Amtsgericht Gifhorn
Beschl. v. 13.09.2012, Az.: 35 IE 4/12
Eröffnungsvoraussetzungen für ein Sekundärinsolvenzverfahren insbesondere im Hinblick auf das Unterhalten einer Niederlassung
Bibliographie
- Gericht
- AG Gifhorn
- Datum
- 13.09.2012
- Aktenzeichen
- 35 IE 4/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 23182
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGIFHO:2012:0913.35IE4.12.0A
Rechtsgrundlage
- Art. 3 Abs. 2 EuInsVO
Fundstelle
- ZInsO 2012, 1907-1909
Gründe
I. Über das Vermögen der Schuldnerin, einer Gesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in 's-Hertogenbosch, Niederlande, ist mit Beschluss des zuständigen niederländischen Insolvenzgerichts, der Rechtsbank 's-Hertogenbosch, mit Beschl. v. 16.2.2012 das Haupt-Insolvenzverfahren nach niederländischem Recht eröffnet worden.
Die Schuldnerin ist Eigentümerin der im Grundbuch des AG Peine von Peine, Bl. 9188 und 9200 eingetragenen Grundstücke. Hierbei handelt es sich um die frühere sog. "Hertie-Immobilie". Diese stellt den einzigen Vermögensgegenstand der Schuldnerin dar.
Zugunsten der Antragstellerin ist im Grundbuch eine Gesamtgrundschuld i.H.v. 320.000.000 EUR eingetragen.
Die Antragstellerin beantragt nunmehr die Eröffnung des Sekundär-Insolvenzverfahrens.
Im Rahmen ihres Antrags hat sie die Ablichtung der Grundschuldbestellurkunde des Notars Dr. B, Essen, UR 1010/2005, vorgelegt. In dieser heißt es unter Teil II: "Jeder der zukünftigen Grundstückseigentümer übernimmt gegenüber dem Sicherheitentreuhänder für die Zahlung eines Geldbetrages und der Zinsen und Nebenleistungen die persönliche Haftung, aus welcher der Sicherheitentreuhänder ihn aus der Grundschuld nebst anteiliger Zinsen und Nebenleistungen (...) ohne vorherige Zwangsvollstreckung in die Pfandobjekte in Anspruch nehmen kann und unterwerfen sich in Höhe des Grundschuldbetrages zuzüglich Zinsen und Nebenleistungen wegen dieser Haftung der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in ihr gesamtes Vermögen..."
U.a. hieraus leitet die Antragstellerin ihre Gläubigerstellung gegenüber der Schuldnerin ebenso ab wie aus Teil I Nr. 7 des genannten Vertrags, indem es heißt: "Die zukünftigen Grundstückseigentümer versprechen hiermit dem Sicherheitentreuhänder, ihm einen Geldbetrag in Höhe des Kapitals der soeben bestellten Grundschuld und von heute an der Zinsen daraus in Höhe der Grundschuldzinsen sowie die Nebenleistung zu zahlen. Dieses Versprechen soll die Forderung selbständig begründen."
Zudem beruft sie sich auf einen Darlehensvertrag v. 2.9.2005.
Die Schuldnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die Zuständigkeit des AG Gifhorn nicht gegeben sei, da die Schuldnerin in Peine keine Niederlassung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO unterhalte. Sie bestreitet i.Ü. die Gläubigerstellung der Antragstellerin.
Das Gericht hat mit Beschl. v. 25.7.2012 die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Auftrag gegeben. Auf den Inhalt des daraufhin vom Sachverständigen, Rechtsanwalt K, erstellten Gutachtens wird Bezug genommen.
II. 1. Der Antrag ist zulässig.
a. Die Antragstellerin ist zur Stellung des Sekundär-Insolvenzantrags berechtigt. Sie hat gem. Art. 29 lit. b EuInsVO i.V.m. § 14 InsO hinreichend glaubhaft gemacht, Inhaberin einer gegen die Schuldnerin gerichteten Forderung zu sein. Die über eine schlüssige Darlegung der Forderung (vgl. LG Potsdam, ZInsO 2002) hinausgehende Glaubhaftmachung derselben bedeutet, dass es nicht des vollen Beweises des Bestehens derselben bedarf, sondern bereits die überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreicht (OLG Köln, ZInsO 2002, 772, 773 f.; LG Potsdam, ZInsO 2005, 499, 500). Ein vollständiger Beweis ist nicht erforderlich. Das gilt auch und gerade dann, wenn die Tatsache bestritten ist (MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl., § 14 Rn. 15).
Zur Glaubhaftmachung kann sich der Gläubiger gem. § 4 InsO i.V.m. § 294 ZPO aller Beweismittel bedienen.
Die Antragstellerin hat hinreichend schlüssig dargelegt und durch die Vorlage umfangreicher Verträge auch zur Genüge glaubhaft gemacht, Inhaberin einer gegen die Schuldnerin gerichteten fälligen Forderung zu sein.
Der Vortrag der Schuldnerin vermag die von der Antragstellerin vorgenommene Glaubhaftmachung ihrer Gläubigerstellung nicht zu erschüttern. Insbesondere reichen die von der Schuldnerin vorgelegten - i.Ü. auch nicht im Einklang mit § 184 GVG stehenden - Unterlagen zur Gegenglaubhaftmachung nicht aus. Die Schuldnerin beruft sich zwar pauschal darauf, die Antragstellerin habe ihre Forderungen an eine Deco 7 - Pan Europe 2 p.l.c. nebst Sicherheiten abgetreten, beschränkt ihren Vortrag unter Vorlage entsprechender Unterlagen jedoch darauf, die Deco 7 habe die "Forderungen aus den German Loans" nebst Sicherheiten erworben, um zugleich einzuräumen, die Antragstellerin halte als "Security Trustee" die für das Darlehen gestellten Sicherheiten. Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der rechtlichen Konstruktion des damit in Verbindung stehenden "parallel debt" nach deutschem Recht ist bereits nicht hinreichend vorgetragen, dass die Antragstellerin sich damit sämtlicher gegen die Schuldnerin gerichteter Forderungen und ggf. Sicherheiten begeben habe. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass neben den Kreditverbindlichkeiten stehende weitere persönliche Forderungen, wie u.a. Ansprüche aus dem selbstständigen Schuldversprechen und dem vorgetragenen Garantieversprechen, auf die angebliche Zessionarin übergegangen sind. Ein automatischer Übergang von Nebenansprüchen findet nach deutschem Recht gem. § 401 BGB nicht statt. Der Sachverständige hat i.Ü. das Bestehen einer Forderung der Antragstellerin gegenüber der Schuldnerin bejaht (vgl. auch AG Stade, Beschl. v. 24.8.2012 - 73 IE 1/12).
Der Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes bedarf es im Hinblick auf Art. 27 EuInsVO nicht.
b. Das AG - Insolvenzgericht - Gifhorn ist international zuständig.
Die Schuldnerin unterhält eine Niederlassung i.S.v. Art. 3 3xxx Abs. 2, Art. 2 lit. h EuInsVO i.V.m. Art. 102 § 1 Abs. 2 EGInsO im Bezirk des AG - Insolvenzgerichts - Gifhorn.
Nach der Legaldefinition des Art. 2 lit. h EuInsVO ist Niederlassung jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, welche den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt.
Dass die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in dieser Definition mit dem Vorhandensein von Personal verknüpft wird, zeigt, dass ein Mindestmaß an Organisation und eine gewisse Stabilität erforderlich sind. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten grds. nicht den Erfordernissen für eine Qualifizierung als Niederlassung genügt (BGH, ZInsO 2012, 699 m.w.N.). Im Anwendungsbereich der EuInsVO findet § 354 Abs. 2 InsO, der für ein Partikularinsolvenzverfahren ggf. das Vorhandensein inländischen Vermögens ausreichen lässt, keine Anwendung (BGH, ZInsO 2011, 231).
Am 24.7.2012, dem maßgebenden Tag der Antragstellung (BGH, ZInsO 2012, 699), unterhielt die Schuldnerin eine Niederlassung i.S.d. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO in Peine.
Unstreitig zwischen Antragstellerin - und i.Ü. auch vom Sachverständigen bestätigt - ist, dass sich der Gesellschaftszweck der Schuldnerin in der Verwaltung des Vermögens in Deutschland erschöpft. Unstreitig und ebenfalls vom Sachverständigen bestätigt ist, dass die Schuldnerin in Peine keine eigenen Mitarbeiter beschäftigt oder beschäftigt hat. Vielmehr bedient sie sich zur Verwaltung des Objekts in Peine seit Jahren der insoweit beauftragten C GmbH in Düsseldorf, durch deren Mitarbeiter neben der kaufmännischen Verwaltung der Immobilie in Peine auch deren Betreuung und Sicherung einschließlich der Vergabe etwa erforderlicher Reparaturmaßnahmen erledigt werden. In diesem Rahmen sind bislang auch die erforderlichen USt-Voranmeldungen gegenüber dem Finanzamt vorgenommen und buchhalterisch objektbezogene Ausgaben verwaltet worden.
Ansprechpartner gegenüber Dritten, wie Finanzamt, Stadt Peine oder anderen Personen war und ist danach regelmäßig ein von der Schuldnerin bevollmächtigter Mitarbeiter der C GmbH, wobei dieser im Namen und für Rechnung der Schuldnerin handelt. Bestätigt werden diese Feststellungen des Sachverständigen durch die Stellungnahme des Herrn S v. 17.7.2012, der bei der C GmbH nach eigenen Angaben die Abteilung Property Management leitet.
Das Handeln der C GmbH und deren Mitarbeitern stellt sich damit im Hinblick auf die Dauer der Tätigkeit und die Art der erfüllten Aufgaben als eine dauerhafte Aktivität dar, die nicht bloß interne Wirkung hat, sondern auch nach außen gerichtet und für Dritte erkennbar ist.
Dieses Handeln der C GmbH ist der Schuldnerin im Ergebnis wie eigenes Handeln zuzurechnen.
Das Gericht schließt sich insoweit der bereits vom AG München vertretenen Auffassung an, dass der für die Begründung einer Niederlassung i.S.v. Art. 2 lit. h EuInsVO geforderte Personaleinsatz nicht nur durch eigene Arbeitnehmer erfolgen muss, sondern auch durch andere Personen, die aufgrund von Geschäftsbesorgungsverträgen oder Aufträgen eingesetzt werden, solange diese Personen nach außen hin für die Schuldnerin auftreten (AG München, NZI 2007, 358, 359). Eine diesbezügliche Einschränkung enthält Art. 2 lit. h EuInsVO nicht. Hinzukommt, wie das AG München zutreffend ausführt, dass das Innenverhältnis einer Schuldnerin regelmäßig für außenstehende Dritte nicht erkennbar ist. Soweit Dritte im Namen und für Rechnung der Schuldnerin auftreten, gebietet es der Gläubigerschutz, diesen Personaleinsatz dergestalt der Schuldnerin zuzurechnen, als würde sie sich eigener Mitarbeiter bedienen. Soweit hiergegen eingewandt wird, vollständiges Outsourcing überschreite den Niederlassungsbegriff des Art. 2 lit. h EuInsVO (vgl. Mankowski, ZIP 2007, 495), so teilt das Gericht diese Auffassung nicht, da Art. 2 lit. h EuInsVO eben keine Einschränkung dahin gehend enthält, dass der Einsatz eigenen Personals gefordert wird. I.Ü. wäre es mit der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts nicht in Einklang zu bringen, wenn ein Schuldner allein durch den Umstand, ob er sich eigenen Personals oder beauftragter Dritter, die in seinem Namen tätig werden, bedient, manipulieren könnte.
Vor diesem Hintergrund hat auch der umstand keine Auswirkungen, dass der Sitz der C GmbH in Düsseldorf ist, da die Außenwirkung der für die Schuldnerin entfalteten Tätigkeiten in Peine eintritt.
Der Einwand der Schuldnerin, durch die niederländischen Konkursverwalter sei der C GmbH ein Auftrag nicht erteilt worden, geht ins Leere, da die entsprechende Auftragserteilung durch die Schuldnerin selbst bereits vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in den Niederlanden erfolgt und eine Kündigung des Vertragsverhältnisses bislang nicht erfolgt ist.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Die Eröffnungsvoraussetzungen liegen vor, nachdem mit Beschluss der Rechtsbank 's-Hertogenbosch v. 16.7.2012 das Hauptinsolvenzverfahren nach niederländischem Recht eröffnet worden ist (Art. 27 EuInsVO). Eines gesonderten Insolvenzgrundes bedarf es daher nicht.
Soweit die Schuldnerin beantragt hat,
die niederländischen Konkursverwalter persönlich anzuhören, ist das Gericht diesem Antrag nicht nachgekommen, da in Anbetracht der anwaltlichen Vertretung und die eingereichte umfangreiche Stellungnahme ein darüber hinausgehender Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten ist. Die übrigen Ausführungen und Einwendungen der Schuldnerin zum Bedürfnis einer Abstimmung zwischen dem Sekundär-Insolvenzverwalter und den niederländischen Konkursverwaltern, zu den zusätzlichen Kosten durch das vorliegende Verfahren, zur Verzögerung der Verwertung durch die Durchführung des Sekundärinsolvenzverfahrens usw. stellen im Ergebnis Zweckmäßigkeitserwägungen dar, die für die Entscheidung des Gerichts ohne Belang sind.
Nach den Feststellungen des Sachverständigen sind die Verfahrenskosten gedeckt. Bei der Bestellung des Insolvenzverwalters ist das Gericht dem Vorschlag der Antragstellerin gefolgt.
Das Gericht hat anhand der von der Antragstellerin beigefügten Unterlagen, sowie aufgrund der vom vorgeschlagenen Insolvenzverwalter selbst angeforderten werteren Unterlagen sowie auch aufgrund weiterer frei zugänglicher Informationen die Eignung des vorgeschlagenen Verwalters geprüft und die generelle sowie die für den vorliegenden Fall konkrete Eignung des Vorgeschlagenen bejaht.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Vorgeschlagene fernmündlich und schriftlich eine konkrete Vorbefassung mit der Angelegenheit verneint. Das Gericht verfügt über keine Anhaltspunkte, an dieser Versicherung des Insolvenzverwalters zu zweifeln.
Eine Bestellung, wie von der Schuldnerin beantragt, eines der niederländischen Konkursverwalter zum Insolvenzverwalter im vorliegenden Verfahren steht bereits die fehlende Nachprüfbarkeit der hinreichenden konkreten Eignung durch das Insolvenzgericht entgegen.