Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.01.1997, Az.: Ws 5/97
Gründe für die Ablehung eines Richters wegen Misstrauens gegen dessen Unparteilichkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 22.01.1997
- Aktenzeichen
- Ws 5/97
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1997, 12176
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1997:0122.WS5.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig: - 23.12.1996 - AZ: 39 KLs 801 Js 36686/96
Verfahrensgegenstand
Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz
Prozessgegner
1. ... geboren am 05. Juni 1973 in ... wohnhaft ... ledig, Deutscher,
2. ... geboren am 10. Januar 1969 in ... wohnhaft ... z.Zt. Justizvollzugsanstalt ... ledig. Deutscher,
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 22. Januar 1997
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten Berger gegen den Beschluß des Landgerichts Braunschweig vom 23. Dezember 1996 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen
Gründe:
Das vom Verteidiger, Rechtsanwalt ... namens des Angeschuldigten (vgl. § 24 Abs. 3 StPO) eingelegte Rechtsmittel ist nach § 28 Abs. 2 StPO statthaft und auch sonst zulässig; es hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil das Landgericht den Befangenheitsantrag gegen den abgelehnten Richter zu Recht als unbegründet zurückgewiesen hat.
Nach § 24 Abs. 2 StPO kann ein Angeschuldigter einen Richter wegen Mißtrauens gegen dessen Unparteilichkeit ablehnen, wenn der Angeschuldigte von seinem Standpunkt aus bei verständiger Überlegung Grund zu einer solchen Besorgnis haben kann (BGHSt 24, 336, 338) [BGH 27.04.1972 - 4 StR 149/72]. Die Besorgnis kann naheliegen, wenn im Laufe des Verfahrens persönliche Spannungen unmittelbar zwischen Angeschuldigtem und Richter auftreten. Hingegen begründen Spannungen zwischen Richter und Verteidiger in aller Regel nicht die Annahme, diese Spannungen könnten sich auf den Angeschuldigten selbst und seine Sache auswirken (vgl. BGH StV 1993, 339; NStZ 1987, 19; MDR 1975, 23, bei Dallinger). Etwas anderes könnte nur bei besonders schweren Zerwürfnissen zwischen Richter und Verteidiger angenommen werden (vgl. KMR-StPO, § 24 Rdnr. 12; Pfeiffer in KK, StPO, 3. Aufl., § 24 Rdnr. 11; Rudolphi in SK-StPO, § 24 Rdnr. 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 24 Rdnr. 11). Bei Anlegung dieses Maßstabs hat z.B. der Vorwurf eines Richters an den Verteidiger, dessen Befragung eines Mitangeklagten stelle einen strafbaren Nötigungsversuch dar, kein genügend erhebliches Gewicht (BGH MDR 1971, 197, bei Dallinger). Ein auf den Angeschuldigten selbst ausstrahlendes schwerwiegendes Zerwürfnis zwischen Verteidiger und Richter ist hingegen angenommen worden, nachdem diese Personen in einem Fall wiederholt und wechselseitig Strafanzeigen erstattet und gegeneinander Dienstaufsichtsbeschwerden erhoben und Verfahren vor dem Ehrengericht der Rechtsanwaltskammer initiiert hatten (s. OLG Hamm NJW 1951, 731). Von einem solchen "mit größter Erbitterung geführten Kampf" (OLG Hamm, a.a.O.) sind die Spannungen im vorliegenden Falle weit entfernt. Insbesondere ist der Streit zwischen dem Vorsitzenden Richter am Landgericht ... dem Rechtsanwalt ... nicht durch persönliche Animositäten geprägt, sondern bezieht sich im Kern auf eine strafprozessuale Sachfrage, nämlich die Handhabung der §§ 24, 74 GVGüber die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen Amtsgericht und Landgericht.
Entgegen der Auffassung des Angeschuldigten ... enthält die von ihm beanstandete Verfügung des Richters vom 18.11.1996 einen Vorwurf auch nicht in erster Linie gegen den Rechtsanwalt Siebers, sondern in erster Linie gegen Richterkollegen. Der Vorwurf, der Verteidiger könne unrichtige Tatsachenbehauptungen gegen Richter an verschiedenen Landgerichten erhoben haben, ist nach dem Zusammenhang der genannten Verfügung nur für den Fall in den Raum gestellt worden, daß die Vorwürfe gegen die Richter sich als haltlos erweisen sollten. Der Sache nach ist die Vorlage der Akten an die Staatsanwaltschaft durch den nunmehr abgelehnten Richter nicht als abwegig anzusehen; eine Verletzung des § 336 StGB durch Richter an verschiedenen Landgerichten konnte nach den Ausführungen des Verteidigers in seinem Schriftsatz vom 15.11.1996 in Betracht kommen, weil dort auf S. 2, dritter Absatz, vorgetragen wurde, jene Richter hätten bewußt die prozessualen Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte verletzt; dort heißt es nämlich
"es sei selbstverständlich von vornherein eindeutig"
abzusehen gewesen, daß eine die landgerichtliche Zuständigkeit begründende Strafe von mehr als vier Jahren nicht erreicht würde, was den Verdacht aufdrängt, die "von vornherein eindeutige" Unzuständigkeit sei nicht nur objektiv zu erkennen gewesen, sondern von den betroffenen Richtern subjektiv auch tatsächlich erkannt worden. Ob hinsichtlich des in der Übersendungsverfügung vom 18.11.1996 hilfsweise angesprochenen Verdachts gegen den Verteidiger "wegen unrichtiger Anschuldigungen" von vornherein leicht zu erkennen war, daß eine Prüfung des Tatbestandes des § 164 StGB aus subjektiven Gründen scheitern würde (weil der Verteidiger nur die Eröffnung des vorliegenden Verfahrens vor dem Schöffengericht, nicht aber die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Rechtsbeugung gegen Richter anderer Richter erreichen wollte), kann hier dahingestellt bleiben. Zum einen bedarf ein an die Staatsanwaltschaft gerichteter Hinweis auf einen möglichen Anfangsverdacht keiner gründlichen rechtlichen Vorprüfung, zum anderen ist dieser Hinweis gegen den Verteidiger nur in zweiter Linie (nach erstrangiger Anregung der Ermittlung gegen Richter) erhoben worden und schließlich hat der abgelehnte Richter sich eines maßvollen Tons bedient, indem er die Akten der Staatsanwaltschaft lediglich "mit der Bitte um Kenntnis- und Stellungnahme"übersandt hat.
Eine Besorgnis der Befangenheit des Richters wird für naheliegend gehalten, wenn dieser gegen den Verteidiger ein Strafverfahren herbeiführt, der Verteidiger sein Mandat niederlegt und der Angeklagte damit infolge der Anzeige des Richters seinen Verteidiger verloren hat (Wendisch in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 24 Rdnr. 22). Derartige Auswirkungen, die den Angeschuldigten persönlich betreffen, hat der Streit zwischen Richter und Verteidiger im vorliegenden Falle nicht. Nach Übersendung der Akten am 18.11.1996 an die Staatsanwaltschaft hat der (später) abgelehnte Richter vielmehr durch Beschluß vom 02.12.1996 den Rechtsanwalt ... zum Pflichtverteidiger des Angeschuldigten ... bestellt. Dieser Vorgang unterstreicht die fortbestehende Normalität des Verhältnisses zwischen dem Richter und dem Angeschuldigten persönlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.