Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 20.11.2003, Az.: 1 U 19/03
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 20.11.2003
- Aktenzeichen
- 1 U 19/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 39001
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2003:1120.1U19.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - AZ: 5 O 28/02
Fundstelle
- JWO-VerbrR 2004, 145
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
wegen Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrages
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 09. Oktober 2003 durch ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 31. Januar 2003 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.414,27 € nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB liegenden Zinsen seit dem 30. November 2001 Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw vom Typ Skoda-Oktavia 1,9 TDI Kombi, Fahrgestell-Nummer: TMBGP21U022543203, zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.866,67 € festgesetzt.
Gründe
I.
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und in der Sache zum überwiegenden Teil begründet. Der Kläger hat entgegen der Auffassung des Landgerichts gemäß §§ 361 a, 346 ff BGB a.F. i.V.m. §§1,3 Abs. 1 FernAbsG einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über den streitgegenständlichen Pkw. Die beiderseitigen Leistungen sind Zug um Zug zurückzugewähren; von dem ursprünglichen Kaufpreis in Höhe von 18.866,67 € (36. 900 DM) ist jedoch wegen der erfolgten Nutzung des Pkw durch den Kläger ein Abzug von 6.452,40 € (12.619,80 DM) vorzunehmen, so dass dem Kläger nur ein Rückerstattungsanspruch in Höhe von 12.414,27 € (24.280,20 DM) Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Pkw zusteht.
1. Der Kläger hat gemäß § 361 a BGB a.F., §§1,3 Abs. 1 FernAbsG wirksam den Widerruf des Kaufvertrages vom 14. September 2001 erklärt.
Der Kläger als Verbraucher hat mit der Beklagten (Unternehmerin) einen Vertrag über die Lieferung von Waren unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (Telefax) im Sinne des § 1 Abs. 2 FernAbsG abgeschlossen. Der Vertragsschluss erfolgte ferner im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems im Sinne des § 1 Abs. 1 FernAbsG.
Zutreffend ist zwar die Grundannahme des Landgerichts, dass ein Anbieter, der seine Ware in seinen Geschäftsräumen vertreibt und nur gelegentlich Bestellungen per Fernkommunikation abwickelt, nach dem Willen des Gesetzgebers nicht vom Fernabsatzgesetz erfasst werden soll. Der insoweit in § 1 Abs. 1 FernAbsG formulierte Ausnahmetatbestand ist im Zweifel aber eng auszulegen. Die Beweislast für das Fehlen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems trägt zudem der Unternehmer (vgl. Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., § 1 FernAbsG Rdnr. 7).
Für den Systemcharakter ist nicht erforderlich, dass der Unternehmer seinen Gesamtvertrieb im Wege des Fernabsatzes abwickelt. Es genügt, wenn er durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung innerhalb seines Betriebes die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, um regelmäßig im Fernabsatz anfallende Geschäfte zu bewältigen (vgl. Fuchs, ZIP 2000, S. 1275 unter Berufung auf die Begründung des Gesetzesentwurfes). So reicht es beispielsweise aus, wenn ein Unternehmer systematisch mit dem Angebot telefonischer Bestellung und anschließender Zusendung der Ware wirbt und seinen Betrieb so organisiert, dass Verträge im Fernabsatz geschlossen werden können (Palandt, a.a.O.). Ein wichtiges Indiz für ein Fernabsatzsystem kann insbesondere die Art der Werbung darstellen (vgl. Lorenz, JuS 2000, S. 838). Maßgeblich ist - und das verdient besondere Hervorhebung - eine abstrakte Betrachtungsweise. Der tatsächlichen Handhabung bei den Geschäftsabschlüssen und der Häufigkeit von Fernabsatzgeschäften kommt entgegen der offensichtlich vom Landgericht vertretenen Ansicht also keine entscheidende Bedeutung bei. Sind die organisatorischen Voraussetzungen für den regelmäßigen Abschluss vom Fernabsatzverträgen erst einmal geschaffen worden, kommt das Fernabsatzgesetz selbst dann zur Anwendung, wenn die Fernabsatzgeschäfte im betroffenen Unternehmen die Ausnahme darstellen.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der Beklagten der Beweis für das Fehlen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems nicht gelungen. Schon der Umstand, dass sie auf ihrer Homepage damit wirbt, dass jedes Fahrzeug online bestellt werden kann (vgl. Bl. 63 d.A.), spricht erheblich für das Vorliegen eines Fernabsatzsystems. Der gesamte Internetauftritt lässt den Schluss zu, dass sich die Beklagte über das Internet einen weiteren Vertriebsweg geschaffen hat. Dass sie darüber hinaus auch in der überregionalen Presse lediglich unter Angabe ihrer Internetadresse sowie ihrer Telefonnummer wirbt (vgl. Bl. 46, 47 d.A.), verstärkt diesen Eindruck erheblich. Maßgeblich ist letztlich aber Folgendes: Nach der Beweisaufnahme vor dem Landgericht ist fraglos davon auszugehen, dass die Beklagte durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung ihres Betriebes die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, um regelmäßig im Fernabsatz anfallende Geschäfte zu bewältigen; ob sie diese Möglichkeit auch regelmäßig nutzt, ist - wie oben bereits erwähnt - nicht von Bedeutung. Die Zeugen H. und L. haben übereinstimmend den Ablauf der sogenannten Online-Bestellung (bzw. der Bestellung per Telefon oder per Fax) geschildert. Nach Eingang einer Interessebekundung des potenziellen Kunden per Online-Formular (Bl. 70 d.A.) bzw. per Telefon oder Fax übersendet die Beklagte -in der Regel per Fax- ein als "Verbindliche Bestellung" bezeichnetes Formular nebst Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Bl. 87 - 89 d.A.). Sendet der potenzielle Käufer dieses Formular unterschrieben zurück ist er 4 Wochen an die Bestellung gebunden; nach Nr. 9 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kommt der Kaufvertrag über das bestellte Fahrzeug mit der Bestätigung durch die Beklagte zustande, die natürlich ebenfalls per Fax oder per Brief übersandt werden kann.
Nach alledem kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte alle organisatorischen Voraussetzungen zur regelmäßigen Bewältigung von Fernabsatzgeschäften geschaffen hat.
Das ihm gemäß § 3 Abs. 1 FernAbsG i.V.m. § 361 a BGB a.F. zustehende Widerrufsrecht hat der Kläger fristgerecht ausgeübt. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerrufsrecht wäre dieses erst 4 Monate nach Erhalt des Pkw erloschen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 FernAbsG), also am 20. Januar 2002. Die Widerrufserklärung des Klägers datiert indes vom 29. Oktober 2001.
2. Die beiderseitigen Leistungen sind Zug um Zug nach den §§ 346 ff BGB a.F. zurückzugewähren.
Der Kläger hat allerdings keinen Anspruch auf Rückerstattung des vollen Kaufpreises. Gemäß § 361 a Abs. 2 S. 6 BGB a.F. ist für die Benutzung der Kaufsache bis zu dem Zeitpunkt des Widerrufs deren Wert zu vergüten; die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme eingetretene Wertminderung (Neuwagen wird zum Gebrauchtwagen) ist nicht zu berücksichtigen. Für die Zeit nach dem Widerruf sind gemäß § 361 a Abs. 2 S. 1 BGB a.F. die §§ 347 S. 2, 987 BGB a.F. anzuwenden (Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., § 361 a Rdnr. 35). Der Ausschluss weitergehender Ansprüche nach § 361 a Abs. 2 S. 7 BGB a.F. umfasst also nur solche Ansprüche, die nicht aus §§ 346 ff, 361 a BGB a.F. resultieren.
Die Höhe der Nutzungsvergütung kann sich nach der üblichen oder angemessenen Miete, wegen des Schutzzwecks des § 361 a BGB a.F. aber vermindert um die in der Miete enthaltenen Gewinn- und Betriebskostenanteile, richten oder auch nach den zu § 347 BGB a.F. entwickelten Grundsätzen ermittelt werden (Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., § 361 a Rndr. 36). Diese besagen Folgendes: Der Wert der Nutzung ist durch Schätzung der zeitanteiligen linearen Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer zu ermitteln. Für Pkw kann die Nutzungsentschädigung in der Regel gemäß § 287 ZPO für 1000 Kilometer auf 0,4 Prozent bis 1 Prozent des Anschaffungspreises geschätzt werden (Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., § 347 Rdnr. 9 m.w.N.).
Der Senat hält die Berechnung der Nutzungsentschädigung nach den zu § 347 BGB a.F. entwickelten Grundsätzen für interessengerecht. Sie ist hierfür 1000 Kilometer auf 0,6 Prozent des Anschaffungspreises zu bemessen, denn für das streitgegenständliche (Diesel-) Fahrzeug ist eine "Lebenserwartung" von rund 170.000 Kilometern anzusetzen. Unter Berücksichtigung der Laufleistung des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der für die Berechnung der Nutzungsentschädigung maßgeblichen mündlichen Verhandlung vor dem Senat (57.000 Kilometer) ist zu Lasten des Klägers ein Betrag in Höhe von 6.452,40 € (113,20 € für je 1.000 Kilometer - entspricht 0,6 Prozent des Anschaffungspreises - x 57) vom ursprünglichen Kaufpreis in Abzug zu bringen. Im Ergebnis steht dem Kläger mithin nur ein Rückerstattungsanspruch in Höhe von 12.414,27 € zu.
3. Der Kläger hat ferner im ausgesprochenen Umfang einen Zinsanspruch aus §§ 361 a Abs. 2 S. 2, 284 Abs. 3 S. 1, 288 Abs. 1 BGB a.F.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht erfordern. Mit Rücksicht auf § 26 Nr. 8 EGZPO ist auch die Nichtzulassungsbeschwerde i.S. des § 544 ZPO ausgeschlossen.
Der Streitwert bemisst sich nach dem mit der Berufung verfolgten Anspruch.