Amtsgericht Gifhorn
Urt. v. 01.04.2022, Az.: 33 C 639/21 (VI)
Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall
Bibliographie
- Gericht
- AG Gifhorn
- Datum
- 01.04.2022
- Aktenzeichen
- 33 C 639/21 (VI)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 66309
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 128 ZPO
- § 7 Abs. 1 StVG
- § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG
- § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG
In dem Rechtsstreit
der Frau XXX
Klägerin
Prozessbevollmächtigte: XXX
gegen
XXX
Beklagte
Prozessbevollmächtigter: XXX
hat das Amtsgericht Gifhorn im schriftlichen Verfahren gem. § 128 ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 01.03.2022 durch die Richterin XXX für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.681,67 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 21.12.2021 zu zahlen.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin restliche vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 76,91 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 21.12.2021 zu zahlen.
- 3.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall.
Dieser ereignete sich am 14.09.2020 auf der XXX in XXX zwischen der Klägerin und ihrem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XXX und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XXX.
Bei dem Verkehrsunfall wurde das Fahrzeug der Klägerin beschädigt. Die Schäden ließ die Klägerin durch das KFZ-Sachverständigenbüro XXX begutachten. Der Gutachter stellte fest, dass das Fahrzeug der Klägerin einen mittelstarken Anstoß auf das Heck erlitten habe. Der Stoßfänger hinten sei gebrochen und die Anhängerkupplung angestoßen/überlastet. Beides müsse erneuert werden. Die Gesamtsumme der Reparaturkosten bemisst der Gutachter mit 3.302,98 EUR inkl. MwSt. Die Reparaturdauer bemisst er mit zwei bis drei Tagen. Das Fahrzeug sei nach dem Schadensereignis fahrbereit und verkehrssicher. Wegen des weiteren Inhalts dieses Gutachtens wird auf die Ausführungen des KFZ-Sachverständigenbüro vom 22.09.2020 (Anlage K1, Bl. 9 d.A.) verwiesen. Die Klägerin ließ die Schäden an dem Fahrzeug in dem Reparaturbetrieb Autohaus XXX GmbH reparieren. Die Reparaturkosten betrugen 3.679,69 € inkl. MwSt. (Anlage K2, Bl. 29 d.A.). Die Reparatur dauerte vom 21.09.2020 bis 05.10.2020. In dem Zeitraum vom 21.09.2020 bis 06.10.2020 nutzte die Klägerin ein Mietfahrzeug. Die Reparaturdauer lag dabei weit über der von dem Gutachter erwarteten Dauer, da es zu Verzögerungen bei der Ersatzteillieferung kam. Die Firma XXX stellte der Klägerin für die Nutzung des Mietwagens einen Gesamtbetrag in Höhe von 1.653,00 € in Rechnung (Anlage K3, Bl. 31 d.A.).
Auf die Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 3.679,69 EUR zahlte die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.343,63 EUR. Auf die Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 1.653,00 EUR zahlte die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 307,40 EUR. Weitere Zahlungen verweigerte die Beklagte.
Die Klägerin behauptet, die Reparaturkosten seien erforderlich und angemessen. Sie meint, für die erhöhten Reparaturkosten und die erhöhten Mietwagenkosten nicht aufkommen zu müssen. Das Werkstattrisiko treffe insoweit die Beklagte.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.681,67 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin restliche vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 76,91 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet die Erforderlichkeit der entstandenen Reparaturkosten. Daneben meint sie, die erhöhten Mietwagenkosten nicht tragen zu müssen, da das Fahrzeug der Klägerin durchgehend verkehrssicher und betriebsbereit gewesen sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitig eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Klage wurde am 21.12.2021 zugestellt. Die Parteien erklärten mit den Schriftsätzen vom 31.01.2022 (Bl. 60 d.A.) und 28.01.2022 - eingegangen bei dem Amtsgericht Gifhorn am 31.01.2022 (Bl. 62 d.A.) die Zustimmung zu dem am 01.02.2022 beschlossenen Übergang in das schriftliche Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 BGB (Bl. 63 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Gifhorn ergibt sich aus § 23 Nr. 1 GVG, § 32 ZPO.
II.
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf (restlichen) Schadenersatz in Höhe von insgesamt 1.681,67 € aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.
1.
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.
2.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz der restlichen Reparaturkosten in Höhe von 336,07 €.
Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers.
Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigte Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß - wie hier - einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304). Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendungen sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten. Dies gilt selbst dann, wenn sich während der Reparatur herausstellt, dass der Schaden umfangreicher ist, als im Gutachten festgestellt oder die Reparatur länger dauert (OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.04.2019, Az. I-1 U 108/18; AG Köln, Urt. v. 09.01.2019, Az. 265 C 72/19; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 26.06.2018, Az. 5 U 85/17; BGH, Urt. v. 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90). Denn zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehören auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten, welche durch die Werkstatt ausgeführt wurden (LG Hamburg, Urt. v. 04.06.2013, Az. 302 O 92/11; AG Hildesheim, 28.02.2020, Az. 19 C 99/18). Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, sodass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind (LG Hagen, Urt. v. 04.12.2009, Az. 8 O 97/09). Die durchgeführten Arbeiten an dem Lack ergeben sich aus der Reparaturrechnung. Auch die Verbringungskosten sowie die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen sind erforderlicherweise angefallen. Ein Auswahlverschulden ist der Klägerin nicht vorzuwerfen.
2.
Soweit es den Ersatz der Mietwagenkosten betrifft, ist die Klage in der vollen geltend gemachten Höhe von 1.345,60 € begründet.
Gemäß § 249 Abs. 2 BGB kann der aufgrund eines Verkehrsunfallgeschehens ersatzberechtigte Geschädigte als erforderlichen Herstellungsaufwand auch den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf (BGH, Urt. v. 09.03.2010, VI ZR 6/09; v. 02.02.2010 - VI ZR 7/09; v. 19.01.2010 - VI ZR 112/09). Der Geschädigte ist dabei ebenso wie bei anderen Kosten der Wiederherstellung und ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann; es ist also vom Normaltarif auszugehen (BGH, a. a. O.).
Vorliegend war die Klägerin zur Anmietung eines Ersatzfahrzeugs für sämtliche Tage berechtigt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Klägerin kein Verstoß gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht vorzuwerfen. Denn auch insoweit gilt, dass das sogenannte Werkstattrisiko der Schädiger trägt und dem Geschädigten Probleme in der Werkstatt grundsätzlich nicht anzulasten sind (OLG Nürnberg, NZV 1994, 24; LG Schwerin, DAR 1995, 28 [LG Schwerin 06.05.1994 - 6 S 141/93]). Die Werkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten (AG Köln, Urt. v. 24.04.2015, 274 C 214/14). Außergewöhnliche Umstände einer Reparaturverzögerung mit einer gebotenen Einflussnahme durch den Geschädigten sind vorliegend nicht zu erkennen.
Die Klägerin hat substantiiert unter Vorlage des Reparaturablaufplans dargelegt, weshalb ihr Fahrzeug insgesamt 15 Tage in der Reparaturwerkstatt war (Anlage K6, Bl. 38 d.A.). Aus dem Reparaturablaufplan der Autohaus XXX GmbH vom 09.08.2021 geht hervor, dass das Fahrzeug der Klägerin am 21.09.2020 bei der Werkstatt einging. Noch am selben Tage wurden Ersatzteile bestellt und mit der Reparatur begonnen. Am 28.09.2020 wurde das Fahrzeug von dem Karosseriebetrieb zu der Lackiererei verbracht, wo es bis zum 30.09.2020 verblieb. Die Ersatzteillieferung folgte schließlich am 02.10.2020, am 05.10.2020 wurden die Reparaturarbeiten abgeschlossen.
Die Klägerin war bei Auftragserteilung nicht gehalten nachzufragen, wie lange die Reparatur in Anspruch nehmen wird und ob alle Ersatzteile vorhanden sind. Eine solche Erkundigungspflicht würde die Obliegenheiten, die einem Geschädigten zugemutet werden können, weit überspannen. Etwas anderes könnte allenfalls dann anzunehmen sein, wenn sich aufgrund besonderer Umstände für den Geschädigten bereits bei Auftragserteilung Anhaltspunkte ergeben, dass die Reparatur länger dauert, als nach dem Gutachten kalkuliert. Solche Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in den 15 Tagen Anmietzeit zwei Wochenenden gelegen haben, ist die Anmietdauer nach alledem nicht zu beanstanden. Die Verzögerung der Reparatur liegt noch in dem Rahmen, der die Geschädigte nicht veranlassen muss, weitere Maßnahmen zu treffen.
III.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288 BGB.
Der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 76,91 € beruht auf §§ 280, 286 BGB. Er folgt dem Schicksal des Hauptanspruchs und ist ebenfalls begründet.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 709 ZPO.