Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 13.06.2024, Az.: 10 B 1953/24
asylrelevantes Vorbringen; Belangloses Vorbringen; Côte d Ivoire; Glaubhaftigkeit; offensichtlich unwahrscheinliche Angaben; Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach Neuregelung mit Rückführungsverbesserungsgesetz
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 13.06.2024
- Aktenzeichen
- 10 B 1953/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 16933
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2024:0613.10B1953.24.00
Rechtsgrundlagen
- AsylG § 30 Abs. 1
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG n. F. hat einen engeren Anwendungsbereich als die frühere Generalklausel in § 30 Abs. 1 AsylG a. F.
- 2.
Die Neuregelung in § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfasst nur Konstellationen, in denen die Asylrelevanz des Vorbringens des Antragstellers bereits ohne vorherige Prüfung der Glaubhaftigkeit und der Übereinstimmung seines Vorbringens mit aktuellen Informationen zum Herkunftsland abzulehnen ist.
- 3.
Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen "offensichtlich unwahrscheinlicher Angaben" verlangt wie auch die anderen Tatbestandsvarianten die fehlende Glaubhaftigkeit des Vorbringens, unabhängig von dessen Asylrelevanz.
- 4.
Eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet allein aufgrund einer gesteigerten Überzeugungsgewissheit der entscheidenden Stelle über die Erfolgsaussichten des Asylbegehrens ist nach der neuen Regelung nicht mehr möglich, sondern die Angaben des Antragstellers müssen nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AsylG entweder offensichtlich banal oder nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 AsylG offensichtlich unglaubhaft sein.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die von der Antragsgegnerin mit vier Bescheiden vom 26.04.2024 jeweils verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bewilligt und Rechtsanwalt Niemann aus B-Stadt beigeordnet.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet (§ 83 b AsylG, § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin.
Sie sind ivorische Staatsangehörige, vom Volk der Akan und christlich-katholischen Glaubens. Die Antragstellerin zu 1) stammt aus K.. Die Antragsteller zu 2) bis 4) sind die minderjährigen Kinder der Antragstellerin zu 1). Der Antragsteller zu 2) wurde am 19.01.2020 in L. geboren, der Antragsteller zu 3) am 29.08.2022 in M. und die Antragstellerin zu 4) am 04.03.2024 in N..
Die Antragstellerin zu 1) besuchte die Schule in Côte d'Ivoire bis zur sechsten Klasse. Sie reiste über Mali, Algerien und Libyen auf dem Land- und Seeweg zunächst nach Italien, wo sie sich etwa 2,5 Jahre lang aufhielt und auch einen Asylantrag stellte. Am 17.11.2019 reiste sie im Alter von 18 Jahren nach Deutschland ein und stellte am 22.11.2019 einen Asylantrag bei der Antragsgegnerin. In ihrem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats am 22.11.2019 gab sie an, dass sie Côte d'Ivoire Ende 2015 verlassen habe. In Mali habe sie sich etwa zwei Monate, in Algerien etwa sieben Monate und in Libyen etwa drei Monate lang aufgehalten. Zwei ihrer Brüder lebten noch in Italien, ihr sei jedoch ihre genaue Adresse nicht bekannt. In ihrer Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am selben Tag berichtete sie, dass ihre Mutter und ein Onkel noch in Côte d'Ivoire lebten. Zuletzt habe sie ohne Ausbildung als Friseurin gearbeitet. In ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 11.12.2019 gab die Antragstellerin zu 1) an, sie leide an Hepatitis B und habe in Italien keinen Arzt aufsuchen können. Die Freundin ihrer Mutter habe sie an eine arabische Familie verkauft habe, für welche sie in Algerien habe arbeiten müssen. Bei einer Rückkehr fürchte sie, für ihre Flucht vor der arabischen Familie bestraft zu werden.
In ihrer persönlichen Anhörung am 11.04.2024 führte die Antragstellerin zu 1) aus, vor der Ausreise aus Côte d'Ivoire habe sie in Abidjan mit ihren Eltern und ihren beiden älteren Brüdern in einem Mietshaus gelebt. Einen Onkel habe sie nicht, sondern nur eine Tante, die in Italien lebe. Ihre Mutter arbeite als Marktverkäuferin. Ihr Vater sei im Jahr 2010 verstorben. Zuvor habe er wie auch ihre Brüder beim Wahlkampf des Präsidenten geholfen, weshalb ihre Familie nicht gut angesehen und auch mit den Nachbarn verfeindet gewesen sei. Ihr persönlich sei deswegen aber nichts passiert, zumal sie damals erst 13 Jahre alt gewesen sei. Ihre Mutter habe den Tod ihres Vaters nicht verkraftet und habe einen Schlaganfall erlitten, durch den sie teilweise gelähmt worden sei. Am 12.03.2011 habe es einen Angriff auf ihren Stadtteil gegeben. Daraufhin habe ihre Mutter sie gedrängt, das Land zu verlassen, was sie am 13.03.2011 gemeinsam mit ihren Brüdern getan habe, wegen der Krise und auch, weil diese in Côte d'Ivoire keine Arbeit gefunden hätten. In Mali habe sie sich drei Jahre lang, in Algerien zwei Jahre lang und in Libyen fünf oder sechs Monate lang aufgehalten, in Italien sodann für drei Jahre. In Algerien habe man sie und ihre Brüder in ein Haus gebracht und sie hätten ihre Eltern anrufen müssten, damit diese Geld für ihre Unterbringung zahlen sollten. Ein Mann habe sie abgeholt und mit zu sich nach Hause genommen, damit sie dort Haushaltstätigkeiten für ihn erledigte. Er habe sie vergewaltigt und ihr nicht erlaubt, das Haus zu verlassen. Beim Rausbringen des Mülls sei es ihr schließlich gelungen zu fliehen. Im Falle einer Rückkehr nach Côte d'Ivoire fürchte sie, den jungen Männern, mit denen sie im Jahr 2011 Schwierigkeiten gehabt hätten, in ihrem Stadtviertel wieder zu begegnen. Sie könne sich jedoch in einem anderen Stadtviertel niederlassen. Dass man sie bestrafen werde, weil sie in Algerien aus dem Haus des Mannes geflohen sei, befürchte sie hingegen nicht. Auch Beschneidung drohe ihren Kindern von Seiten ihrer Familie oder der ihres Lebensgefährten nicht.
Der Antragsteller zu 2) stellte am 29.01.2020 einen Asylantrag bei der Antragsgegnerin, der Antragsteller zu 3) am 20.01.2023 und die Antragstellerin zu 4) am 28.03.2024.
Den Asylantrag des ivorischen Lebensgefährten der Antragstellerin zu 1) und Vaters der Antragsteller zu 2) bis 4) lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25.04.2022 bestandskräftig als offensichtlich unbegründet ab.
Mit Bescheid vom 26.04.2024 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) als offensichtlich unbegründet ab, stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten fest (Ziffer 4), drohte die Abschiebung nach Côte d'Ivoire an (Ziffer 5) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate (Ziffer 6). Sie begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass sich die von der Antragstellerin zu 1) geschilderten Vorfälle in Abidjan in den Jahren 2010 und 2011 nicht gegen sie persönlich gerichtet hätten. Es sei davon auszugehen, dass ihr Lebensgefährte gemeinsam mit ihr nach Côte d'Ivoire zurückkehren werde, und es sei ihnen zumutbar, in ihrem Heimatland für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder aufzukommen. Zwar bestehe vor allem im Norden und Westen des Landes große Nahrungsmittelunsicherheit. Sozialhilfe oder sonstige staatliche Hilfen gebe es nicht und Bedürftige seien damit auf die Unterstützung von NGOs, Kirchen und Privatpersonen angewiesen. Allerdings seien in den Jahren 2011 bis 2021 etwa 290.000 ivorische Staatsangehörige freiwillig nach Côte d'Ivoire zurückgekehrt. Die Antragstellerin zu 1) könne zudem finanzielle Rückkehr- und Starthilfen in Anspruch nehmen. Der Asylantrag der Antragstellerin zu 1) sei als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil sie keine relevanten Handlungen angegeben, sondern vielmehr vorgetragen habe, persönlich keine konkreten Schwierigkeiten gehabt zu haben.
Mit drei weiteren Bescheiden vom 26.04.2024 lehnte die Antragsgegnerin auch die Asylanträge der Antragsteller zu 2) bis 4) jeweils als offensichtlich unbegründet ab. Für den Antragsteller zu 2) wurde der Bescheid seinem damaligen Prozessbevollmächtigten erst am 31.05.2024 zugestellt.
Die Antragstellerin zu 1) (10 A 1952/24 bzw. 10 B 1953/24), der Antragsteller zu 3) (10 A 1948/24 bzw. 10 B 1951/24) und die Antragstellerin zu 4) (10 A 1944/24 bzw. 10 B 1947/24) haben jeweils am 08.05.2024 Klage auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten erhoben und Anträge im vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Der Antragsteller zu 2) hat am 06.06.2024 Klage erhoben und einen Antrag im vorläufigen Rechtsschutz gestellt (10 A 2332/24 bzw. 10 B 2333/24).
Die Antragsteller halten die angefochtenen Bescheide teilweise für rechtswidrig und argumentieren, dass ihre Asylanträge jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet seien. Côte d'Ivoire befinde sich in Aufbruchs- und Umbruchsstimmung, es komme zu Gewaltexzessen und Oppositionsmitglieder würden verfolgt. Die Antragsgegnerin habe bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, dass der Vater der Antragstellerin zu 1) politisch aktiv gewesen sei und dass es Angriffe in dem Stadtteil gegeben habe, in welchem die Antragstellerin zu 1) bis zu ihrer Ausreise gelebt habe. Die finanziellen Rückkehrhilfen, welche die Antragsgegnerin angeführt habe, griffen derzeit nicht. Die wirtschaftliche Situation in Côte d'Ivoire sei schlechter als von der Antragsgegnerin dargestellt, Hunger und Armut bekämpfe der Staat nur unzureichend. Der Arbeitsmarkt in Côte d'Ivoire sei im Jahr 2021 zusammengebrochen. Es sei nicht davon auszugehen, dass es der Antragstellerin zu 1) gelingen werde, unter diesen Bedingungen den Lebensunterhalt für sich und ihre drei kleinen Kinder zu erwirtschaften. Aus ihrem sozialen Netz könne sie keine Unterstützung erwarten. Zudem drohten sich die Corona-Krise und die Ukraine-Krise noch immer auszuwirken.
Zudem drohe den Antragstellern zu 2) bis 4) eine Verletzung ihrer Kinderrechte. Es bestehe die reale Gefahr, dass ihre Mutter zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie arbeiten müsste und sie damit ohne Betreuung wären. Trotz der Bemühungen des Staates, die Situation der Kinder in Côte d'Ivoire zu verbessern, liege die Armutsquote bei 59 % und eine von fünf Familien habe keinen Zugang zu Trinkwasser. Zudem drohe den Kindern auf der Straße Gewalt, weil die Familie mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Obdach finden werde.
Die Einzelrichterin hat die Verfahren der Mutter und ihrer drei Kinder mit Beschluss vom 07.06.2024 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen und ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, einschließlich der elektronischen Asylakte des Lebensgefährten der Antragstellerin zu 1), Bezug genommen.
II.
Die Entscheidung ergeht durch die Einzelrichterin (§ 76 Abs. 4 AsylG).
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen,
ist zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt, und begründet.
In dem hier gegebenen Fall der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet darf die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG in Übereinstimmung mit Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 GG nur dann angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestehen dann, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Dabei hat das Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes insbesondere die Offensichtlichkeit der Ablehnung des Asylantrags zu prüfen (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris Rn. 99, 94). Erst der Offensichtlichkeitsausspruch führt nach § 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 75 Satz 1 AsylG zur sofortigen Vollziehbarkeit der Entscheidung sowie nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 AufenthG zur kurzen Klage- und Antragsfrist von nur einer Woche. Ist der Asylantrag nach Auffassung des Gerichts nicht offensichtlich unbegründet, hat es dem Eilantrag demnach stattzugeben, unabhängig davon, ob es den Antrag als einfach unbegründet qualifizieren würde (VG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2023 - 7 B 116/23 - n. v.; Pietzsch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 36 AsylG Rn. 39, Stand: 01.04.2024).
Ein unbegründeter Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in der Form der Neufassung vom 27.02.2024 als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Mit Art. 2 des Rückführungsverbesserungsgesetzes vom 21.02.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 54) wurden die vorher geltende Generalklausel in § 30 Abs. 1 AsylG a. F. wie auch die Fallgruppen der rein wirtschaftlichen Gründe und einer allgemeinen Notsituation als Aufenthaltsmotive in § 30 Abs. 2 AsylG a. F. aufgehoben. Die neue Fassung der Vorschrift dient der Umsetzung der Regelung in Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Art. 31 Abs. 8 der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013) für beschleunigte Asylverfahren und Grenzverfahren (BR-Drs. 563/23, S. 20, 60; BT-Drs. 20/9463, S. 23) und ähnelt im Wortlaut auch dem im April 2024 vom Europäischen Parlament beschlossenen, aber noch nicht in Kraft getretenen Art. 39 Abs. 4 i. V. m. Art. 42 Abs. 1 Asylverfahrensverordnung (abrufbar auf https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2024-0177_DE.html#title2) für beschleunigte Prüfungsverfahren.
Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Neuregelung in § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die bisher von § 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG a. F. geregelten Fälle ebenfalls umfasst, dass die Neufassung den Regelungsbereich des § 30 AsylG also (von der Aufhebung des bisherigen § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG a. F. abgesehen) lediglich ausweitet (BR-Drs. 563/23, S. 62; BT-Drs. 20/9463, S. 33, 56 f.). Diese Annahme ist angesichts des veränderten und nunmehr konkreter gefassten Wortlauts des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht berechtigt. Schon vor der Neufassung gingen mehrere Verwaltungsgerichte davon aus, dass § 30 Abs. 1 AsylG a. F. einschränkend dahingehend auszulegen sei, dass er nur für die von Art. 31 Abs. 8 Buchst. a der Asylverfahrensrichtlinie erfassten Fälle gelte (VG Minden, Beschluss vom 04.07.2016 - 10 L 898/16.A -, juris Rn. 30; VG Berlin, Beschluss vom 30.11.2018 - 31 L 682.18 A -, juris Rn. 15), dass Art. 31 Abs. 8 der Asylverfahrensrichtlinie also nicht inhaltsgleich mit § 30 Abs. 1 AsylG a. F. war (VG Dresden, Beschluss vom 28.02.2024 - 2 L 49/24.A -, juris Rn. 14).
Nach Art. 30 Abs. 1 AsylG a. F. war ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorlagen. Er war nach § 30 Abs. 2 AsylG a. F. insbesondere dann offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich war, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhielt. Nach § 30 Abs. 2 AsylG a. F. war also ein nicht asylrelevanter, insbesondere auf wirtschaftliche Gründe beschränkter Vortrag des Asylbewerbers notwendig für eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet. § 30 Abs. 1 AsylG a. F. war dagegen auf die "Anerkennung" bzw. die "Zuerkennung" und damit auf das Ergebnis der Einzelfallprüfung bezogen formuliert. Über die Fälle von sonstigem (nicht unter § 30 Abs. 2 AsylG a. F. fallenden) nicht asylrelevanten Vortrag hinaus ermöglichte die Generalklausel eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet mithin vor allem in solchen Konstellationen, in denen das Bundesamt seine Entscheidung erst treffen konnte auf Grundlage einer Prüfung des Vorbringens des Antragstellers auf Glaubhaftigkeit und der Würdigung seines Vortrags durch Abgleich mit den verfügbaren Informationen über die aktuelle Situation im Herkunftsland.
Der neue § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist hingegen nicht ergebnisbezogen formuliert, sondern stellt ab auf die Relevanz des Vorbringens des Asylbewerbers für die "Prüfung" des Asylantrags. Die neue Regelung ist mithin ausschließlich verfahrensbezogen und der eigentlichen Prüfung vorgelagert. Die Bedeutung der vom Asylantragsteller vorgetragenen Umstände kann - und muss - bereits beurteilt werden ohne vorherige Prüfung der Glaubhaftigkeit wie auch der Übereinstimmung des Vorbringens mit aktuellen Erkenntnismitteln zu Gefahren im Herkunftsland. Die Entscheidung nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG setzt damit keine vollständige Erforschung des Sachverhalts mehr voraus (so noch BVerfG, Beschluss vom 20.09.2001 - 2 BvR 1392/00 -, juris Rn. 22). Die Voraussetzung der Ablehnung als offensichtlich unbegründet ist nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG n. F. nicht ein Offensichtlichkeitsurteil in Form gesteigerter Überzeugungsgewissheit wie noch in § 30 Abs. 1 AsylG a. F., sondern in Form der Entbehrlichkeit einer Prüfung des Vorbringens mangels - auch nur potenzieller - Asylrelevanz. In die Prüfung des Vorbringens einzusteigen ist etwa entbehrlich, wenn der Asylantragsteller angibt, er habe sein Herkunftsland aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen (wie zuvor in § 30 Abs. 2 AsylG a. F. geregelt), für bessere Bildungschancen, um in Deutschland wieder mit Familienmitgliedern vereint zu sein, oder aufgrund von Schwierigkeiten, welche nicht die Schwelle von Verfolgungshandlungen bzw. die eines ernsthaften Schadens oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschreiten.
Trägt der Asylantragsteller hingegen asylrelevante Gefahren vor und erachtet das Bundesamt diesen Vortrag als unglaubhaft, so ist eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nicht gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, sondern nur gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zulässig, der wie zuvor § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG a. F. widersprüchliche Angaben sanktioniert. Auch § 30 Abs. 1 Nr. 2 Var. 3 AsylG, der eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet zulässt, wenn der Ausländer "offensichtlich unwahrscheinliche Angaben" gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, verlangt die fehlende Glaubhaftigkeit des Vorbringens, unabhängig von dessen potenzieller Asylrelevanz. Das ergibt sich zum einen aus dem systematischen Zusammenhang mit den anderen Tatbestandsvarianten (unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche Angaben). Zum anderen folgt dies aus dem Wortlaut, weil demnach die Angaben selbst - das heißt die geschilderte Verfolgungsgeschichte - und nicht eine auf Grundlage dieser Angaben und der Herkunftslandinformationen zu treffende positive Gefahrenprognose "offensichtlich unwahrscheinlich" sein müssen. Solche offensichtlich unwahrscheinlichen, im Widerspruch zu den Herkunftslandinformationen stehende Angaben liegen etwa vor, wenn der Antragsteller als Ausreisemotivation Vorfälle beschreibt, welche sich ausweislich der Erkenntnismittel so nicht zugetragen haben können (z. B. politische Unruhen oder Anschläge mit großer Öffentlichkeitswirkung), oder die Verfolgung durch Akteure behauptet, welche im Herkunftsland bekanntermaßen zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht aktiv waren.
Eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet allein aufgrund einer gesteigerten Überzeugungsgewissheit der entscheidenden Stelle über die Erfolgsaussichten des Asylbegehrens ist nach der neuen Regelung somit nicht mehr möglich, sondern die Angaben des Antragstellers müssen nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AsylG entweder offensichtlich "banal" oder nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 AsylG offensichtlich unglaubhaft sein. Dies trifft auf die Angaben der Antragstellerin zu 1) nicht zu.
Diese schilderte als Ausreisemotive primär einen Angriff auf ihren Stadtteil am 12.03.2011 im Rahmen der Wahlkrise in Côte d'Ivoire in den Jahren 2010 und 2011, ergänzend fehlende Erwerbsmöglichkeiten ihrer Brüder und Anfeindungen aus der Nachbarschaft wegen der politischen Aktivitäten ihres Vaters und ihrer Brüder, die den Wahlkampf des Präsidenten unterstützt hätten. Ihren Vortrag aus der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags im Jahr 2019, sie befürchte eine Bestrafung, weil sie sich der Zwangsarbeit bei der arabischen Familie in Algerien entzogen habe, hielt sie bei ihrer persönlichen Anhörung im Jahr 2024 nicht mehr aufrecht und erklärte, damit habe sie begründen wollen, warum sie nicht nach Algerien zurückgeschickt werden wolle. Diese Angaben sind weder offensichtlich belanglos noch eindeutig unglaubhaft.
Entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin in dem an die Antragstellerin zu 1) gerichteten Bescheid hat diese jedenfalls mit dem Angriff auf ihr Stadtviertel asylrelevante Handlungen angeführt, welche geeignet waren, die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 4 AsylG zu begründen, und war aufgrund ihrer familiären Nähe zu ihren politisch aktiven Brüdern und ihrem Vater jedenfalls noch zum Zeitpunkt ihrer Ausreise auch einem erhöhten Risiko von Verfolgung nach § 3 AsylG ausgesetzt.
Nach den Wahlen in Côte d'Ivoire im Jahr 2010 erklärten sich sowohl Allasanne Ouattara als auch Laurent Gbagbo selbst zum Wahlsieger und begannen beide, getrennte Verwaltungen in Abidjan zu bilden. Im Dezember 2010 rief Guillaume Soro, Ouattaras Premierminister und langjähriger Führer der Forces Nouvelles, einer politischen Koalition mehrerer Rebellenbewegungen, seine Anhänger dazu auf, das Gebäude des staatlichen Fernsehsenders RTI zu besetzen. Als Sicherheitskräfte die Demonstranten auseinandertrieben, wurden mindestens 20 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Am selben Tag kam es zu Kämpfen zwischen Soldaten der Forces Nouvelles und den Sicherheitskräften von Gbagbo in der Nähe des Golfhotels sowie im Westen und im Zentrum des Landes. Die Sicherheitslage verschlechterte sich schnell, als jede Seite ihre jeweiligen Anhänger mobilisierte und die Pro-Gbagbo-Kräfte zunehmend schwere Waffen gegen Zivilisten in verschiedenen Vierteln der Hauptstadt und anderen Teilen des Landes einsetzten und systematisch gegen tatsächliche oder vermeintliche Ouattara-Anhänger vorgingen. Anfang März 2011 starteten Ouattara-treue Kräfte eine Militäroffensive, um Gbagbo zu entmachten. Nachdem die Krise zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert war, kam es zu Kriegsverbrechen und wahrscheinlich zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf beiden Seiten (Austrian Red Cross/ACCORD, Côte d'Ivoire, COI Compilation, Dezember 2020, S. 15-16).
Aufgrund dieser Erkenntnismittel erscheint es nicht offensichtlich unwahrscheinlich, dass auch das Stadtviertel Abidjans, in welchem die Antragstellerin zu 1) bis zu ihrer Ausreise lebte, im März 2011 angegriffen wurde und ihre Familie aufgrund der politischen Unterstützung ihres Vaters und ihrer Brüder für Ouattara Anfeindungen von Seiten der Anhänger Gbagbos ausgesetzt war. Die Widersprüche in den Angaben der Antragstellerin zu 1) betreffend den Zeitpunkt ihrer Ausreise (Ende 2015 in ihrem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats im Jahr 2019 bzw. März 2011 in ihrer persönlichen Anhörung im Jahr 2024) begründen zwar gewisse Zweifel am Wahrheitsgehalt ihres Vortrages, die jedoch auch dem jungen Alter der Antragstellerin zu 1) bei ihrer Ausreise (zwischen 10 und 14 Jahren) geschuldet sein können und ohne gerichtliche Anhörung nicht abschließend beurteilt werden können. Diese teils widersprüchlichen Angaben führen jedenfalls nicht dazu, dass gem. § 31 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Begründung für den Asylantrag der Antragsteller offensichtlich nicht überzeugend ist. Die erforderliche Sachaufklärung ist im Hauptsacheverfahren vorzunehmen.
Die Entscheidung des Bundesamts lässt sich auch nicht auf eine der sonstigen Tatbestandsalternativen des § 30 Abs. 1 AsylG oder auf § 29a AsylG stützen.
Im Übrigen ging das Bundesverfassungsgericht schon unter Geltung der bisherigen Rechtslage davon aus, dass ein Asylantrag nur dann offensichtlich unbegründet i. S. d. § 30 Abs. 1 AsylG a. F. ist, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfG, Beschluss vom 12.02.2008 - 2 BvR 1262/07 -, juris Rn. 11 m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall. Zwar gehört die Wahlkrise des Jahres 2011 in Côte d'Ivoire der Vergangenheit an. Allerdings kam es im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im Jahr 2020 erneut zu gewaltsamen Unruhen, bei denen mindestens 83 Menschen starben und 633 verletzt wurden. Anlass für die Ausschreitungen im Jahr 2020 war, dass der bisherige Präsident Allasanne Ouattara für eine dritte Amtszeit kandidierte, was die Opposition als verfassungswidrig ansah. Die schwersten gewalttätigen Vorfälle wurden jedoch durch zufällige Gewalt ohne strategische Absicht ausgelöst, die nur am Rande mit der Kandidatur von Präsident Ouattara für eine dritte Amtszeit zusammenhing und Ausdruck bereits bestehender Konflikte war. Hintergrund waren Rachegedanken der sich benachteiligt fühlenden indigenen Gemeinschaften und ungelöste Konflikte im Zusammenhang mit Verbrechen während des Bürgerkriegs zwischen 2002 und 2011. Hinzu kamen bestehende lokale Konflikte um Land, Ressourcen und wirtschaftliche Möglichkeiten (Sebastian van Baalen, Abel Gbala, Patterns of Electoral Violence During Côte D'Ivoire's Third-Term Crisis, 12.07.2023 in: African Affairs, Volume 122, Issue 488, July 2023, Pages 447-460). Es ist damit nicht auszuschließen, dass die politischen Konflikte, an denen die Familie der Antragstellerin zu 1) beteiligt war, im Vorfeld der anstehenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2025 wieder an Relevanz gewinnen und Gefahren für die Antragsteller begründen können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Regierungspartei von Côte d'Ivoire bereits erklärte, den amtierenden Präsidenten Ouattara als "natürlichen Kandidaten" für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen anzusehen. Indes nominierte die Partei "Parti des Peuples Africains-Côte d'Ivoire" (PPA-CI) erneut Laurent Gbagbo, obwohl dieser aufgrund einer Verurteilung im Jahr 2018 wegen Taten im Zusammenhang mit der Postwahlkrise 2010 bis 2011 derzeit nicht wählbar ist (Le Monde, 27.05.2024, https://www.lemonde.fr/afrique/article/2024/05/27/cote-d-ivoire-alassane-ouattara-candidat-naturel-a-la-presidentielle-de-2025-selon-son-parti_6235886_3212.html, aufgerufen am 13.06.2024).
Es sprechen demnach erhebliche Gründe dafür, dass die Ablehnung der Asylanträge der Antragsteller als offensichtlich unbegründet durch die Antragsgegnerin einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen war.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO und des § 83b AsylG.