Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.03.2014, Az.: 2 A 449/12

Maß der Bebauung; Einfügen; Werbeanlage

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.03.2014
Aktenzeichen
2 A 449/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42695
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Erzeugt eine Werbeanlage eine in der näheren Umgebung beispiellose Barrierewirkung, fügt sie sich ihrem Maß nach nicht in die nähere Umgebung ein.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin ist ein Unternehmen der Außenwerbung.

Am 24. September 2011 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Errichtung einer Werbeanlage auf dem von ihr anzumietenden Grundstück G. Straße xx in E. /H., Flurstück xxx/x der Flur xx in der Gemarkung H.. Die Werbeanlage, die für Fremdwerbung gedacht ist, soll eine Größe von 2,8 m x 3,8 m haben und quer zu der durch H. führenden B 3 direkt an der Grenze zum Straßengrundstück stehen.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Januar 2012 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, die Anlage füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Die nähere Umgebung stelle sich als Dorfgebiet dar. In einem solchen Gebiet sei Werbung nach dem niedersächsischen Bauordnungsrecht nur an der Stätte der Leistung erlaubt. Eine derartige Werbung wolle die Klägerin nicht betreiben.

Hiergegen legte die Klägerin am 13. Januar 2012 Widerspruch ein und hat am 11. Mai 2012 (Untätigkeits-) Klage, nachdem über ihren Widerspruch – wie bis jetzt – nicht entschieden worden war.

Sie ist der Auffassung die nähere Umgebung der Werbeanlage stelle sich als Mischgebiet dar; in der Nähe seien zahlreiche Gewerbebetriebe neben Wohnnutzung zu finden. Ferner gebe es schon Werbeanlagen auf privaten wie auch auf öffentlichen Flächen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 3. Januar 2012 zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage auf dem Grundstück G. Straße xx, Flurstück xxx/x der Flur xx in der Gemarkung H. zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihre im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung. Hierzu legt sie eine Liste und Karte vor, aus der sich die in H. gelegenen landwirtschaftlichen Hofstellen ergeben, die bei der Landwirtschaftskammer Hannover als solche geführt werden.

Das Gericht hat in mündlicher Verhandlung Beweis über die nähere Umgebung des geplanten Standorts der streitbefangenen Werbeanlage durch Einnahme des Augenscheins erhoben. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist gemäß § 75 VwGO zulässig, weil die Beklagte bis heute ohne zureichenden Grund über den Widerspruch der Klägerin vom 13. Januar 2012 nicht entschieden hat. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2012 ist rechtmäßig und die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 75 NBauO in der gemäß § 86 Abs. 1 NBauO vom 2. April 2012 hier noch anzuwendenden Fassung vom 10. Februar 2003 ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht.

Da es sich bei der zur Genehmigung gestellten Werbeanlage, die fest mit dem Boden verbunden werden soll gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 NBauO um eine bauliche Anlage handelt, stellt ihre Errichtung gemäß § 2 Abs. 5 NBauO eine Baumaßnahme dar; diese ist gemäß § 68 Abs. 1 NBauO genehmigungsbedürftig. Sie ist jedoch nicht genehmigungsfähig, weil sie nicht dem öffentlichen Baurecht entspricht.

Zum öffentlichen Baurecht gehören gemäß § 2 Abs. 10 NBauO u.a. auch die Vorschriften des städtebaulichen Planungsrechts; gegen diese Vorschriften verstößt die von der Klägerin geplante Aufstellung der Werbeanlage.

Da die Werbeanlage in einer auf Dauer gedachten Weise fest mit dem Erdboden verbunden werden soll und städtebauliche Relevanz besitzt, handelt es sich bei ihr um ein Vorhaben im Sinne von § 29 BauGB. Dessen bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich folglich nach §§ 30 bis 37 BauGB. Da es einen Bebauungsplan für die Ortschaft H. auf dem Gebiet der Beklagten nicht gibt, richtet sich die Zulässigkeit der Werbeanlage bauplanungsrechtlich hier nach § 34 BauGB. Danach ist ein Vorhaben innerhalb bebauter Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Unabhängig von der zwischen den Beteiligten umstrittenen (wegen des einschlägigen Anwendungsbereichs des § 49 Abs. 4 NBauO bauordnungsrechtlichen) Frage, ob sich die nähere Umgebung des Aufstellungsortes als Dorfgebiet oder als Mischgebiet darstellt, fügt sich die Anlage nach ihrem Maß nicht wie von § 34 Abs. 1 BauGB verlangt, in die nähere Umgebung ein.

Über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Werbeanlage für Zwecke der Fremdwerbung ist nicht schon dann abschließend entschieden, wenn sie in einem unbeplanten Gebiet errichtet werden soll, das – dies zugunsten der Klägerin unterstellt – durch eine gewerbliche Nutzung geprägt ist. Vielmehr muss sich die Anlage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB auch ihrem Maß nach in die nähere Umgebung einfügen. Dies ist hier nicht der Fall.

Für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung kommt es, wie bei der Art der Nutzung auch, ebenfalls auf die gesamte in der Nachbarschaft vorhanden Bebauung an, soweit sie für die Eigenart der näheren Umgebung von Bedeutung ist; hält sich ein Vorhaben hinsichtlich seines Maßes innerhalb des sich aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens, so fügt es sich im Regelfall seinem Maße nach ein; überschreitet es diesen Rahmen, so ist es nur (ausnahmsweise) zulässig, wenn es nicht selbst oder infolge seiner Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen. Städtebauliche Spannungen wegen des Maßes der baulichen Nutzung können nur dann auftreten, wenn das Vorhaben unabhängig von seiner Nutzungsart, die die Kammer hier ausdrücklich offen lässt, den vorhandenen Rahmen in unangemessener Weise überschreitet. Bei der Beurteilung, ob sich eine großflächige Werbetafel nach dem Maß ihrer baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, sind demgemäß nicht nur Werbeanlagen, sondern alle vorhandenen baulichen Anlagen, insbesondere auch Gebäude, zu berücksichtigten (zum Ganzen, BVerwG, Urteil vom 15.12.1994 -4 C 19.93-, BauR 1995, 506). Gemessen hieran vermag das Gericht nach der Augenscheinseinnahme nicht festzustellen, dass sich die von der Klägerin zur Genehmigung gestellte Werbeanlage nach ihrem Maß in die nähere Umgebung einfügt.

Die Werbeanlage ist mit einer Gesamtfläche von 10,64 m2 ohne weiteres für jeden Betrachter, insbesondere Verkehrsteilnehmer, weithin sichtbar; das ist gerade der ihr innewohnende Zweck. Nach den von der Klägerin vorgelegten Bauantragsunterlagen soll die Anlage quer zur Straßenführung, und damit nicht, wie im o.a. vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall an einer Hauswand, errichtet werden. Damit ist die klägerische Werbeanlage in der gesamten Ortschaft H. ohne Beispiel. Sämtliche bauliche Anlagen, seien es Gebäude, Werbeanlagen oder sonstige Anlagen, stehen parallel zur Bundesstraße 3. Dies ergibt sich schon aus der von der Beklagten vorgelegten Lageskizze wie auch aus der eingereichten Luftbildaufnahme, und fand sich auch im Rahmen des Ortstermins bestätigt. Von der beabsichtigten Werbeanlage geht daher, zumal sie direkt an der Bundesstraße errichtet werden soll, eine Barrierewirkung aus, wie sie in H. ohne Vorbild ist. Dadurch fügt sie sich ihrem Maße nach nicht in die vorhandene Bebauung ein und erzeugt infolge ihrer Vorbildwirkung (unerwünschte) städtebauliche Spannungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.