Amtsgericht Vechta
Beschl. v. 03.09.2010, Az.: 12 F 667/09
Fortgeltung bereits vor Abtrennung gewährter Prozesskostenhilfe bei einem wieder aufgenommenen abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- AG Vechta
- Datum
- 03.09.2010
- Aktenzeichen
- 12 F 667/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 44958
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGVECHT:2010:0903.12F667.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 S. 2 VAÜG
- § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO
- § 63 FamGKG
- § 15 Abs. 2 RVG
Fundstellen
- FF 2011, 130-131
- FamRZ 2011, 238-240
In der Familiensache
...
hat das Amtsgericht Vechta - Familiengericht -
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Auf die Erinnerung der Landeskasse vom 19.07.2007 werden der Beschluss der Kostenbeamtin vom 07.07.2010 aufgehoben und die dem Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstattenden Gebühren auf null Euro festgesetzt.
- 2.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Ehe der beteiligten Ehegatten wurde durch Urteil des Familiengerichts Vechta vom 10. September 2003 rechtskräftig geschieden. In diesem Urteil wurde die Folgesache Versorgungsausgleich abgetrennt und das Versorgungsausgleichsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG ausgesetzt. Der Streitwert für das seinerzeitige Verfahren wurde auf insgesamt 7.700,00 Euro festgesetzt, wobei 500,00 Euro auf den Versorgungsausgleich entfielen. Der Antragsgegnerin war mit Beschluss vom 10.09.2003 Prozesskostenhilfe für das Scheidungsverfahren einschließlich aller anhängigen Folgesachen bewilligt worden. Mit Beschluss vom 10.10.2003 wurde zu Gunsten des beigeordneten Rechtsanwaltes eine Vergütung in Höhe von 1.031,24 Euro nach dem vollen Streitwert in Höhe von 7.700,00 Euro festgesetzt.
Unter dem 16.09.2009 nahm das Gericht das - zwischenzeitlich unter einem neuen Aktenzeichen eingetragene - Verfahren gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 2 VersAusglG wieder auf. Der Versorgungsausgleich wurde sodann mit Beschluss vom 03.02.2010 (berichtigt durch Beschluss vom 13.03.2010) geregelt. Der Verfahrenswert wurde dabei auf der Grundlage des § 50 Abs. 1 FamGKG auf 1.980,00 Euro festgesetzt.
Ein erneuter Verfahrenskostenhilfeantrag wurde durch den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht gestellt. Er beantragte indessen unter Bezugnahme auf die Verfahrenskostenhilfebewilligung im Scheidungsverfahren vom 10.09.2003 die Festsetzung einer Vergütung gegen die Staatskasse. Diese wurde durch Beschluss der Kostenbeamtin vom 07.07.2010 antragsgemäß auf 229,55 Euro festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Erinnerung der Landeskasse. Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht ist der Auffassung, dass dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin über den Beschluss vom 10.10.2003 hinaus keine weitere Vergütung zustehe. Die Abtrennung der Folgesache Versorgungsausgleich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG in Verbindung mit § 628 ZPO habe nicht zu einer echten Verfahrenstrennung geführt sondern nur dazu, dass im Verbundverfahren zeitlich versetzte Entscheidungen ergehen. Artikel 111 FGG-RG habe auf die vergütungsrechtliche Behandlung des Verfahrens keinen Einfluss. Deshalb sei hier die Vergütung gemäß § 60 Abs. 1 RVG weiter nach altem Recht zu beurteilen. Die Vergütung sei durch die Festsetzung von 10.09.2003 vollständig erfolgt.
Die Erinnerung hat Erfolg. Dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin steht eine Vergütung aus der Landeskasse nicht zu, dies allerdings nicht aus den von dem Bezirksrevisor für maßgeblich gehaltenen Gründen. Vielmehr gilt Folgendes:
Ob dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin ein Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse zusteht, hängt davon ab, ob sich die mit Beschluss vom 10.09.2003 bewilligte Prozesskostenhilfe auch auf das vorliegende Verfahren erstreckt. Diese Frage wiederum hängt davon ab, wie die Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens gemäß § 2 VAÜG und die spätere Wiederaufnahme nach § 50 VersAusglG rechtlich zu bewerten ist. In der bislang veröffentlichten Rechtsprechung werden dazu unterschiedliche Ansichten vertreten.
a) Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig (Beschluss vom 16.03.2010 - 4 WF 23/10, veröffentlich bei [...]) wirkt bei einem nach § 50 Abs. 1 Nr. 2 wieder aufgenommenen abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahren die bereits vor Abtrennung gewährte Prozesskostenhilfe weiter. Für das neue Verfahren könne deshalb nicht erneut Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden. Zum alten Recht sei allgemeine Auffassung gewesen, dass eine in entsprechender Anwendung von § 628 Abs. 1 ZPO erfolgte Abtrennung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG nicht mit einer echten Verfahrenstrennung mit der Folge verbunden war, dass die abgetrennte Folgesache Versorgungsausgleich als selbständige Familiensache fortgesetzt wurde. Der abgetrennte Versorgungsausgleich bleibe Folgesache und unterliege kostenmäßig weiterhin den Vorschriften des Verbundes. Daran ändere auch die Übergangsregelung in Artikel 111 Abs. 4 FGG-RG nichts. Zwar würden danach abgetrennte Folgesachen als selbständige Familiensachen fortgeführt. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/11903 Seite 62) sei Sinn dieser Regelung aber lediglich, klarzustellen, dass zwischen abgetrennten Folgesachen kein Restverbund bestehe, sondern sie jeweils getrennt zu behandeln seien. Eine Auswirkung auf die bereits bewilligte Prozesskostenhilfe sei damit nicht verbunden. Im Ergebnis gleicher Ansicht ist das brandenburgische Oberlandesgericht (Beschluss vom 12.05.2010 - 15 WS 125/10, veröffentlich bei [...]). Tragende Erwägung dieser Entscheidung ist, dass es dem Wesen des Versorgungsausgleichs als von der rechtskräftigen Ehescheidung abhängige Folge widerspreche, wenn er als unabhängige - vom Verbund losgelöste - Sache fortgeführt werde. Der gleichen Auffassung ist das OLG Rostock (Beschlüsse vom 14.07.2010 - 10 UF 72/10 und vom 19.0.2010, beide veröffentlicht bei [...]). Auch nach Auffassung des OLG spricht zu einen das Wesen des Versorgungsausgleichs, zum anderen aber auch die Gesetzesbegründung gegen die Annahme, dass der Versorgungsausgleich als vom Verbund losgelöste selbständige Familiensache fortgeführt werde. In diesem Sinne hat sich schließlich auch das Amtsgericht Erfurt (Beschluss vom 26.04.2010 - 36 F 1195/08 VA, veröffentlich bei [...]) geäußert. § 63 FamGKG gehe in kostenrechtlicher Hinsicht dem § 111 FGG-RG vor. Das Gesetz spreche davon, dass die Sache "fortgeführt" werde.
b) Demgegenüber vertritt das Thüringer Überlandesgericht (Beschlüsse vom 14.06.2010 -1 WF 204/10 und 29.07.2010-1 UF 179/10) die Auffassung, dass die Regelung des Art. 111 FGG-RG die Vorschrift des § 63 FamGKG verdränge und dazu führe, dass die abgetrennte Sache auch kostenmäßig nach neuem Recht zu behandeln sei. Mit den unter a) genannten Entscheidungen setzen sich die vorgenanten Entscheidungen freilich nicht auseinander. Zu demselben Ergebnis kommt das Oberlandesgericht des Landes Sachen-Anhalt (Beschluss vom 04.03.2010 - 8 WF 8 WF 33/10), veröffentlicht bei [...]. Die Regelung ist in Artikel 111 Abs. 4 FGG - RG sei vergleichbar mit den seinerzeitigen Regelung in §§ 623 Abs. 2 Satz 2 ZPO beziehungsweise 623 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Danach konnten als Folgesache anhängig gemachte Sorgerechtssachen (und in diesem Fall auch Unterhaltssachen) abgetrennt und als selbständige Familiensachen fortgeführt werden. Im Gegensatz zur Abtrennung nach § 628 ZPO wurde durch eine solche Abtrennung der Verbund aufgelöst und das neue Verfahren auch kostenmäßig als solches behandelt. Nach Auffassung des OLG folgt daraus im Ergebnis, dass die im Scheidungsverfahren bewilligte Prozesskostenhilfe nicht fortwirkt, sondern für das abgetrennte Verfahren neu bewilligt werden muss.
c) Im Ergebnis ist der Auffassung des Thüringer des Oberlandesgerichts sowie des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalts zu folgen. Die zu a) genannten Entscheidungen überzeugen nicht.
Die Beurteilung der Rechtsfolgen des Artikel 111 Abs. 4 FGG-RG hat sich zu allererst am Gesetzeswortlaut zu orientieren. Ein eindeutiger Gesetzeswortlaut lässt sich weder durch eine historische Auslegung anhand der Gesetzesmaterialien noch durch eine theologische Auslegung anhand des Sinns und Zwecks der Norm korrigieren. Nach dem Gesetzestext werden abgetrennte Versorgungsausgleichssachen eindeutig als "selbständige" Familiensachen fortgeführt. Was das zu bedeuten hat ergibt sich eindeutig aus einem Vergleich mit der insoweit vollkommen identischen Formulierung in § 623 Abs. 2 Satz 2 ZPO a. F. Auch nach dieser Vorschrift wurden die Folgesachen im Fall der Abtrennung als selbständige Familiensachen fortgeführt. Zu dieser Bestimmung war unstreitig, dass die so erfolgte Abtrennung zu einer vollkommenen Herauslösung der Folgesache aus dem Verbund führte und auch kostenmäßig als selbständige Familiensache zu behandeln war. Folge der Vorschrift war insbesondere nach einhelliger Ansicht, dass für das so abgetrennte Verfahren Prozesskostenhilfe neu beantragt und bewilligt werden musste (vgl. etwa Zöller/Philippi ZPO, 26. Auflage, § 623 Rn. 32k). Nichts anderes kann für die Regelung des Artikel 111 Abs. 4 FGG-RG gelten. Insbesondere kommt man nicht im Hinblick auf die Gesetzesbegründung zu einem anderen Ergebnis. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die durch 6 Berichterstatter unterzeichnete Begründung den authentischen Willen des gesamten Gesetzgebers widerspiegelt. Im Übrigen kann auch aus der Formulierung in der Begründung nichts dafür hergeleitet werden, der Wille des Gesetzgebers sei gewesen, die abgetrennten Folgesachen weiterhin im Verbund mit der Scheidung zu lassen. Denn in der Gesetzesbegründung ist im Gegenteil gerade ausgeführt, dass alle abgetrennten Folgesachen als "selbständige Verfahren" fortgeführt würden und zueinander nicht im Restverbund stünden. Aus dem Umstand, dass mehrere abgetrennte Verfahren nach der ausdrücklichen Formulierung nicht zueinander im Restbund stehen, folgt aber zwingend, dass auch kein Restverbund zwischen den abgetrennten Folgesachen und dem Scheidungsverfahren angenommen werden kann. Würde man einen solchen Restverbund annehmen, so ständen mehrere abgetrennte Folgesachen durch das Bindeglied des Scheidungsverfahrens wieder miteinander im Zusammenhang, was nach der Begründung gerade nicht der Fall sein soll. So ist beispielsweise nicht erklärlich, wie in den Folgesachen jeweils eine Kostenentscheidung getroffen werden könnte, die zwar einerseits mit dem Scheidungsverfahren als Bindeglied im Zusammenhang steht, die aber andererseits mit den jeweils anderen Folgesachen nichts zu tun hat. Dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen.
Für ein Fortbestehen des Verbundes zwischen Scheidung und Versorgungsausgleich kann auch nicht Sinn und Zweck des Versorgungsausgleichs herangezogen werden. Zwar ist zutreffend, dass der Versorgungsausgleich materiell rechtlich von der Rechtskraft der Ehescheidung abhängt. Das bedeutet jedoch nicht zwingend, dass die Versorgungsausgleichssache Folgesache bleiben müsste. Dies folgt schon daraus, dass auch nach dem Gesetz Versorgungsausgleichssachen als selbständige Familiensache anhängig gemacht werden können, etwa dann, wenn die Scheidung nicht im Inland, sondern im Ausland erfolgt ist. Gleiches gilt im Übrigen allgemein auch für den Geschiedenenunterhalt oder den Zugewinnausgleich. Beide Entscheidungen hängen materiell rechtlich von der Rechtskraft der Ehescheidung ab, können aber durchaus als selbständige Familiensachen geltend gemacht werden.
Nach alledem erstreckt sich die mit Beschluss vom 10.09.2003 bewilligte Prozesskostenhilfe nicht auf das neue Verfahren mit der Folge, dass eine Rechtsgrundlage für eine Kostenerstattung aus der Staatskasse nicht besteht.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass auch bei Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das neue Verfahren nicht ein Anspruch auf doppelte Gebührenerstattung bestanden hätte. Zwar entstehen als Folge der Abtrennung alle Gebührentatbestände neu. Bereits nach altem Recht war jedoch anerkannt, dass mit Rücksicht auf § 15 Abs. 2 RVG keine doppelte Abrechnung erfolgen konnte. Vielmehr hatte der beigeordnete Rechtsanwalt die Wahl, ob er die Gebühren aus dem Verfahren vor der Trennung oder aus dem Verfahren danach verlangt. Nebeneinander konnten sie demgegenüber nicht geltend gemacht werden (vgl. dazu etwa OLG Düsseldorf AGS 2000, 84-85 zum seinerzeit noch anwendbaren § 13 Abs. 2 BRAGO). Nichts anderes kann für die hier zu beurteilende Fallkonstellation gelten. Im Ergebnis wäre daher nur eine Kostenerstattung unter Anrechnung der bereits verdienten und ausgezahlten Gebühren in Betracht gekommen.