Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.09.2020, Az.: 3 Ws 192/20
Vollstreckung der Einziehung: Zuständiges Gericht bei Einwendungen des Verletzten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.09.2020
- Aktenzeichen
- 3 Ws 192/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 39981
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2020:0918.3WS192.20.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - AZ: 24 StVK 68/20
- AG Peine - AZ: 4 Ls 22 Js 32616/16
Rechtsgrundlagen
- StPO § 14
- StPO § 19
- StPO § 459k Abs. 1
- StPO § 459k Abs. 2 S. 2
- StPO § 459o
- StPO § 462 Abs. 1 S. 1
- StPO § 462a Abs. 1 S. 1
- StPO § 462a Abs. 2 S. 1
Fundstelle
- StraFo 2020, 497-498
Amtlicher Leitsatz
Zuständig für die Entscheidung über Einwendungen des Verletzten gegen die Ablehnung seines Antrags auf Auskehrung des Verwertungserlöses durch die Vollstreckungsbehörde ist das Gericht des ersten Rechtszuges auch dann, wenn der Verurteilte sich im Strafvollzug befindet.
Tenor:
Das Amtsgericht Peine ist zuständig für die Entscheidung über die Einwendungen des Verletzten gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 23. Dezember 2019.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Peine hat den Verurteilten am 24. Juli 2018 rechtskräftig wegen Betruges in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Einziehung des Wertes des durch die Taten Erlangten angeordnet. Der Verurteilte verbüßt seit dem 3. Januar 2019 Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt ...
Am 2. Dezember 2019 hat der Verletzte F. einen Anspruch auf Auskehrung des Verwertungserlöses angemeldet. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2019 hat die Staatsanwaltschaft Hildesheim die Anmeldung als verspätet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Verletzte mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 10. Februar 2020 Einwendungen erhoben.
Die Strafvollstreckungskammer 14 des Landgerichts Hildesheim hat sich durch Beschluss vom 9. April 2020 für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht Peine, dem daraufhin die Akten zugeleitet worden sind, hat mit Beschluss vom 23. April 2020 die Einwendungen des Verletzten zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Verletzten hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Hildesheim mit Beschluss vom 9. Juni 2020 den Beschluss des Amtsgerichts Peine aufgehoben, weil nicht dieses, sondern die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim für die Entscheidung zuständig gewesen sei.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim hat sich mit Verfügung vom 8.7.2020 erneut für unzuständig erklärt und die Akten dem Amtsgericht zurückgesandt.
Hierauf hat das Amtsgericht Peine die Akten dem Oberlandesgericht Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
Die Vorlage ist zulässig; das Oberlandesgericht Celle hat entsprechend §§ 14, 19 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht den Zuständigkeitsstreit zu entscheiden.
Zuständig für die Entscheidung über die Einwendungen des Verletzten gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 23. Dezember 2019 ist das Amtsgericht Peine.
1. Nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 18/11640, S. 90) ist das Gericht des ersten Rechtszuges gemäß § 462a Abs. 2 Satz 1 StPO zuständig für die bei Zweifeln an der Anspruchsberechtigung nach § 459k Abs. 2 Satz 2 StPO erforderliche gerichtliche Entscheidung über die Zulassung der Auskehrung des Verwertungserlöses (so auch MüKoStPO/Nestler § 459k Rn. 1, § 459j Rn. 10; BeckOK StPO/Coen § 459k Rn. 1, § 459j Rn. 16). Denn im Zweifelsfall kann nur das Gericht des ersten Rechtszuges aufgrund seiner Sachnähe zum Erkenntnisverfahren hinreichend beurteilen, ob der angemeldete Anspruch berechtigt ist. Dementsprechend muss aufgrund des systematischen Zusammenhangs und zur Vermeidung divergierender Entscheidungen verschiedener Gerichte auch die nach § 459o StPO zu treffende Entscheidung über Einwendungen des Verletzten gegen die Ablehnung der Auskehrung durch die Vollstreckungsbehörde dem Gericht des ersten Rechtszuges obliegen. Eine Unterscheidung danach, ob die Ablehnung aus sachlichen oder - wie hier - verfahrensrechtlichen Gründen erfolgt ist, wäre weder sachgerecht noch praktikabel (vgl. zu diesem Gesichtspunkt bei der Auslegung von Pauschalverweisungen: BGH, Beschluss vom 10. Juni 2020 - 5 ARs 17/19, NStZ-RR 2020, 254).
2. Dem steht § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht entgegen.
Zwar begründet die Verweisung in § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO auf § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich auch für Entscheidungen nach § 459k und § 459o StPO die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, wenn gegen den Verurteilten Freiheitsstrafe vollstreckt wird (vgl. KK-Appl StPO 8. Aufl. § 459o Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 459o Rn. 5). Dies gilt jedoch nicht für Entscheidungen über die Opferentschädigung (vgl. HK-StPO-Pollähne 6. Aufl. § 459o Rn. 4).
Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer besteht nur für die Entscheidungen, welche die Person betreffen, gegen die eine Freiheitsstrafe vollzogen wird; hingegen sind Entscheidungen, die auch andere Personen wie Mitverurteilte und Nebenbeteiligte betreffen, nach der Systematik des Gesetzes und dem Sinn und Zweck des § 462a StPO von der Pauschalverweisung über § 462 Abs. 1 StPO auf die §§ 458 bis 461 StPO ausgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 1987 - 2 ARs 16/87, NStZ 1987, 428; LR-Graalmann-Scheerer StPO 26. Aufl. § 462a Rn. 4; KK-Appl § 462a Rn. 4; MüKoStPO/Nestler § 462a Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt § 462a Rn. 3). Letzteres ist hier der Fall. In erster Linie betrifft die Entscheidung den Verletzten. Es geht zwar im weiteren Sinne um die Vollstreckung einer Nebenfolge, die zu einer Geldzahlung verpflichtet
(§ 459g Abs. 2 StPO), woraus zum Teil die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer abgeleitet wird (vgl. OLG Celle, 2. Strafsenat, Beschluss vom 10. Juli 2020 - 2 Ws 56/20; ebenso OLG Hamburg Beschluss vom 15. Juni 2020 - 2 Ws 152/19, juris). Der Zusammenhang mit der Vollstreckung von Freiheitsstrafe, der erforderlich ist, um die besondere Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer zu rechtfertigen (BGH aaO), besteht indes nicht. Der Verurteilte ist nur dadurch in seiner Rechtsposition berührt, dass er Adressat der Einziehungsanordnung ist. Nur in dieser Eigenschaft ist er auch gemäß § 459k Abs. 3 Satz 1 StPO vor der Entscheidung über die Auskehrung zu hören.
Hinzu kommt, dass von der Entscheidung über die Auskehrung des Verwertungserlöses zugleich auch Mitverurteilte betroffen sein können, wenn sich nämlich die Einziehungsanordnung gegen mehrere Beteiligte als Gesamtschuldner richtet (vgl. dazu Fischer StGB 67. Aufl. § 73 Rn. 29 mwN). Wird gegen mehrere Einziehungsadressaten Freiheitsstrafe in verschiedenen Landgerichtsbezirken vollstreckt, lässt sich bei Annahme einer funktionalen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht mehr bestimmten, welches Landgericht im Einzelfall für die Entscheidung nach §§ 459k, 459o StPO örtlich zuständig ist. Nur die Anwendung von § 462a Abs. 2 Satz 1 StPO führt auch in dieser Fallkonstellation zu einem sachgerechten Ergebnis.