Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.09.1995, Az.: HEs 57/95

Vorlage der Akten durch das Jugendschöffengericht an das Oberlandesgericht (OLG) zur Haftprüfung; Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes bei der Bearbeitung von Haftsachen; Vorraussetzung für die Aufhebung eines Haftbefehls bei Aussetzung des Verfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.09.1995
Aktenzeichen
HEs 57/95
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 13150
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:0918.HES57.95.0A

Fundstelle

  • StV 1996, 44

Amtlicher Leitsatz

Ist nach Aussetzung des Verfahrens ohne durchgreifenden sachlichen Grund die Fortsetzung der Verhandlung erst zweieinhalb Monate später vorge- sehen, liegt kein wichtiger Grund für die Fortdauer der Haft vor.

Redaktioneller Leitsatz

Ist die Aussetzung des Verfahrens beendet, so hat eine Fortführung des Verfahrens mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung zu erfolgen. Wäre eine Fortführung der Hauptverhandlung zu einem früheren Zeitpunkt bereits möglich gewesen, so stellt dies keinen wichtigen Grund für die Haftfortdauer dar.

Gründe

1

Der Angeklagte wurde am 22. Februar 1995 vorläufig festgenommen. Das Amtsgericht Wildeshausen erließ am 23. Februar 1995 gegen ihn Haftbefehl. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft.

2

Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn am 3. Juli 1995 Anklage wegen Beihilfe zum Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor dem Jugendschöffengericht Vechta erhoben. Das Jugendschöffengericht hat das Verfahren in der Hauptverhandlung vom 30. August 1995 ausgesetzt und neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 15. November 1995 anberaumt. Es hält aufgrund vom Verteidiger gestellter Beweisanträge die Vernehmung von zwei Zeugen und die Anhörung eines Sachverständigen für erforderlich.

3

Das Jugendschöffengericht hat die Akten dem Oberlandesgericht zur Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO vorlegen lassen. Die Staatsanwaltschaft hat die Fortdauer der Untersuchungshaft beantragt,

der Verteidiger die Aufhebung des Haftbefehls.

4

Die Anberaumung der neuen Hauptverhandlung erst auf den 15. November 1995 hat die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts nachträglich wie folgt begründet:

5

"Auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 01.09.1995 ist anzuführen, daß die Zeugen K. und der VP-Führungsbeamte beim Hauptverhandlungstermin am 30.08.1995 nicht zugegen waren. Sie sind einen Tag vor dem Termin von mir fernmündlich abgeladen worden, weil der Verteidiger eine geständige Einlassung seines Mandanten angekündigt hat.

6

Im Hauptverhandlungstermin wurde dann vom Angeklagten und der Veteidigung behauptet, es habe zu der VP-..... ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis bestanden, aufgrund dessen der Angeklagte sogar vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB sein soll. Insoweit wird auf den Hilfsbeweisantrag des Verteidigers in seinem Schlußplädoyer verwiesen.

7

Zur Klärung dieser Frage habe ich Dr. R. beauftragt. Ein früherer HVT ist schon aufgrund dieser Beauftragung nicht möglich, hinzukommt, daß sich der VP-Führungsbeamte unmittelbar nach dem Termin in Urlaub begeben hat; ich selbst bin im Oktober für 2 Wochen in Urlaub (Herbstferien), der schon im Frühjahr dieses Jahres gebucht wurde. Aufgrund terminlicher Auslastung nach meinem Urlaub war frühestmöglich der anberaumte HVT vom 15.11.1995 möglich."

8

Auf weitere fernmündliche Anfrage hat die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts erklärt, die Vorverlegung der Hauptverhandlung sei aufgrund bereits anberaumter weiterer Termine, darunter auch Haftsachen, schwerlich möglich.

9

Der Senat geht danach davon aus, daß die Gründe für die Aussetzung des Verfahrens jedenfalls bis zum 15. November 1995 nicht entscheidend durch die notwendige weitere Beweisaufnahme, sondern durch die Terminslage des Jugendschöffengerichts bedingt sind. In dem vorgesehenen Umfang rechtfertigt diese die Verzögerung des Verfahrens nicht. Es ist nicht ersichtlich, daß das Jugendschöffengericht bei der Anberaumung der neuen Hauptverhandlung den für die Bearbeitung von Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz genügend berücksichtigt hat. Diesem Grundsatz kommt bei der Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 ein besonderes Gewicht zu. Der Senat vermag nicht zu erkennen, daß angesichts der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft in der vorliegenden Sache auch unter Berücksichtigung der Terminslage des Jugendschöffengerichts eine frühere Hauptverhandlung nicht möglich gewesen wäre.

10

Unter diesen Umständen war der Haftbefehl aufzuheben (vgl. Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., Rdn. 22 zu § 121 StPO; insbesondere BVerfG NStZ 1995, 459).