussetzungen sind erfüllt.

Es liegt eine formwirksame schriftliche Verpflichtungserklärung vor. Der Beklagte hat die öffentlichen Mittel für C. erbracht und ist somit Inhaber des Erstattungsanspruchs. In sachlicher Hinsicht handelt es sich auch um nach dem SGB II erbrachte Sozialleistungen, auf die sich die Verpflichtungserklärung ihrem Inhalt nach erstreckt. Schließlich liegt der Zeitraum der erbrachten Leistungen innerhalb der hier maßgeblichen 3-jährigen Haftungs-Höchstdauer, die erst am 19.11.2017 endete.

b) Die ausländerrechtliche Verpflichtungserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung; einer vertraglichen Vereinbarung bedarf es nicht (BVerwG, Urteil v. 24.11.1998,1 C 33.97; OVG Lüneburg, Urteil v. 03.05.2018, 13 LB 2/17; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 08.12.2017, 18 A1197/16, alle veröffentlicht in JURIS). Inhalt und Reichweite einer Verpflichtungserklärung, insbesondere für welchen Aufenthaltszweck und für welche Dauer sie gelten soll, sind durch Auslegung anhand der objektiv erkennbaren Umstände zum Zeitpunkt der Unterzeichnung zu ermitteln. Grundsätzlich ist der erklärte Wille des Verpflichtungsgebers, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen musste, entscheidend. Dieser Auslegungshorizont ändert sich ausnahmsweise dann, wenn die Verpflichtungserklärung durch Unterzeichnung eines von der Ausländerbehörde verwendeten Vordrucks mit vorformulierten Erklärungen und Erläuterungen erteilt wird. In diesem Fall ist umgekehrt darauf abzustellen, wie der Verpflichtungsgeber die Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen durfte. Verbleiben insoweit Unklarheiten, gehen diese zu Lasten der den Vordruck verwendenden Ausländerbehörde (vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 03.05.2018, 13 LB 2/17; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 12.7.2017, 11 S 2338/16; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 07.8.2013, 4 LB 14/12, alle veröffentlicht in JURIS)

Hieran gemessen ist die Verpflichtungserklärung hinreichend bestimmt; die Dauer der eingegangenen Verpflichtung ist nicht bis zum Zeitpunkt einer nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis an den begünstigten Ausländer – hier: 17.06.2017 – begrenzt. Die Verpflichtung ist auch nicht wegen vermeintlicher „Mehrdeutigkeit/Unklarheit“ in Bezug auf den Zeitraum der eingegangenen Verpflichtung unwirksam. Auch ein mangelnder Rechtsbindungswillen des Verpflichtungsgebers ist nicht feststellbar.

Ist der begünstigte Ausländer mit einem humanitären Visum – wie vorliegend – in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, stellt die nachfolgend erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG keinen Aufenthaltstitel zu einem anderen Zweck dar (BVerwG, Urteil vom 26.01.2017, 1 C 10/16, veröffentlicht in JURIS; VG Lüneburg, Urteile vom 10.07.2017, 4 A 45/17 und vom 17.10.2017, 4 A 40/17, beide unveröffentlicht).

Unter Heranziehung des Verwaltungsvorgangs und der allgemein bekannten Situation in Syrien ergibt sich, dass die begünstigte Person offenkundig aus Furcht vor der in Syrien herrschenden Bürgerkriegssituation und der Furch vor Verfolgung in die Bundesrepublik einreisen wollte. Dies war auch dem Kläger bekannt. Der Kläger wollte erkennbar mit Abgabe der Verpflichtungserklärung seinen eigenen humanitären Beitrag leisten, um der begünstigten Person – es handelt sich um dem Onkel des Klägers – die Flucht zu ermöglichen.

Mit der späteren Flüchtlingszuerkennung durch das Bundesamt und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs.2 AufenthG durch die Ausländerbehörde hat sich der Aufenthaltszweck – auch aus Sicht des Klägers – nicht inhaltlich geändert, sondern erst Recht bestätigt. Auch die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG dient nämlich humanitären Zwecken.

In der schriftlichen Verpflichtungserklärung kommt auch mit keinem Wort zum Ausdruck, dass die Verpflichtung etwa bei Flüchtlingszuerkennung des Begünstigten enden sollte. Die individuellen Eintragungen „Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts: bis auf Weiteres“ und „Zweck des Aufenthalts: humanitäre Gründe, Aufnahme gem. § 23 (1) Nds.“ führen zu keiner anderen Auslegung.

Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf einen Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 09.12.2014 (61.21 – 12230/ 1-8 (§ 68)) vorgetragen hat, es sei davon auszugehen, dass er über die Geltungsdauer der Verpflichtungserklärung nicht richtig informiert worden ist, führt auch dies zu keiner anderen Auslegung.

Der Kläger trägt schon gar nicht vor, dass er von der Ausländerbehörde des Landkreises A-Stadt tatsächlich falsch über die Geltungsdauer der von ihm abgegebenen Erklärung informiert worden ist, sondern spekuliert hierüber lediglich (Zitat: „Mithin ist davon auszugehen, dass (…)“). Aus der Verpflichtungsurkunde selbst spricht der Beweis des ersten Anscheins, dass diese den Willen der Parteien richtig und vollständig wiedergibt.

Der in Bezug genommenen Runderlass würde jedoch – ohnehin nur hypothetisch – nicht zwingend eine Fehlinformation über die Geltungsdauer der Verpflichtungserklärung indizieren. Es heißt dort nämlich u.a.:

„(…) die Geltungsdauer einer Verpflichtungserklärung (…) endet mit (…) Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen anderen Aufenthaltszweck. (…) Der Systematik des Aufenthaltsgesetzes folgend, bezieht sich der Aufenthaltszweck auf die jeweilige spezielle Erteilungsgrundlage. (…) Dies gilt auch für Verpflichtungserklärungen, die im Rahmen meines Runderlasses vom 03.03.2014 („Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für syrische Flüchtlinge, die eine Aufnahme durch ihre in Niedersachen lebenden Verwandten beantragen“, 12230/ 1-8 (§ 23 Abs. 1 AufenthG)) abgegeben wurden oder werden. (…) Das BMI vertritt (…) die Auffassung, dass mit Gewährung eines Aufenthaltstitels nach § 25 AufenthG für bereits über humanitäre Aufnahmeprogramme Zuflucht erhaltende syrische Bürgerkriegsflüchtlinge kein anderer Aufenthaltszweck verwirklicht werde. (…) Niedersachsen vermag, ebenso wie andere Länder, diese Auffassung (…) nicht zu teilen.“

Aus den zitierten Passagen geht nämlich auch hervor, dass bundesweit unterschiedliche Ansichten zur Geltungsdauer für Verpflichtungserklärungen vertreten werden. Eine hypothetische Information über die Geltungsdauer der Verpflichtungserklärung hätte also auch dahin erfolgen können, dass Niedersachsen zwar die Ansicht vertritt, dass mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG die Geltungsdauer endet, dass diese Ansicht aber umstritten und (bisher) nicht bundeseinheitlich verbindlich geklärt ist. Wäre der Verpflichtungsgeber in diesem Sinne von der Ausländerbehörde informiert worden, wäre er dann die Verpflichtungserklärung sehenden Auges im Hinblick auf die Möglichkeit eingegangen, dass diese nicht zwingend mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG endet.

Die demgegenüber abweichende Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Würtemberg (Urteil vom 12.07.2017, 11 S 2338/16, veröffentlicht in JURIS) wird vom Einzelrichter nicht geteilt, denn sie steht nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil v. 26.01.2017, 1 C 10/16, veröffentlicht in JURIS ) im Einklang. Die in der Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Würtemberg erwogene Heranziehung von Auslegungsgrundsätzen bei der Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen (speziell § 305c Abs. 2 BGB) ist nach hier vertretener Ansicht nicht auf die Verpflichtungserklärung als einseitiger Willenserklärung des öffentlichen Rechts übertragbar, weil die Initiative zur Abgabe einer ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärung typischerweise vom Verpflichtungsgeber und nicht der Behörde ausgeht. Zwar mag zur Vereinfachung ein Formular der Behörde Verwendung finden, dieses kann aber aus vorgenanntem Grunde nicht als einseitig vom Verwender gestellt im Sinne der zivilrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften werden. Ungeachtet dessen läge nach der Rechtsprechung zu § 305c Abs. 2 BGB ein nicht behebbarer Auslegungszweifel nur dann vor, wenn mindestens zwei Auslegungsergebnisse vertretbar sind und keines den klaren Vorzug verdient. Im Anschluss an die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 08.12.2017, 18 A 140/16, veröffentlicht in JURIS) ist jedoch dem vom Bundesverwaltungsgericht gefundenen Auslegungsergebnis gegenüber der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Würtemberg der Vorzug zu geben.

c) Die Verpflichtung ist nicht wegen krasser finanzieller Überforderung des Bürgen nach § 138 BGB analog sittenwidrig und nichtig. Es kann offenbleiben, ob die zivilrechtlichen Regelungen zur Sittenwidrigkeit in vorliegenden Fällen überhaupt Anwendung finden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten nur dann von der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich besonders nahe steht (vgl. BGH, Urteil v. 15.11.2016, XI ZR 32/16, veröffentlicht in JURIS) An einem solchen Näheverhältnis fehlt es in den vorliegenden Konstellationen bei der Abgabe einer ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärung. Der Kläger hat sich nämlich für eine sozialfürsorgliche Schuld des Staates (Regelleistungen nach dem SGB II, Kosten für Unterkunft und Heizung sowie Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung) verpflichtet.

d) Die Verpflichtung ist nicht durch eine erklärte Anfechtung erloschen. Es kann offenbleiben, ob die zivilrechtlichen Regelungen zur Anfechtung in vorliegenden Fällen überhaupt Anwendung finden.

Eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums nach § 119 BGB analog scheidet aus, weil ein solcher Anfechtungsgrund nicht gegeben ist. Bei einem Inhaltsirrtum fallen der nach außen objektiv erkennbare Erklärungstatbestand und der innere Wille des Erklärenden auseinander; kurz gesagt, ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende objektiv etwas erklärt hat, was er nicht wollte. Der Kläger hat vorliegend aber verbindlich genau das erklärt, was er wollte. Eine inhaltlich versehentlich falsche Erklärung liegt nicht vor. Dass der Kläger womöglich keine genauen oder richtigen Vorstellungen vom Umfang der übernommenen Kostenhaftung hatte, ist irrelevant (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Ein Irrtum über die rechtlichen Folgen der angegebenen Erklärung wäre nur dann beachtlich, wenn das Rechtsgeschäft nicht die erstrebten, sondern davon wesentlich verschiedene Rechtswirkungen erzeugt. Die aus Sicht des Klägers wesentliche Rechtsfolge, nämlich die erlaubte Einreise der begünstigten Person (deren Unterhalt nunmehr auf Grundlage der abgegebenen Verpflichtungserklärung gesichert erschien), ist jedoch eingetreten (vgl. auch VG Gießen, Urteil v. 12.12.2017, 6 K 2716/16.GI, veröffentlicht in JURIS)

Eine Anfechtung wegen Täuschung bei Abgabe der Willenserklärung nach § 123 BGB analog kommt nicht in Betracht, weil schon eine der Ausländerbehörde zurechenbare Täuschungshandlung nicht ausreichend dargelegt bzw. aus dem Verwaltungsvorgang heraus erkennbar ist. Auf die obigen Ausführungen zur vermeintlichen Falschinformation wird verwiesen.

Motivirrtümer berechtigen nicht zur Anfechtung.

Ob die Anfechtung gegenüber dem Beklagten als „richtigem“ Empfänger erklärt wurde, oder hätte gegenüber der Ausländerbehörde des Landkreises A-Stadt erklärt werden müssen, kann somit dahinstehen.

2. Der Bescheid zur Kostenerstattung auf Grundlage der Verpflichtungserklärung ist gleichwohl rechtswidrig, denn der Beklagte die hier ausnahmsweise erforderliche Ermessensentscheidung über die Heranziehung des Klägers nicht getroffen.

Der Vorschrift des § 68 AufenthG ist zwar nicht zu entnehmen, ob die anspruchsberechtigte öffentliche Stelle den Verpflichteten heranziehen muss oder unter welchen Voraussetzungen sie davon absehen kann. Der Staat ist unter Berücksichtigung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Gebots der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit öffentlicher Haushalte allerdings in der Regel verpflichtet, ihm zustehende Geldleistungsansprüche durchzusetzen, ohne dass dahingehende Ermessenserwägungen anzustellen wären. Ein Regelfall liegt vor, wenn die Voraussetzungen der Aufenthaltsgenehmigung einschließlich der finanziellen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren geprüft worden sind und nichts dafürspricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung führen könnte (OVG Lüneburg, Urteil v. 03.05.2018, 13 LB 2/17, veröffentlicht in JURIS).

Die erstattungsberechtigte Stelle hat allerdings ausnahmsweise bei atypischen Gegebenheiten zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit im Einzelfall im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten ggf. eingeräumt werden. Wann in diesem Sinne ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, ist anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.04.2013,10 C 10.12; vom 13.02.2014, 1 C 4.13 und vom 26.01.2017, 1 C 10/16; OVG Lüneburg, Urteil v. 03.05.2018, 13 LB 2/17 alle veröffentlicht in JURIS).

Solch ein atypischer Einzelfall ist vorliegend gegeben.

Die Ausländerbehörde ist bereits bei der Entgegennahme der Verpflichtungserklärung zu Unrecht von der Leistungsfähigkeit des Klägers ausgegangen. Zwar hatte der Kläger erklärt, zur Übernahme der Verpflichtung wirtschaftlich in der Lage zu sein. Jedoch hatte er der Ausländerbehörde eine Verdienstbescheinigung über sein monatliches Nettoeinkommen über 900,00 € als angestellter Frisör vorgelegt, die seiner behaupteten Leistungsfähigkeit entgegenstand. Die von der Ausländerbehörde angestellte Überprüfungsberechnung (Bl. 54 d.A.), mit der sie zu der Bewertung kam, der Kläger sei zur Übernahme der Verpflichtungen finanziell in der Lage, ist nicht tragfähig. Die Ausländerbehörde hat nämlich von dem monatlichen Nettoeinkommen des Klägers lediglich den Bedarfssatz zur Sicherung des Existenzminimums (§ 27 a SGB XII) auf Seiten des Klägers/Verpflichtungsgebers und des Gastes (von damals jeweils 391,00 € für Alleinstehende) abgezogen.

Der Bedarfssatz zur Sicherung des Existenzminimums nach § 27a SGB XII umfasst dabei Aufwendungen für Nahrung, alkoholfreie Getränke, Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Nachrichtenübermittlung, Bekleidung, Schuhe, Strom (ohne Heizung), Wohninstandhaltung, Innenausstattung, Haushaltsgeräte, Haushaltsgegenstände, andere Waren und Dienstleistungen, Verkehr, Gesundheitspflege, Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen sowie Bildung (vgl. hierzu www.hartziv.org/Regelsatz; Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26.10.2010). Daneben umfasst der Bedarf nach dem SGB XII als Hilfe zum Lebensunterhalt zusätzlich die Bedarfe für Kranken-/Pflegeversicherung (§ 32 SGB XII) und Unterkunft/Heizung (§ 35 SGB XII).

Die Ausländerbehörde hat bei der Überprüfungsberechnung unberücksichtigt gelassen, dass der Verpflichtungsgeber für sich selbst noch Kosten für Unterkunft/Heizung (Kranken-/Pflegeversicherungsbeiträge sind bereits beim Nettoeinkommen schon berücksichtigt) und für den Gast zusätzlich Kosten für Kranken/Pflegeversicherung und Unterkunft/Heizung zu tragen hat. Diese Kosten können offenkundig von einem hypothetischen Resteinkommen von monatlich 118,00 € (900,00 € - 2 x 391,00 €) nicht getragen werden. Somit war offenkundig, dass der Kläger von Anfang an nicht leistungsfähig war.

Die Leistungsunfähigkeit wird noch evidenter, wenn man den tatsächlich geforderten Erstattungsbetrag heranzieht: Zieht man nämlich für den Kläger/Verpflichtungsgeber von seinem damals nachgewiesenem monatlichen Nettoeinkommen von 900,00 € die Bedarfssätze nach SGB XII für das Existenzminimum und für Unterkunft/Heizung ab (Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sind beim Nettoeinkommen schon berücksichtig), verbleibt kein Resteinkommen mehr, mit dem der durchschnittlich geforderte monatliche Erstattungsbetrag für den Gast von 687,00 € (= 19.933,19 € : 29 Monate) auch nur annähernd gedeckt wäre.

Ungeachtet dessen hat sich der Beklagte mit der Leistungsfähigkeit des Klägers sachlich überhaupt nicht auseinandergesetzt. Die Behörde, die die Verpflichtungserklärung des Klägers entgegengenommen hat und der Beklagte sind nicht identisch.

Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung vor Erlass des Heranziehungsbescheides u.a. vorgetragen, dass im Hinblick auf sein Einkommen als Frisör ein atypischer Fall vorliege. Der Beklagte hat hierauf jedoch nicht weiter reagiert, wobei es nahegelegen hätte, aktuelle Einkommensnachweise oder den letzten Einkommenssteuerbescheid anzufordern. Der Beklagte hat noch nicht einmal bei der Ausländerbehörde nachgefragt, ob – und wenn ja durch welche Unterlagen – womöglich die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers damals bei Entgegennahme der Verpflichtungserklärung nachgewiesen worden ist. Auch dem Verwaltungsvorgang des Beklagten waren solche Unterlagen nicht zu entnehmen. Die Anforderung dieser letztgenannten Unterlagen ist erst durch das Gericht im Rahmen des vorliegenden Prozesses durch Verfügung vom 31.05.2018 (Bl. 43 d.A.) erfolgt.

In dem Bescheid des Beklagten selbst heißt es zwar „Unter Abwägung aller Gesichtspunkte, bin ich zu der Entscheidung gekommen, Sie zur Erstattung (…) aufzufordern. Weder ihr Vorbringen noch die Aktenlage lassen seine unbillige Härte erkennen.“ Hierbei handelt es sich jedoch um eine bloße allgemeine Leerformel, die belegt, dass sich der Beklagte überhaupt nicht mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt hat. Der Beklagte hätte, sowohl aufgrund der Reaktion des Klägers auf das Anhörungsschreiben als auch aufgrund der schon anfänglichen Leistungsunfähigkeit (die der Beklagte nicht zur Kenntnis genommen hat) die aktuelle Einkommenssituation des Klägers von Amts wegen nach § 24 VwVfG aufklären müssen. Unter Umständen wäre sogar eine Einkommensverbesserung im Vergleich zum Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung zu verzeichnen, denn der Akte der Ausländerbehörde ist zu entnehmen, dass der Kläger zumindest im November 2016 monatliche Einkünfte aus Gewerbetrieb (vor Steuerabzug) in Höhe von monatlich 1.800,00 € erzielte (Bl. 48, 58 d.A.). Indem der Beklagte aber eine bloße Leerformel verwendet hat, hat er nicht einfach nur „schlicht“ ermessensdefizitär (im Hinblick auf den evidenten Aufklärungsmangel) entschieden, sondern de facto das Ermessen gar nicht ausgeübt.

Die daraus folgende Ermessensfehlerhaftigkeit im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch nicht durch eine Nachholung von Ermessenserwägungen geheilt werden. § 114 Satz 2 VwGO schafft die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. BVerwG, Beschluss v. 15.7.2013; Urteil v. 5.9.2006, beide veröffentlicht in JURIS).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

Der Streitwertbeschluss beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.