Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 09.07.1998, Az.: 6 B 6190/98
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ; Ausschluss von einem Schulunterricht
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 09.07.1998
- Aktenzeichen
- 6 B 6190/98
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1998, 30430
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1998:0709.6B6190.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 61 NdsSchG
Fundstelle
- NVwZ-RR 1998, 754-755 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Ordnungsmaßnahme
Ausschluß vom Unterricht
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
Das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer - hat
am 9. Juli 1998
durch
die Richterin am Verwaltungsgericht Kaufmann,
den Richter am Verwaltungsgericht von Krosigk und
die Richterin am Verwaltungsgericht Düfer
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 8.000,- DM festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den am 25. Juni 1998 beschlossenen und mit Verfügung vom 30. Juni 1998 schriftlich mitgeteilten sofortigen Ausschluß vom Unterricht bis zum Beginn der Sommerferien.
Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist unbegründet. Das Wilhelm-Gymnasium (im folgenden der Antragsgegner) hat am 25. Juni 1998 mehrere Ordnungsmaßnahmen und deren sofortige Vollziehung in formell ordnungsgemäßer Weise beschlossen (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und mit dem nachgeschobenen Schreiben vom 3. Juli 1998 in noch ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung eines gegen den Bescheid vom 30. Juni 1998 zu erhebenden oder bereits erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Bei dieser Entscheidung ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der von der Klassenkonferenz des Antragsgegners verhängten Ordnungsmaßnahmen gegen das private Interesse des Antragstellers an einem Aufschub dieser Maßnahmen abzuwägen. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, daß sich das von anderen Gründen getragene öffentliche Vollzugsinteresse verstärkt, wenn der Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung angeordnet worden ist, sich bei summarischer Prüfung der Sach und Rechtslage als rechtmäßig erweise und demgemäß ein dagegen eingelegtes Rechtsmittel voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Unter Berücksichtigung dessen überwiegt das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug der angefochtenen Ordnungsmaßnahme.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Maßnahme des Antragsgegners ist § 61 Absätze 2 und 3 Nieders. Schulgesetz - NSchG - n.F. (NGVBl, 98, 137 ff.). Danach sind die Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform und der Ausschluß vom Unterricht bis zu 3 Monaten zulässig, wenn Schüler ihre Pflichten grob verletzen, insbesondere gegen rechtliche Bestimmungen verstoßen oder den Unterricht nachhaltig stören. Der Ausschluß vom Unterricht setzt gemäß § 61 Abs. 4 NSchG auch voraus, daß der Schüler durch den Schulbesuch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Unterricht nachhaltig und schwer beeinträchtigt.
Der Wortlaut des Gesetzes ("sind zulässig, wenn") kennzeichnet die getroffenen Regelungen als Vorschriften, die die Entscheidung über das Ob und die Art der festzusetzenden Ordnungsmaßnahme in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Klassenkonferenz stellt. Dies hat zur Folge, daß die Entscheidung der Klassenkonferenz des Antragsgegners lediglich daraufhin überprüft werden kann, ob sie vom richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die einzuhaltenden Verfahrensbestimmungen und den Gleichheitssatz beachtet hat und sich von sachgerechten, am Sinn des ihr eingeräumten Ermessensspielraumes orientierten Erwägungen hat leiten lassen.
Diesen Voraussetzungen entsprechen die angefochtenen Maßnahmen insbesondere auch der hier angefochtene Ausschluß vom Unterricht für etwa 3 1/2 Wochen. Der Ausschluß vom Unterricht ist nicht zu beanstanden, obgleich ihm keine Androhung dieser Maßnahme gemäß § 61 Abs. 3 Nr. 3 NSchG vorausgegangen war. Die in § 61 Abs. 3 NSchG aufgeführten Ordnungsmaßnahmen sind allein im Rahmen des pädagogischen Ermessens von der Klassenkonferenz auszuwählen; es ist weder eine Rang- noch eine Reihenfolge einzuhalten.
Die von der Klassenkonferenz zugrundegelegte Sachlage kann im Rahmen des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes lediglich summarisch geprüft werden. In diesem Rahmen ergibt sich aus dem Protokoll der Klassenkonferenz und der Einlassung des Antragstellers, daß er seine Pflichten als Schüler grob verletzt, insbesondere gegen rechtliche Bestimmungen verstoßen und den Unterricht nachhaltig gestört hat (vgl. § 61 Abs. 2 NSchG). Ein weiterer Schulbesuch würde den Unterricht nachhaltig und schwer beeinträchtigen (§ 61 Abs. 4 Satz 1, 2. Alternative NSchG).
a)
Der Antragteller hat eine Mitschülerin bedroht. Er selbst räumte ein, wütend gewesen zu sein und so etwas wie "ich bringe sie um" gesagt zu haben, sich aber an eine Äußerung "wir töten sie, wir ziehen ihr 'ne Tüte übern Kopf und vergewaltigen sie" nicht mehr erinnern zu können. Soweit die Mutter des Antragstellers bestreitet, daß Drohungen unmittelbar gegen diese Schülerin ausgesprochen worden seien, steht dies im Widerspruch zur Aussage Jasper Conradts, daß er Äußerungen gehört habe wie "spring aus dem Fenster" und "geh nach Nürnberg zurück." Eine solche Ansprache kann sich nicht an Dritte gerichtet haben. Auch die Tatsache, daß sich die betroffene Schülerin von sich aus an die Lehrer gewandt hatte, zeigt, daß sie selbst Adressatin solcher angstauslösender Aussagen gewesen ist. Daß diese Bedrohungen sich herumgesprochen hatten und ein gegenwärtiges und gleichsam "klimabestimmendes" Thema waren, ergibt sich schon allein aus der Tatsache, daß der Antragsteller und die anderen drei von den Lehrern angesprochenen Schüler sofort als Grund der Befragung die Ereignisse um diese Mitschülerin angaben. Weiteres Indiz für eine bedrohliche Stimmung gegenüber der Mitschülerin ist, daß das Mädchen nicht mehr diese Schule besucht und ihre Eltern Personenschutz außerhalb der Schule für sie organisierten. Solche für die Betroffene tiefgreifenden Maßnahmen veranlassen Eltern nicht, wenn die Interpretation des Verhaltens anderer Schüler als "Mißverständnis" überhaupt in Betracht kommt.
b)
Der Antragsteller hat eingeräumt, wiederholt den "Hitlergruß" gezeigt und damit strafbare Handlungen gemäß §§ 86 a, 53 StGB begangen zu haben. Dies geschah im Unterricht hinter dem Rücken der Lehrkraft und hat den Unterricht nachhaltig gestört, denn auch andere Schüler haben sich daran beteiligt. Sowohl diese Schülerinnen und Schüler als auch die unbeteiligten Beobachter folgten in diesem Moment nicht dem Unterricht. Daß ein Verhalten, das der Gesetzgeber unter Strafe gestellt hat, nicht als "Albernheit" bezeichnet werden kann, versteht sich von selbst.
c)
Der Antragsteller hat eine Musikkassette der Gruppe "Störkraft" im Klassenraum abgespielt, die Lieder mit rechtsradikalem und ausländerfeindlichem Inhalt enthielt. Daß dies in der Freistunde geschah, ändert nicht daran, daß - im Zusammenhang mit dem mehrfachen Zeigen des "Hitlergrußes" - in der Klassengemeinschaft eine bestimmte Stimmung erzeugt werden sollte. Soweit sich der Antragsteller dahingehend eingelassen hat, das Abspielen der Kassette habe nur seinem Freund Benjamin gegolten, dem er sie habe zeigen wollen, hält die Kammer das nach dem derzeitigen Stand für eine Schutzbehauptung. Torben Beese gab an, ebenfalls beteiligt gewesen zu sein, auch Jasper Conradt hat die Lieder gehört.
d)
Der Antragsteller hat nach Angaben der Lehrer Stanze, Wittenberg, Preller und der Lehrerinnen Hallwachs und Collin nachhaltige Sprüngen des Unterrichts verursacht. Aufgrund der Störungen mußte einmal der Musikunterricht abgebrochen werden. Daß den Eltern des Antragstellers von diesen Störungen nichts bekannt war, ändert nichts daran, daß der Antragsteller ein Verhalten gezeigt hat, das erzieherischer Maßnahmen bedurfte. Es spricht nichts gegen die Einschätzung der Lehrkräfte, daß diese Störungen, die bereits seit 1/2 Jahr andauerten, schwerwiegend waren und über das hinausgingen, was in Klassen mit pubertierenden Schülern noch zu tolerieren ist.
Mit den Drohungen hat der Antragsteller die Sicherheit seiner Mitschülerin ernstlich gefährdet, so daß auch diese Voraussetzung des § 61 Abs. 4 NSchG vorliegt. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, daß diese Schülerin zwischenzeitlich - aus welchen Gründen auch immer - die Schule verlassen hat.
Die von der Klassenkonferenz verhängten Maßnahmen, auch der Ausschluß vom Unterricht bis zu dem Beginn der Sommerferien, läßt keine Anzeichen von Willkür erkennen. Mehrfach ist auf die führende Stellung des Antragstellers im Klassenverband hingewiesen worden. Dies ist auch schon deshalb kaum zu bestreiten, weil der Antragsteller Schülervertreter und Klassenkonferenz-Vertreter seiner Klasse ist. Auch ist von mehreren Lehrern die führende Stellung bei den Unterrichtsstörungen akzentuiert worden. Daß der Antragsteller schon seit längerem den Unterricht stört, ergibt sich nicht zuletzt aus der Anmerkung eines Schüler-Vertreters von der Klassenkonferenz, "daß Stephan sich in letzter Zeit doch gebessert habe."
Die Überlegungen der Klassenkonferenz, daß dem Gesichtspunkt der angstfreien Schule Vorzug zu geben ist gegenüber den individuellen Belastungen des Antragstellers durch die Ordnungsmaßnahme, wird von der Kammer geteilt. Die verhängte Maßnahme hat - bei der Berücksichtigung schulischer Nachteile - ebenso demonstrativ auszufallen wie das gezeigte Fehlverhalten des Antragstellers. Darin eine "Diskriminierung" zu sehen, die der "Rehabilitation" bedarf, verkehrt ursächliches Verhalten und die daraus folgenden Konsequenzen. Dem Antragsteller entstehen durch die Ordnungsmaßnahmen keine über die erzieherische Wirkung hinausgehenden Nachteile. Das Unterrichtsversäumnis ist zudem dadurch verringert, daß sich die Klasse vom 13. bis zum 17. Juli auf Klassenfahrt befindet. Die Zeugnisnoten sind bereits festgesetzt, so daß dem Antragsteller auch insoweit keine Nachteile entstehen.
Zudem liegt es im Interesse der Lehrer, Schüler und Eltern deutlich zu machen, daß einem radikalen und auch menschenverachtenden Klima seitens der Schule deutlich Einhalt geboten wird. Andere Schüler müssen zeitnah zu den ursächlichen Vorfällen erleben können, daß die Schule ihren Schülern gegenüber nicht nur schutzbereit sondern auch schutzfähig ist. Eine über das "Stigma", mit einer Ordnungsmaßnahme belegt worden zu sein hinausgehende Diskriminierung des Antragstellers ist für das Gericht nicht im Ansatz erkennbar.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. [...].
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 8.000,- DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
von Krosigk
Düfer