Landgericht Lüneburg
Urt. v. 21.04.1977, Az.: 1 S 438/76

Beseitigungsanspruch des Nachbarn bei Anlegung einer nicht genehmigten Terrasse mit Böschung; Bemessung des erforderlichen Grenzabstandes bei Terrassen mit Böschung; Einordnung einer Terrassenanlage als "bauliche Anlage" nach der niedersächsischen Landesbauordnung; Vorkehrungspflicht des Nachbarn etwaige Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks durch Bodenbewegungen auszuschließen

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
21.04.1977
Aktenzeichen
1 S 438/76
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1977, 12723
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:1977:0421.1S438.76.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Winsen- 26.05.1976 - AZ: 4 C 1563/75

In dem Rechtsstreit
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 1977
durch
den Vizepräsidenten des Landgerichts ... als Vorsitzenden,
den Richter am Landgericht ... und
den Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Winsen vom 26. Mai 1976 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Der Beklagte hat an der zur gemeinsamen Grenze hin gerichteten Seite seines Wohnhauses eine Terrasse errichtet und in diesem Bereich auch Bödenaufschüttungen vorgenommen. Das Grundstück der Parteien wird durch einen Bretterzaun getrennt. Parallel zum Bretterzaun hat der Beklagte eine Stützmauer von 90 cm Höhe errichtet. Von dort steigt eine Böschung zur eigentlichen Terrasse an. Der Abstand zwischen Bretterzaun und der äußersten Kante der bepflasterten Terrasse beträgt 3,10 m bis 3,30 m. Die Terrasse ist 9,60 m lang und 2,00 m breit.

2

Der Kläger verlangt die Beseitigung der Terrasse.

3

Er hat die Ansicht vertreten, der Terrassenbau verstoße gegen die Nds. Bauordnung; der Grenzabstand von 3 Metern sei nicht eingehalten; im übrigen hat er behauptet, daß von der Terrasse Beeinträchtigungen seines Grundstückes ausgingen.

4

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, die Terrasse und Aufschüttung entlang der Grenze der Grundstücke ... zu beseitigen.

5

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Anlage der Terrasse nicht genehmigungspflichtig sei, und hat im übrigen behauptet, daß er die baurechtlichen Vorschriften eingehalten habe.

7

Durch den Beschluß vom 31.3.1976 (Bl. 28 d.A.) hat das Amtsgericht Beweis erhoben durch Einnahme des richterlichen Augenscheins. Insoweit wird Bezug genommen auf die Niederschrift von 28.4.1976 (Bl. 32 d.A.).

8

Durch das angefochtene Urteil, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung des Klägers.

9

Er meint, bei der Terrasse handele es sich um eine bauliche Anlage i.S. von § 7 NdsBO, weshalb ein Grenzabstand von mindestens 3 m einzuhalten sei; im übrigen verstoße die Anlage der Terrasse gegen § 69 der NdsBO; eine bauaufsichtliche Genehmigung liege bisher nicht vor.

10

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, die Terrasse und Aufschüttung entlang der Grenze der Grundstücke ... zu beseitigen; hilfsweise den Beklagter zu verurteilen, von der Terrasse entlang der Südseite seines Hauses alle jene Böschungsteile und Stützmauern zu entfernen, die weniger als 3 m von der Grenze des Klägers entfernt liegen, und den dann verbleibenden Teil der Terrasse auf 30 qm zu beschränken.

11

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Unter Aufrechterhaltung seines Rechtsstandpunktes tritt er dem Vorbringen des Klägers entgegen.

13

Wegen der Behauptungen der Parteien im einzelnen wird auf den Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

14

Durch den Beschluß vom 2.12.1976 (Bl. 80 d.A.) hat die Kammer Beweis erhoben durch Einnahme des richterlichen Augenscheins.

15

Die Parteien haben nach Schluß der mündlichen Verhandlung noch Schriftsätze zu den Akten gereicht.

Entscheidungsgründe

16

Die Berufung ist nicht begründet.

17

Zu Recht hat das Amtsgericht für den Beseitigungsanspruch (§ 1004 BGB) eine Grundlage weder in den Vorschriften des Nieders. Nachbarrechtsgesetzes (Nds.NachbarRG) noch in denen der Nieders. Bauordnung (Nds.BauO) gesehen.

18

I.

Nach § 23 Abs. 1 Nds.NachbarRG dürfen Terrassen, die von der Grenze einen geringeren Abstand als 2,50 m haben sollen, nur mit Einwilligung des Nachbarn angebracht werden. Die Einwilligung des Klägers war nicht erforderlich, weil die Terrasse zur Grundstücksgrenze einen Abstand von 3,10-3,30 m aufweist. Die Kammer schließt sich der Auffassung des Amtsgerichts an, wonach es bei Terrassen mit Böschung für die Bemessung des Grenzabstandes auf die zum Betreten bestimmte Terrassenfläche ankommt (Lehmann, Nds.NachbarRG, § 23, Anm. 16). Dies entspricht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die erreichen will, daß die Belästigungen des Nachbarn durch Einsichtnahme auf sein Grundstück bzw. Geräusche und Gerüche gemildert werden. Derartige Belästigungen gehen nur von der zum Aufenthalt von Menschen bestimmten Terrassenfläche aus und nicht, wie der Kläger meint, auch von der zwischen Grenze und Terrassenfläche liegenden Böschung. Auf der Böschung halten sich keine Menschen auf, von dort kann nicht auf das Nachbargrundstück eingesehen werden, dort entstehen auch keine Geräusche und Gerüche.

19

Der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und äußerster Terrassenkante verändert sich auch nicht dadurch, daß der Beklagte an der Grenze eine Stützmauer errichtet hat, die dazu dient, die Böschung zur Terrasse hin zu festigen. Hierdurch wird der Charakter der Böschung als nicht zum Aufenthalt von Menschen bestimmte Anlage nicht verändert. Da die Böschung bis zur Grenze reicht, war der Beklagte nach § 26 Nds.NachbarRG. verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung des Grundstücks des Klägers durch Bodenbewegungen auszuschließen. Die Errichtung der Stützmauer, die im übrigen gem. § 69 Abs. 1 Ziff. 5 Nds.BauO. genehmigungsfrei war, ist eine ausreichende Sicherungsmaßnahme, um das Grundstück des Klägers zu schützen.

20

II.

Dem Amtsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Anlage der Terrasse nicht der bauaufsichtlichen Genehmigung nach den §§ 68, 69 Abs. 1 Ziff. 2. Nds.BauO bedurfte. Die Terrassenanlage wird von § 69 Abs. 1 Ziff. 2 Nds.BauO nicht umfaßt. Diese Vorschrift betrifft nur selbständige Aufschüttungen und Abgrabungen, die nicht mit anderen Bauten in Verbindung stehen (Grosse-Suchsdorf Nds.BauO 1974, Anm. 5 zu § 69).

21

Auch § 7 Abs. 7 Nds.BauO kann nicht zur Beurteilung des Grenzabstandes herangezogen werden. Diese Bestimmung beinhaltet Grenzabstandsregeln für untergeordnete Gebäudeteile. Aus der beispielhaften Aufzählung in § 7 Abs. 7 Nds.BauO ergibt sich, daß es sich bei den angesprochenen Gebäudeteilen um Bestandteile der Gebäude handeln muß (Grosse-Suchsdorf, Anm. 25 zu § 7). Die Terrassenanlage ist aber kein Bestandteil im Sinne dieser Vorschrift.

22

Der Kläger kann sich auch nicht auf § 7 Abs. 8 Nds.BauO berufen. Danach sind die an sich nur für Gebäude geltenden Abstandsvorschriften auch auf sonstige bauliche Anlagen anzuwenden, wenn von diesen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. Zwar gehen von der zum Betreten bestimmten Terrassenfläche Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. Diesen Wirkungen insbesondere Beeinträchtigungen trägt aber bereits § 23 Abs. 1 des Nds.NachbarRG Rechnung. Es würde zu einer Aushöhlung oder gar Umgehung dieser Vorschrift führen, würde man Stützmauer, Böschung und Terrassen als eine bauliche Anlage ansehen und sie den Abstandsvorschriften des § 7 Nds.BauO unterwerfen. Vielmehr deutet die ausdrückliche Nennung der Terrasse im § 23 Abs. 1 Nds.NachbarRG darauf hin, daß der Gesetzgeber diese bauliche Anlage nach den Vorschriften des Nachbarrechtsgesetzes errichtet wissen wollte. Hinzu kommt, daß Wirkungen wie von Gebäuden auch nur von der zum Betreten bestimmten Terrassenfläche ausgehen, die einen Abstand von 3,10 bis 3,30 m zur Grenze hat.

23

Schließlich ist nicht zu erkennen, inwieweit der Beklagte bei der Errichtung der Terrasse gegen § 20 Nds.BauO verstoßen hat. Die Kammer hat anläßlich der Ortstermins nicht feststellen können, daß etwaige Löscharbeiten an dem Haus des Beklagten nicht oder nur schwer möglich sind.

24

Da nach den vorstehenden Ausführungen Verstöße gegen die Nieders. Bauordnung nicht vorliegen, ist auch der Hilfsantrag des Klägers unbegründet.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.