Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.08.2020, Az.: 1 Ws 327/20
Mehrere Verteidiger aus einer Sozietät; Interessenkollision bei mehreren Verteidigern aus einer Sozietät; Einverständnis der Mandanten als Orientierungshilfe für Zulässigkeit der Vertretungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 12.08.2020
- Aktenzeichen
- 1 Ws 327/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 65701
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 10.07.2020 - AZ: 6 Ks 7/20
Rechtsgrundlagen
- § 142 Abs. 7 StPO
- § 311 StPO
- § 467 Abs. 1 StPO
- § 3 Abs. 2 S. 2 BORA
Redaktioneller Leitsatz
Werden mehrere Angeklagte durch Rechtsanwälte aus derselben Sozietät vertreten, so ist dies nicht grundsätzlich unzulässig, sondern nur dann, wenn eine Interessenkollision besteht. Das Einverständnis der Mandanten legitimiert dies zwar nicht dem Grunde nach, ist aber ein gewichtiges Argument für die Zulässigkeit. § 3 BORA dient insoweit als Orientierungshilfe.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 10. Juli 2020,
durch den dem Angeklagten AA als Pflichtverteidiger CC bestellen wurde,
wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten der sofortigen Beschwerde und insoweit dem Angeschuldigten entstandene notwendige Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Nachdem sich in dem dem vorliegenden Strafverfahren zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Osnabrück zunächst für den Mitangeklagten DD Herr Rechtsanwalt EE und sodann für den Angeklagten AA Herr Rechtsanwalt CC als Verteidiger zu den Akten gemeldet und jeweils die Bestellung als Pflichtverteidiger beantragt hatten, beantragte die Staatsanwaltschaft Osnabrück mit Übersendungsverfügung der Anklageschrift vom 18. Mai 2020, Herrn Rechtsanwalt EE als Pflichtverteidiger zu bestellen, die Bestellung des Herrn Rechtsanwalt CC jedoch wegen einer offensichtlichen Interessenkollision abzulehnen - da dieser in einer Sozietät mit Herrn Rechtsanwalt EE tätig sei - und insoweit einen anderen Pflichtverteidiger zu bestellen.
Daraufhin ist unter dem TT. Mai 2020 zunächst Herr Rechtsanwalt EE als Pflichtverteidiger für den (Mit-) Angeklagten DD bestellt worden.
Nachdem der Angeklagte AA sowie dessen Betreuer und der Verteidiger bezüglich einer etwaigen Interessenkollision Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und keine Bedenken erhoben hatten, hat das Landgericht Herrn Rechtsanwalt CC sodann mit Beschluss vom TT. Juli 2020 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten AA bestellt.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der diese die Aufhebung der Bestellung des Herrn Rechtsanwalt CC zum Pflichtverteidiger begehrt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Entscheidungen und Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 142 Abs. 7 i.V.m. § 311 StPO zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Grundsätzlich ist eine Verteidigerbestellung von Anwälten aus derselben Kanzlei für Mitbeschuldigte, -angeschuldigte oder -angeklagte nicht generell unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss v. 28.10.1976 - 2 BvR 23/76, juris).
Dies ist nur dann der Fall, wenn Hinweise auf einen Interessenkonflikt bestehen. In einem solchen Fall hat die Verteidigerbestellung von Sozien oder Mitgliedern einer Bürogemeinschaft aus Gründen der Fairness des Verfahrens zu unterbleiben, eine bereits erfolgte Bestellung ist in diesem Fall aufzuheben (vgl. BGH, Urteil v. 11.06.2014 - 2 StR 489/13 - m.w.N., juris).
Die Beurteilung, ob Umstände vorliegen, die die Ablehnung eines Pflichtverteidigers wegen einer Interessenkollision begründen können, obliegt dem zuständigen Gerichtsvorsitzenden, welchem hierbei ein gewisser Beurteilungsspielraum zukommt, der nicht der umfassenden Nachprüfung des Rechtsmittelgerichts unterliegt (vgl. BGH, Beschluss v. 15.01.2003 - 5 StR 251/02 m.w.N., juris).
Gemessen daran begegnet die Bestellung eines Verteidigers aus derselben Sozietät, der auch der Verteidiger des Mitangeklagten DD angehört, im vorliegenden Fall keinen durchgreifenden Bedenken. Die Entscheidung bewegt sich innerhalb des bestehenden Beurteilungsspielraums.
Konkrete Anhaltspunkte für einen bereits bestehenden Interessenkonflikt sind vorliegend nicht ersichtlich und deshalb seitens des Landgerichts zu Recht verneint worden.
Zwar kann auch die bloße Absehbarkeit eines sich erst künftig einstellenden Interessenkonfliktes die Ablehnung einer Bestellung als Pflichtverteidiger rechtfertigen (vgl. BGH, Beschluss v. 15.01.2003, a.a.O.). Ob ein Interessenskonflikt immer bereits dann zu befürchten ist, wenn mehrere Rechtsanwälte derselben Sozietät mehrere Mitbeschuldigte verteidigen und eine Anklage wegen einer gemeinsam begangenen Tat vorliegt, sodass eine wechselseitige Bezichtigung der Begehung größerer Tatbeiträge in Betracht kommt oder auch die interessenwidrig veranlasste unterbleibende Einlassung zur Sache, die im Falle wahrheitsgemäßer Angaben zur Belastung des anderen führen würde (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss v. 02.03.2018 - 1 Ws 12/18, juris), kann vorliegend jedoch dahinstehen. Denn auch wenn eine derartige Erwägung in die Beurteilung einzustellen sein sollte, hätte dies keine so weitreichende Verengung des Beurteilungsspielraums zur Folge, dass die Entscheidung des Landgerichts vorliegend zu beanstanden wäre.
Die Entscheidung des Vorsitzenden wird bereits dadurch gestützt, dass sowohl der Angeklagte als auch dessen Betreuer und der Verteidiger keine Bedenken geäußert, sondern vielmehr einer Vertretung des Angeklagten durch Rechtsanwalt CC ausdrücklich zugestimmt haben (vgl. BGH, Urteil v. 24.02.2016 - 2 StR 319/15, juris). Vermag ein solches Einverständnis auch - wie das Hanseatische Oberlandesgericht (a.a.O. Rn.16) annimmt, in der Regel für sich gesehen den dargestellten Grundsatz nicht zu entkräften, so ist dies vorliegend jedoch zumindest deshalb der Fall, weil ein hinreichend überprüfbares, den Anforderungen des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA genügendes Einverständnis des durch seinen Betreuer vertretenen Angeklagten erklärt worden ist. Dieser hat ausdrücklich bestätigt, nach ausführlicher Erörterung des Problemfeldes seien sowohl er als auch der Angeklagte selbst mit der Verteidigung durch Herrn Rechtsanwalt CC nicht nur einverstanden, eine solche werde vielmehr ausdrücklich gewünscht. Die standesrechtliche Regelung des § 3 BORA ist als Orientierungshilfe bei der Frage, ob ein Interessenkonflikt besteht, heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil v. 11.06.2014 a.a.O.).
Im Übrigen vermag ein allein aufgrund der abstrakten Gefahr seiner Entstehung prognostizierbarer Konflikt eine Überschreitung des nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums nicht automatisch aufzuzeigen.
Sonstige Umstände, welche der Bestellung des Pflichtverteidigers entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt entsprechend aus § 467 Abs. 1 StPO.