Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 15.02.1989, Az.: 2 U 73/88

Streit um den Zeitpunkt der Beschädigung eines Schaustellerwagens für einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers; Kriterien für das Vorliegen einer typischen Beförderungsgefahr des Transportguts auf einem offenen Waggon für das Eingreifen eines Haftunsgbefreiungstatbestandes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
15.02.1989
Aktenzeichen
2 U 73/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 20719
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1989:0215.2U73.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 27.01.1988 - AZ: 6 O 367/87

In dem Rechtsstreit
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung
der Richter am Oberlandesgericht ... und
...
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Februar 1989
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Januar 1988 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer für die Klägerin: 8.702,73 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus§§67 VVG, 82 Abs. 1 EVO nicht zu.

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1.

Es kann dahinstehen, ob die Beklagte grundsätzlich nach§82 Abs. 1 EVO für den hier eingetretenen Schaden am Schaustellerwagen der Versicherungsnehmerin ... der Klägerin einzustehen hat oder nicht.

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1.1

Auf die unter den Parteien jedenfalls im Berufungsverfahren streitige Frage, ob die Versicherungsnehmer in der Klägerin den Schaustellerwagen bereits im beschädigten Zustand zur Verladung in ... gebracht hat, kommt es nicht an. Selbst wenn dieses nicht der Fall war, wie von der Klägerin unter Beweisantritt behauptet, haftet die Beklagte - jedenfalls im Ergebnis - nicht.

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1.2

Für die Entscheidung des Senats kann auch dahinstehen, ob die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klägerin hinreichend unter Beweisantritt dargetan hat, daß der Schaden

"bis zur Ablieferung"
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im Sinne von §82 Abs. 1 EVO entstanden ist.

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Unter einer Ablieferung im Sinne von §82 Abs. 1 EVO ist

"der Vorgang"
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zu verstehen,

"durch den die E. den zur Beförderung gelangten Gewahrsam des Gutes mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Empfängers wieder aufgibt und diesen instandsetzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben; eine körperliche Inbesitznahme durch den Empfänger ist nicht notwendig, es genügt, daß der Empfänger in die Lage versetzt wird, den Besitz zu übernehmen und seine Bereitwilligkeit hierzu irgendwie zu erkennen gibt" (so: BGH NJW 1963, S. 1830).
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Im hier zu entscheidenden Fall hatte die beklagte B. nach Tarif Nr. 470 (Bl. 117 d.A.) eine Ladungsgesamtheit von 48 Schaustellerwagen nach Maßgabe der Wagenladungsliste (Bl. 60, 61 d.A.) nach ... zu transportieren, wobei die einzelnen Schaustellerwagen von den Schaustellern selbst auf- und in ... auch wieder abgeladen wurden. Als "Ablieferung" im Sinne von §82 Abs. 1 EVO ist unter Beachtung der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung im vorliegenden Fall jedenfalls der Zeitpunkt anzunehmen, in dem nach der Ankunft des Zirkus-Sonderzuges in ... am 14. Oktober 1986 gegen 12.00 Uhr die Einzelteile des Gesamtgüterzuges auseinandergezogen und an einzelne Verladerampen rangiert worden sind, so daß die Schausteller instandgesetzt wurden, nun ihrerseits mit dem Abladen zu beginnen, wobei der Senat unterstellt, daß die einzelnen Schausteller, bzw. ihr Vertreter, davon unterrichtet wurden, daß die Einzelteile des Zirkus-Sonderzuges nunmehr abladebereit an einzelnen Verladerampen bereitgestellt worden sind.

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1.3

Ausgehend vom Vortrag der Klägerin in der Klageschrift, wonach sich der Schaustellerwagen der Versicherungsnehmer in der Klägerin im Waggon Nr. ... an letzter Stelle dieses (Tell-)Waggonverbandes ganz hinten befunden hat, spricht vieles dafür, daß die Beschädigung an diesem Schaustellerwagen, wenn er - ebenfalls nach dem Klägervortrag unterstellt - in unbeschädigtem Zustand in ... zur Verladung gekommen ist, bereits eingetreten war, als die Versicherungsnehmer in der Klägerin ihrerseits mit dem Abladen dieses Schaustellerwagens begann. Immerhin erscheint es allerdings nicht ganz ausgeschlossen, daß diese Beschädigung im Zuge des Abladens durch die einzelnen Schausteller nach dem Einrangieren der Einzelteile des Sonder-Güterzuges an den einzelnen Verladerampen entstanden ist, weil bereits die Ladesicherungsmittel von diesem Schaustellerwagen entfernt worden waren, als Bedienstete der Beklagten am 14. Oktober 1986 gegen 16.00 Uhr die Beschädigung an der Stirnseite des Schaustellerwagens ... oberhalb des hinteren Nummernschildes gemäß Tatbestandsaufnahme vom 15. Oktober 1986 (Bl. 12-15 d.A.) feststellten. Eine derartige Beschädigung könnte auch im Zuge der Beseitigung der Ladungssicherungsmittel oder bei einem ersten Rangieren des Schaustellerwagens auf dem E.waggon entstanden sein, wenn auch diese Möglichkeit, wie der Klägerin einzuräumen ist, eher fernliegend erscheint.

10

2.

Geht man demgegenüber mit der Klägerin davon aus, daß die Beschädigung an diesem Schaustellerwagen vor seiner Ablieferung im oben genannten Sinne, also vor dem Bereitstellen dieses Teil-Waggonverbandes aus dem gesamten Zirkus-Sonderzug an der Einzelverladerampe, eingetreten ist, so kann sich die Beklagte, wie sie es getan hat, mit Recht auf einen Haftungsausschluß nach §83 Abs. 1 lit. a) EVO berufen.

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2.1

Liegt einer der Haftungsausschlußtatbestände nach§83 Abs. 1 EVO vor, wofür die Beklagte die volle Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. BGHZ 19, 276, 277) und konnte nach den Umständen des Falles ein Schaden hieraus entstehen, so ergibt sich aus§83 Abs. 2 eine Kausal Vermutung zugunsten der Beklagten dahin, daß bis zum Nachweis des Gegenteils durch den Ersatzberechtigten, hier die Klägerin, vermutet wird, daß der Schaden aus einem der Haftungsausschlußtatbestände nach §83 Abs. 1 EVO entstanden ist.

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2.2

Vorliegend hat die Klägerin selbst durch Vorlage des Gutachtens ... vom 13. Februar 1987, S. 4 (Bl. 26 d.A.), dargetan, daß der hier eingetretene Schaden gerade auf einem Umstand beruht oder zumindest beruhen kann, der gerade mit einer der mit der Beförderung in offenen E.waggons verbundenen Gefahren zusammenhängt. Der Gutachter hat ausgeführt:

"Die Beschädigung sieht so aus, wie wenn man die Zuggabel irgendeines anderen Schausteller-Wohnwagenanhängers (und hiervon gab es genug auf diesem Sonderzug) hat herunterfallen lassen und dann den Zug rangierte. Die Gabel hätte dann über den Waggon bis in die Rückwand dieses ...-Geschäftswagens hineingeragt und einen Wanddurchstoß verursacht."

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Gerade das ist eine der typischen Gefahren, die mit dem Transport auf offenen E.waggons im Sinne von §83 Abs. 1 lit. a) EVO verbunden sein kann. Maßgeblich ist hierfür, daß eine besondere Beförderungsgefahr dadurch entsteht, daß das Transportgut auf einem offenen und nicht in einem geschlossenen Waggon transportiert wird (vgl. BGH a.a.O., S. 278; Finger, Lose-Blatt-Kommentar zur EVO, §83 Anm. 2 e). Gerade dieses Risiko hat sich hier, die eigene Sachdarstellung der Klägerin vom Schadenshergang unterstellt, verwirklicht: Wären die Schaustellerwagen in geschlossenen E.waggons transportiert worden, so hätte eine nur unzureichend befestigte Zuggabel an einem Schaustellerwagen auf einem nachfolgenden E.waggon schon nicht so weit herabfallen können, daß sie überhaupt über die äußere Begrenzung dieses E.waggons, also dessen vordere Stirnseite, hinausgeragt hätte. Vielmehr wäre diese Zuggabel lose gegen eine solche geschlossene Stirnwand angelehnt in Schräglage stehengeblieben. Auch hätte eine solche nur in Schräglage befindliche Zuggabel nicht die rückwärtige Stirnwand des vorausfahrenden E.waggons durchstoßen können, die ja als weiteres Hindernis bei einer derartigen Beförderungsart zwischen den beiden Schaustellerwagen eine weitere E.waggonwand vorhanden gewesen wäre. Für einen "Doppeldurchstoß" zweier Waggonstirnwände bei einem Transport der Schaustellerwagen in geschlossenen E.waggons spricht nichts; die insoweit darlegungspflichtige Klägerin, die die Vermutung nach §83 Abs. 2 EVO zu widerlegen hätte, hat auch nichts in dieser Richtung aufgezeigt.

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2.3

Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, daß sich die Beklagte auf den Haftungsausschluß nach §83 Abs. 1 lit. a) EVO nicht berufen dürfe, da der Transport solcher Schaustellerwagen wegen ihrer Größe und äußeren Beschaffenheit nur in offenen E.waggons erfolgen könne, verschlägt diese Rechtsverteidigung nicht.

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Der Senat hat bereits im Urteil vom 21. September 1988 - 2 U 272/87 - darauf hingewiesen, daß die Anwendbarkeit des Haftungsbefreiungstatbestandes nach §83 Abs. 1 lit. a) EVO nicht dadurch ausgeschlossen ist, daß das Frachtgut wegen seiner Größe oder Beschaffenheit in geschlossenen Waggons nicht transportiert werden kann. An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach erneuter Überprüfung im Anschluß an die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 155, 193, 195) fest (vgl. auch RGRK-Kommentar zum HGB, Helm, 3. Aufl., §460 Anh. I, §83 EVO, Anm. 7; Finger a.a.O., §83 Anm. 2 e). Die verladende Wirtschaft kennt ebensogut wie die Versicherungswirtschaft, also auch die Klägerin, das Haftungssystem der EVO mit seinen Haftungsausschlußtatbeständen, welches gewisse Risiken der transportierenden E., gewisse Risiken aber auch der verladenden Wirtschaft und der womöglich hinter dem einzelnen Versender stehenden Versicherer aufbürdet. Die Wirtschaft kann sich mit ihr geeignet erscheinenden Mitteln, die im Senatstermin vom 3. Februar 1989 auch angesprochen worden sind, hierauf einstellen. Der Senat sieht jedenfalls keine rechtliche Möglichkeit, vom eindeutigen Haftungssystem der EVO, hier vom Haftungsbefreiungstatbestand des §83 Abs. 1 lit. a) EVO, abzugehen und etwa der beklagten B. diese Haftungsprivilegierung, auf die sich auch im vorliegenden Fall berufen hat, deshalb abzuschneiden, weil nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Klägerin Schaustellerwagen nun einmal nur in offenen Waggons im Sinne von §83 Abs. 1 lit. a) EVO transportiert werden. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang nur darauf, daß die verladende Wirtschaft mit dieser Transportart nicht nur gewisse Risiken, wie sie sich in diesem Fall nach dem Sachvortrag der Klägerin, der hier der Entscheidung zugrunde gelegt wird, realisiert haben, eingeht, sondern auf der anderen Seite auch einen schnellen und von den Gefahren des Straßenverkehrs unabhängigen Transport über weite Strecken erhält, wie er etwa durch das Verbringen von Schaustellerwagen auf eigener Achse über solche Entfernungen nicht zu bewerkstelligen wäre. Wenn und soweit die verladende Wirtschaft, hier die Versicherungsnehmerin der Klägerin, sich - sicher aus guten und wohl erwogenen Gründen - dieser Transportart bedient, so muß sie auf der anderen Seite auch die damit verbundenen Haftungsrisiken in Kauf nehmen. Dieserhalb deckt sich die Wirtschaft eben auch mit einer auskömmlichen Transportversicherung ein, wie hier ebenfalls geschehen, so daß der Schaden letztlich bei der Versicherungswirtschaft, hier der Klägerin, verbleibt, was ja auch von deren allgemeinem Geschäftszweck im Hinblick auf ihre Teilnahme am Wirtschafts- und Rechtsverkehr überhaupt, umfaßt wird.

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3.

Die Klägerin hat schließlich nichts Hinreichendes dafür dargetan, daß etwa eine Befreiung der Beklagten von der Haftung nach §83 Abs. 1 EVO im Hinblick auf §83 Abs. 3 EVO nicht zum Tragen kommt, weil der Beklagten ein Verschulden zur Last falle.

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Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung, S. 6 (Bl. 94 d.A.), vorgetragen hat, die Beklagte habe den Bereitstellungsvorgang der einzelnen Waggons bis zur Entladung überwachen müssen, führt dieser Hinweis nicht zu einem Ausschluß des Haftungsbefreiungstatbestandes nach §83 Abs. 1 lit. a) EVO. Es steht nicht einmal fest, wodurch der Schaden überhaupt entstanden ist, so daß auch nicht festgestellt werden könnte, daß durch eine bessere Überwachung des Gesamttransportes durch die Beklagte der hier eingetretene Schaden hätte vermieden werden können. Vielmehr hat die Klägerin, wie aufgezeigt, selbst vorgetragen, daß der Schadenseintritt wahrscheinlich darauf beruht, daß sich während der Transportfahrt oder während des Rangierens im Bereich von ... dergestalt ereignet hat, daß sich eine Zuggabel von einem der Schaustellerwagen gelöst und sodann den auf dem voranfehrenden E.waggon transportierten Schaustellerwagen der Versicherungsnehmerin der Klägerin rückseitig durchstoßen hat. Wie bei einem solchen Schadenshergang der Schadenseintritt durch bessere Überwachung seitens der Bediensteten der Beklagten hätte vermieden werden können, hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Sicherlich kann von der Beklagten und ihren Bediensteten nicht verlangt werden, daß sie die einzelnen Zuggabeln bei jedem Schaustellerwagen, die ja schließlich von den Schaustellern selbst auf den Sondergüterzug verladen worden sind, vor Antritt der Fahrt, womöglich noch während der Fahrt oder bei Abschluß der gesamten Transportfahrt, daraufhin überprüft, ob sie hinreichend befestigt sind oder nicht.

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Gerade bei Selbstladern obliegt es diesen, das Transportgut so sicher zu verladen, daß es einen normalen E.transport mit den dort immer vorkommenden Pufferstößen sicher übersteht (vgl. auch RGZ 155, 193, 197, 198) und auch nicht andere Ladungsteile desselben Transportverbandes beschädigt. Hier ist in besonderer Weise in Rechnung zu stellen, daß der gesamte Zirkus-Sonderzug als Ladungseinheit anzusehen ist und daher etwaige Verladungsfehler eines Schaustellers auf das Transportgut eines anderen Schaustellers zurückfallen können, ohne daß hierfür die beklagte B. in Haftung genommen werden kann.

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4.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus §97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §708 Nr. 10 ZPO. Die Beschwer ist nach §546 ZPO festgesetzt worden.