Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 12.12.2017, Az.: 4 A 2438/16

Kündigung; maßgeblicher Zeitpunkt; nicht anerkannte Behinderung; Prüfungsmaßstab; Rechtsschutzbedürfnis; Restitutionsklage; Schwerbehinderter

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
12.12.2017
Aktenzeichen
4 A 2438/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54057
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das Rechtsschutzbedürfnis ist trotz rechtskräftig abgeschlossenem arbeitsgerichtlichen Verfahren, das die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat, gegeben, wenn dort das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufgelöst wurde. Denn der Kläger kann im Falle der Aufhebung des Zustimmungsbescheides das arbeitsgerichtliche Verfahren im Wege der Restitutionsklage wiederaufnehmen und darauf hinwirken, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst wurde.

2. Ob die Kündigungsgründe die Kündigung tatsächlich tragen, ist grundsätzlich ohne Bedeutung. Diese Prüfung obliegt den Arbeitsgerichten. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn sich die Rechtswidrigkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel und ohne Beweiserhebung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu Tage tritt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt.

3. Eine vorgetragene, aber nicht durch Feststellungsbescheid anerkannte Behinderung ist unbeachtlich, wenn der Betroffene keinen Antrag auf Feststellung gestellt hat und er an der Antragstellung auch nicht gehindert war.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Zustimmung des Beklagten zu seiner arbeitsrechtlichen Kündigung durch die Beigeladene.

Seit dem 01.03.2003 ging der 1955 geborene Kläger einer Beschäftigung als Leiter einer Spielbank der Beigeladenen nach.

Auf seinen Antrag vom 08.10.2007 wurde bei ihm aufgrund einer Belastungsminderung und Funktionseinschränkung seiner linken Hand mit Bescheid vom 28.12.2007 ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Mit Bescheid vom 20.08.2008 stellte die Bundesagentur für Arbeit den Kläger auf dessen Antrag vom 22.05.2008 einem schwerbehinderten Menschen gleich.

Am 14.10.2014 kündigte die Beigeladene dem Kläger. Dieser wies sie am 15.10.2014 auf seine Gleichstellung hin.

Die Beigeladene beantragte daraufhin am 07.11.2014 beim Beklagten die Zustimmung zu einer weiteren beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers. Dieser habe sich mehrfach arbeitsvertragswidrig verhalten. Er habe gegen Zielvereinbarungen verstoßen und an deren Erstellung nicht mitgewirkt, Hierarchieebenen nicht beachtet sowie Weisungen missachtet. Zudem habe der Kläger die Beigeladene vor dem 15.10.2014 nicht über seine Schwerbehinderung informiert und einen Anhörungsbogen der Bundesagentur für Arbeit nicht weitergeleitet. Das Vertrauensverhältnis sei insbesondere mit Blick auf seine leitende Tätigkeit nachhaltig zerstört.

Der im Rahmen der Anhörung beteiligte Betriebsrat der Beigeladenen teilte mit Schreiben vom 17.11.2014 mit, dass er bei leitenden Angestellten – wie dem Kläger – nicht zuständig sei. Die angehörte Schwerbehindertenvertretung der Beigeladenen äußerte ebenfalls Zweifel an ihrer Zuständigkeit, erhob aber im Übrigen keine Bedenken gegen die Kündigung. Sie habe bis Ende Oktober 2014 keine Kenntnis von der Behinderung des Klägers gehabt. Dieser habe auch den Nachteilsausgleich, beispielsweise in Form von Zusatzurlaub, nicht in Anspruch genommen.

Im Rahmen der Anhörung trug der Kläger mit Schreiben vom 01.12.2014 vor, die von der Beigeladenen vorgebrachten Gründe träfen nicht zu. Insbesondere habe er den Anhörungsbogen der Bundesagentur für Arbeit nicht unterschlagen, sondern an die Beigeladene weitergeleitet. Warum er nicht bei ihr angekommen sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Im Übrigen sei die Kündigung wegen seiner Behinderung erfolgt und die Reaktion auf eine von ihm für das Jahr 2013 geltend gemachte Prämie, die die Beigeladene nicht ausgezahlt habe. Diese habe ihm daraufhin im Oktober 2014 einen Aufhebungsvertrag zukommen lassen, welchen er abgelehnt habe. Zudem habe er weder eine Abmahnung erhalten, noch sei er in sonstiger Weise auf ein etwaiges Fehlverhalten hingewiesen worden.

Dem hielt die Beigeladene mit Schreiben vom 09.12.2014 entgegen, dass die Kündigung keine Maßregelung des Klägers sei. Vielmehr sei er nicht bereit gewesen, an einer Zielvereinbarung mitzuwirken. Dass nicht etwa die Gleichstellung des Klägers Grund für die Kündigung gewesen sei, zeige bereits der Umstand, dass die erste Kündigung in Unkenntnis dieser erfolgt sei.

Mit Bescheid vom 11.12.2014 erteilte der Beklagte seine Zustimmung zur Kündigung. Der Kläger habe keine Gründe dafür vorgetragen, dass die Kündigung auf einem Verhalten von ihm beruhe, welches im Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung stehe. Ein rechtsmissbräuchliches Vorschieben von Gründen sei nicht ersichtlich. Auch sei der Kläger trotz seiner Behinderung in der Lage, bei anderen Arbeitgebern einer Beschäftigung nachzugehen. Eine darüber hinaus gehende Prüfung der Kündigung nach Maßgabe des § 1 Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sei ihm, dem Beklagten verwehrt, da diese dem Arbeitsgericht obliege. Der besondere Kündigungsschutz nach § 85 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch (SGB IX) stehe neben dem arbeitsrechtlichen Schutz, ersetze ihn aber nicht.

Mit am 19.12.2014 zugestelltem Schreiben kündigte die Beigeladene dem Kläger. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Oldenburg. Dieses stellte mit Urteil vom 15.04.2015 - 3 Ca 489/14 - fest, dass die Kündigung aufgrund der fehlenden Abmahnung sozialwidrig gewesen sei, das Arbeitsverhältnis aber gleichwohl auf Antrag der Beigeladenen zum 31.12.2015 gegen Zahlung einer Abfindung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufgelöst werde. Das LAG Niedersachsen wies die Berufungen mit inzwischen rechtskräftigem Urteil vom 02.11.2015 - 12 Sa 531/15 - zurück.

Am 22.12.2014 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Zustimmungsbescheid. Die Zustimmung sei ermessensfehlerhaft, da die Kündigung allein aus Gründen seiner Behinderung erfolgt sei und sich der Antrag auf Zustimmung als rechtsmissbräuchlich darstelle. Die Beigeladene habe ihm deshalb gekündigt, weil sie davon ausgehe, er habe sich die Gleichstellung erschlichen. Der Beklagte habe sich hiermit in seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt. Zudem ergebe sich der Bezug zur Behinderung des Klägers aus dem Verhalten der Beigeladenen bei der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung am 19.11.2014 und 15.12.2014. Die Wahl sei abgebrochen worden, weil der Status des Klägers als leitender Angestellter nicht geklärt gewesen sei. Dem Kläger sei daraufhin das aktive wie passive Wahlrecht abgesprochen worden. Der Beklagte habe das Nichtvorliegen der Rechtsmissbräuchlichkeit zudem lediglich pauschal festgestellt. Mit Schreiben vom 02.12.2015 ergänzte der Kläger, dass sowohl das ArbG Oldenburg als auch das LAG Niedersachsen die Kündigung aufgrund der offensichtlich fehlenden Abmahnung als evident sozialwidrig angesehen hätten. Die Kündigung sei daher offensichtlich ungerechtfertigt gewesen. Dies hätte der Beklagte selbst bei summarischer Prüfung erkennen müssen.

Die Beigeladene erwiderte darauf, dass ungeachtet dessen, dass der Kläger als leitender Angestellter nicht Mitglied der Schwerbehindertenvertretung sein könne, die Ereignisse bei der Schwerbehindertenwahl für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung seien. Ferner sei der Kläger nicht deshalb gekündigt worden, weil er sich die Gleichstellung „erschlichen“ habe, sondern u. a. deshalb, weil er die Weitergabe des Anhörungsbogens unterlassen habe. Ob die verhaltensbedingten Gründe die Kündigung trügen, habe das Arbeitsgericht, nicht aber der Beklagte zu entscheiden.

Am 10.08.2016 beschloss der Widerspruchsausschluss des Beklagten, dem Widerspruch nicht abzuhelfen. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2016 - dem Kläger zugestellt am 22.08.2016 - wies er dessen Widerspruch zurück. Ergänzend zum Zustimmungsbescheid trug er vor, das Vorbringen zu den Ereignissen bei der Schwerbehindertenwahl sei sachfremd und in sich nicht schlüssig. Ungeachtet des verspäteten Vortrags lägen jene Ereignisse zeitlich nach den von der Beigeladenen im Zustimmungsverfahren vorgetragenen Kündigungsgründen. Eine atypische Fallgestaltung sei nicht gegeben, da die zur Kündigung geführten Umstände gleichermaßen nicht behinderte und schwerbehinderte Arbeitnehmer betreffen könnten.

Mit seiner am 22.09.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Klage sei trotz rechtskräftiger Entscheidungen der Arbeitsgerichte zulässig, da mit Blick auf die Möglichkeit einer Restitutionsklage gem. § 580 Nr. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) ein hinreichendes Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Im Übrigen vertieft er sein Vorbringen gegen die von der Beigeladenen vorgebrachten arbeitsrechtlichen Verstöße. Mit seinem Vortrag zur Schwerbehindertenwahl sei er auch nicht ausgeschlossen, weil der Bescheid des Beklagten bereits am 11.12.2014 ergangen sei, die Wahl selbst aber am 19.11.2014 bzw. 15.12.2014 stattgefunden habe.

Ferner habe die Beigeladene bei der Kündigung sein Alter nicht berücksichtigt. Er habe aufgrund seines Alters keine Chance mehr auf eine neue Beschäftigung. Schließlich trägt er vor, seit 2007 an einer psychischen Erkrankung zu leiden, die es ihm bislang nicht erlaubt habe, eine entsprechende Feststellung durch das Versorgungsamt zu beantragen. Die psychische Erkrankung sei Ursache für die von der Beigeladenen vorgeworfenen arbeitsrechtlichen Verstöße, so sie denn zuträfen. Zwar sei es grundsätzlich Aufgabe des Arbeitnehmers, den Nachweis über seine Schwerbehinderteneigenschaft zu führen. Allerdings stehe – unter Verweis auf das Urteil des BVerwG vom 12.07.2012 - 5 C 16/11 - eine festgestellte Behinderung solchen Behinderungen gleich, hinsichtlich derer eine Feststellung ohne Vertretenmüssen des Antragstellers noch nicht getroffen worden konnten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2014 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 19. August 2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zur Begründung im Zustimmungs- und Widerspruchsbescheid trägt er vor, dass der pauschale Vortrag des Klägers, die Kündigung sei aufgrund seiner Gleichstellung ergangen, nicht überzeuge. Darüber hinaus habe die Überprüfung auf der Basis des historischen Sachverhalts zu erfolgen. Nach dem Ausspruch der Kündigung erstmalig vorgetragener Sachverhalt dürfe daher nicht berücksichtigt werden.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die vom Beklagten vorgetragene Begründung und trägt ergänzend vor, dass die Kündigung nicht auf Gründen der Gleichstellung des Klägers beruhe. Soweit ihr bekannt sei, beruhe die Feststellung des Grades der Behinderung auf einer orthopädischen, nicht aber auf einer – erstmals im Rahmen dieses Klageverfahrens vorgetragenen - psychischen Erkrankung. Es sei nicht ersichtlich, warum der Kläger an einer Feststellung der Erkrankung gehindert gewesen sei. Im Übrigen seien die von ihm vorgetragenen massiven Angstzustände, Depressionen, die Antriebslosigkeit und Einschränkungen bei der Bewältigung organisatorischer Lebenssachverhalte mit Blick auf die geringen Krankheitstage des Klägers nicht überzeugend.

Anders als der Kläger meine, habe weder das ArbG Oldenburg, noch das LAG Niedersachsen eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Einer offensichtlichen Unwirksamkeit stehe entgegen, dass es bei einer Kündigung aus Gründen des Vertrauensverlustes keiner vorherigen Abmahnung bedürfe. Darüber hinaus sei dies aber auch für die Entscheidung des Beklagten mit Blick auf den Sinn und Zweck des SGB IX ohne Bedeutung. Die Ereignisse bei der Schwerbehindertenwahl seien ebenfalls unbeachtlich, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits einen Antrag beim Beklagten auf Zustimmung zur Kündigung gestellt habe. Ungeachtet dessen, ob sie Beteiligte am Feststellungsverfahren gewesen sei, sei der Kläger als leitender Angestellter verpflichtet gewesen, an sie gerichtete Anhörungsbögen weiterzugeben.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge beigezogenen Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Ob sich der Zustimmungsbescheid mit der rechtskräftigen Entscheidung des ArbG Oldenburg zur Unwirksamkeit der Kündigung erledigt hat und eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog oder aber eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO (so Bay. VGH, Urt. v. 27-11-2006 - 9 BV 05.2467 -, juris Rn. 39) statthaft ist, kann vorliegend dahinstehen. Denn in beiden Fällen ist die Klage zulässig. Insbesondere fehlt dem Kläger nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Denn er kann im Falle der Aufhebung des Zustimmungsbescheides des Beklagten eine Wiederaufnahme des arbeitsgerichtlichen Verfahrens im Wege einer Restitutionsklage nach § 79 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz i. V. m. § 580 Nr. 6 ZPO geltend machen und auf eine Ablehnung des - bislang stattgegebenen - Antrags auf Auflösung seines Arbeitsverhältnisses hinwirken (vgl. Hamburgisches OVG, Urt. v. 10.12.2014 - 4 Bf 159/12 -, juris Rn. 36; Bay. VGH, Urt. v. 27.11.2006 - 9 BV 05.2467 -, juris Rn. 43 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 17.09.2013 - Au 3 K 13.698 -, juris Rn. 35 ff.). Ein Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG nur verlangen, wenn die Kündigung lediglich nach § 1 KSchG sozialwidrig ist. Ist sie auch aus anderen Gründen unwirksam, kommt ein Auflösungsantrag nicht in Betracht (vgl. BAG, Urt. v. 22.09.2016 - 2 AZR 700/15 -, juris Rn. 34; Urt. v. 09.10.1979 - 6 AZR 1059/77 -, juris Rn. 9).

2. Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Der Zustimmungsbescheid des Beklagten vom 11.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2016 ist weder rechtswidrig, noch verletzt er den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bzw. Satz 4 VwGO analog).

Ob der Widerspruch des Klägers bereits als unstatthaft zurückzuweisen gewesen wäre, weil in Niedersachsen ein Widerspruchsverfahren gem. § 8a Abs. 1 des bis zum 31.12.2014 geltenden Nds. Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung nicht stattfand, kann dahinstehen. Sowohl in diesem Fall als auch bei einer - wie vorliegend ergangenen - Entscheidung in der Sache bleibt der Widerspruch des Klägers ohne Erfolg. Denn die vom Beklagten erteilte Zustimmung ist nicht zu beanstanden.

Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Nach § 87 Abs. 1 und 2 SGB IX beantragt der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamtes schriftlich oder elektronisch. Dieses holt eine Stellungnahme des Betriebsrates oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein und hört den schwerbehinderten Menschen an. Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären (§ 88 Abs. 3 SGB IX).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die §§ 85 ff. SGB IX sind gem. § 68 Abs. 1 und 3 SGB IX anwendbar, weil der Kläger durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 20.08.2008 einem schwerbehinderten Menschen gleichstellt ist. Ferner ist der Zustimmungsbescheid des Beklagten formell wie materiell nicht zu beanstanden.

a) Der Zustimmungsbescheid ist formell ordnungsgemäß. Insbesondere hat der sachlich und örtlich zuständige Beklagte sowohl den Betriebsrat (obgleich dieser aufgrund der Eigenschaft des Klägers als leitender Angestellter unzuständig war) und die Schwerbehindertenvertretung der Beigeladenen als auch den Kläger zum Zustimmungsantrag gem. § 87 Abs. 2 SGB IX angehört. Vor allem der Kläger hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, indem er sich mehrfach geäußert hat.

b) Die Zustimmung ist auch in materieller Hinsicht keinen Bedenken ausgesetzt. Denn die Voraussetzungen für die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung lagen vor.

(1) Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Zugangs der arbeitgeberseitigen Kündigung beim Kläger, vorliegend also der 19.12.2014. Tatsachen und Umstände, die erst danach eingetreten sind und nicht zu dem der Kündigung zu Grunde liegenden Sachverhalt gehören, sind ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B. v. 07.03.1991 - 5 B 114/89 -, juris Rn. 5; Hamburgisches OVG, Urt. v. 10.12.2014 - 4 Bf 159/12 -, juris Rn. 41).

Dies zu Grunde gelegt, ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte inhaltlich auf die Ereignisse um die Wahl der Schwerbehindertenvertretung nicht eingegangen ist. Zwar fand die Wahl vor dem Zugang der Kündigung am 19.12.2014 statt, nämlich am 19.11.2014 und 15.12.2014. Gleichwohl bleibt sie unberücksichtigt, weil sie nicht zu dem der Kündigung zu Grunde liegenden Sachverhalt gehört. Denn die Kündigung stützt sich auf arbeitsrechtliche Verstöße des Klägers, die in keinem Zusammenhang mit der Wahl der Schwerbehindertenvertretung stehen. Das wird bereits daraus deutlich, dass die Beigeladene den Antrag auf Zustimmung des Beklagten bereits vor dem ersten Wahltermin am 19.11.2014, nämlich bereits am 07.11.2014, eingereicht hat. Die Beigeladene hat die Kündigung auch später nicht auf jene Ereignisse gestützt, weshalb sich der Kläger in den arbeitsrechtlichen Verfahren auch nicht auf diese Ereignisse berufen hat. Im Übrigen entzieht sich die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung dem Einflussbereich der Beigeladenen als Arbeitgeberin. Es obliegt vielmehr der Schwerbehindertenvertretung bzw. dem Wahlausschuss darüber zu entscheiden, wer zur Wahl zugelassen wird und wer nicht.

(2) Entgegen der Ansicht des Klägers ist es für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, ob die in Bezug auf die Kündigung von der Beigeladenen angeführten Gründe die Kündigung tatsächlich tragen. Hierüber haben - zu Recht - die Arbeitsgerichte entschieden. Der Schutz nach §§ 85 ff. SGB IX greift zusätzlich zum arbeitsrechtlichen Schutz nach dem KSchG, ersetzt ihn aber nicht (vgl. BVerwG, B. v. 19.08.2004 - 5 B 90/03 -, juris Rn. 6; Hamburgisches OVG, Urt. v. 10.12.2014 - 4 Bf 159/12 -, juris Rn. 53). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Eine solch evident unwirksame Kündigung des Arbeitgebers liegt nur dann vor, wenn die Rechtswidrigkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel und ohne Beweiserhebung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu Tage tritt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt. Das ist gegeben, wenn der als Kündigungsgrund geltend gemachte Lebenssachverhalt erkennbar unzutreffend oder die Kündigungsabsicht von unsachlichen oder willkürlichen Erwägungen getragen ist (vgl. BVerwG, B. v. 18.09.1996 - 5 B 109/96 -, juris Rn. 4; Bay. VGH, B. v. 22.05.2012 - 12 ZB 12.88 -, juris Rn. 12; OVG NRW, B. v. 22.01.2009 - 12 A 2094/08 -, juris Rn. 22). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar haben das Arbeitsgericht Oldenburg und das LAG Niedersachsen die Kündigung der Beigeladenen vom 19.12.2014 wegen der fehlenden vorherigen Abmahnung für unwirksam erklärt. Allein dies führt aber nicht zur offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung. Denn eine Abmahnung ist nicht in allen Fällen erforderlich. Dann kann es aber nicht Aufgabe des Beklagten sein - und ist es auch nicht -, (schwierige) arbeitsrechtliche Fragen zur Notwendigkeit einer Abmahnung zu klären; dies obliegt vielmehr den Arbeitsgerichten (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.07.1992 - 5 C 51/90 -, juris Rn. 25; VG Augsburg, Urt. v. 17.09.2013 - Au 3 K 13.698 -, juris Rn. 49).

(3) Die Entscheidung des Beklagten ist schließlich auch im Hinblick auf die Ermessensausübung fehlerfrei. Das Integrationsamt hat bei seiner Entscheidung das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen (vgl. BVerwG, B. v. 19.08.2004 - 5 B 90/03 -, juris Rn. 6; Hamburgisches OVG, Urt. v. 10.12.2014 - 4 Bf 159/12 -, juris Rn. 40). Die Belange des schwerbehinderten oder ihm gleichgestellten Menschen haben umso weniger Gewicht und das Interesse des Arbeitgebers an der Umsetzung seiner unternehmerischen Entscheidung gewinnt an Gewicht, je weniger ein Zusammenhang zwischen den Kündigungsgründen und der Behinderung feststellbar ist (vgl. Hamburgisches OVG, Urt. v. 10.12.2014 - 4 Bf 159/12 -, juris Rn. 71). Dabei ist der Sinn und Zweck des SGB IX zu berücksichtigen, das nach § 1 SGB IX vor allem dazu dient, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe von Behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Der nach § 68 SGB IX als schwerbehindert anerkannte Mensch soll durch die Regelungen über den Kündigungsschutz in den §§ 85 ff. SGB IX vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner Beeinträchtigung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, bewahrt werden. Zudem soll sichergestellt werden, dass er gegenüber gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.01.1966 - 5 C 62.64 -, juris Rn. 35). Dabei unterliegt die Zustimmungsentscheidung mit Blick auf § 114 Satz 1 VwGO nur einer eingeschränkten Überprüfbarkeit. Das Gericht prüft lediglich, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.

Daran gemessen, ist die vom Beklagten erteilte Zustimmung nicht zu beanstanden.

(a) Es begegnet keinen Bedenken, dass die Kündigung nach Ansicht des Beklagten ausschließlich im Verhalten des Klägers begründet ist, welches nicht im Zusammenhang mit seiner anerkannten Behinderung steht. Der dem entgegenstehende - pauschale - Vortrag des Klägers lässt weitestgehend konkrete Anhaltspunkte vermissen. Diese wären aber geboten gewesen, denn der sich dem Gericht darstellende Sachverhalt lässt nicht erkennen, dass die Kündigungsgründe in irgendeiner Weise mit der anerkannten Behinderung des Klägers in Verbindung stehen. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Beigeladene die erste Kündigung am 14.10.2014 ausgesprochen hat, ohne von der Gleichstellung des Klägers gewusst zu haben. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sie hiervon tatsächlich keine Kenntnis hatte. Denn dies deckt sich mit der Aussage der Schwerbehindertenvertretung der Beigeladenen, die ebenfalls bis Ende Oktober 2014 nichts von der Behinderung des Klägers, der im Übrigen auch keinen Nachteilsausgleich in Anspruch nahm, wusste. Ungeachtet dessen beruhen aber auch die der Kündigung zu Grunde gelegten arbeitsrechtlichen Verstöße einzig auf dem Verhalten des Klägers, das in keinem Zusammenhang mit seiner anerkannten Behinderung aufgrund seiner Belastungsminderung und Funktionseinschränkung der linken Hand steht.

Auf die vom Kläger vorgetragene psychische Erkrankung, die sich seit 2007 in massiven Angstzuständen, Depressionen, Antriebslosigkeit und Einschränkungen bei der Bewältigung organisatorischer Lebenssachverhalte äußere, kommt es nicht an. Denn der Beklagte hat nur zu prüfen, ob die Kündigungsgründe auf der anerkannten Behinderung beruhen. Die vom Kläger vorgetragene psychische Erkrankung ist aber nicht durch Feststellungsbescheid anerkannt. Dieser ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger aufgrund der Erkrankung an einer Antragstellung gehindert gewesen war, weil er im Oktober 2007 und im Mai 2008 gleichwohl in der Lage war, den Grad seiner Behinderung und seine Gleichstellung zu beantragen. Zudem geht der Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.07.2012 - 5 C 16/11 - fehl, weil danach der festgestellten Behinderung (lediglich) diejenige Behinderung gleichsteht, hinsichtlich derer eine Feststellung trotz Antragstellung ohne Vertretenmüssen des Antragstellers noch nicht getroffen wurde (vgl. BVerwG, vom 12.07.2012 - 5 C 16/11 -, juris Rn. 22 und 25). Darüber hinaus verwundert es, dass der Kläger seine psychische Beeinträchtigung erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Sprache gebracht und dies nicht mit substantiiertem Vortrag untermauert hat (z. B. ärztliche Stellungnahmen, Darlegung von Auswirkungen auf seine Arbeit, insbesondere in Form von Krankheitsausfällen).

Dass der Beklagte nicht darauf eingeht, dass die Beigeladene dem Kläger deshalb gekündigt habe, weil dieser seine Gleichstellung erschlichen habe, ist rechtsfehlerfrei. Hierfür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Denn die Beigeladene hat ausweislich ihres Antrages vom 07.11.2014 und ihren darauffolgenden Stellungnahmen sowie auch in den arbeitsgerichtlichen Verfahren lediglich gerügt, dass der Kläger den Antwortbogen bzw. den Gleichstellungsbescheid nicht an sie weitergeleitet habe. Dass sie den Kläger für seine beantragte Gleichstellung „bestrafen“ wollte, ist nicht ersichtlich, zumal sich aus dem Umstand der Gleichstellung selbst keine Einschränkungen im betrieblichen Ablauf ergeben haben, da der Kläger insbesondere den ihm zustehenden Nachteilsausgleich nicht in Anspruch genommen hat.

(b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist es ebenfalls nicht zu beanstanden, dass der Beklagte das Nichtvorliegen eines rechtsmissbräuchlichen Zustimmungsantrags der Beigeladenen nicht ausführlicher verneint hat. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beigeladene die Kündigungsgründe lediglich vorgeschoben hat. Auch der Kläger trägt diesbezüglich lediglich pauschal vor, ohne darzulegen, in welcher Hinsicht seiner Ansicht nach eine tiefere Auseinandersetzung geboten gewesen wäre.

(c ) Anders als der Kläger meint, ist es vorliegend schließlich ohne Bedeutung, ob und inwieweit er aufgrund seines Alters Chancen auf eine neue Beschäftigung hat. Denn der Kläger gerät diesbezüglich gerade nicht aufgrund seiner Behinderung gegenüber gesunden 59jährigen Arbeitnehmern ins Hintertreffen. Vielmehr ist es generell für ältere Arbeitnehmer schwieriger (aber auch nicht unmöglich), eine Beschäftigung zu finden. Das Alter des Klägers wirkt sich auch nicht in besonderer Weise auf seine orthopädisch begründete Behinderung aus. In diesem Fall sind das Alter und sonstige Umstände jedoch nicht berücksichtigungsfähig, weil mit Blick auf den besonderen Schutz des SGB IX für schwerbehinderte und ihnen gleichstellte Menschen nur solche Umstände relevant sind, die im Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung stehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.01.1966 - 5 C 62.64 -, juris Rn. 35; Hamburgisches OVG, Urt. v. 10.12.2014 - 4 Bf 159/12 -, juris Rn. 72).

Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ergibt sich die Entscheidung aus § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i. V. m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.