Amtsgericht Delmenhorst
Beschl. v. 30.06.2003, Az.: 15 B 3111/02
Voraussetzungen einer Geltendmachung von Inkassokosten als Verzugsschaden; Umfang der Prüfungskompetenz des Rechtspflegers im Mahnverfahren
Bibliographie
- Gericht
- AG Delmenhorst
- Datum
- 30.06.2003
- Aktenzeichen
- 15 B 3111/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 33291
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGDELMH:2003:0630.15B3111.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
- § 691 Abs. 1 ZPO
- § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG
Fundstelle
- JurBüro 2003, 485-486 (Volltext mit amtl. LS)
Das Amtsgericht Delmenhorst hat
durch Richterin Dr. Brunssen
am 30.6.2003
beschlossen:
Tenor:
Auf die Erinnerung der Antragsstellerin wird der Beschluss des Rechtspflegers vom 25.3.2003 aufgehoben.
Der Rechtspfleger wird angewiesen, den Mahnbescheid nach Aufnahme der Inkassokosten in Höhe von 1.049,- EUR zu erlassen.
Gründe
Die Antragsstellerin hat den Erlass eines Mahnbescheides wegen einer Forderung auf Zahlung von 14.500,- EUR zuzüglich 10,25 % Zinsen vom 9.7.2002 bis zum 2.12.2002 auf die Hauptforderung und weitere 10,25 % Zinsen auf die Hauptforderung ab dem 3.12.2002 beantragt. In der Nebenforderung in Höhe von 2.028,50 EUR waren neben vorgerichtlichen Mahnkosten Inkassokosten in Höhe von 1.049,- EUR enthalten. Mit den Verfügungen vom 16.12.2002 und 31.1.2003 forderte der zuständige Rechtspfleger des Mahngerichts die Antragsstellerin auf, die Nebenforderung zu berichtigen, da Inkassokosten lediglich in der Höhe der Verfahrenskosten gewährt werden würden. Mit Schreiben vom 5.2.2003 teilte die Antragsstellerin mit, dass die Inkassokosten nicht reduziert werden würden. Daraufhin erließ die Mahnabteilung des Amtsgerichts am 25.3.2003 einen ablehnenden Beschluss und den Mahnbescheid mit der um die korrigierten Inkassokosten reduzierte Nebenforderung in Höhe von 1.686,50 EUR.
Gegen den am 26.3.2003 zugestellten Mahnbescheid richtet sich die am 8.4.2003 bei Gericht eingegangene Erinnerung der Antragsstellerin, mit der sie die Aufnahme weiterer Inkassokosten in Höhe von 342,- EUR begehrt.
Die Erinnerung ist gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG zulässig, insbesondere ist sie gem. §§ 11 Abs. 2 S. 1 RpflG, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO fristgerecht eingelegt.
Die Erinnerung ist auch begründet.
Der Rechtspfleger hat im vorliegenden Fall die ihm zustehende Kompetenz bei der Prüfung eines Antrags auf Erlass eines Mahnbescheids überschritten.
Hinsichtlich der Erstattungspflicht von Inkassokosten ist dem Rechtspfleger zwar zuzustimmen, dass jedenfalls nicht alle vom Gläubiger geltend gemachten Kosten vom Schuldner nach materiell-rechtlichen Grundsätzen zu erstatten sind. Aber es ist nicht die Aufgabe des Rechtspflegers, eine eigenmächtige Prüfung und Festsetzung der noch zuzusprechenden Höhe vorzunehmen. Der Rechtspfleger hat lediglich im Rahmen des § 691 Abs. 1 ZPO das Vorliegen der allgemeinen Prozessvoraussetzungen und die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Mahnverfahrens, sowie den Inhalt des Antrags nach § 690 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 ZPO zu prüfen; zu einer darüber hinausgehenden Prüfung ist er nicht befugt, insbesondere darf er die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten auch nicht von vorneherein beschränken (Amtsgericht Aschaffenburg, Beschluss vom 30.9.1996 - B 5676/96, JurBüro 1997, 317; Thomas-Putzo, ZPO, 22. Auflage, München 1999, § 691 Rdn. 4).
Dem Rechtspfleger der Mahnabteilung ist mit der weitaus überwiegenden Meinung (vgl. für alle OLG Hamburg, MDR 1982, 502 [OLG Hamburg 04.02.1982 - 12 W 4/82]; auch OLG Stuttgart, Beschluss v. 31.8.1988, RPfl. 1988, 536 (536 f.)) zuzustimmen, wonach er in gewissen Grenzen zu einer Sachprüfung des geltend gemachten Anspruchs nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. So muss er nicht nur unzureichende Angaben beanstanden, sondern darf auch unsinnigen, unklagbaren oder offensichtlich ungerechtfertigten Forderungen nicht zu einem vollstreckbaren Titel verhelfen. Er ist zu einer Überprüfung in dem vorgegebenen Rahmen um so mehr berufen, als die in Rechtskraft erwachsenen Vollstreckungsbescheide durch den Schuldner nur in ganz eingeschränktem Umfang angreifbar sind. Er darf auf keinen Fall Titel schaffen, deren Vollstreckung sittenwidrig sein könnte.
Damit darf er allerdings auch nur in diesem ganz eng begrenztem Umfang einen Anspruch zurückweisen, nämlich lediglich dann, wenn ein offensichtlich unrichtiger oder ein gegen die guten Sitten verstoßender Titel geschaffen werden soll (Amtsgericht Aschaffenburg, Beschluss vom 30.9.1996 - B 5676/96, JurBüro 1997, 317; LG Landau, Beschluss v. 26.5.1988, 1 T 38/88, JurBüro 1988, 1364 (1365); LG Münster, Beschl. vom 16.3.1988 - 5 T 221/88, MDR 1988, 682; Mümmler, Anm. zum Beschluss des LG Stuttgart vom 24.1.1989 - 2 T 919/88, JurBüro 1989, 559 (560), Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Auflage, München 2001, § 691 Rdn. 1; a.A. LG Stuttgart, Beschluss v. 24.1.1989, 2 T 919/88, Rpfleger 1989, 246 (247)). Die Erstattung von Inkassokosten ist demnach nur dann zurückzuweisen, wenn diese in offensichtlich unrichtiger Höhe oder unter Verstoß gegen Treu und Glauben begehrt werden (Zöller, a.a.O., § 691 Rdn. 1).
Eine offensichtlich unberechtigt erhobene Nebenforderung oder ein offensichtlicher Rechtsmissbrauch liegt bei den von der Antragstellerin geltend gemachten Inkassokosten nicht vor. Über eine grundsätzliche Erstattung von Inkassokosten aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Verzuges besteht weitgehend Einigkeit (vgl. statt aller LG Münster, MDR 1988, 682 [LG Münster 16.03.1988 - 5 T 221/88]). Hingegen ist es Frage des Einzelfalls, ob und in welcher Höhe Inkassokosten als Verzugsschaden zu ersetzen sind.
Allein aus der Tatsache der Geltendmachung solcher Kosten kann nicht der Schluss gezogen werden, hier werde ersichtlich rechtsmissbräuchlich eine offenbar ungerechtfertigte Forderung geltend gemacht. Auch aus der Höhe der geltend gemachten Forderung ergibt sich kein sicherer Anhaltspunkt dafür, dass eine offensichtlich ungerechtfertigte Forderung erhoben wird. Ein derartig krasses Missverhältnis zwischen Hauptforderung und Inkassokosten liegt nicht vor, als dass der Nebenforderung allein wegen der Höhe der "Makel der Sittenwidrigkeit auf der Stirn geschrieben stünde" (vgl. LG Landau, Beschluss vom 26.5.1988 - 1 T 38/88, Jur Büro 1988, 1364 (1365)). Es würde die Anforderungen an § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPOüber Gebühr strapazieren und widerspräche entschieden dem Willen des Gesetzgebers in der Vereinfachungsnovelle, wenn dem Gläubiger obläge, die konkrete Rechtsbeziehung zu Schuldner und Inkassobüro für eine Überprüfung der Inkassokosten im Mahnverfahren darzulegen (LG Münster, Beschl. vom 16.3.1988 - 5 T 221/88, MDR 1988, 682).
Es ist zudem zweifelhaft, ob der durch den Rechtspfleger durchgeführte Vergleich mit fiktiven Anwaltskosten zulässig ist, da die BRAGO für Inkassounternehmen gerade nicht gilt und diese nur als Orientierung für die Angemessenheit von Inkassokosten herangezogen werden kann (vgl. AG Otterndorf JurBüro 1995, 593) Zumindest werden Inkassokosten von 10 bis 15 % der Hauptforderung als eine übliche Vergütung anerkannt (AG Delmenhorst, Urt. v. 16.10.2001 - 5 C 6172/01 (VIII), JurBüro 2002, 319).
Ob im vorlegenden Fall die Höhe der Inkassokosten gerechtfertigt ist oder die Antragsstellerin durch die Einschaltung eines Inkassounternehmens zur Einziehung der Forderung gegen ihre Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB verstoßen hat, hat allein das zuständige Streitgericht zu entscheiden.
Der Rechtspfleger war demnach unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses anzuweisen, den beantragten Mahnbescheid auch in der Höhe der beantragten Nebenforderung von 2.028,50 EUR zu erlassen.