Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.10.2011, Az.: 5 B 164/11

Rechtmäßigkeit einer Entziehung des Reisepasses eines Ausländers sowie der Untersagung einer Ausreise aus dem Bundesgebiet; Konkrete Hinweise auf die Ausreise eines Ausländers zur Teilnahme an terroristischen Handlungen; Nachweisliche Eignung einer Ausreise in den Jemen als Ausbildungsstätte für Terrorismus

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
27.10.2011
Aktenzeichen
5 B 164/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 32527
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2011:1027.5B164.11.0A

Verfahrensgegenstand

Paß- und Ausweisrecht
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache

...

hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - am 27. Oktober 2011beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die von der Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Entziehung seines Reisepasses und Untersagung einer Ausreise aus dem Bundesgebiet.

2

Unter dem 04.01.2011 bat das Landeskriminalamt Niedersachsen (im Folgenden LKA genannt) die Antragsgegnerin um Passentziehung und Untersagung der Ausreise bei drei deutschen Staatsangehörigen tunesischer bzw. libanesischer Herkunft. Bei den Personen tunesischer Herkunft handelt es sich um den Antragsteller dieses Verfahrens und den des Verfahrens 5 B 166/11. Nach dem Bericht des LKA werde seit Juli 2010 gegen den Antragsteller ermittelt, nachdem seine Mutter angezeigt habe, es gebe in Wolfsburg eine Personengruppe, innerhalb derer islamistisches Gedankengut verbreitet werde. Durch diese Personengruppe sei auf ihren Sohn derart eingewirkt worden, dass er im häuslichen Umfeld geäußert habe, in den Jihad ziehen zu wollen. Die im Anschluss an die Aussage der Mutter des Antragstellers eingeleiteten polizeilichen Maßnahmen hätten bestätigt, dass der Antragsteller in engem Kontakt zu den o.g. Personen und zu dem in Niedersachsen als Gefährder eingestuften C. D. stehe. Am 29.10.2010 sei bekannt geworden, dass in einem Reisebüro in Wolfsburg die deutschen Reisepässe des Antragstellers, der zwei o.g. Personen und des E. D. hinterlegt worden seien, um Einreisevisa für den Jemen zu beantragen. Jemen sei bekannt als Aufenthalts- und Durchreiseland für islamistische Terroristen. Dort gebe es islamistische Koranschulen, die als Jihad-Ausbildungsstätten bekannt seien. Die Reisepässe seien aufgrund der Erkenntnislage zu den Personen aufgrund mündlicher richterlicher Anordnung des Amtsgerichts Wolfsburg vom 29.12.2010 beschlagnahmt worden. Der Pass des E. D. sei bereits im Februar 2010 durch die Antragsgegnerin zur Einziehung ausgeschrieben gewesen. Herr D. habe seinerzeit angegeben, ihn nicht mehr zu besitzen. Im Anschluss an die Passbeschlagnahme sei bekannt geworden, dass F. G. (Antragsteller 5 B 166/11) am 31.12.2010 vom Flughafen Hannover nach Italien ausgereist sei und der Antragsteller ebenfalls seine Ausreise nach Italien plane. Da innerhalb des Schengenraumes lediglich der Personalausweis für Reisen vorgelegt werden müsse, bestehe die Möglichkeit, dass sich der Antragsteller unbemerkt in das europäische Ausland begebe, von dort aus mittels seines tunesischen Passes sein Ursprungsziel Jemen erreichen könne und dort am bewaffneten Jihad teilnehme.

3

Daraufhin entzog die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.01.2011 den deutschen Rei-sepass des Antragstellers und untersagte ihm gemäߧ 6 Abs. 7 Personalausweisgesetz die Ausreise aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem ordnete sie die sofortige Vollziehung der Passentziehung an. Zur Begründung führte sie aus, nach den Erkenntnissen polizeilicher Behörden diene sein beabsichtigter Auslandsaufenthalt dazu, sich für terroristische Aktivitäten ausbilden zu lassen. Da er damit die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde, werde die sofortige Entziehung seines Reisepasses angeordnet. Bei der Entscheidung über die Untersagung der Ausreise aus dem Bundesgebiet sei eine Abwägung seines Interesses an einer Ausreise gegenüber dem öffentlichen Interesse an der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik angesichts des Gewichts des Rechtsguts der Sicherheit der Bundesrepublik zu seinen Lasten ausgegangen. Die sofortige Vollziehung sei angeordnet worden, weil im öffentlichen Interesse die Bestandskraft des Bescheides nicht abgewartet werden könne.

4

Gegen den am 03.02.2011 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 11.02.2011 Klage (5 A 23/11) erhoben und am 29.09.2011 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

5

Er trägt vor: Begründete Tatsachen für den Verdacht, dass er beabsichtige, sich im Ausland für terroristischen Aktivitäten ausbilden zu lassen, würden fehlen. Das Vorliegen eines ein Ausreiseverbot rechtfertigenden Passversagungsgrundes setze voraus, dass der Behörde konkrete und belegbare Tatsachen zur Verfügung stehen, die die Gefahreneinschätzung nachvollziehbar rechtfertigen. Dies sei hier nicht der Fall. Dass der dringende Tatverdacht, er gefährde die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, nicht aufrechterhalten werden könne, zeige sich auch daran, dass die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 15.09.2011 mitgeteilt habe, dass für ihn - den Antragsteller - vom LKA kein Behördenzeugnis erstellt werden könne. Im übrigen habe er entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin auch nicht geplant, nach Italien zu reisen. Die Reise in den Jemen habe er mit Freunden aus dem redlichen Interesse, das muslimische Land kennen zu lernen, unternehmen wollen. Sein Freund F. G. (Antragsteller im Verfahren 5 B 166/11) habe mehrmals Kontakt zum Reiseveranstalter yementrek.com gehabt, um sich über Besichtigungsmöglichkeiten der Städte Sanaa, Jebel Haraz und Taiz sowie weltberühmter Moscheen im Wege der dort angebotenen Touren zu informieren. Kontakte zu "islamistischen Terroristen" hätte er in keiner Weise aufgenommen. Er weise ausdrücklich darauf hin, dass er dies ablehne und mit seiner friedlichen Gesinnung nicht vereinbaren könne.

6

Der Antragsteller beantragt,

  1. 1.

    die aufschiebende Wirkung gegen die Maßnahmen der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28.01.2011 wiederherzustellen

  2. 2.

    die Antragsgegnerin zu verpflichten, den eingezogenen Reisepass mit der Nr. C1XC2TKZ15 an ihn herauszugeben.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückzuweisen.

8

Sie erwidert: Grundlage der Maßnahme sei die schriftliche Mitteilung des LKA vom 04.01.2011 gewesen, wonach es Erkenntnisse und eine Zeugenaussage gebe, die eine Beteiligung an terroristischen Aktivitäten vermuten lassen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung in der Terrorismusbekämpfung seien der Passentzug und das Ausreiseverbot weiterhin angemessene und geeignete Maßnahmen, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu schützen.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin und den Vorgang des Amtsgerichts Wolfsburg zu Az. 4 II 48/10 (4 Seiten) verwiesen.

10

II.

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, aber unbegründet.

11

Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Passentziehung in ihrem Bescheid vom 28.01.2011 in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Der Hinweis darauf, dass im öffentlichen Interesse die Bestandskraft des Bescheides nicht abgewartet werden könne, ist zwar sehr knapp gehalten, genügt aber im Hinblick auf das an anderer Stelle im Bescheid genannte besondere "Gewicht des Rechtsgutes der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" noch dem gesetzlich vorgeschriebenen Begründungserfordernis.

12

Die auf der Grundlage des § 6 Abs. 7 Personalausweisgesetz (PAuswG) verfügte Untersagung der Ausreise ist kraft Gesetzes nach § 30 PAuswG sofort vollziehbar.

13

Aus materiell-rechtlichen Gründen besteht derzeit keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid vom 28.01.2011 erhobenen Klage (5 A 23/11) wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Individualinteresse des Betroffenen an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt in aller Regel das private Aussetzungsinteresse, weil an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausreisepflicht, sofern ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Lässt sich jedoch auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine eindeutige Aussage zu den Erfolgsaussichten der Klage nicht treffen, ist eine umfassende Interessenabwägung zwischen den schutzwürdigen privaten Interessen des Antragstellers einerseits sowie dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der getroffenen Maßnahme andererseits geboten.

14

Ob der streitgegenständliche Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.01.2011 rechtswidrig oder rechtmäßig ist, lässt sich nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand anhand der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht abschließend beurteilen. Allerdings fällt eine von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus.

15

Die mit der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28.01.2011 getroffenen Maßnahmen - Entziehung des deutschen Reisepasses und Ausreiseverbot - erweisen sich bei summarischer Betrachtung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig.

16

Rechtsgrundlage für die Passentziehung sind §§ 8 und 7 Abs. 1 Nr. 1 des Passgesetzes (PassG). Nach § 8 PassG kann ein Pass dem Inhaber entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Abs. 1 die Passversagung rechtfertigen würden. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG ist der Pass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.

17

Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand lässt sich das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG nicht deswegen verneinen, weil vom Antragsteller offensichtlich keine Gefahr für diese Schutzgüter ausginge. Dagegen spricht schon, dass ihn seine eigene Mutter nach dem Bericht des LKA vom 04.01.2011 schwer belastet hat, indem sie gegenüber dem LKA von ihrem Verdacht, ihr Sohn habe Konktakt zu gewaltbereiten Islamisten und beabsichtige eine Teilnahme am bewaffneten Jihad, berichtet hat und deshalb auch das Amtsgericht Wolfsburg am 29.12.2010 die Sicherstellung und Beschlagnahme der Pässe des Antragstellers und seiner drei Bekannten angeordnet hat.

18

Im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin angeführten Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland, die durch eine Beteiligung des Antragstellers am bewaffneten Jihad im Ausland berührt würden, kommt in erster Linie eine Gefährdung sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland in Betracht (§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. PassG). Ein nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland selbst gerichteter bewaffneter Anschlag im Ausland betrifft unmittelbar weder die innere noch die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn schon die Anwesenheit gewaltbereiter Helfer des internationalen Terrorismus im Bundesgebiet Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland berührt. Sonstige erhebliche Belange im Sinne der Vorschrift sind Belange, die in ihrer Gewichtigkeit den beiden anderen Tatbestandsmerkmalen - innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland - wenn auch nicht gleich, so doch nahe kommen und so erheblich sein müssen, dass sie der freiheitlichen Entwicklung in der Bundesrepublik aus zwingenden staatspolitischen Gründen vorangestellt werden müssen. Darunter können u.a. Handlungen gefasst werden, die geeignet sind, die auswärtigen Beziehungen oder unter besonderen Umständen auch das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu schädigen (vgl. hierzu ausführlich: VG Aachen, B. v. 14.04.2009 - 8 L 164/09 -, U. v. 26.08.2009 - 8 K 637/09 -, m.w.N., [...])

19

Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG ist jedoch erforderlich, dass die Annahme einer solchen Gefährdungslage sich auf "bestimmte Tatsachen" gründet. Das Vorliegen eines Grundes für die Entziehung des Reisepasses setzt daher voraus, dass der Passbehörde konkrete und belegbare Tatsachen zu Verfügung stehen, die die Begründetheit ihrer Gefahreneinschätzung nachvollziehbar rechtfertigen. Die Anknüpfungstatsachen für die Gefahrenprognose müssen nach Zeit, Ort und Inhalt so konkret gefasst sein, dass sie einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren zugänglich sind. Dies schließt die bloße Möglichkeit, die Vermutung oder den durch konkrete Tatsachen nicht belegbaren Verdacht zur ausreichenden Begründung der Annahme einer Gefahrenlage aus (vgl. Me-dert/Süßmuth, Paß- und Personalausweisrecht, Band 2, 2. Aufl., Erl. 4 zu § 7 PassG; OVG Bremen, U. v. 02.09.2008 - 1 A 161/06 -, [...]; Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts vom 18.02.2000, BT-Drs. 14/2726, S. 6.).

20

Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand lässt sich nicht erkennen, auf welche konkreten Tatsachen die Antragsgegnerin ihre Gefahrenprognose stützt. Mit dem bloßen Hinweis im streitgegenständlichen Bescheid, "seitens polizeilicher Behörden" seien Tatsachen bekannt geworden, dass der beabsichtigte Auslandsaufenthalt des Antragstellers dazu dienen solle, sich für terroristische Aktivitäten ausbilden zu lassen, fehlt es an konkreten Tatsachen, die den Schluss auf das unmittelbare Bevorstehen eines solchen Ereignisses unter Beteiligung des Antragstellers nahe legen.

21

Stützt die Behörde ihre Maßnahme nicht auf eigene Erkenntnisse, sondern auf Erkenntnisse anderer Behörden - hier auf die Auskunft des LKA Niedersachsen vom 04.01.2011 -müssen im Grundsatz auch diese den Anforderungen entsprechen, die § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG an die Konkretheit und Belegbarkeit der für die Gefahrenprognose erforderlichen Anknüpfungstatsachen stellt. Insbesondere sind Einschätzungen von Sicherheitsbehörden, wonach eine besondere Gefährdungslage vorliegt, allein keine Tatsachen, sondern daraus oder aus anderen Faktoren gezogene Schlussfolgerungen, die, wenn die Behörde sich diese - wie hier - zu eigen macht, gerade zur gerichtlichen Überprüfung stehen.

22

Das VG Aachen hat hinsichtlich der Einschätzungen von Sicherheitsbehörden in einem vergleichbaren Fall folgende Ausführungen gemacht (B. v. 14.04.2009, a.a.O., U. v. 26.08.2009, a.a.O.):

"Allerdings ist im Hinblick auf Einschätzungen von Sicherheitsbehörden zu beachten, dass einerseits deren Handlungsbefugnisse in der Regel ebenfalls an das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte geknüpft sind und dass sie andererseits auf dem Gebiet der Auswertung und Beurteilung sicherheitsrelevanter Informationen über besonderen Sachverstand und Erfahrungen verfügen, so dass solche Einschätzungen, auch wenn die Erkenntnisgrundlagen nicht konkret benannt sind, zunächst nicht unberücksichtigt bleiben können. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass Sicherheitsbehörden regelmäßig auch Geheimhaltungserfordernissen unterliegen, aufgrund derer sie sich zur Sicherstellung ihrer Aufgabenerfüllung gehindert sehen können, ihnen vorliegende Informationen und Erkenntnisse, die einen bestimmten Gefahrenverdacht begründen, zu offenbaren bzw. zu konkretisieren. Dies gilt insbesondere, wenn - wie hier - im Bereich von Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die ein rasches Handeln erfordern, kurzfristig Gefahreneinschätzungen an andere Behörden weitergegeben werden.

Hinsichtlich der Behandlung solcher ggf. geheimhaltungsbedürftiger Erkenntnisse bei der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings - bezogen auf ein Vereinsverbot als Maßnahme der Gewaltprävention im Vorfeld der Gefahrenabwehr - ausgeführt, dass eine solche Maßnahme nicht mit staatlichen Organen vorliegenden Erkenntnissen gerechtfertigt werden kann, die dem Gericht im Einzelnen nicht unterbreitet werden. Insbesondere können substantiiert bestrittene Tatsachenbehauptungen der Verbotsbehörde, die auf nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und Einschätzungen beruhen und gerichtlicher Beweiserhebung wegen der Verweigerung der Vorlage der entsprechenden Vorgänge nicht zugänglich sind, lediglich die durch andere Erkenntnisse gestützte Überzeugung des Gerichts im Sinne einer Abrundung des Gesamtbilds bestätigen. Sie können jedoch für die gerichtliche Überzeugungsbildung über das Vorliegen eines Verbotsgrundes selbst dann nicht ausschlaggebend sein, wenn sie plausibel sind. Dies gilt auch, wenn die Verbotsbehörde statt ihrer Akten so genannte Behördenzeugnisse überreicht, in denen nicht näher belegte Tatsachen behauptet werden. Unter solchen Umständen wird es in der Regel des ergänzenden Rückgriffs auf andere Erkenntnisquellen bedürfen, die das Tatsachengericht im Rahmen seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten zu erforschen (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO), zu ermitteln und zusammen mit dem Inhalt eines Behördenzeugnisses im Rahmen seiner Überzeugungsbildung umfassend zu würdigen hat (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO; vgl. zum Vereinsverbot nach § 3 VereinsG: BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 -, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 S. 77 und Beschluss vom 16. Juli 2003 - 6 VR 10.02 - [...]; zu Tatsachenbehauptungen in Verfassungsschutzberichten: BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 6 A 13.07 -, BVerwGE 131, 171 [BVerwG 21.05.2008 - BVerwG 6 C 13.07]; grundlegend zu den aus dem Recht auf ein faires rechtstaatliches Verfahren abzuleitenden Anforderungen an die Zulässigkeit mittelbarer Beweisführung: BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2000 - 2 BvR 591/00 -, NJW 2001, 2245).

Es spricht Einiges dafür, dass diese Grundsätze auch auf Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu übertragen sind, die... eine auf konkrete Tatsachen gestützte Gefahrenprognose voraussetzen. Denn auch hierbei müssen die Anknüpfungstatsachen, die die Gefahreneinschätzung rechtfertigen, zur Überzeugung des Gerichts feststehen.

Davon ausgehend ist eine abschließende Beurteilung der Schlüssigkeit der Gefahreneinschätzung des - insoweit darlegungs- und beweispflichtigen - Antragsgegners, die dieser bisher allein auf nicht näher bezeichnete Erkenntnisse von Sicherheitsbehörden gestützt hat, nur dann möglich, wenn diese Erkenntnisse offen gelegt oder ggf. andere Erkenntnisse zur Begründung der Gefahrenprognose benannt und im Bestreitensfall auch bewiesen werden. Die damit gebotene weitere Aufklärung des Sachverhalts kann allerdings nicht im Rahmen eines auf vorläufigen Rechtschutz gerichteten Verfahrens erfolgen, sondern muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dort wird für den Fall, dass die Anknüpfungstatsachen vom Antragsgegner konkretisiert und im Bestreitensfall auch bewiesen werden, weiterhin zu klären sein, ob diese dessen Gefahreneinschätzung auch zu tragen vermögen - wobei der Grad der erforderlichen Wahrscheinlichkeit angesichts von Art und Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigungen der Schutzgüter deutlich herabgestuft sein dürfte -und ob das ihm ... eröffnete Ermessen - insbesondere unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit -auch fehlerfrei ausgeübt worden ist."

23

Das beschließende Gericht macht sich diese Ausführungen zu eigen und hält es auch in der vorliegenden Konstellation für angebracht, im Hauptsacheverfahren den Sachverhalt weitergehend aufzuklären. Dort wird u.a. die Zeugenaussage der Mutter des Antragstellers, auf die sich das LKA stützt, angefordert oder die Mutter persönlich gehört werden müssen. Der Mitarbeiter des LKA, den die Antragsgegnerin als Zeugen benannt hat, wird ebenfalls zu hören sein. Geklärt werden muss, weshalb das LKA für den Antragsteller kein Behördenzeugnis ausstellen konnte und ob es weitere Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Antragsteller sowie seine Bekannten einer radikalen, islamistischen Gruppe angehören. Dazu gehört auch, dass Informationen über den nach Auskunft des LKA bereits als "Gefährder" eingestuften C. D. eingeholt und die näheren Umstände der in den Jemen geplanten Reise u.a. durch Befragung der Mitarbeiter des Reisebüros in Wolfsburg aufgeklärt werden.

24

Die Untersagung der Ausreise aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beruht auf § 6 Abs. 7 des Personalausweisgesetzes (PAuswG) i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat die Antragsgegnerin ihre Anordnung zu Recht auf § 6 Abs. 7 PAuswG und nicht auf § 10 PassG gestützt. Für die Untersagung der Ausreise auf der Grundlage von § 10 PassG sind ausschließlich die Grenzkontrollbehörden zuständig und gerade nicht die Antragsgegnerin (vgl. dazu auch: Medert/Süßmuth, a.a.O., Erl. 1 zu § 10 PassG). Unter den gleichen Voraussetzungen wie für die Passentziehung kann die Behörde nach § 6 Abs. 7 PAuswG im Einzelfall anordnen, dass der Personalausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt. Dies ist hier geschehen und hat zur Folge, dass der Antragsteller nicht mehr ausreisen darf.

25

Ob diese Anordnung, mit der die Ausreisefreiheit des Antragstellers, die unter den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) fällt, erheblich eingeschränkt wird, rechtmäßig ist, richtet sich danach, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG erfüllt sind. Dies lässt sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand im vorliegenden Eilverfahren - wie oben dargelegt - nicht abschließend beurteilen und muss einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

26

Eine deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage vorzunehmende Interessenabwägung fällt allerdings zum Nachteil des Antragstellers aus.

27

Zu einer Interessenabwägung im bereits oben erwähnten vergleichbaren Verfahren hat das VG Aachen ausgeführt (B. v. 14.04.2009, a.a.O., [...] Rn. 35 ff.):

"In diese Abwägung sind auf der einen Seite die Folgen einzustellen, die sich im Falle einer Stattgabe des Aussetzungsantrags und einer Realisierung der von dem Antragsgegner - wenn auch auf einer bislang nicht näher bezeichneten Erkenntnisgrundlage - angenommenen Gefahrlage ergeben würden. In diesem Fall käme es bei einer Beteiligung des Antragstellers am bewaffneten Jihad im asiatischen Ausland unter Umständen zu in ihren Ausmaßen derzeit nicht abschätzbaren Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit im Zielstaat des Anschlags durch die Anwendung von Gewalt gegen Personen und/oder Sachen und damit mittelbar auch zu erheblichen Belastungen der auswärtigen Beziehungen sowie zu einer Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der Völkergemeinschaft wegen der Vernachlässigung zentraler staatenübergreifender Sicherheitsinteressen. Dem Schutz der damit betroffenen Rechtsgüter - insbesondere dem Schutz von Leib und Leben unbeteiligter Dritter vor terroristischen Anschlägen als international anerkanntes Schutzgut - kommt angesichts der ihnen nach Lage der Dinge drohenden Beeinträchtigungen überragendes Gewicht zu. Dies gilt im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr auch dann, wenn - wie hier - die tatsächlichen Grundlagen für die Gefahrenprognose ggf. wegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit sicherheitsrelevanter Erkenntnisse - noch - nicht offen gelegt sind.

Auf der anderen Seite sind die Folgen zu berücksichtigen, die sich für den Antragsteller aus einer Ablehnung seines Aussetzungsantrags ergäben. Er wäre ggf. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens daran gehindert, das Bundesgebiet zu verlassen. Hierbei handelt es sich um eine empfindliche Einschränkung seiner Ausreisefreiheit, die als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist. Der Antragsteller hat allerdings keine über das allgemeine Interesse an der Wahrnehmung dieser grundrechtlich garantierten Freiheit hinausgehenden, besonderen persönlichen Interessen geltend gemacht, die eine Inanspruchnahme der Reisefreiheit in nächster Zeit erforderlich machen und seinen privaten Belangen ein stärkeres Gewicht verleihen könnten.

Seinen eigenen Angaben zufolge beabsichtigt er gegenwärtig überhaupt nicht, Deutschland zu verlassen. Die einzige Reise, die er in diesem Jahr unternehmen würde, wäre ein kurzzeitiger Ferienaufenthalt bei seiner Familie in Marokko, von der er seinen Angaben nach allerdings bis zur Klärung des hier zu überprüfenden Sachverhaltes Abstand genommen hat. Unter diesen Umständen müssen die privaten Interessen des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung, dem schwer wiegenden Gründe des Allgemeinwohls zu Seite stehen, zurücktreten."

28

Im vorliegenden Fall sind dieselben Gesichtspunkte zu berücksichtigen, und die Interessenabwägung fällt ebenfalls zu Lasten des Antragstellers aus. Insbesondere hat er keine besonderen, persönlichen Interessen geltend gemacht, aus deren sich die dringende Notwendigkeit ergibt, in nächster Zeit das Bundesgebiet zu verlassen. Mit Schriftsatz vom 04.04.2011 hat der Antragsteller sogar ausdrücklich erklärt, er habe nicht geplant, nach Italien zu reisen. Gegenüber dem gewichtigen öffentlichen Interesse an einer Abwehr drohender islamistischer Anschläge durch deutsche Staatsbürger im Ausland muss deshalb sein privates Interesse zurücktreten.

29

Dabei ist der beschließenden Kammer bewusst, dass dem Antragsteller die mit dem Ausreiseverbot verbundene fortdauernde Grundrechtsbeeinträchtigung zeitlich nicht unbegrenzt zugemutet werden kann. Seinen Interessen wird daher durch eine zeitnahe Entscheidung im Hauptsachverfahren voraussichtlich im Januar/Februar 2012 Rechnung getragen werden.

30

Nach alledem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

31

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Da es sich um ein Eilverfahren handelt, wird nur die Hälfte des Auffangwertes angesetzt.

Schlingmann-Wendenburg
Brölsch
Düfer