Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.10.2012, Az.: 1 Qs 160/12

Entnahme von Körperzellen eines zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Straftäters zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters; Zulässigkeit einer Auftypisierung

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
08.10.2012
Aktenzeichen
1 Qs 160/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 37002
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2012:1008.1QS160.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 29.05.2012 - AZ: 7 Gs 1135/12

In der Beschwerdesache
gegen pp.
Verteidigerin:
Rechtsanwältin A. H., O. Straße 1-3, 2.... H., Geschäftszeichen: 22/12AF-i01
wegen DNA-Identitätsfeststellung
hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts in Braunschweig am 08.10.2012 durch die unterzeichnenden Richter
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betroffene vom 03.06.2012 gegen de Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 29.05.2012 (Az. 7 Gs 1135/12) wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe

1

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vorn 05.07,2000 (Az.: 31 Ks 800 Js 33011/98) wegen Anstiftung zum gemeinschaftlichen Mord sowie wegen gemeinschaftlicher Nötigung und wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Nötigung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Zudem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

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Mit dem hier angegriffenen Beschluss ordnete das Amtsgericht Braunschweig am Betroffenen an, dass diesem Körperzellen entnommen und zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht und mit den bei Tatverdächtigen festgestellten DNA-Identifizierungsmustern abgeglichen werden dürfen. Für den Fall, dass der Verurteilte in die Entnahme von Körperzellen (Speichel- oder Blutprobe) nicht einwilligt, wurde gleichzeitig die zwangsweise Entnahme der Körperzellen (Speichelprobe oder Blutprobe) angeordnet, die durch einen Arzt vorzunehmen ist.

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Hiergegen richtet sich die beim Amtsgericht Braunschweig am 05.06.2012 eingegangene Beschwerde, die mit Schriftsätzen der Verteidigerin vom 02.08.2012 und 23.08.2012 begründet wurde.

4

II.

Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht Braunschweig hat zu Recht die Entnahme von Körperzellen des Betroffenen und deren Verwendung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters angeordnet.

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Die Voraussetzungen für die angeordneten Maßnahmen liegen vor. Nach § 81 g StPO kommt die Entnahme von Körperzellen und deren Untersuchung im angeordneten Umfang bereits dann in Betracht, wenn auch nur der Verdacht einer erheblichen Straftat, insbesondere eines Verbrechens, vorliegt und Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Beschuldigten zukünftig erneut Strafverfahren wegen einer erheblichen Straftat zu führen sind.

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Dass es sich bei den der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 05.07.2000 zugrunde liegenden Delikten um erhebliche Straftaten handelt, bedarf bereits im Hinblick auf die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe keiner weiteren Erörterung. Darüber hinaus wurde bei der Verurteilung die besondere Schwere der Schuld i. S. cl. § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht.

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Weiter setzt die Entnahme von Körperzellen zur DNA-Identitätsfeststellung voraus, dass dem Beschwerdeführer bei Vorliegen einer Anlasstat eine Negativprognose gestellt werden kann: Dazu müssen zureichende gerichtsverwertbare Tatsachen vorliegen, die im Wege einer einzelfallbezogenen Prognoseentscheidung die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder mehrerer sonstiger Straftaten L S. d. § 81 g Abs. 1 S. 2 StPO belegen (vgl. Senge, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage, § 81 g Rn. 9). Wegen des Eingriffs der Maßnahme in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist für die Anordnung der Maßnahme erforderlich, dass wegen der Art und Ausführung der bereits abgeurteilten Taten, der Persönlichkeit des Verurteilten oder wegen sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Betroffenen künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind (vgl, BVerfG, Beschluss vorn 22.05.2009, Az.: 2 BvR 287/09, 2 BvR 400/09).

8

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Wegen der Umstände der Taten, die der lebenslangen Freiheitsstrafe zugrunde liegen, wird auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 05.07.2000 Bezug genommen. Der Beschwerdeführer hat seit 1987 im schwerkriminellen Hamburger Zuhältermilieu Karriere gemacht und ab dem Jahr 1995 selbst eine gewerbliche Zimmervermietung an Prostituierte in der Hamburger Herbertstraße betrieben. Hierzu hat er spätestens Anfang 1996 gemeinsam mit dem Angeklagten ppp eine eigene Zuhältergruppierung gegründet und die dem Urteil zugrunde liegenden Taten begangen.

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Diesbezüglich hat das Landgericht Braunschweig hinsichtlich der Anstiftung zum Mord festgestellt, dass der Beschwerdeführer drei Mordmerkmale (Heimtücke, Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels und niedere Beweggründe) verwirklicht hat, wozu noch das Vorgehen nach einem vorgefassten Plan getreten sei, Die Tat sei von langer Hand geplant und dann mit einiger krimineller Energie zielstrebig und bedingungslos ohne Rücksichtnahme umgesetzt worden. Man habe einen relativ nichtigen Anlass, nämlich die ablehnende Haltung der Braunschweiger Zuhälter betreffend das von "ihren Frauen" praktizierte Koberverhalten, zum Anlass genommen, innerhalb kürzester Zeit eine - wenn auch nicht ausschließlich von ihnen - in Gang gesetzte Gewaltspirale zu beschleunigen und kurz entschlossen bis zur Tötung eines Menschen zu steigern. Aufgrund dieser Umstände hat das Landgericht auch die besondere Schwere der Schuld i. S. d. §§ 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 57 b StGB festgestellt. Zugunsten des Beschwerdeführers sprechende Umstände, die seine Schuld als beachtlich minder erscheinen lassen, hätten nicht festgestellt werden können. Auch wenn er nicht einmal vorbestraft sei, stelle sich die Ermordung von xxx. vor dem Hintergrund der Darlegungen und der Tat zum Nachteil von yyyy., die ebenfalls seine kompromisslose Entschlossenheit bei der Durchsetzung von Zielen im Milieu belege, nicht als Tat mit Ausnahmecharakter bezogen auf seine Persönlichkeit dar.

10

Darüber hinaus hat das Landgericht Braunschweig den Beschwerdeführer auch wegen gemeinschaftlicher Nötigung sowie wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Nötigung verurteilt. Die in das Urteil eingeflossenen Einzelstrafen für diese beiden weiteren Taten belaufen sich auf 4 Jahre und 6 Monate. insbesondere beim Nötigungsdelikt handelt es sich um eine schwere Straftat, die nach den Tatumständen von einer besonderen Kaltblütigkeit und Rücksichtslosigkeit geprägt ist.

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Zur Person des Beschwerdeführers enthält das Urteil des Landgerichts Braunschweig die folgenden Feststellungen:

"Der jetzt 31jährige xxxxxxxxxxxxxxxxxxx gewesen war.

Er wuchs zusammen mit seinen drei Brüdern und zwei Schwestern im Haushalt seiner aus xxxxxxxxxxxxx stammenden Eltern auf. Sein Vater, der seinerzeit auf einem Schiff gearbeitet hatte, war Maschinenbauer, seine Mutter übte den Beruf der Schneiderin aus, 1973 trennte sich die Familie. Während die Mutter zunächst mit vier Kindern in Goa blieb, reiste der Angeklagte xxxxx zusammen mit seinem Vater und seinem älteren Bruder nach Deutschland, wo sie fortan in Hamburg lebten, weil der Vater dort eine Anstellung bei der WerftBloom & Voss fand. 1983 ließen sich die Eltern scheiden. Die Mutter, die in die Bundesrepublik nachgereist war, nahm daraufhin den Angeklagten xxxxx und dessen älteren Bruder wieder bei sich im Haushalt auf.

Der Angeklagte, der bis zu seiner Einreise in die Bundesrepublik nur die Sprache seines Herkunftslandes beherrschte, konnte gleichwohl altersgerecht eingeschult werden. Von 1976 bis 1981 besuchte er die Grundschule in vvvvvvvv, wo er jedoch die zweite Klasse auch wegen noch bestehender Sprachschwierigkeiten wiederholte. Anschließend wechselte er 1981 an die Hauptschule an der xxxxxxxxxx in Hamburg und danach umzugsbedingt an die katholische Hauptschule am in Hamburg, die er nach der achten Klasse ohne Schulabschluss verließ.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte das Ziel, das Training des von ihm seit 1979 erfolgreich ausgeübten Kampfsports des Kick- und Thaiboxens auszubauen und die Deutsche Meisterschaft zu gewinnen. Nachdem er dieses Ziel 1986 nur knapp verfehlte und Deutscher Vizemeister wurde, kam er zu der Einschätzung, dass diese Sportart ungeeignet sei, um "etwas Dauerhaftes zu schaffen". Die räumliche Nähe seines Wohnsitzes zu St. Pauli führte auch zu Kontakten ins Milieu. Über diese gelang es ihm als 18jähriger, ab 1987 dort als Wirtschafter zu arbeiten. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Kontrollen im Türbereich der Etablissements durchzuführen und die der Prostitution nachgehenden Frauen vor etwaigen Übergriffen einzelner Freier zu schützen. Zusätzlich verschaffte er sich durch das Ableisten von Trainerstunden im Bereich Kick- und Thaiboxen eine zusätzliche Einnahmequelle.

Der Angeklagte xxxxxxxxxx ist ledig und hat keine Kinder. Er hat keine Schulden. Seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit hatte er 1994 gegen die Erlangung der xxxxxxxx aufgegeben. 1996 ist er in Deutschland eingebürgert worden und besitzt seitdem die deutsche Staatsangehörigkeit. Zuletzt erzielte er monatlich 10 000 DM brutto Gewinn aus der gewerblichen Zimmervermietung. Der ihn betreffende Bundeszentralregisterauszug weist keine Eintragungen auf"

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Die vorgenannten Ausführungen zeigen, dass der Beschwerdeführer über Jahre in die Hamburger Rotlichtszene hineingewachsen ist und er zielgerichtet seine Position im Zuhältermilieu verbessert bzw. gefestigt hat, was mit der Begehung der schweren Straftaten einhergegangen ist, so dass greifbare Anhaltspunkte dafür fehlen, dass es sich bei den Anlasstaten um eine auf ganz besondere Lebensumstände zurückzuführende einmalige Entgleisung gehandelt hat,

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Zu keinem anderen Ergebnis vermag die Tatsache zu führen, dass sich Herr xxxxxxxxxxxxx, wie sich aus den von der Kammer beigezogenen Vollstreckungsheften ergibt - im Strafvollzug beanstandungsfrei verhalten und sehr schnell entschieden hat, die dortigen Möglichkeiten zu nutzen und alles für seine Resozialisierung zu tun sowie dass er sich ausweislich der Beschwerdebegründung seit 2011 im offenen Vollzug befindet. Ausweislich der Gründe des Beschlusses des Landgerichts Hamburg vorn 13,12.2010 (Az.: 605 StVK 258/10), durch welchen die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 05.07.2000 nach einer Verbüßung von 15 Jahren abgelehnt und festgestellt worden war, dass die besondere Schwere der Schuld eine Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe von mindestens 17 Jahren und 6 Monaten gebietet, musste eine am 08.12.2008 begonnene Sozialtherapie von Herrn xxxxxxxxxx bereits am 27,04.2009 wieder abgebrochen werden, weil er durch die von ihm formulierte völlige Distanzierung von seinem früheren Leben eigentlich keinen Behandlungsbedarf im engeren Sinne gesehen habe und eine wirkliche Therapiemotivation nicht zu erkennen gewesen sei. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den tatübergreifenden Risikofaktoren sowie den an die Tat anknüpfenden Einstellungs- und Verhaltensmustern sowie seiner Persönlichkeitsentwicklung habe deshalb nicht erfolgen können.

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Soweit das Landgericht Hamburg im vorgenannten Beschluss dennoch von einer und positiven Entwicklung des Beschwerdeführers im Rahmen des Vollzugs ausgeht (vgl. S. 3 f. BA), steht dies der Anordnung nach § 81 g StPO nicht entgegen. Diesbezüglich besteht keine rechtliche Bindung an eine von einem anderen Gericht zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung getroffene Sozialprognose, zumal die Gründe der früheren Verurteilung einschließlich der Tatsachenfeststellungen nicht in Rechtskraft erwachsen. Das Gericht, das die Maßnahme nach § 81 g StPO anordnet, entscheidet zudem aufgrund eines anderen Maßstabs und spricht eine andersartige Rechtsfolge aus als das Gericht; das über die Strafaussetzung zu befinden hat (vgl. BVerfGE 103, 21, 35 ff..).

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Es bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer die schweren Straftaten, die dem Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 05.07.2000 zugrunde liegen, begangen hat, obwohl er in dieser Zeit bereits mit seiner - damals noch im Milieu verkehrenden - jetzigen Ehefrau liiert war. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer - ebenso wie die weiteren Angeklagter yyyyyyyyyyyyyyy nicht nur ein wirtschaftliches Motiv an der Tötung vorhatte, sondern mit der Tötung ein Zeichen ein Zeichen seiner "Macht" und Entschlossenheit gegenüber den anderen Braunschweiger Bordellbetreibern setzen und diese massiv einschüchtern wollte. Dabei war von ihm und den Angeklagten yyyyyyyyyyyy gewollt, dass die Tötung von yyyyyyyyyyy unter Ausnutzung der Verkehrsgegebenheiten auf einer Autobahn erfolgen sollte, was eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer bedeutete. Es besteht mithin unter Beachtung sämtlicher, vorstehend ausgeführter Umstände Grund zu der Annahme, dass gegen den Beschwerdeführer künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind.

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Die Anordnung ist auch nicht unverhältnismäßig. Zwar wurde bereits am 19.09.2003 das DNA-Muster des Betroffenen mit 8 Merkmalssystemen gespeichert. Jedoch müssen in Anlehnung an den neu festgelegten Standard ESS (European Standard Set of Loci) in Deutschland seit November 2011 DNA-Muster mit 13 Merkmalssystemen bestimmt und gespeichert werden. Mithin erfordert der Abgleich der Muster mit Spuren innerhalb und außerhalb Deutschlands die Auftypisierung der bisher gespeicherten Muster, zumal die nationalen zentralen DNA-Datenbanken der EU-Mitgliedstaaten und somit auch die Datenbank des Bundeskriminalamtes miteinander vernetzen sind und die gespeicherten Muster dem EU-Standard entsprechen müssen (vgl. Beschluss des Council of the European Union: Implementation of Councii Decisions 2008/615/JHA and 2008/616/JHA ("Prüm Decisions") - Implementation guide - DNA Data Exchange, 7609/1/11, Brüssel, 141.2011). Das im Jahr 2003 gespeicherte DNA-Muster des Betroffenen ist folglich nicht mehr für die bestimmungsgemäße Verwendung nach § 81 g Abs. 5 StPO ausreichend.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO"