Amtsgericht Cuxhaven
Urt. v. 06.02.1997, Az.: 5 C 676/96
Anspruch auf Schadensersatz aufgrund von Seekrankheit auf einer Schiffsfahrt wegen einer Sorgfaltspflichtverletzung durch fehlende Aufklärung über den zu erwartenden Fahrtverlauf
Bibliographie
- Gericht
- AG Cuxhaven
- Datum
- 06.02.1997
- Aktenzeichen
- 5 C 676/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 24939
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGCUXHA:1997:0206.5C676.96.0A
Rechtsgrundlage
- §§ 823 ff. BGB
Fundstelle
- NJW-RR 1997, 860-861 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Zahlung
In der Zivilprozeßsache
...
hat das Amtsgericht Cuxhaven
auf die mündliche Verhandlung vom 16.1.1997
durch
den Direktor des Amtsgerichts Stolle
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger erwarb am 16.7.1996 bei der Beklagten zwei Fahrkarten für eine Schiffsfahrt Norderney-Helgoland-Norderney.
Während der Fahrt wurde der Kläger seekrank.
Für die Rückreise charterte er für sich und seine Begleitung zusammen mit weiteren Passagieren ein Flugzeug.
Er begehrt Schadensersatz für folgende Positionen:
a) | Aufwendungen für die Fahrt mit dem Motorboot zum Helgoland Flughafen einschließlich der Aufwendungen für die Begleitung des Klägers | 15,00 DM |
---|---|---|
b) | Aufwendungen für den Flug einschließlich der Aufwendungen für den Flug der Begleitung des Klägers | 280,00 DM |
c) | Schmerzensgeld | 300,00 DM |
d) | Kosten für den Erwerb der Fahrkarten für die Schiffspassage | 74,00 DM |
e) | Unkostenpauschale | 40,00 DM |
709,00 DM |
Er behauptet:
Bei Erwerb der Fahrkarten habe leichter Wind geherrscht, der jedoch nicht von ihm als böig empfunden worden sei. Nach kurzer Zeit auf See sei bekannt gegeben worden, daß das Schiff zwei Stunden schaukeln und eine Stunde stampfen werde.
80 % der Passagiere hätten sich erbrechen müssen.
Auf Helgoland sei ihm von einem dort Dienst tuenden Arzt mitgeteilt worden, daß die derzeitige Windstärke von 7 sich auf 8-9 steigern werde.
Er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 709,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26.8.1996 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet:
Vor Fahrtantritt habe der Kapitän des Schiffes und auch der Fahrdienstleiter durch Lautsprecher ausgerufen, daß aufgrund der Wettermeldung die Fahrt unruhig verlaufen werde. Vom Wetteramt sei für den 16.7.1996 Wind aus Nordnordwest in Stärken zwischen 5 und 7 angegeben worden.
Wegen des Parteivorbringens im einzelnen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten und erörterten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Die Beklagte haftet dem Kläger weder aufgrund des abgeschlossenen
Beförderungsvertrages noch aufgrund der Bestimmungenüber die unerlaubte Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB.
Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten wäre die Verletzung einer ihr gegenüber dem Kläger obliegenden Sorgfaltspflicht. Daran fehlt es.
Dabei kann in tatsächlicher Hinsicht dahingestellt bleiben, ob die Beklagte entgegen dem Vortrag der Klägerin vor Auslaufen des Schiffes über Lautsprecher darauf hingewiesen hat, daß aufgrund der Wetterverhältnisse die Fahrt unruhig verlaufen werde, denn eine diesbezügliche Verpflichtung der Beklagten bestand nicht. Allerdings ist anerkannten Rechts, daß den Unternehmer neben seiner Hauptpflicht zur Erfüllung des Vertrages weitere Nebenpflichten, insbesondere Aufklärungspflichten treffen können. Art und Umfang dieser Pflichten richten sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles. Das gilt insbesondere auch bezüglich der vom Kläger verlangten Aufklärungüber den zu erwartenden Fahrtverlauf. Eine Aufklärungspflicht des Unternehmers besteht insbesondere über solche Umstände, von denen er bei objektiver Betrachtung annehmen kann, daß sie den Reisenden unbekannt, jedoch für ihre Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sind. Das gilt vornehmlich für nicht einschätzbare und dem Reisenden unvorhersehbare Risiken. Sie besteht dagegen nicht bezüglich allgemein bekannter Umstände und Geschehensabläufe. Zu diesen allgemeinen bekannten und einschätzbaren Abläufen gehören die Wetterumstände und die eventuelle Wetterentwicklung und die damit verbundenen möglichen Unannehmlichkeiten. Das gilt beispielsweise sowohl für Eisglätte und Kälte im Winter, Hitze und Schwüle im Sommer, heftige Regengüsse in Tropengebieten, Nebel, auftretende Unwetter in den Bergen und auch für die mit Seereisen häufig verbundene Seekrankheit.
Das Auftreten der Seekrankheit ist für den Einzelnen, insbesondere für einen nicht mit der Seefahrt Vertrauten oft schwer einzuschätzen und sehr personenabhängig. Für viele Reisende ist sogar diese Ungewißheit der besondere Reiz einer solchen Fahrt. Auch der Kläger hat sich offenbar zumindestens darüber Gedanken gemacht, denn er räumt selbst ein, daß bereits bei Erwerb der Fahrkarten leichter Wind geherrscht habe, er diesen Wind jedoch nicht als böig empfunden habe. Die von ihm in diesem Zusammenhang auch angestellte Überlegung, der Wind sei nicht böig und deshalb sei wohl keine Seekrankheit zu befürchten, beruht dabei auf einer offensichtlichen Fehleinschätzung, die nicht der Beklagten angelastet werden kann. Böig bedeutet nämlich nicht besonders starken Wind, sondern nur, daß es zu einzelnen stärkeren Windstößen kommt, deren Windgeschwindigkeit sich von der allgemeinen Windgeschwindigkeit abhebt. Seekrankheit ist jedoch im wesentlich nicht eine Folge einzelner Böen, sondern bedingt durch das Rollen, Stampfen und Schlingern des Schiffes. Diese Schiffsbewegungen als Folge des Seegangs sind dabei von mehreren Faktoren, nämlich der Windstärke, der Dauer des Windes aus derselben oder verschiedenen Richtungen, der Laufstrecke des Windes über das Wasser, der Wassertiefe und Bodengestaltung und vom Strom abhängig. Das Wohlbefinden beeinträchtigende Schiffsbewegungfen sind dabei sogar bei Windstille aufgrund einer Altdünung möglich, während sogar bei relativ starkem Wind und günstigen Stromverhältnissen das Schiff relativ ruhig durchs Wasser gleiten kann. Diese Unwägbarkeiten führen dazu, daß selbst bei ruhigem Wetter vor Antritt von Seereisen unter den Passagieren das Thema Seekrankheit ausgiebig und weitschweifend diskutiert wird. Davon konnte auch der verantwortliche Schiffsführer der Beklagten bei Fahrtantritt ausgehen und erwarten, daß sich besonders ängstliche Passagiere über den mutmaßlichen Verlauf der Reise vor Fahrtantritt erkundigen würden. Erst in diesem Fall wäre eine Aufklärungspflicht in der vom Kläger gewünschten Weise zu bejahen gewesen.
Anderes hätte nur dann gelten können, wenn es sich bei den Passagieren um besonders hilfsbedürftige Personen gehandelt hätte, von denen eine allgemeine Einsicht und Lebenserfahrung nicht zu erwarten war, oder die Beklagte durch ihr Verhalten bei anderen Seereisen den Eindruck erweckt hätte, daß auf besondere Beschwernisse der Seereise immer besonders hingewiesen werden. Dafür liegen jedoch im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte vor. Ebensowenig liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß die Fahrt gemäß den Beförderungsrichtlinien hätte überhaupt nicht durchgeführt werden dürfen.
Bei dieser Sachlage unterliegt die Klage bereits dem Grunde nach der Abweisung, ohne daß es auf die Berechtigung der einzelnen Positionen ankäme.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus§§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.