Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.10.1995, Az.: Ws 163/95

Verhängung einer Gesamtstrafe wegen Untreue in drei Fällen und eines Betruges; Anrechnung einer im Ausland erlittenen Auslieferungshaft bei einer Verurteilung; Rechtskraft einer Vollstreckungsmaßnahme in Form einer Strafzeitberechnung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
26.10.1995
Aktenzeichen
Ws 163/95
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 17685
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1995:1026.WS163.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 21.08.1995 - AZ: 31 AR 19/95

Fundstelle

  • NStZ 1996, 280-281 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Betrug

Prozessgegner

Steuer- und Wirtschaftsberater ... geboren am 31. Oktober 1929 in ..., wohnhaft ...

In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts ...
am 26. Oktober 1995 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ... gegen den Beschluß des Landgerichts ... vom 21. August 1995 wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

1.

Nachdem das Landgericht ... gegen den Verurteilten am 27.03.1990 eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und sechs Monaten wegen Untreue verhängt hatte, setzte der Verurteilte sich alsbald nach Spanien ab. Am 18.12.1992 wurde er in Malaga festgenommen und befand sich bis zu seiner Übergabe an deutsche Behörden am 19.05.1994 in spanischer Auslieferungshaft. Die Auslieferung wurde u.a. von der Staatsanwaltschaft ... aufgrund eines Vollstreckungshaftbefehls in vorliegender Sache betrieben. Parallel dazu betrieb die Staatsanwaltschaft ... die Auslieferung aufgrund eines Untersuchungshaftbefehls des Amtsgerichts ... in anderer Sache. Nach seiner Auslieferung verbüßte der Verurteilte in Unterbrechung der Untersuchungshaft auch 130 Tage Strafhaft in der vorliegenden Sache.

2

Die Staatsanwaltschaft ... verfügte am 06.12.1994, daß die in Spanien verbüßte Auslieferungshaft von 518 Tagen im allgemein für angemessen gehaltenen Verhältnis 1:2 auf die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten anzurechnen sei; die auf dieser Grundlage durchgeführte Strafzeitberechnung führte zu dem Ergebnis, daß die Freiheitsstrafe von insgesamt 915 Tagen vollständig verbüßt war und sogar ein Überhang bestand, der auf die Untersuchungshaft in anderer Sache anzurechnen war. Einwendungen des Verurteilten gegen den Anrechnungsmaßstab wies das Landgericht ... durch Beschluß vom 29.12.1994 als unbegründet zurück.

3

In der erwähnten anderen Sache verhängte das Landgericht ... gegen den Verurteilten am 13.03.1995 (Geschäftsnr.: 49 a 70/93; KLs 97 Js 52070/92 StA Hannover) wegen Untreue in drei Fällen und wegen Betruges eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren; gleichzeitig sprach es im Tenor des noch am Tage der Verkündung rechtskräftig gewordenen Urteils aus, daß die in Spanien erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:3 anzurechnen sei und daß die Freiheitsstrafe durch Auslieferungs- und Untersuchungshaft verbüßt sei. Nach Kenntnisnahme von diesem Urteil vertrat die Staatsanwaltschaft ... die Auffassung, die Strafzeitberechnung in der vorliegenden Vollstreckungssache sei unklar geworden und sie stellte beim Landgericht ... einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 458 StPO. Diesen Antrag wies das Landgericht durch Beschluß vom 21.08.1995 mit der Begründung zurück, daß das Urteil des Landgerichts ... auf die hiesige Strafzeitberechnung keinen Einfluß habe und deshalb insoweit auch kein Zweifel über die Berechnung der zu vollstreckenden Strafe entstanden sei. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft ... mit der sofortigen Beschwerde; da die Staatsanwaltschaft ... sich an den Ausspruch des Landgerichts ... über die vollständige Verbüßung der dort ausgesprochenen Strafe gebunden fühle, befürchtet sie, daß die Auslieferungshaft ohne neue Strafzeitberechnung im vorliegenden Verfahren doppelt, d.h. auf zwei Strafen nicht nacheinander, sondern parallel angerechnet werden könnte.

4

2.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg, denn die Staatsanwaltschaft ... hat die Strafzeit zutreffend berechnet und Zweifel über die Strafzeit können deshalb nicht in der vorliegenden, sondern allenfalls in der ... Vollstreckungssache bestehen.

5

Zutreffend hat die Staatsanwaltschaft ... am 06.12.1994 die in Spanien erlittene Auslieferungshaft des Verurteilten zunächst auf die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts ... vom 27.03.1990 angerechnet, und zwar soweit, bis die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten (unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Strafhaft von 130 Tagen) verbüßt ist. Hierzu war sie nach § 450 a Abs. 1 S. 2 StPO verpflichtet, wonach Auslieferungshaft, die sowohl zum Zwecke der Strafvollstreckung, als auch zum Zwecke der Strafverfolgung bestanden hat, zunächst auf die bereits rechtskräftig verhängte Strafe anzurechnen ist (zur Auslegung dieser Vorschrift vgl. BGH NStZ 1985, 497). Auch die Auswahl des Anrechnungsmaßstabes oblag der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 4 S. 2 StGB (Fischer in KK StPO, 3. Aufl., § 450 a Rdnr. 8). Die Einwendungen des Verurteilten gegen den Maßstab 1:2 hat das Landgericht bereits durch Beschluß vom 29.12.1994 zurückgewiesen. Der Ausspruch des Landgerichts ... in dem nachfolgenden Urteil vom 13.03.1995, wonach die dort verhängte Strafe u.a. auch wegen der erlittenen Auslieferungshaft bereits verbüßt sei, steht im Widerspruch zur Strafzeitberechnung der Staatsanwaltschaft ... weil die Zeiten von Auslieferungshaft und Untersuchungshaft zusammengenommen nicht ausreichen, um beide verhängten Freiheitsstrafen abzudecken. Der Feststellung des Landgerichts ... vom 13.03.1995 kommt aber nicht deshalb ein Vorrang gegenüber der vorangegangenen Strafzeitberechnung der Staatsanwaltschaft ... vom 06.12.1994 zu, weil er in Form eines Urteils ergangen ist und der Rechtskraft fähig wäre. Sie ist vielmehr nur deklaratorischer Natur. Äußerungen eines Gerichts im Urteilstenor darüber, daß Untersuchungshaft anzurechnen sei, sind überflüssig, da die Anrechnung gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 StGB von Gesetzes wegen erfolgt. Einer der Fälle, in denen das Urteil sich ausnahmsweise zur Anrechnung verhalten muß (vgl. dazu BGHSt 27, 287 ff), liegt hier nicht vor. Der mithin überflüssige Ausspruch im Urteil des Landgerichts ... hat keine rechtliche Wirkung; vor allen Dingen kann er nicht bewirken, daß aufgrund dieses Urteils eine längere Strafhaft als verbüßt gilt, als sie nach vorangegangener Anrechnung in einem anderen Verfahren noch zur Verfügung stand. Dies entspricht der Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach ein in der Urteilsformel enthaltener Ausspruch über die Anordnung der Untersuchungshaft die Strafzeit nur insoweit zu tilgen vermag, als sie der wirklich erlittenen Untersuchungshaft entspricht (BGH NStZ 1983, 524). Daraus folgt, daß der Ausspruch über die Verbüßung der Strafe im Urteil vom 13.03.1995 auch formal als das anzusehen ist, was er der Sache nach darstellt, nämlich ein - an sich der Vollstreckungsbehörde zustehender - Akt der Strafzeitberechnung (vgl. dazu BGH NStZ 1985, 497; Fischer in KK StPO, 3. Aufl., § 450 a Rdnr. 2, 8). Die Strafzeitberechnung als Vollstreckungsmaßnahme erwächst jedoch nicht in Rechtskraft (Pohlmann Jabel, StVollstrO, 6. Aufl., § 4 Rdnr. 5). Deshalb kann die zuständige Strafvollstreckungsbehörde, die Staatsanwaltschaft ... diese Maßnahme überprüfen und bei der neu vorzunehmenden Strafzeitberechnung die Zeiten berücksichtigen, für welche die Auslieferungshaft durch Anrechnung auf die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts ... vom 27.03.1990 verbüßt ist; dabei wird sie auch zu berücksichtigen haben, daß 130 Tage Freiheitsstrafe bereits verbüßt waren, bevor die Anrechnung erfolgte. Nach § 51 As. 4 S. 2 StGB wirksam ist im Grundsatz zwar die Festlegung des Anrechnungsmaßstabes von 1:3 durch das Landgericht ... dieser Maßstab kann jedoch nur auf denjenigen Rest der Auslieferungshaft angewendet werden, der nicht durch die vorangegangene Entscheidung der Vollstreckungsbehörde in Braunschweig bereits durch Anrechnung verbraucht war.