Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.05.2017, Az.: 1 Ss 26/17

Verwerfung der Revision als unzulässig mangels wirksamer Begründung bei Mittellosigkeit des Angeklagten und Beantragung eines Fahrtkostenvorschusses für die Fahrt zum Gerichtsort zur Begründung der Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.05.2017
Aktenzeichen
1 Ss 26/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 19890
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • RVGreport 2019, 400
  • StV 2017, 811
  • StraFo 2017, 336-337

Amtlicher Leitsatz

Über den Antrag eines mittellosen Angeklagten, ihm zur Begründung seiner Revision in Form der Niederschrift zu Protokoll der Geschäftsstelle einen Fahrtkostenvorschuss für die Fahrt zu dem entfernt liegenden zuständigen Gericht zu bewilligen, ist regelmäßig vor einer Verwerfung der Revision mangels wirksamer Begründung zu entscheiden.

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 6. April 2016 hat das Amtsgericht Cuxhaven gegen den Angeklagten wegen Beleidigung in Tateinheit mit Verleumdung eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 € verhängt. Die hiergegen erhobene Berufung des Angeklagten hat das Landgericht durch Urteil vom 19. Dezember 2016 nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Am 15. Januar 2017 hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und vorsorglich Revision für den Fall der Verwerfung dieses Antrages eingelegt. Zugleich hat er unter Hinweis auf seine finanziellen Verhältnisse beantragt, vorab Fahrtkosten für die Strecke E.-S. zu erstatten, um ihm die Begründung seiner Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Stade zu ermöglichen.

Das Landgericht Stade hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 20. Januar 2017 zurückgewiesen. Unter Hinweis auf den nicht gewährten Fahrtkostenvorschuss hat der Angeklagte mit selbst verfassten Schriftsatz vom 13. Februar 2017, eingegangen bei Gericht am 15. Februar 2017, seine Revision begründet.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammer die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen, weil sie nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Allein die Einreichung einer Revisionsbegründung genüge nicht.

II.

Der Antrag des Angeklagten hatte Erfolg.

1. Dies beruht indessen nicht darauf, dass der Angeklagte entgegen der Auffassung der Kammer rechtzeitig Revision gegen das Urteil vom 19. Dezember 2016 eingelegt hat. Die insoweit bloß bedingte Einlegung für den Fall der Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrages war unschädlich, weil es sich dabei um eine bloße Rechtsbedingung handelt. Allerdings hat der Angeklagte die Revision nicht spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision in einer § 345 Abs. 2 StPO genügenden Form begründet. Sein von ihm selbst verfasstes Schreiben genügt insoweit nicht. Da der Senat im Verfahren nach § 346 Abs. 2 StPO den angefochtenen Beschluss nicht lediglich auf Fehler überprüft, sondern eine vollständige Prüfung vornimmt, ob die Revision nach § 346 Abs. 1 StPO von der Kammer zu verwerfen gewesen wäre, stünde einer Verwerfung des Antrags nicht entgegen, dass sich die Unzulässigkeit der Revision aus einem anderen Grund als dem im angefochtenen Beschluss genannten ergibt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 346 StPO Rn. 10).

2. Der angefochtene Beschluss war aber aufzuheben, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Angeklagten hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Begründung seiner Revision nach § 345 Abs. 2 StPO gemäß § 44 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden wird. Denn der Angeklagte hat innerhalb der Revisionsbegründungsfrist einen Antrag auf Fahrtkostenerstattung im Vorwege gestellt, den das Gericht nicht innerhalb dieser Frist beschieden hat. Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) ergab sich die Verpflichtung des Gerichts, über die Verwerfung der Revision nicht vor dem Bescheid über die Bewilligung eines Fahrtengutscheins oder von Fahrtkostenerstattung zu entscheiden (vgl. BayObLG, JR 2003, 79 [BayObLG 18.04.2002 - 1 ObOWi 52/02] [80]). Nur dadurch wäre er nach seinem Vortrag in die Lage versetzt worden, rechtzeitig eine formwirksame Revisionsbegründung abzugeben. Dies erscheint aufgrund der Entfernung des Wohnortes vom zuständigen Landgericht und den Feststellungen des Amtsgerichts in der ersten Instanz zu den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten auch plausibel. Eine Abgabe der Revisionsbegründung bei einem wohnortnahen Gericht kam aufgrund des Wortlauts des § 345 Abs. 1 StPO nicht in Betracht (vgl. OLG Brandenburg, NStZ 2010, 413 [OLG Brandenburg 10.06.2009 - 1 Ss 21/09]; OLG Oldenburg, NStZ 2012, 51 [OLG Oldenburg 31.01.2011 - 1 Ss 7/11]). Der Antrag zielte auch nicht auf eine rechtlich unmögliche Leistung ab, da Ziffer 9008 Nr. 2 VV GKG Zahlungen an mittellose Personen für die Reise zum Ort einer Verhandlung, Vernehmung oder Untersuchung vorsieht. Insoweit durfte der Angeklagte darauf vertrauen, dass über seinen Antrag innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entschieden würde.

3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen kam gegenwärtig schon deshalb nicht in Betracht, da die erforderliche Handlung noch nicht nachgeholt worden ist (§ 45 Abs. 2 S. 2 und 3 StPO).

III.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 12).