Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.10.2022, Az.: 2 K 123/22

Änderung eines Steuerbescheids; eDaten; elektronische Datenübermittlung; Voraussetzugen einer Änderung nach § 175b AO

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
13.10.2022
Aktenzeichen
2 K 123/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 64836
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2022:1013.2K123.22.00

Fundstellen

  • AO-StB 2023, 330-331
  • DStRE 2024, 173-176
  • GStB 2023, 391
  • StX 2024, 76

Amtlicher Leitsatz

Der Anwendungsbereich des § 175b AO ist auch eröffnet, wenn die elektronisch Daten erst nach der erstmaligen Veranlagung an das Finanzamt übermittelt wurden. Eine Änderung ist bei einer nachträglichen Übermittlung der Daten auch möglich, wenn der Steuerpflichtige die fraglichen Einkünfte (hier: Renteneinkünfte) zutreffend in seiner Steuererklärung angegeben hatte, das Finanzamt aber dennoch - mangels Vorliegen der elektronishcen Daten - die Veranlagung ohne Berücksichtigung der Renteneinkünfte durchgeführt hatte.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 2017 nach § 175b Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

Die Kläger sind verheiratet und werden im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Kläger erzielten beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Klägerin erzielte auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 EStG. Des Weiteren erzielten sie Renteneinkünfte nach § 22 EStG.

Der Kläger erhielt neben einer privaten Rente der X Versicherung AG von 9.953 € eine Leibrente von der Deutschen Rentenversicherung (im Weiteren Rentenversicherung) in Höhe von 5.250,60 €. Diese Leibrente gab der Kläger auch zutreffend in seiner Einkommensteuererklärung für 2017 an. Dennoch berücksichtigte der Beklagte diese Renteneinnahmen bei der Steuerfestsetzung nicht, weil zum Zeitpunkt der Veranlagung im März 2019 keine elektronische Rentenbezugsmitteilung der Rentenversicherung vorgelegen hatte. Der Beklagte erließ einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid 2017 mit Datum vom 2. April 2019, der keinen Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO enthielt.

Die Rentenversicherung übermittelte erst am 6. Mai 2019 die Informationen über die entsprechenden Rentenbezüge des Klägers für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017 an das Finanzamt in elektronischer Form (sog. eDaten).

Nach Eingang der elektronischen Rentenbezugsmitteilung änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2017 nach § 175b AO dahingehend, dass nunmehr erstmalig die Einnahmen aus der Leibrente in Höhe von 5.250,60 € als sonstige Einkünfte der Besteuerung unterworfen wurden. Der Änderungsbescheid erging am 16. Dezember 2020 (Eingang beim Steuerberater der Kläger am 28. Dezember 2020).

Die Kläger erhoben gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 2017 mit Schreiben vom 20. Januar 2021 Einspruch. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2022 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Kläger sind der Auffassung, dass der Einkommensteuerbescheid 2017 nicht habe geändert werden dürfen. Sie - die Kläger - hätten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2017 Einnahmen aus der Leibrente der Rentenversicherung in Höhe von 5.250,60 € zutreffend erklärt.

Der Beklagte habe die Kläger mit Bescheid vom 2. April 2019 veranlagt und habe die Renteneinnahmen von der Rentenversicherung dabei nicht bei den Einkünften aus Leibrenten berücksichtigt. In der Einspruchsentscheidung habe der Beklagte dies damit begründet, dass ihm zum Zeitpunkt der Veranlagung keine Rentenbezugsmitteilung vorgelegen habe.

Mit dem angefochtenen Änderungsbescheid habe der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2017 gemäß § 175b Abs. 1 AO geändert und habe erstmals die Leibrente in Höhe von 5.250,60 € bei den sonstigen Einkünften berücksichtigt. Der ursprüngliche Bescheid vom 2. April 2019 sei zu diesem Zeitpunkt bestandskräftig gewesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe der bestandskräftige Bescheid aber nicht nach § 175b AO geändert werden dürfen.

Nach § 175b Abs. 1 AO sei ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt worden seien. Die Norm stelle damit auf den Fall ab, dass für die Steuerfestsetzung erhebliche Daten von Dritten nach § 93c AO an das Finanzamt übermittelt worden seien. § 175b Abs. 1 AO bezwecke damit eine neue einheitliche Korrekturmöglichkeit für Steuerbescheide, die aufgrund fehlerhafter Auswertungen übermittelter Daten erlassen worden seien. § 175b Abs. 1 AO erfasse damit nur Daten, die elektronisch von der mitteilungspflichtigen Stelle übermittelt worden seien, also nicht auch solche, die der Steuerpflichtige zur Erfüllung seiner Erklärungspflicht elektronisch an das Finanzamt übersandt habe.

Die vorgenannten Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO erfassen einen anderen Sachverhalt als den hier vorliegenden.

Die übermittelten Daten seien dazu bestimmt, den Finanzämtern lediglich zur Unterstützung bei der Sachverhaltsermittlung zu dienen. Die Finanzbehörden seien aber nach wie vor gehalten, eine eigene Tatsachen- und Rechtswürdigung vorzunehmen. Dies spiegele sich auch in § 93c Abs. 4 Satz 2 AO wieder, wonach die Rechte und Pflichten der für die Besteuerung des Steuerpflichtigen zuständigen Finanzbehörde hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhaltes unberührt blieben.

Die Kläger hätten vorliegend in ihrer Steuererklärung für das Jahr 2017 die Einkünfte aus der Leibrente der Rentenversicherung in Höhe von 5.250,60 € korrekt erklärt. Dem Finanzamt haben damit zum Zeitpunkt der Veranlagung mit Bescheid vom 2. April 2019 die erforderlichen Angaben für die Einbeziehung der Leibrente in den Steuerbescheid und in die Veranlagung vorgelegen.

§ 175b AO könne nicht dem Zweck dienen und dazu führen, dass ein Finanzamt diese ihm vorliegenden Informationen aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen ohne Weiteres unberücksichtigt lasse. Alleiniger Zweck des § 175b Abs. 1 AO sei es, eine Korrekturmöglichkeit für solche Steuerbescheide zu schaffen, die aufgrund der fehlerhaften Übermittlung oder einer fehlerhaften Verwertung übermittelter Daten fehlerbehaftet gewesen seien. Es solle mit § 175b AO eine Korrekturmöglichkeit für die Fälle geschaffen werden, in denen ein Steuerbescheid aufgrund der Verwertung der von Dritten übermittelten Daten fehlerhaft sei, also entweder für den Fall, dass ein Sachbearbeiter der Finanzbehörden die Daten fehlerhaft übernehme oder auch für den Fall, dass der mitteilungspflichtigen Stelle Fehler unterlaufen seien, die das Finanzamt (ungeprüft) übernehme. Nicht vom Anwendungsbereich der Norm erfasst seien könne dagegen die wissentliche Außerachtlassung von Angaben des Steuerpflichtigen verbunden mit der erstmaligen Erfassung dieser Daten aufgrund von nachträglich durch die mitteilungspflichtige Stelle übermittelter Daten. Es handele sich insoweit eben gerade nicht um die nicht oder nicht zutreffende Berücksichtigung von an die Finanzbehörden übermittelten Daten im Sinne des § 93c AO.

Nichts Anderes ergebe sich aus dem von dem Beklagten zitierten Urteil des Finanzgerichts Münster vom 21. Juli 2016 (9 K 2342/15).

Das Gericht habe sich in diesem Fall zwar nicht mit der Anwendung des § 175b AO befasst. Den Ausführungen sei allerdings zu entnehmen, dass sich ein Sachbearbeiter des Finanzamtes nicht allein auf die elektronisch übermittelten Daten verlassen und von weiteren Ermittlungen absehen könne. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass der Beklagte die von den Klägern erklärten Einkünfte bereits im ersten Bescheid hätte berücksichtigen müssen. Zu diesem Zeitpunkt haben dem Beklagten - anders als in dem vorgenannten vom Finanzgericht Münster zu entscheidenden Fall - noch gar keine von der mitteilungspflichtigen Stelle zu übermittelnde Daten vorgelegen, die den betreffenden Sachbearbeiter dazu hätten veranlassen können, aus Gründen der Arbeitserleichterung einen Abgleich mit den von den Steuerpflichtigen erklärten Einkünften zu unterlassen. Im Streitfall hätten dem Beklagten bei Erlass des Bescheides vom 2. April 2019 gerade keine elektronisch übermittelten Daten vorgelegen, auf die sich der betreffenden Sachbearbeiter hätte verlassen können.

Somit sei keine Änderungsnorm erkennbar, aufgrund der der Beklagte die Einnahmen aus der Leibrente nachträglich hätte berücksichtigen können, nachdem der Bescheid bestandskräftig geworden sei. Insbesondere sei § 175b Abs. 1 AO nicht einschlägig, weil der Beklagte nicht etwa eine von der Rentenversicherung übermittelte Rentenbezugsmitteilung nicht oder unrichtig verarbeitet hätte. Vielmehr hätten die Angaben in der Rentenbezugsmitteilung mit der Erklärung der Kläger zu den Einnahmen aus der Leibrente übereingestimmt. Das Finanzamt habe die Rentenbezugsmitteilung auch nicht etwa nicht oder unrichtig verarbeitet, sondern nach deren Vorlage inhaltlich korrekt verarbeitet. Mangels einschlägiger Änderungsnorm und Bestandskraft des Bescheides sei es nicht möglich, die Einnahmen durch Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheids noch der Besteuerung zu unterwerfen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 16. Dezember 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Einkommensteuerbescheid 2017 nach § 175b Abs. 1 AO habe geändert werden können.

Der Beklagte habe bei Erlass des erstmaligen Einkommensteuerbescheids 2017 die Rente der Rentenversicherung in Höhe von 5.250 € unberücksichtigt gelassen, da eine Rentenbezugsmitteilung zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgelegen habe. Mit Zugang der Rentenbezugsmitteilung habe der Beklagte den Steuerbescheid nach § 175b Abs. 1 AO ändern dürfen. Die Änderungsbefugnis gelte auch, wenn die Daten erst nach Erlass des Steuerbescheides an den Beklagten übermittelt worden seien. Denn die elektronisch übermittelten Daten seien bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt worden.

Zum Ablauf sei zu sagen, dass das Steuerprogramm Konsens bei Abweichungen der eDaten von den Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung einen Prüfhinweis erteile. Der Hinweis, der entstehe, wenn es Abweichungen zwischen den übermittelten Daten und den Daten der Steuererklärung gäbe, könne dadurch erledigt werden, dass die Daten in der Steuererklärung herausgenommen würden. Dies sei aber keine gängige Praxis bei der Bearbeitung solcher Hinweise. Eine entsprechende Änderung der Daten durch den jeweiligen Sachbearbeiter sei durch das Konsens-Programm im Kalenderjahr 2019 noch nicht aufgezeichnet worden. Der mit der Bearbeitung betraute Sachbearbeiter sei zwischenzeitlich pensioniert und schwer erkrankt, so dass eine Befragung zu dem Sachverhalt nicht mehr erfolgen könne.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte durfte den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 2017 nach § 175b Abs. 1 AO ändern.

I. Nach § 175b Abs. 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten i.S. des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Voraussetzung für die Anwendung der Korrekturvorschrift ist also, dass übermittelte Daten "bei der Steuerfestsetzung" nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist, dass die fehlerhafte Auswertung der übermittelten Daten zu einer materiell unzutreffenden Besteuerung geführt hat (BFH-Urteil vom 8. September 2021 X R 5/21, BStBl. II 2022, 398; von Wedelstädt, AO-Stb 2017, 19, 22). Denn eine Änderung ist nur gerechtfertigt, wenn der betroffene Steuerbescheid zuvor rechtswidrig war (Seer, StuW 2015, 315, 327).

1. Im Streitfall stellt sich das Problem, dass im Zeitpunkt der Durchführung der erstmaligen Veranlagung die Rentenbezugsmitteilung der Rentenversicherung über die Einnahmen des Klägers aus der Leibrente noch nicht vorgelegen hatte. Nach dem Wortlaut der Norm bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO dann erfüllt sein können, wenn im Zeitpunkt der Erstveranlagung gar keine übermittelten Daten vorlagen. Dementsprechend wird in der Literatur auch die Auffassung vertreten, § 175b Abs. 1 AO greife nach dem Wortlaut nur ein, wenn die fraglichen Daten zum Zeitpunkt der Durchführung der ursprünglichen Veranlagung bereits vorlagen (Loose in Tipke/Kruse, § 175b AO Rz. 6; Koenig in Koenig, § 175b AO Rz. 7; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 175b AO Rz. 4; Bruschke, StB 2019, 272, 273).

2. Der Senat schließt sich dieser Auslegung der Norm nicht an.

a. Nach Auffassung des Senats ist der Wortlaut der Norm nicht dahingehend zu verstehen, dass die fraglichen Daten schon bei der Erstveranlagung vorgelegen haben müssen. Vielmehr sind die Daten auch dann nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt, wenn sie erst später übermittelt worden sind. Die später übermittelten Daten sind bei der Steuerfestsetzung - allerdings denknotwendig - nicht berücksichtigt. Jedoch stellt der Wortlaut der Änderungsvorschrift nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt für die Nichtberücksichtigung der übermittelten Daten ab. Nach diesem vom Senat vertretenen Verständnis des Wortlauts der Norm sind die Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO insoweit im Streitfall erfüllt.

b. Die Änderungsnorm des § 175b Abs. 1 AO greift nach Auffassung des Senats aber auch in dem Fall ein, dass der Wortlaut der Norm dahingehend verstanden wird, dass seine Voraussetzungen nur erfüllt sind, wenn zum Zeitpunkt der Veranlagung die übermittelten Daten bereits vorlagen.

aa. Denn die Vorschrift des § 175b Abs. 1 AO ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck und der Gesetzeshistorie dahingehend auszulegen, dass von der mitteilungspflichtigen Stelle übermittelte Daten auch "nicht oder nicht zutreffend berücksichtigten wurden", wenn eine entsprechende Datenübermittlung im Zeitpunkt der Veranlagung noch gar nicht vorlag, später die Daten aber übermittelt werden.

bb. § 175b AO, der durch das Steuermodernisierungsgesetz v. 18. Juli 2016 (BGBl. I 2016, 1679; BStBl. I 2016, 694) neu eingefügt wurde, soll die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden ermöglichen, die aufgrund fehlerhafter Auswertung übermittelter Daten ergangen sind. Die Norm löst den Prinzipienwiderspruch zwischen Rechtsrichtigkeit und Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit, indem sie die Aufhebung oder Änderung rechtswidriger, also materiell fehlerhafter Steuerbescheide ermöglicht (Loose in Tipke/Kruse, § 175b AO Rz. 2).

Der Gesetzgeber sah sich zur Einführung einer eigenständigen Änderungsnorm veranlasst, weil die von Dritten zu übermittelnden Daten nicht die Funktion eines Grundlagenbescheides besitzen, so dass eine Änderung nach § 175 Abs. 1 AO ausscheidet (BT-Drucks. 18/7457, 88; Koenig in Koenig, § 175b AO Rz. 3; Loose in Tipke/Kruse, § 175b AO Rz. 2; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 175b AO Rz. 1; Seer, StuW 2015, 315, 327).

cc. Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung der Änderungsnorm des § 175b AO bewusst dafür entschieden, diese dogmatisch als Ergänzung zur Änderungsnorm für Grundlagenbescheide nach § 175 AO und nicht als Ergänzung des § 173 AO auszugestalten (BT-Drucks, 18/7457, 89; Bruschke, StB 2019, 272, 273). Dementsprechend hat der Gesetzgeber keine den §§ 173, 173a und 129 AO vergleichbaren einschränkenden Voraussetzungen bei der Formulierung des § 175b AO vorgesehen. Im Gegensatz zu § 173 AO und § 129 AO kann ein Steuerbescheid nach § 175b AO nämlich auch dann geändert werden, wenn die Tatsachen dem Finanzamt bei der Veranlagung schon bekannt waren, den Steuerpflichtigen ein Verschulden an einem verspäteten Bekanntwerden trifft, der fehlerhafte Bescheid auf einer falschen Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung oder auf einem Ermittlungsfehler der Finanzbehörde und nicht auf einem Schreib-, Rechen- oder sonstigen mechanischen Fehler bei der Übermittlung der Daten beruht (Dißars, BB 2021, 1307, 1309; von Wedelstädt in Gosch, § 175b AO Rz. 7; ders. AO-Stb 2016, 196, 198; Bruschke, StB 2019, 272; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 175b AO Rz. 1a). Gerade diese weitgehende Änderungsbefugnis war vom Gesetzgeber beabsichtigt und wurde in der Gesetzesbegründung ausdrücklich dargelegt (FG Münster vom 9. März 2021 1 K 2809/19 E, EFG 2021, 989; FG Baden-Württemberg vom 5. Januar 2021 10 K 1662/20, EFG 2021, 1689; BT-Drucks. 18/7457, 88; so auch Loose in Tipke/Kruse, § 175b AO, Rz. 3).

d. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm, eine materiell richtige Steuerfestsetzung zu erreichen, und der Gesetzeshistorie legt der Senat die Vorschrift dahingehend aus, dass eine Änderung eines materiell fehlerhaften Bescheides nach § 175b Abs. 1 AO auch möglich ist, wenn bei der ursprünglichen Veranlagung noch keine Datenübermittlung der mitteilungspflichtigen Stelle erfolgt ist. Der Charakter der Änderungsnorm als Ergänzung zu § 175 AO lässt es für eine Änderung ausreichen, dass die Daten später übermittelt werden. Die hier streitige Situation ist mit der Konstellation vergleichbar, dass ein Grundlagenbescheid erstmals erlassen wird, nachdem der Folgebescheid schon erlassen worden war; es ist unstreitig, dass der erstmalige Erlass eines Grundlagenbescheides zu einer Änderung des Folgebescheides nach § 175 Abs. 1 AO berechtigt. Die Änderungsmöglichkeit nach § 175 AO besteht dabei auch für den Fall, dass der Steuerpflichtige die gesondert festzustellenden Einkünfte zutreffend in seine Steuererklärung aufgenommen hat, der Sachbearbeiter des Finanzamtes die Angaben aber nicht in die Steuerfestsetzung übernommen hat, weil ein Grundlagenbescheid zum Zeitpunkt der Durchführung der Veranlagung des Folgebescheids noch nicht vorgelegen hat.

Da § 175b AO dogmatisch an die Vorschrift des § 175 AO angelehnt ist, weil der Gesetzgeber mit seiner Einführung bezweckte, den lediglich grundlagenähnlichen Charakter der von Dritten mitgeteilten elektronischen Daten auszugleichen, ist es gerechtfertigt, die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass eine Änderung des materiell fehlerhaften Bescheids auch möglich ist, wenn erstmals nach Erlass des fehlerhaften Steuerbescheids Daten von der mitteilungspflichtigen Stelle an das Finanzamt übermittelt werden.

e. Für die vom Senat vertretene Auslegung spricht auch die in der Literatur (überwiegend) vertretene Auffassung, dass der Wortlaut des § 175b Abs. 1 AO zwar nicht den Fall erfasse, dass die mitteilungspflichtige Stelle später korrigierte Daten übermittelt, eine Änderung unter Berücksichtigung des Gesetzeszweckes aber dennoch möglich sei (Rüsken in Klein, § 175b AO Rz. 3; von Wedelstädt in Gosch, § 175b AO Rz. 13; Loose in Tipke/Kruse, § 175b AO Rz. 7; Koenig, § 175b AO Rz. 6; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 175b AO Rz. 15; Bruschke, StB 2019, 272, 273). Auch in diesem Fall fehlt es an einer fehlerhaften (Nicht-)Auswertung der ursprünglich übermittelten Daten, denn diese wurden zutreffend übernommen. Dennoch wird - zur Überzeugung des Senats - zu Recht die Auffassung vertreten, dass eine Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO mit Blick auf den Gesetzeszweck zulässig ist.

Nach Auffassung des Senats kann nichts Anderes für den Fall gelten, dass zum Zeitpunkt der Erstveranlagung noch gar keine Daten übermittelt wurden, so dass die Steuerfestsetzung materiell fehlerhaft war.

f. Diese am Zweck der Norm orientierte Auslegung des Senats wird auch durch den in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen bestätigt. Im Gesetzgebungsverfahren hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 175b AO um einen Abs. 4 ergänzt. Nach § 175b Abs. 4 AO darf eine Änderung nur durchgeführt werden, wenn nachträglich übermittelte Daten rechtserheblich sind. Diese Regelung macht nur Sinn, wenn nachträglich übermittelte Daten dem Grunde nach eine Änderung auslösen können. In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber zur Begründung der Ergänzung des § 175b AO um den Abs. 4 ausdrücklich ausgeführt, dass der Anwendungsbereich des § 175b Abs. 1 AO erfüllt ist, wenn "von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzverwaltung nach § 93c AO (erstmals oder korrigierte) übermittelte Daten bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden" (BT-Drucks. 18/12127, 56; glA von Wedelstädt in Gosch, § 175b AO Rz. 13).

3. Der Änderung des Einkommensteuerbescheids 2017 steht der Umstand nicht entgegen, dass die Kläger die Einnahmen aus der Leibrente in Höhe von 5.250,60 € zutreffend in der Steuererklärung angegeben hatten.

Die Änderungsbefugnis nach § 175b AO setzt - wie oben unter I. 2. cc. ausgeführt - anders als § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht voraus, dass die die Änderung rechtfertigenden Tatsachen dem Beklagten nachträglich bekannt werden.

Auch der Einwand des Klägers greift nicht durch, dass die Verletzung der auch im Falle elektronisch zu übermittelnder Daten gem. § 93c AO unstreitig bestehende Ermittlungspflicht des Beklagten einer Änderung nach § 175b Abs. 1 AO entgegenstehe. Denn der Gesetzgeber hat bewusst den Anwendungsbereich des § 175b AO nicht dahingehend eingeschränkt, ob dem Steuerpflichtigen ein Verstoß gegen seine Mitwirkungs- und Erklärungspflicht oder dem Finanzamt ein Verstoß gegen seine Ermittlungspflicht vorzuwerfen ist (Dißars, BB 2021, 1307, 1309; von Wedelstädt, in Gosch, § 175b AO Rz. 7; Loose in Tipke/Kruse, § 175b AO Rz. 3). § 175b Abs. 1 AO soll eine von Fragen der Pflichtverletzung unabhängige Änderungsmöglichkeit eröffnen.

4. Die übrigen Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO sind erfüllt.

Die Rentenversicherung ist eine mitteilungspflichtige Stelle und die Nichtberücksichtigung der (nachträglich) elektronisch übermittelten Daten hat zu einer materiell unrichtigen Steuerfestsetzung geführt.

5. Die Änderungsvorschrift des § 175b Abs. 1 AO ist auch zeitlich anwendbar, weil die Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2017 erfolgt ist. Nach Art. 97 § 27 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung ist § 175b AO nämlich erstmals anzuwenden, wenn steuerliche Daten des Steuerpflichtigen für Besteuerungszeiträume nach 2016 oder Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2016 von einem Dritten elektronisch an den Beklagten übermittelt wurden (FG Münster vom 19. Oktober 2017 6 K 1358/16 E, juris; FG Hamburg vom 4. Oktober 2018 3 K 69/18, juris; Höreth/Stelzer, DStZ 2016, 520, 522).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.