Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.04.2000, Az.: 1 W 29/00

Bestimmung des unzuständigen Insolvenzgerichts durch das Oberlandesgericht; Zuständigkeit für Insolvenzverfahren nach Einstellung des Geschäftsbetriebes einer Gesellschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
13.04.2000
Aktenzeichen
1 W 29/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 30758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2000:0413.1W29.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hamburg - AZ: 67c IN 58/00
AG Göttingen - AZ: 74 IN 238/99

Fundstellen

  • DZWIR 2000, 300-301
  • EWiR 2000, 1021
  • GmbHR 2000, 826 (amtl. Leitsatz)
  • NZI 2000, 266-267
  • NZI 2001, 13-14
  • ZIP 2000, 1118-1119 (Volltext mit red. LS)
  • ZInsO 2000, 286-287 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Zuständigkeitsbestimmung

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 13. April 2000
beschlossen:

Tenor:

Zuständig für das Insolvenzverfahren ist das Amtsgericht Göttingen.

Gründe

1

I.

Die Schuldnerin, eine GmbH mit eingetragenem Sitz in ... hat durch ihren mittlerweile in ... wohnhaften Geschäftsführer beim Amtsgericht Göttingen Insolvenzantrag gestellt und dazu mitgeteilt, dass Ende Januar 1999 das Geschäftslokal aufgelöst, der einzige Mitarbeiter entlassen und der Geschäftsbetrieb eingestellt worden sei. Das Amtsgericht hat einen Sachverständigen mit Ermittlungen beauftragt; dem Sachverständigen gelang es jedoch nicht, Kontakt zum Geschäftsführer der Schuldnerin zu bekommen, Weiterhin hat das Amtsgericht einen Handelsregisterauszug zu den Insolvenzakten genommen. Auf den Hinweis des Amtsgerichts, dass es für das Insolvenzverfohren nicht zuständig sei, hat der Geschäftsführer der Schuldnerin die Verweisung des Verfahrens an das vom Amtsgericht ... für zuständig gehaltene Amtsgericht ... beantragt. Daraufhin hat sich das Amtsgericht durch Beschluss vom 06.03.2000 für unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht ... verwiesen. Dieses hat sich durch Beschluss vom 03.04.2000 seinerseits für unzuständig erklärt und das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung dem Oberlandesgericht Braunschweig vorgelegt.

2

II.

1.

Der Senat ist nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InSo zur Bestimmung des unzuständigen Insolvenzgerichts berufen, weil sich das Amtsgericht ... das zuerst mit der Sache befasst war, und das Amtsgericht Hamburg durch Beschlüsse, die der Schuldnerin jeweils bekannt gegeben worden sind, rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

3

2.

Zu dem für das Insolvenzverfahren zuständigen Gericht ist das Amtsgericht - Insolvenzgericht - ... zu bestimmen, dessen Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 S. 1 InSo gegeben ist. Danach ist örtlich zuständig ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin wird nach § 17 Abs. 1 S, 1 ZPO durch ihren Sitz bestimmt. Bei einer GmbH ist Sitz der Gesellschaft der Ort, den der Gesellschaftsvertrag bestimmt (§ 4 a Abs. 1 GmbHG), wirksam wird die Bestimmung des Sitzes mit Eintragung in das Handelsregister (§§ 10, 11 Abs. 1 GmbHG). Verlegt werden kann der Sitz nur durch Satzungsänderung, die ebenfalls erst mit Eintragung in das Handelsregister wirksam wird (§ 54 Abs. 3 GmbHG). Da im Handelsregister ... als Sitz der Schuldnerin eingetragen ist, befindet sich demgemäß auch ihr allgemeiner Gerichtsstand, nach dem sich die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts richtet, in ... .

4

3.

Die Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 1 S. 2 InSo. Danach ist, wenn der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort liegt, ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. Diese Vorschrift setzt nach dem Wortlaut voraus, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit, die nach außen erkennbar wird, entfaltet wird. Dementsprechend geht die überwiegende Meinung davon aus, dass sich die Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren nach Einstellung des Geschäftsbetriebes einer Gesellschaft allein nach deren Sitz richtet (BayObLG InVo 1999, 373 [Leitsatz]; OLG Hamm ZInSo 1999, 533; OLG Naumburg InVo 2000, 12 f; zur Konkursordnung Kuhn-Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 71 Rn. 7 a). Als selbständige wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des § 3 Abs. 1 S. 2 InSo mögen allerdings auch noch Abwicklungstätigkeiten gehören, sofern sie Außenwirkung haben (so Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InSo, § 3 Rn. 7). Ist dagegen der Geschäftsbetrieb abgeschlossen und wird das Unternehmen nach außen auch nicht mehr abwickelnd tätig, so kommt allein § 3 Abs. 1 S. 1 InSo zu Anwendung.

5

Der vom Amtsgericht ... vertretenen Gegenmeinung, dass § 3 Abs. 1 S. 2 InSo auch nach Ende jeder Geschäftstätigkeit anwendbar sei und dann auf den Ort der Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen abgestellt werden müsse (Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InSo, 2. Aufl, 1999, § 3 Rn. 9 unter Berufung auf Kilger-Karsten Schmidt, KO, 16. Aufl., § 71 Anm. 3), kann demgegenüber nicht gefolgt werden. Weder mit dem Wortlaut noch dem Sinn des § 3 Abs. 1 S. 2 InSo ist es vereinbar, die bloße Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen als "selbständige wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners" anzusehen. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 S. 1 InSo, wonach grundsätzlich der allgemeine Gerichtsstand des Schuldners die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts bestimmt, wäre jedenfalls für juristische Personen überflüssig, wenn vorrangig ohne Ausübung einer Geschäftstätigkeit stets auf den Ort der Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen abzustellen wäre.

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4.

Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Göttingen entfällt auch nicht deshalb, weil durch die vom Amtsgericht ausgesprochene Verweisung nach §§ 4 InSo, 281 Abs. 2 ZPO die Zuständigkeit des Amtsgerichts ... begründet worden wäre. Denn der Verweisung fehlt entgegen § 281 As. 2 S. 5 ZPO die Bindungswirkung, weil der Verweisungsbeschluss als objektiv willkürlich anzusehen ist. Das Amtsgericht Göttingen hat den Verweisungsbeschluss nicht näher begründet; es ist insbesondere semer Amtsermittlungspflicht nach § 5 Abs. 1 S. 1 InSo nicht nachgekommen und hat keine für die Zuständigkeit maßgeblichen Feststellungen getroffen.

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Auch wenn man der Rechtsauffassung des Amtsgerichts, die als solche nicht als willkürlich anzusehen ist, folgt, fehlte es an den Voraussetzungen einer Verweisung. Das Amtsgericht hat nämlich, obgleich es in dem Schreiben an den Geschäftsführer der Schuldnerin ausgeführt hat, dass in Ermangelung eines Geschäftssitzes einer juristischen Person das Gericht zuständig sei, in dessen Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer die Unterlagen aufbewahre, keine Ermittlungen dazu angestellt, ob die Geschäftsunterlagen tatsächlich von dem Geschäftsführer an seinem Wohnsitz aufbewahrt worden sind. Im Gegenteil hat sich, noch bevor der Verweisungsbeschluss aus dem Geschäftsbetrieb des Gerichts herausgegeben worden ist, herausgestellt, dass sich die Geschäftsunterlagen nicht beim Geschäftsführer befanden, sondern von der Polizei beschlagnahmt wurden (Schreiben des Geschäftsführers vom 19.11.1999, Anlage 2 zum Schreiben des vom Amtsgericht eingesetzten Sachverständigen vom 07.03.2000). Der Sachverständige hat dazu mitgeteilt, dass er nicht habe ermitteln können, von welcher Stelle die Beschlagnahme veranlasst wurde. Die Annahme des Amtsgerichts, der Geschäftsführer der Schuldnerin bewahre die Geschäftsunterlagen an seinem Wohnsitz in ... auf, war damit bereits widerlegt, bevor der Verweisungsbeschluss den innerdienstlichen Bereich verlassen hatte. Da das Amtsgericht zu der von ihm angenommenen Zuständigkeit des Amtsgerichts ... keine tragfähigen Feststellungen getroffen hat und nicht einmal, wie es seine Pflicht gewesen wäre, die vor Absendung des Verweisungsbeschlusses eingegangenen Erkenntnisse berücksichtigt hat, ist die Verweisung als objektiv willkürlich anzusehen und bindet das Amtsgericht ... nicht. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ein durch die Wegschaffung der Geschäftsunterlagen bedingter Zuständigkeitswechsel jedenfalls dann nicht mehr in Betracht kommt, wenn Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung schon eingetreten sind und bei der Schuldnerin daher die Verpflichtung zur unverzüglichen Stellung des Insolvenzantrages nach § 64 Abs. 1 GmbHG bestand (Senatsbeschluss vom 22.02.2000 - OLGR 2000, 105 -); auch hierzu hat das Amtsgericht keine Ermittlungen angestellt.

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5.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da Kosten für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nicht entstanden sind.