Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 28.03.2024, Az.: 1 Ws 111/24
Fortdauer der Untersuchungshaft
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 28.03.2024
- Aktenzeichen
- 1 Ws 111/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 18114
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wittmund - AZ: 94 Ls 16/23
Rechtsgrundlage
- § 207 Abs. 4 StPO
Fundstelle
- StraFo 2024, 378-379
Amtlicher Leitsatz
Eine bei Eröffnung des Hauptverfahrens unterbliebene Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft bzw. vorläufigen Unterbringung ist grundsätzlich nachzuholen, da es sich um eine Sonderform der gesetzlich vorgeschriebenen Haftprüfung von Amts wegen handelt.
In dem Strafverfahren
gegen Frau AA,
geboren am TT. MM 2004 in Ort1,
zurzeit MRVZN Ort2, Ort2,
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.,
Betreuer: BB, Ort3
Verteidiger: Rechtsanwältin CC, Ort4,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 28. März 2023
durch die unterzeichnenden Richter
beschlossen:
Tenor:
Eine Sachentscheidung des Senats ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Aurich hat unter dem 14. Dezember 2023 gegen Frau AA als Heranwachsende Anklage vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Wittmund wegen der Begehung von insgesamt 20 Straftaten erhoben. Im Einzelnen liegen der Anklage der Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in sieben Fällen, wobei es in einem Fall bei einem Versuch blieb, in drei Fällen tateinheitlich begangen mit Widerstand und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, in zwei Fällen tateinheitlich begangen mit Beleidigung, sowie des Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz in vier Fällen, in einem Fall tateinheitlich begangen mit vorsätzlicher Körperverletzung, Bedrohung, Sachbeschädigung und Beleidigung, und wegen Diebstahls. Dabei hat die Staatsanwaltschaft zugleich den Erlass eines Untersuchungshaftbefehls beantragt.
Mit Beschluss vom 27. Dezember 2023 hat das Amtsgericht Wittmund gemäß § 126a StPO die einstweilige Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und diese Anordnung nach dem Verkündungstermin am 2. Januar 2024 aufrechterhalten.
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz ihrer Verteidigerin vom 8. Februar 2024 erhobene und zugleich ausgeführte Beschwerde der Angeklagten, welcher das Amtsgericht Wittmund mit Beschluss vom 9. Februar 2024 nicht abgeholfen und welche das Landgericht Aurich mit Beschluss vom 19. Februar 2024 als unbegründet verworfen hat.
Die Angeklagte hat mit Schriftsatz ihrer Verteidigerin vom 27. Februar 2024 weitere Beschwerde eingelegt und beantragt, den Unterbringungsbefehl aufzuheben, hilfsweise unter Auflagen außer Vollzug zu setzen bzw. in einen Untersuchungshaftbefehl umzuwandeln.
Zwischenzeitlich wurde am 23. Februar 2024 durch das Amtsgericht Wittmund das Hauptverfahren vor dem Jugendschöffengericht eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 20. März 2024 begonnen und dauert noch an.
Wegen der Einzelheiten wird auf die vorbezeichneten Entscheidungen und Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Eine Sachentscheidung des Senats über die weitere Beschwerde vom 27. Februar 2024 ist nicht veranlasst.
Es bedarf vorrangig einer weiteren Entscheidung über die Aufrechterhaltung der einstweiligen Unterbringung durch das zuständige Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Wittmund. Dieses hat mit Beschluss vom 23. Februar 2024 das Hauptverfahren vor dem Jugendschöffengericht eröffnet. Gem. § 207 Abs. 4 StPO hat das zuständige Gericht zugleich mit der Eröffnungsentscheidung über die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung zu befinden. Dies ist vorliegend unterblieben.
Die insoweit ausstehende Entscheidung ist nachzuholen. Die in § 207 Abs. 4 StPO vorgesehene Entscheidung hinsichtlich der Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder einstweiligen Unterbringung ist obligatorisch und unterliegt nicht der gerichtlichen Disposition. Es handelt sich um eine Sonderform der gesetzlich vorgeschriebenen Haftprüfung von Amts wegen (vgl. Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 207 Rn. 26).
Ihre Nachholung stellt sich auch nicht mit Rücksicht auf die Nichtabhilfeentscheidung des Jugendschöffengerichts vom 9. Februar 2024 als bloße - einer Senatsentscheidung nicht entgegenstehende - Förmelei dar. Abgesehen davon, dass es insoweit an einem hinreichend engen zeitlichen Kontext, welcher den Schluss rechtfertigen könnte, eine abweichende Entscheidung des Jugendschöffengerichts komme nicht in Betracht, mangelt, stehen die auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. DD in seinem schriftlichen Gutachten vom 28. Januar 2024 gestützten, vom Jugendschöffengericht zugrunde gelegten dringenden Gründe für die Annahme, die Angeklagte habe rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangen, die Anordnung ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei zu erwarten, in engem Zusammenhang mit dem Umfang der seitens der Angeklagten begangenen rechtswidrigen Taten. Zur Prüfung, inwieweit sich die durch die zu einem erheblichen Teil im familiären Umfeld der Angeklagten angesiedelten Taten betroffenen Zeuginnen und Zeugen voraussichtlich in einer Hauptverhandlung zur Aussage bereit finden werden, hat das Jugendschöffengericht noch nach der Nichtabhilfeentscheidung vom 9. Februar 2024, nämlich mit Verfügung vom 16. Februar 2024, weitere Nachforschungen angestellt. Das Ergebnis derselben ist bei Beurteilung der Aufrechterhaltung der bislang auf einer höchst unsicheren prognostischen Grundlage fußenden einstweiligen Unterbringung mit einzubeziehen. Der Umstand, dass es das Jugendschöffengericht bislang verabsäumt hat, die mit der Eröffnungsentscheidung verknüpfte - mithin vor Hauptverhandlungsbeginn angesiedelte - Entscheidung zu treffen, versetzt es zudem in die Lage, nunmehr auch die in der bereits laufenden Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage der Fortdauerentscheidung zu machen.
Eine Sachentscheidung des Senats kommt vor diesem Hintergrund gegenwärtig nicht in Betracht.