Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 12.03.1997, Az.: 3 U 69/96

Anspruch auf Zahlung der Todesfalleistung aus Unfallversicherungsvertrag; Entfallen des Versicherungsschutzes bei Unfällen durch Geistesstörungen oder Bewusstseinsstörungen; Vorliegen einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung.

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
12.03.1997
Aktenzeichen
3 U 69/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 14048
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1997:0312.3U69.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - AZ: 5 O 124/95

Fundstelle

  • VersR 1997, 1343-1344 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

der Frau ...

Prozessgegner

die ... vertr. durch den Vorstandsvorsitzenden

In dem Rechtsstreit hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts ...
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 1997
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Versäumnisurteil vom 28.10.1996 wird aufrecht erhalten.

Die Klägerin trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin ist mit 20.000,00 DM beschwert.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des

2

wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

3

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

4

Der Klägerin stehen Ansprüche auf Zahlung der Todesfalleistung aus dem zwischen ihrem verstorbenen ... Sohn ... und der Beklagten geschlossenen Unfallversicherungsvertrag i. V.m. §§ 1, 49 VVG nicht zu.

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Zu Recht geht das erstinstanzliche Urteil davon aus, daß der Versicherungsschutz gemäß § 2 Ziff. I Abs. 1 AUB entfällt. Die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUB) 88 sind Gegenstand des Versicherungsvertrages geworden. Nach deren § 2 Ziff. I Abs. 1 fallen Unfälle durch Geistes- oder Bewußtseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, nicht unter den Versicherungsschutz. Ein derartiger Unfall liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor.

6

Zum Zeitpunkt des Unfalls bestand bei dem verstorbenen Herrn ... V. eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung.

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Eine solche liegt vor, wenn die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so gestört ist, daß der Versicherungsnehmer der Gefahrenlage, in der er sich jeweils befindet, nicht mehr so gewachsen ist, wie die jeweiligen Verhältnisse es erfordern (vgl. OLG Hamm, VersR 90, 514, 515). Eine derartige Bewußtseinsstörung ist hier zwar nicht schon allein aufgrund der bei dem verstorbenen Herrn ... festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,71 g o/oo anzunehmen. Denn für Fußgänger ist ein absoluter Grenzwert bisher nicht anerkannt; dieser liegt bei ca. 2 g o/oo (vgl. BGH VersR 57, 509; OLG Hamm VersR 90, 514, 515; vergl.i.ü. Prölß/Martin -Knappmann, VVG, 25. Aufl., Anm. 2 A c zu § 2 AUB 88 m.w.N.). Bei einer unter ca. 2 g o/oo liegenden Blutalkoholkonzentration kann aber gleichwohl eine Bewußtseinsstörung vorliegen, wenn sich aus weiteren Anhaltspunkten ergibt, daß der Fußgänger in seiner Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so gestört ist, daß er der Gefahrenlage, in der er sich befindet, nicht mehr in ausreichendem Maße gewachsen ist. Derartige Umstände liegen hier vor. Denn der verstorbene Versicherungsnehmer ... zeigte erhebliche Ausfallerscheinungen, die auf eine Bewußtseinsstörung schließen lassen. Dies ergibt sich aus einer Würdigung des unstreitigen Sachverhalts sowie der durch Beiziehung der Akten 411 Js 31986/94 der Staatsanwaltschaft ... im Wege des Urkundenbeweises erfolgten Beweisaufnahme. Insoweit kann auf die äußerst sorgfältigen und sachlich zutreffenden Aussagen des erstinstanzlichen Urteils von Seite 7, dritter Absatz bis Seite 10, 2. Absatz, denen sich der Senat nach eigener kritischer Prüfung anschließt, bezug genommen werden.

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Auch die weitere Voraussetzung des § 2 II Abs. 1 AUB, daß die Bewußtseinsstörung den Unfall verursacht hat, liegt vor. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß sich der in den Unfall verwickelte Pkw-Fahrer ... mit seinem Fahrzeug zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes der rechten Pkw-Seite knapp links der Straßenmitte befand, wie sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten der DEKRA vom 28.12.1993 ergibt; unbeachtlich ist es weiter, daß der Pkw-Fahrer die im Bereich der Unfallstelle zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h überschritten hatte und die Strecke mit einer Geschwindigkeit von ca. 76 km/h befuhr. Es ist nicht erforderlich, daß die Bewußtseinsstörung den Unfall allein verursacht hat. Es genügt vielmehr, daß diese mitursächlich war (vgl. BGH VersR 57, 509; Prölß/Martin-Knappmann, a.a.O., Anm. 2 d zu 3 2 AUB 88). Diese Voraussetzung liegt vor. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, daß eine zur Zeit des Unfalls vorhandene Bewußtseinsstörung den Unfall auch verursacht hat. Insoweit sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises anzuwenden. Um diesen zu entkräften, müssen Tatsachen dargelegt und bewiesen werden, die eine reale Möglichkeit dafür ergeben, daß der Versicherte die Gefahrenlage auch nüchtern nicht gemeistert hätte (vgl. OLG Oldenburg, VersR 82, 394; Prölß/Martin-Knappmann, a.a.O., Anm. 2 d zu § 2 AUB 88). Derartige Tatsachen trägt die Klägerin nicht vor. Ein nüchterner Fußgänger hätte die Gefahrenlage ohne weiteres meistern können, indem er entsprechend der ihm gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 StVO obliegenden Verpflichtung am äußersten linken Fahrbahnrand gegangen oder aber sich am äußersten rechten Fahrbahnrand gehalten hätte. Dies hat der verstorbene Versicherungsnehmer ... gerade nicht getan. Er ist vielmehr, wie sich aus den im Wege des Urkundsbeweises zu verwertenden Aussagen der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen ergibt, erheblich hin- und hergetorkelt. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Zeugen ... vom 21.12.1993, wonach plötzlich ein Fußgänger ca. 5-10 m vor seinem Auto von rechts nach links über die Fahrbahn lief, bei dem es sich ohne Zweifel um den später verunglückten Herrn ... handelte. Auch die Zeugin ... hat in ihrer Zeugenvernehmung vom 20.12.1993 glaubhaft bekundet, ihr sei ein Fußgänger am linken Straßenrand aufgefallen, der auffällig schwankte. Hinzu kommt, daß sich Herr ... zum Zeitpunkt des Unfalls nicht etwa auf der für ihn linken Fahrbahnseite links, sondern in immerhin 1,80 m Entfernung vom rechten Fahrbahnrand auf der für ihn rechten Fahrbahn befand; dies ergibt sich ebenfalls aus dem von der Klägerin vorgelegten DEKRA-Gutachten. Die Breite der rechten Fahrbahn ist nach diesem Gutachten mit ca. 2,7 m angegeben, so daß Herr ... sich auf der für ihn falschen Straßenseite weitgehend zur Mittellinie ihm befand. Aus dieser Tatsache läßt sich eine reale Möglichkeit dafür, daß Herr ... die Gefahrenlage auch nüchtern nicht gemeistert hätte, nicht entnehmen. Denn dann hätte er sich gar nicht erst in die Gefahrenlage auf der für ihn rechten Straßenseite in der Nähe der Mittellinie hinein begeben. Wäre er auf der linken Fahrbahnseite links oder am äußersten rechten Straßenrand gegangen, so hätte der Fahrer ... ungehindert passieren können.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO. Die Festsetzung der Beschwer ist gemäß § 546 Abs. 2 ZPO erfolgt.

Streitwertbeschluss:

Die Klägerin ist mit 20.000,00 DM beschwert.