Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.10.1985, Az.: 1 Ss (OWi) 374/85
Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.10.1985
- Aktenzeichen
- 1 Ss (OWi) 374/85
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1985, 31202
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1985:1010.1SS.OWI374.85.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Göttingen - AZ: 86 Js 4133/85
- Amtsgerichts Einbeck - 24.05.1985
Rechtsgrundlagen
- § 24 StVG
- § 21a Abs. 1 StVO
- § 49 Abs. 1 Nr. 20a StVO
Verfahrensgegenstand
Verkehrsordnungswidrigkeit
In der Bußgeldsache
hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle
auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen
gegen das Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 24. Mai 1985
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 10. Oktober 1985
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und der Betroffene auf Kosten der Landeskasse, die auch die ihm entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, freigesprochen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes - Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. den §§ 21 a Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 20 a StVO - zu einer Geldbuße von 40 DM verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der Sachrüge. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 OWiG). Soweit ersichtlich, ist die noch näher zu erörternde Rechtsfrage bisher höchstrichterlich nicht entschieden worden. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (ZfS 1981, 326) läßt den hier zu erörternden Fall ausdrücklich offen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 15.1.1985 mit seinem VW-Bus die B. Straße in E.. Diese Straße mündet in die A. Straße ein. Hier wollte der Betroffene nach links abbiegen. Die Kreuzung ist durch eine Lichtzeichenanlage geregelt. Als der Betroffene sich auf der Linksabbiegerspur befand, schaltete die Lichtzeichenanlage auf Rotlicht um. Der Betroffene hielt sein Fahrzeug an und wartete auf die Freigabe der Weiterfahrt. Diesen Vorgang benutzte er, den zuvor angelegten Sicherheitsgurt abzulegen, um aus seiner linken Brusttasche ein Päckchen Zigaretten zu nehmen. Als die Ampelanlage auf Grün umschaltete, fuhr er weiter, nachdem er sich zuvor wieder angegurtet hatte.
Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, der Betroffene habe verkehrsbedingt vor einer Rotlicht zeigenden Anlage gehalten. Das sei kein Halten im Sinne des § 12 StVO. Dies Halten gehöre zum fließenden Verkehr (BGHSt 14, 149). Der Betroffene habe sich deshalb einer Verkehrsordnungswidrigkeit schuldig gemacht.
Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO müssen die vorgeschriebenen Sicherheitsgurte "während der Fahrt" angelegt sein. Damit soll dem Schutz der Betroffenen sowie der Verkehrssicherheit allgemein Rechnung getragen werden, wie sich aus der Begründung der gesetzlichen Regelung ergibt. Um den Bedürfnissen der Praxis Rechnung zu tragen, sind allerdings bestimmte Ausnahmen von der Anlegepflicht getroffen worden, § 21 a Abs. 1 Satz 2 StVO. So sind Taxi- und Mietwagenfahrer von der Anlegepflicht ausgenommen wegen der persönlichen Gefährdungen, denen sie in Ausübung ihres Berufs ausgesetzt sind. Von Lieferanten im Haus-zu-Haus-Verkehr, die nur kürzeste Entfernungen in langsamer Fahrgeschwindigkeit zurücklegen, kann das jedesmalige Anlegen des Sicherheitsgurtes im Auslieferungsbezirk billigerweise nicht verlangt werden. Bei Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit kann auf die Pflicht des Anlegen des Sicherheitsgurtes verzichtet werden (vgl. dazu die Begründung, abgedruckt in VkBl 1975, 675 ff und bei Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 21 a StVO, Rdnr. 1).
Außerdem besteht keine Anschnallpflicht beim Rückwärtsfahren und bei Fahrten auf Parkplätzen, obgleich sowohl rückwärts als auch auf Parkplätzen durchaus mit erheblicher Geschwindigkeit gefahren werden kann. Bei dieser Gesetzeslage geht es nicht an, die Vorschrift des § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO erweiternd dahin auszulegen, daß es als Fahren angesehen wird, wenn jemand verkehrsbedingt anhalten muß. Das würde den aufgezeigten weiteren gesetzlichen Regelungen und der sich daraus ergebenden Intention des Gesetzgebers widersprechen. Es ist schließlich nicht Sache der Gerichte, die Vorschrift des § 21 a StVO entgegen dem Wortlaut des Gesetzes aus Gründen der besseren Überwachbarkeit erweiternd auszulegen. Daher besteht keine Anschnallpflicht, wenn das Fahrzeug steht (Kuckuck in Drees-Kuckuck, Werny, Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl. 1985, § 21 a StVO, Rdnr. 13).
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und der Betroffene mit der Kostenfolge aus § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG freizusprechen.