Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 16.05.2024, Az.: 2 ORbs 74/24

Fortgeltung eines noch nicht beschiedenen Entbindungsantrages bei Verlegung der Hauptverhandlung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
16.05.2024
Aktenzeichen
2 ORbs 74/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 16071
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Westerstede - 18.03.2024

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Fortgeltung eines noch nicht beschiedenen Entbindungsantrages bei Verlegung der Hauptverhandlung (Fortführung von BGH StraFO 2024, 110)

  2. 2.

    Zu rechtsmissbräuchlichem Verteidigerhandeln im Zusammenhang mit dem (Nicht-)Stellen eines Entbindungsantrages

In der Bußgeldsache
gegen
AA,
geboren am TT.MM.1974,
wohnhaft Ort1,
Staatsangehörigkeit: deutsch,
Verteidiger:
(...)
hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg) durch den Richter am Oberlandesgericht (...) am 16.05.2024 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Westerstede vom 18.3.2024 zuzulassen, wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid über 100 € ergangen. Nachdem er hiergegen Einspruch eingelegt hatte, stellte sein Verteidiger im Rahmen eines 52-seitigen (Beschwerde-) Schriftsatzes vom 31.08.2023 den Antrag, "die betroffene Partei von der Verpflichtung zum Erscheinen in allen anstehenden Hauptverhandlungen zu entbinden". Nachdem das Amtsgericht mit Verfügung vom 4.01.2024 Termin zur Hauptverhandlung auf den 12.02.2024 anberaumt hatte, stellte der Verteidiger am 12.01.2024 und am 18.01.2024 Verlegungsanträge, so dass die Hauptverhandlung letztlich am 18.03.2024 stattfand.

In der Hauptverhandlung erschien der Betroffene nicht. Für ihn war ein unterbevollmächtigter Verteidiger erschienen. Der Einspruch wurde vom Amtsgericht verworfen.

Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der mit der Verletzung des rechtlichen Gehör begründet worden ist.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Bei einer Geldbuße bis zu 100 € kommt die Zulassung nur zur Fortbildung des materiellen Rechts oder der Verletzung rechtlichen Gehörs in Betracht.

Beide Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

Zwar hat der Verteidiger im Rahmen seiner Beschwerdeschrift vom 31.8.2023 einen Entbindungsantrag gestellt. Zu Beginn der Hauptverhandlung hat der anwesende Unterbevollmächtigte, der "zur vollumfänglichen Terminvertretung und Verteidigung" befugt war, aber erklärt, es solle ausdrücklich kein Entbindungsantrag gestellt werden. Diese Erklärung des vertretungsberechtigten Verteidigers kann nur als Rücknahme des ursprünglichen Antrages aufgefasst werden, so dass die Verwerfung zurecht erfolgt ist. Es geht insofern nicht um die Fortwirkung eines Entbindungsantrages, von der der Verteidiger aufgrund der Entscheidung des BGH, StraFO 2024, 110 ausgeht, vielmehr ist durch die aktuelle Erklärung des in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidigers eine neue Sachlage geschaffen worden. Hätte das Amtsgericht trotz Rücknahme des Entbindungsantrages verhandelt, hätte zumindest nach Auffassung des OLG Dresden (ZfSch 2019, 172) eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorgelegen.

Sollte der Betroffene allerdings durch den Hinweis auf die Fortgeltung des Entbindungsantrages geltend machen, die Erklärung des Unterbevollmächtigten in der Hauptverhandlung sei nicht als Rücknahme zu verstehen gewesen, sondern -entsprechend ihres Wortlautes- lediglich als die Nichtstellung eines Antrages, könnte dieses nur den Zweck gehabt haben, das Amtsgericht, entweder weil es den mehrere Monate zurückliegenden Entbindungsantrag übersehen hatte oder aber die oben zitierte Entscheidung des BGH - die sich ausdrücklich allerdings nur zur Fortwirkung einer erfolgten Entbindungsentscheidung verhält- nicht kannte oder aber davon ausgegangen ist, dass trotz dieser Entscheidung nach wie vor ein weiterer Antrag erforderlich sei, zu einer Verwerfung des Einspruches zu veranlassen, um anschließend eben diese Verwerfung im Hinblick auf den seinerzeit gestellten Entbindungsantrag mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde anzugreifen. Dann jedoch läge ein Fall missbräuchlichen Verteidigerhandelns vor, der den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde unzulässig machen würde (vgl. zu missbräuchlichem Verteidigerverhalten Senat, NJW 2018, 641 [BGH 28.09.2017 - 4 StR 240/17])

Es gilt nämlich, dass im Strafverfahren -wie in jedem Prozess- der Gebrauch prozessualer Rechte zum Erreichen rechtlich missbilligter Ziele untersagt ist; auch hier besteht ein allgemeines Missbrauchsverbot (BGHSt 38, 111 ff.). Ein Missbrauch prozessualer Rechte ist dann anzunehmen, wenn ein Verfahrensbeteiligter die ihm durch die Strafprozessordnung eingeräumten Möglichkeiten zur Wahrung seiner verfahrensrechtlichen Belange dazu benutzt, um gezielt einen verfahrensfremden oder verfahrenswidrigen Zweck zu verfolgen. So ist es rechtsmissbräuchlich, wenn ein Antrag nur zum Schein der Sachaufklärung wegen gestellt wird, mit ihm in Wahrheit aber verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden (BGH aaO.).

Der Senat geht zwar davon aus, dass die Entscheidung des BGH StraFO 2024, 110 so zu verstehen ist, dass auch ein nicht beschiedener Entbindungsantrag bei einer Terminverlegung fortwirkt (so auch Krenberger NZV 2024, 183 [BGH 10.10.2023 - 4 StR 94/22] in einer Anmerkung zu dieser Entscheidung), so dass tatsächlich ein neuer Antrag nicht erforderlich gewesen wäre.

Der unterbevollmächtigte Verteidiger wäre aber ohne weiteres in der Lage gewesen, in der Hauptverhandlung auf den seinerzeit gestellten Entbindungsantrag hinzuweisen und darauf, dass dieser noch nicht beschieden sei, aber aufrechterhalten werde. Sollte das Amtsgericht einen neuen Antrag für erforderlich gehalten haben, hätte der Verteidiger auch diesen stellen können. Stattdessen wird "ausdrücklich" -diese Formulierung klingt, als ob der Unterbevollmächtigte eine entsprechende Weisung erhalten hätte -kein Entbindungsantrag gestellt. Es ist aber kein sachlicher Grund für das von dem in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidiger gewählte Vorgehen ersichtlich, wenn - von redlichem Verhalten ausgehend- seine Erklärung nicht als Rücknahme gewertet werden sollte. Im Übrigen war auch vorterminlich seitens des hauptbevollmächtigten Verteidigers nicht auf die bis dato nicht erfolgte Bescheidung des schriftlichen Entbindungsantrages hingewiesen worden, der bereits Monate zuvor gestellt worden war.

Eine Verfahrensrüge, die aus einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten hergeleitet würde, wäre jedoch unzulässig (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.4.2017, IV-2 RBs 49/17, juris).