Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.03.1995, Az.: 4 B 4034/95
Untersagung des Inverkehrbringens von Mikrowellenbluterwärmermungsgeräten; Vertrieb von Bluterwärmungsgeräten; Zubehör für Medizinprodukte
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 27.03.1995
- Aktenzeichen
- 4 B 4034/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 17208
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1995:0327.4B4034.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG
- § 3 S. 1 MPG
Prozessführer
Firma ... Inh. ...
Prozessgegner
...
Redaktioneller Leitsatz
Medizinische Produkte können nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten bei sachgemäßer Anwendung, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften vertretbares Maß hinausgehend gefährden.
Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen hat
am 27. März 1995
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 14.02.1995 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.02.1995 wird wiederhergestellt, soweit sich die Verfügung auf das Bluterwärmungsgerät "Infusotherm IT-1" bezieht.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 110.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Inhaber der Antragstellerin ist Entwickler, Patentinhaber und Hersteller von medizinischen Mikrowellen-Bluterwärmungsgeräten, die unter dem Markenzeichen "Infusotherm", Typenbezeichnungen "407", "608" und "IT-1" vertrieben wurden bzw. werden. Seit 1993 stellt die Antragstellerin nur noch Geräte mit der Typenbezeichnung "IT-1" her.
Für die Geräte "Infusotherm 407 und 608" erteilte der VDE Offenbach einen VDE-GS-Zeichengenehmigungsausweis mit der Nr. 41248 G. Für das Gerät "Infusotherm IT-1" erteilte der VDE Offenbach unter dem 01.09.1993 einen entsprechenden Ausweis. Im laufenden Verfahren bestätigte der VDE Offenbach, daß das Gerät "Infusotherm 407/608" in der Mechanik, der Elektronik sowie im Aufbau des Gehäuses nicht mit dem "Infusotherm IT-1" vergleichbar sei. Der "Infusotherm IT-1" sei im Vergleich zum "Infusotherm 407/608" eine vollkommene Neuentwicklung, weshalb für dieses Gerät ein vollkommen neues Prüfgutachten zu erstellen gewesen sei.
Im Klinikum ... verstarb ein Intensivpatient, nachdem er am 19. und 20.05.1994 operiert worden war, wobei zur Bluterwärmung das Gerät "Infusotherm 608" benutzt worden war. Nach Ansicht der behandelnden Ärzte bestand der dringende Verdacht, daß sich während der Blutkonservenerwärmung im Inneren der Konserve Volumenanteile ("hot Spots") überhitzten, wobei es zu Hämolyse und Eiweißausfällung gekommen sei. Dies habe mit konventionellen Mitteln vor der Transfusion nicht erkannt werden können. Es sei nicht ausgeschlossen, daß der Patient durch den angenommenen Gerätedefekt bei bereits vorbestehender Nierenfunktionsstörung einen zusätzlichen Organschaden erlitten hätten. Daraufhin wurde das entsprechende Gerät in Zusammenarbeit mit der Antragstellerin zunächst vom VDE Offenbach und später vom TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e.V., der die Prüfung auch auf das Gerät "Infusotherm 407" bezog, auf technische Mängel untersucht.
Dabei stellten die Gutachter über einstimmend zwei technische Defekte fest, die im Zusammenspiel zu einer vom Gerät nicht erkannten Erhöhung der Temperatur der Blutkonserve führten. So sei zum ersten die Sicherung des Temperaturfühlers durch Hochohmigwerden des Sicherungsfadens ausgefallen. Hierbei handele es sich um einen sog. ersten Fehler im Sinne der DIN VDE 0750 Teil 1/12.91. Zum anderen habe das Gerät einen Fehler in den Überwachungseinheiten (sog. IC) teilweise nicht erkannt. Hierbei handele es sich um einen sog. zweiten Fehler im Sinne der DIN-Bestimmungen. Während der VDE Offenbach eine Nachrüstung der bereits existierenden Geräte mit einer zusätzlichen Sicherheitseinrichtung nicht für notwendig hielt und die Vermutung aussprach, die Überhitzung des Blutes könne Folge einer Fehlbedienung des Gerätes sein, war der Gutachter des TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. der Ansicht, die begutachteten Geräte könnten eine örtliche Überhitzung von Blutkonserven nicht sicher verhindern. Er empfahl, den weiteren Betrieb der Geräte von einer Sondergenehmigung abhängig zu machen. Grundsätzlich sei der Weiterbetrieb der Mikrowellen-Bluterwärmungsgeräte jedoch nicht abzulehnen.
Am 20.12.1994 wurde ausweislich eines Gedächtnisprotokolls des behandelnden Oberarztes ebenfalls im Klinikum ... ein Erythrozytenkonzentrat beim bestimmungsgemäßen Erwärmen geschädigt. Es habe einen ca. 5-Mark-Stück großen schwarzen, offenbar verbrannten Bezirk gehabt. Die Konserve ist jedoch nicht labortechnisch untersucht, sondern vernichtet worden. Diese Fehlerwärmung erfolgte mit dem Gerät "Infusotherm IT-1".
Mit Bescheid vom 08.02.1995 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung bis auf weiteres das Inverkehrbringen der Mikrowellen-Bluterwärmer "Infusotherm 407, 608 und IT-1". Gestützt auf §§ 26 Abs. 4 i.V.m. 4 Abs. 1 Nr. 1 des Medizinproduktegesetzes argumentierte die Antragsgegnerin, es bestehe der begründete Verdacht, daß die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten durch die streitbefangenen Geräte über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften vertretbares Maß hinaus gefährdet würde. Dabei bezog sie sich auf die Zwischenfälle am Klinikum ... und die Untersuchung des TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e.V.. Es sei davon auszugehen, daß der Gerätetyp "IT-1" hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen baugleich mit den vom TÜV untersuchten Gerätetypen "407" und "608" sei; jedenfalls über keine zusätzlichen, die genannten Anforderungen des TÜV erfüllenden Sicherheitsvorkehrungen verfüge. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Antragsgegnerin mit dem hinter ihrer Verfügung stehenden Interesse der Patienten auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin überwiege.
Mit Schreiben vom 14.02.1995 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen diese Verfügung, soweit sie sich auf das Gerät "Infusotherm IT-1" bezieht. Über den Widerspruch ist bisher nicht entschieden.
Am 20.02.1995 hat die Antragstellerin um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.
Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens wurden zwei weitere Zwischenfälle bekannt, die sich mit dem Gerät "IT-1" in Kliniken in ... und ... ereignet haben.
Die Antragstellerin trägt vor: Die Verfügung der Antragsgegnerin vom 08.02.1995 stelle einen rechtswidrigen Eingriff in ihren grundrechtlich geschützten Gewerbebetrieb dar, verstoße gegen § 28 VwVfG sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das Untersuchungsergebnis des TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. stütze sich auf Mutmaßungen und sei auf das streitbefangene Gerät nicht übertragbar. Bei den festgestellten technischen Mängeln handele es sich um sog. Zweitfehler im Sinne der DIN-Vorschriften. Eine Zweitfehlersicherheit werde aber von den Geräten der Gruppe 3 der Medizingeräteverordnung, zu der das streitbefangene Gerät gehöre, nicht verlangt. Weiter habe es in der Vergangenheit noch nie einen Defekt mit Patientenschaden gegeben. Auch das Gerät, das der Klinik ... zur Verfügung gestanden habe, sei knapp fünf Jahre ohne Zwischenfall betrieben worden. Etwaige Überhitzungen seien vom Gerät stets erkannt worden. Es sei nicht ausgeschlossen, daß der in ... verstorbene Patient nicht wegen des überhitzten Blutpräparats, sondern wegen bereits vorhandener Organschädigungen verstorben sei. Der zweite Zwischenfall in ... sei nicht aussagekräftig, weil die entsprechende Blutkonserve nicht labortechnisch untersucht worden sei.
Entscheidend sei, daß das Gerät "Infusotherm IT-1" technisch nicht mit den Vorgängermodellen vergleichbar sei. So sei ein neuer Temperaturfühler eingebaut worden, der in den Ohmwerten erheblich besser zu justieren sei. Im übrigen habe der VDE Offenbach die fehlende Vergleichbarkeit der Elektronik und Mechanik der verschiedenen Gerätegenerationen bestätigt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß.
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 14.02.1995 gegen die Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 08.02.1995, soweit die Verfügung auf das Bluterwärmungsgerät "Infusotherm IT-1" gerichtet ist, wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, aufgrund der bisher bekannten Vorfälle sei davon auszugehen, daß auch das Gerät "Infusotherm IT-1" eine Gefahr für die Gesundheit der Patienten darstelle. Die vorzunehmende Rechtsgüterabwägung gehe zu Lasten der Antragstellerin. Das Gerät "IT-1" sei hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen gegen ein überhitzen der Blutkonserven mit den Geräten "407 und 608" vergleichbar. Die Zwischenfälle in ... und ... mit dem "IT-1" seien ebenfalls gerätebedingt gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des privaten Interesses der Antragstellerin, vorläufig von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung geht zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Das private Interesse der Antragstellerin überwiegt, weil sich die Verfügung der Antragsgegnerin bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung aller Wahrscheinlichkeit nach als nicht rechtmäßig erweist.
Die angefochtene Verfügung, findet weder im Gesetz über Medizinprodukte - MPG - vom 02.08.1994 (BGBl. I, S. 1963) noch in der Verordnung über die Sicherheit medizinisch-technischer Geräte - MedGV - vom 14.01.1985 (BGBl. I, S. 93) eine Rechtsgrundlage.
Zwar ist die Antragsgegnerin gemäß § 26 Abs. 4 MPG i.V.m. § 4 Abs. 2 des Art. II des 8. Gesetzes zur Verwaltungs- und Gebietsreform vom 28.06.1977 (Nds. GVBl, S. 233, 236) zuständig für die Ausführung des MPG.
Bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Rechtmäßigkeitsprüfung kann die Kammer jedoch nicht feststellen, daß die Voraussetzungen der Verbotsnorm des § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG vorliegen.
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG ist es verboten. Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen, wenn der begründete Verdacht besteht, daß sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten bei sachgemäßer Anwendung, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften vertretbares Maß hinausgehend gefährden.
Die Kammer hat schon erhebliche Zweifel, ob die von der Antragstellerin hergestellten und vertriebenen Bluterwärmungsgeräte unter den sachlichen Anwendungsbereich des MPG fallen. Dieses Gesetz gilt für Medizinprodukte sowie deren Zubehör (§ 2 Abs. 1 MPG). Gemäß § 3 Satz 1 MPG besteht das Wesensmerkmal eines jeden Medizinproduktes darin, seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper zu entwickeln. Das hier streitbefangene Mikrowellen-Bluterwärmungsgerät entwickelt seine Hauptwirkung weder im noch am menschlichen Körper. Es kommt mit diesem weder unmittelbar noch mittelbar in Kontakt, sondern dient einzig der möglichst schnellen Erwärmung eingefrorener Blutpräparate.
Nur bei extensiver Auslegung des § 3 Nr. 8 MPG kann man dieses Gerät als Zubehör für Medizinprodukte ansehen.
Danach ist Zubehör für Medizinprodukte definiert als Gegenstände, Stoffe, Zubereitungen aus Stoffen sowie Software, die selbst keine Medizinprodukte sind, aber vom Hersteller dazu bestimmt sind, a) mit einem Medizinprodukt verwendet zu werden, damit dieses entsprechend der von ihm festgelegten Zweckbestimmung des Medizinproduktes angewendet werden kann, oder b) die für das Medizinprodukt festgelegte Zweckbestimmung zu unterstützen.
Hierbei muß als Medizinprodukt das bei einer Operation verwendete Blutinfusionsgerät angesehen werden, weil das Blutpräparat als solches ein Arzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts - AMG - vom 24.08.1976 (BGBl. I, S. 2445) i.d.F. des Art. 9 der 5. Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom 26.02.1993 (BGBl. I, S. 278) ist. Das Bluterwärmungsgerät ist von der Antragstellerin als dem Hersteller allerdings nicht dazu bestimmt, mit dem Transfusionsgerät verwendet zu werden damit dieses entsprechend der von ihm festgelegten Zweckbestimmung des Medizinproduktes angewendet werden kann. Das Bluttransfusionsgerät kann nämlich seine Zweckbestimmung auch ohne Bluterwärmungsgerät erfüllen. Hierfür ist lediglich Voraussetzung, daß infusionsfähiges Blut vorhanden ist, was nicht, allein vom Bluterwärmungsgerät abhängig ist (§ 3 Nr. 8 a MPG kommt deshalb nicht zur Anwendung).
Nur bei weiter Auslegung des § 3 Nr. 8 b MPG kann davon ausgegangen werden, daß die streitbefangenen Bluterwärmungsgeräte vom Hersteller dazu bestimmt sind, die für das Bluttransfusionsgerät als Medizinprodukt festgelegte Zweckbestimmung zu im Sinne dieser Norm unterstützen. Eine derartige Unterstützungsfunktion haben Bluterwärmungsgeräte nur mittelbar, indem sie Blutpräparate in einen infusionsfähigen Zustand versetzen. Eine unmittelbar unterstützende Einwirkung des Bluterwärmungsgerätes auf das Bluttransfusionsgerät findet allerdings nicht statt. Es erscheint der Kammer fraglich, ob eine derartige mittelbar unterstützende Zweckbestimmung ein hinreichend bestimmtes Abgrenzungskriterium für die Annahme eines Zubehörs für Medizinprodukte sein kann. Dagegen spricht zum Beispiel die Regelung des § 2 Abs. 2 MPG, nach der das MPG auf Medizinprodukte Anwendung findet, die dazu bestimmt sind, Arzneimittel zu verabreichen. Um den Verabreichungsvorgang geht es bei der Bluterwärmung jedoch gerade nicht.
Die Kammer kann diese Frage offenlassen, weil bejahendenfalls die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG nicht erfüllt sind.
Bei summarischer Prüfung besteht vorliegend nicht der begründete Verdacht, daß die Sicherheit und Gesundheit der Patienten bei sachgemäßer Anwendung, Instandhaltung und einer der Zweckbestimmung des Bluterwärmungsgerätes entsprechenden Verwendung über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften vertretbares Maß hinausgehend gefährdet ist (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG). Diese Norm ist erkennbar § 5 Abs. 2 AMG nachgebildet. Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG wie bei § 5 Abs. 2 AMG um eine Bestimmung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes. Der ein Verbot rechtfertigende begründete Verdacht muß jedoch nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse substantiiert sein und im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Medizinproduktes bestehen. Nicht hinreichend ist der auf bloße Vermutungen gestützte Verdacht der Schädlichkeit; dieser muß vielmehr durch wissenschaftliche Erkenntnisse oder Erfahrungen begründet sein, die auf theoretischen Erwägungen ebenso wie auf durch Versuche und klinische Erfahrungen gewonnenen Erkenntnissen beruhen können (vgl. zu § 5 AMG Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand: 01.03.1993, § 5 Anm. 7).
Ein derart begründeter Verdacht besteht in bezug auf das Gerät "Infusotherm IT-1" nicht.
Als theoretische Erwägungen in diesem Sinne kommen hier die vom VDE Offenbach und vom TüV Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. erstellten Gutachten in Betracht.
Abgesehen davon, daß diese Untersuchungen zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Gerätesicherheit gelangen, können die hierin gewonnenen Erkenntnisse nicht auf das Gerät "IT-1" übertragen werden. Die Antragstellerin hat durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des VDE Offenbach glaubhaft gemacht, daß das Gerät "IT-1" in wesentlichen Punkten, insbesondere im Bereich der hier als störanfällig angesehenen Elektronik, erhebliche Konstruktionsunterschiede aufweist. Damit scheidet eine Übertragung der Gutachtenergebnisse bzgl. der Geräte "407 und 608" auf das Gerät "IT-1" aus.
Auch die von der Antragsgegnerin für die Schädlichkeit des Bluterwärmungsgerätes "IT-1" herangezogenen klinischen Erfahrungen sind nicht geeignet, einen relevanten Verdacht i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG zu begründen. Die Blutkonserve, die am 20.12.1994 im Klinikum ... mit dem Gerät "IT-1" überhitzt worden sein soll, ist labortechnisch nicht untersucht worden. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Überhitzung durch eine etwaige Vorschädigung dieser Konserve verursacht worden ist. Abgesehen davon, stellt sich ganz allgemein die Frage, ob die Anforderungen an den Gefahrenverdacht i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG in den hier streitigen Fällen nicht strenger sein müssen als bei den üblichen Medizinprodukten. Hierbei ist nach Ansicht der Kammer zu berücksichtigen, daß die Bluterwärmungsgeräte nur bei extensiver Auslegung des § 3 Nr. 8 b MPGüberhaupt unter den sachlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen. Gemäß § 5 Abs. 2 AMG trifft den das Blutpräparat verwendenden Operateur bzw. Anästhesisten eine eigene gesetzliche Prüfungsobliegenheit in bezug auf die Unbedenklichkeit der verwendeten Blutpräparate. Es stellt sich daher die Frage, ob überhaupt von der Antragstellerin verlangt werden kann, daß eine Überhitzung von Blutpräparaten in jedem Fall ausgeschlossen bleiben muß. Diese Ansicht könnte die eigenständige Prüfungsobliegenheit des medizinischen Personals nach § 5 Abs. 5 AMG gegenstandslos machen.
Auf diese Erwägung kommt es nach Ansicht der Kammer letztlich nicht, an, weil der Vorfall im Klinikum ... am 20.12.1994 mangels Untersuchung der Blutkonserve keine klinische Erfahrung im obigen Sinne darstellt.
Gleiches gilt für die vermeintlichen Vorfälle mit einem Bluterwärmungsgerät "Infusotherm IT-1" im Klinikum ... Nach Aussage des beteiligten Arztes soll dort am 10.02.1995 ein Erythrozytenkonzentrat vom Gerät unerkannt auf eine Temperatur von 39 C überhitzt worden sein. Aus der Schilderung des Gerätelebenslaufes läßt sich jedoch erkennen, daß Ursache für eine derartige Überhitzung sowohl die verwendeten - vom Standard offenbar abweichenden - Blutplasmabeutel als auch Bedienungsfehler und mangelhaft ausgeführte Eigenreparaturen ursächlich gewesen sein könnten. Der hinreichende Verdacht des Ursachenzusammenhangs zwischen Gerätefehler und Überhitzung des Blutpräparates läßt sich aus dieser Schilderung nicht, herleiten. Im übrigen hat der Inhaber der Antragstellerin eidesstattlich versichert, ihm gegenüber sei telefonisch erklärt worden, zum Zeitpunkt des Schadensereignisses habe eine nicht eingewiesene Medizinisch-technische-Assistentin das Gerät bedient, so daß ein Bedienungsfehler vermutet werde.
Ebensowenig aussagekräftig ist der Bericht des Leiters der Abteilung Medizintechnik des Krankenhauses ... in ... einen Zwischenfall am 27.04.1994 mit dem Gerät "Infusotherm IT-1" betreffend. Danach ist dort eine Blutkonserve überhitzt worden. Da nicht auszuschließen gewesen sei, ob hier auch ein Bedienungsproblem vorgelegen habe, sei das Gerät weiter beobachtet worden. Dabei habe keine weitere Überhitzung nachgewiesen werden können. Diese Aussage ist nicht geeignet, den Verdacht eines gerätebedingten Fehlers im Zusammenhang mit der Überhitzung von Blutpräparaten zu begründen. Die Tatsache, daß trotz kritischer Beobachtung des Gerätes keine weiteren überhitzungen nachgewiesen werden konnten, spricht vielmehr gegen einen Geräte- und für einen Bedienungsfehler.
Die angefochtene Verfügung erweist sich auch nicht aus anderen Rechtsgründungen als rechtmäßig. Insbesondere läßt sie sich nicht auf die MedGV vom 14.01.1985 stützen.
Zwar dürfte das streitige Bluterwärmungsgerät ein medizin-technisches Gerät i.S.v. § 1 Abs. 1 MedGV sein, weil es dazu bestimmt ist, in der Heilkunde bei der Behandlung von Menschen verwendet zu werden. Zwischen den Beteiligten ist unumstritten, daß es sich bei dem Bluterwärmungsgerät um ein solches nach § 2 Nr. 3 MedGV handelt. Allerdings fehlt es der Antragsgegnerin zum einen an der sachlichen Zuständigkeit für eine Untersagungsverfügung gestützt auf §§ 22 Abs. 5 Nr. 1, 3 Abs. 1 MedGV. Zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, daß Patienten, Beschäftigte oder Dritte bei der bestimmungsgemäßen Verwendung des Gerätes gegen Gefahren für Leben und Gesundheit nicht soweit, geschützt sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung gestattet (§ 3 Abs. 1 MedGV).
Gemäß § 1 a des Gesetzes über die Regelung von Zuständigkeiten im Gewerbe und Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten vom 26.04.1965 (Nds. GVBl. S. 91) i.V.m. § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Regelung von Zuständigkeiten in Gewerbe- und Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten vom 19.12.1990 (Nds, GVBl. S. 491) i.V.m. Textziffer 2.1.9 der Anlage 1 zu dieser Verordnung sind für die Ausführung der Medizingeräteverordnung die Gewerbeaufsichtsämter, nicht die Bezirksregierungen, zuständig.
Darüber hinaus liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 MedGV nicht vor. Das Gerät "Infusotherm IT-1" hat, vom VDE Offenbach einen Zeichengenehmigungsausweis erhalten. Dies setzt voraus, daß das Gerät die einschlägigen DIN-Anforderungen erfüllt und somit den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften entspricht. Es ist auch sichergestellt, daß Patienten, Beschäftigte oder Dritte bei der bestimmungsgemäßen Verwendung des Gerätes gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung gestattet (§ 3 Abs. 1 Satz 2 MedGV). Entgegenstehende Anhaltspunkte hat die Kammer nicht. Insoweit wird zur Begründung auf das oben zu § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG Ausgeführte verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 110.000,00 DM festgesetzt.
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Bei der Bemessung des wirtschaftlichen Interesses geht die Kammer mangels abweichender Anhaltspunkte von dem von der Antragstellerin genannten Gesamtauftragsvolumen bestellter Geräte der Typenbezeichnung "IT-1" aus, deren Auslieferung durch die Verbotsverfügung verhindert wird.
Richter Dr. Rudolph, der an der Beschlußfassung mitgewirkt hat, hat Urlaub und kann deshalb nicht unterschreiben. Kaiser
Dr. Wenderoth