Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 12.12.2011, Az.: 2 B 276/11

Aufschiebenden Wirkung einer nach §§ 27 a, 34 a Abs. 1 AsylVfG erlassenen Abschiebungsandrohung wegen Reiseunfähigkeit und einer Suizidgefahr

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
12.12.2011
Aktenzeichen
2 B 276/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 31544
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2011:1212.2B276.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 26.05.2011 AZ: 2 B 105/11

In der Verwaltungsrechtssache des , Staatsangehörigkeit: syrisch, Antragstellers, Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Klawitter und andere, Osterstraße 60, 30159 Hannover, - 337/11DS08 ch - gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg, - 5473180-475 - Antragsgegnerin, Streitgegenstand: Asyl; Syrien - hier: Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO - hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 2. Kammer - am 12. Dezember 2011 durch den Einzelrichter beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss der Kammer vom 26.05.2011 (2 B 105/11) wird geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid vom 29.04.2011 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

Der Antrag auf Änderung des ablehnenden Beschlusses der Kammer vom 26.05.2011 (2 B 105/11) im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist zulässig und begründet (§ 80 Abs. 5 und 7 Satz 2 VwGO).

2

Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses nach§ 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragten. Dieser Antrag hat jetzt Erfolg.

3

Der Antrag ist statthaft. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der nach §§ 27 a, 34 a Abs. 1 AsylVfG erlassenen Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Schweiz als für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigem Staat ist ungeachtet des Rechtsmittelausschusses in § 34 a Abs. 2 AsylVfG statthaft, weil sich der Antragsteller auf eine Reiseunfähigkeit und eine Suizidgefahr beruft. Bei einer Reiseunfähigkeit und einer Suizidgefahr ist die Abschiebung eines Ausländers aus tatsächlichen Gründen unmöglich und deshalb nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorübergehend auszusetzen. Gegen den Vollzug gerichtete humanitäre und persönliche Gründe, die zur Erteilung einer Duldung führen können, werden von dem Konzept der normativen Vergewisserung, das der Drittstaatenregelung des § 26 a AsylVfG zugrunde liegt, nicht erfasst (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, 2 BvR 1938/93 u.a. , BVerfGE 94, 49 = NVwZ 1996, 700 [BVerfG 14.05.1996 - 2 BvR 2315/93]). Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wie eine Reiseunfähigkeit ist daher zu beachten, wobei für die Anwendung der Dublin II-Verordnung (VO (EG) Nr. 343/2003 v. 18.02.2003, ABl. EUR Nr. 1 50 v. 25.02.2003, S. 1) nichts anderes gilt (siehe schon den Beschluss der Kammer vom 26.05.2011 - 2 B 105/11 - sowie OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 29.11.2004 - 2 M 299/04 - [...]).

4

Die Bundesrepublik Deutschland ist insofern auch passiv legitimiert. Sie hat Vollstreckungshindernisse der genannten Art zu berücksichtigen (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 29.11.2004 - a.a.O.; a. A. VG Hamburg, Beschl. v. 01.11.2010 - 11 E 2972/10 - [...]).

5

Nunmehr ist von einer im Verfahren beachtlichen Reiseunfähigkeit des Antragstellers auszugehen. Denn nach der Fachärztlichen Stellungnahme der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie in A. vom 22.11.2011 ist der Antragsteller im Rahmen seiner Grunderkrankung nicht reisefähig. Der Antragsteller leidet nach der Fachärztlichen Stellungnahme an einer schweren depressiven Störung mit psychotischen Anteilen auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Epilepsie. Als weiteren Duldungsgrund nach§ 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG stellen die Ärztinnen B. und C. ein akute Suizidgefahr bei einer Trennung von der in Deutschland lebenden Familie fest. Über die Familie sei eine psychische Stabilisierung möglich. Für den Fall einer Abschiebung in die Schweiz habe der Antragsteller mehrfach einen Suizid angekündigt.

6

Die Ärztinnen gelangen zu dieser Diagnose aufgrund einer durchgängigen stationären Behandlung des Antragstellers seit dem 11.08.2011. Die ärztliche Stellungnahme beruht auf Angaben des Antragstellers in "Dolmetschergesprächen" und Schilderungen von Familienangehörigen. Verwiesen wird auch auf eine medikamentöse Behandlung. Insgesamt ist die Stellungnahme geeignet, eine Reisunfähigkeit und eine Suizidgefahr nachvollziehbar zu belegen (siehe zur Darlegung Beschl. d. Kammer v. 26.05.2011 u. v. 21.06.2011 - 2 B 145/11 -).

7

Solange der Antragsteller reiseunfähig und suizidgefährdet ist, muss die Abschiebung daher ausgesetzt werden.

8

Weiterhin liegen aber die Voraussetzungen für die Durchführung des Asylverfahrens aus humanitären und vergleichbaren Gründen in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 15 Abs. 1 und 2 Dublin II-VO nicht vor. Denn die Schweiz als der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat (siehe im Einzelnen die Beschlüsse der Kammer vom 26.05.2011 und 21.06.2011) hat kein Ersuchen an die Bundesrepublik Deutschland auf Durchführung des Verfahrens gerichtet. Darüber müssten sich die beiden betroffenen Staaten ggf. verständigen (s. a. Art. 15 Abs. 5 Dublin II-VO).

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Dr. Struß