Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 23.05.2005, Az.: 4 A 2915/04
Ausweisung eines Ausländers bei nicht nur vereinzeltem oder geringfügigem Verstoß gegen Rechtsvorschriften; Rechtsfehlerhafte Ausübung des Ermessens durch Treffen einer Ausweisungsentscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage; Berücksichtigung der Folgen einer Ausweisungsentscheidung für Familienangehörige; Gewährung besonderen Ausweisungsschutzes trotz nichtvorhandener familiärer Lebensgemeinschaft mit den Kindern des Ausländers; Erforderlichkeit weiterer Nachforschungen zur Beurteilung des Gewichts der Beziehungen der Kinder zu ihrem Vater
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 23.05.2005
- Aktenzeichen
- 4 A 2915/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 32194
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2005:0523.4A2915.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 45 Abs. 1 AuslG
- § 45 Abs. 2 AuslG
- § 46 Zif. 2 AuslG
- § 48 Abs. 1 AuslG
- Art. 6 GG
Fundstelle
- InfAuslR 2005, 391-392 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Ausweisung und Abschiebungsandrohung
In der Verwaltungsstreitssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 4. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Behrens
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 18.12.2003 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 04.05.2004 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist im Jahre 1968 in Sierra Leone geboren und reiste 1996 nach Deutschland ein. Ein Asylantrag blieb erfolglos. Rechtskraft trat am 04.01.1999 ein. Am 04.06.1998 schloss er die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen Kathrin Kamara. Daraufhin wurde ihm zunächst eine befristete und am 19.07.2001 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, die am 06.02.1998 geborene Tochter Miriam und die am 08.06.2000 geborene Tochter Theresa. Seit September 2001 lebt der Kläger von Ehefrau und Kindern getrennt. Am 13.05.2003 wurde die Ehe geschieden.
Mit Urteil vom 21.10.2002 verurteilte das Amtsgericht Halle den Kläger wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Zu Grunde lag ein Vorfall aus November 1999, von dem die Ausländerbehörde vor der Verurteilung keine Kenntnis erlangt hatte. Auf die Berufung des Klägers wurde er durch Urteil des Landgerichts Halle vom 26.08.2003 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 04.09.2003 rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 11.11.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, ihn gemäß § 46 Ziffer 2 AuslG aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen und hörte ihn dazu an. Zugleich hörte sie die geschiedene Ehefrau des Klägers an. Diese teilte der Beklagten mit Schreiben vom 17.11.2003 mit, der Kläger habe während der Zeit der Ehe ein herzlich-liebevolles Verhältnis zu seinen Töchtern gehabt und diese zuverlässig versorgt. Mit der Trennung 2001 sei es zu einer größeren räumlichen Distanz gekommen. Sie denke, dass der Kläger seine Kinder liebe. Auch die Kinder seien stets fröhlich von den Umgängen nach Hause gekommen. Der Kläger gab an, dass das Verhältnis zu seinen Kindern sehr gut und weiter zu fördern sei. Er sehe seine Kinder regelmäßig. Die Treffen seien von den Kindern gewünscht, sie freuten sich darauf und hätten auch in der übrigen Zeit regelmäßigen telefonischen Kontakt zu ihm.
Mit Bescheid vom 18.12.2003 wies die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung in die Republik Sierra Leone an. Die begangene Straftat stelle einen Ausweisungsgrund im Sinne von § 46 Ziffer 2 AuslG dar. Besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 48 Abs. 1 AuslG genieße der Kläger nicht, da keine familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern bestehe. Das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiege das private Interesse des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Schutzwürdige persönliche Bindungen im Bundesgebiet bestünden nicht. Der Kläger habe zu seinen Kindern nur sporadischen Kontakt. Er leiste zwar seit kurzem Unterhalt, jedoch seien auch Unterhaltszahlungen aus dem Ausland möglich. Im Hinblick auf die Ausweisung erlösche die unbefristet erteilte Aufenthaltsgenehmigung und der Kläger sei vollziehbar ausreisepflichtig.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Hannover mit Bescheid vom 04.05.2004 zurückwies.
Am 07.06.2004 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung beruft er sich weiterhin auf den seiner Auffassung nach intensiven Kontakt zu seinen Kindern. Die Beziehung zu seiner Ehefrau sei nicht zuletzt durch die Vergewaltigung in die Brüche gegangen. Soweit die Beklagte in der Verfügung darauf abstelle, dass er nur sporadischen Kontakt zu seinen Kindern habe, sei zu berücksichtigen, dass dies vor allem darauf beruhe, dass die Mutter der Kinder die Kontaktaufnahmen erschwere, weil sie im Hinblick auf die ungeklärte aufenthaltsrechtliche Situation des Klägers befürchte, dass er die Kinder entführen könnte. Dies ändere aber nichts daran, dass er guten Kontakt zu seinen Kindern habe und dieser Kontakt für seine Kinder von großer Wichtigkeit sei.
Zum Beleg legt der Kläger ein Schreiben einer gemeinsamen Bekannten vor, die den Kläger und seine Kinder auf Wunsch der Ehefrau bei Umgangskontakten begleitet hat.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 04.05.2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Verfügungen und macht geltend, dass der Kläger nicht dargelegt und nachgewiesen habe, dass er tatsächlich regelmäßigen Kontakt zu seinen Kindern habe. Das gerichtlich angeordnete Umgangsrecht schöpfe er nicht aus. Er strebe auch keine gerichtliche Änderung dieses Umgangsrechts an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter, nachdem die Kammer diesem das Verfahren zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig und unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also der 04.05.2004. Einschlägig sind daher trotz In-Kraft-Tretens des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 die einschlägigen Vorschriften des AuslG.
Gemäß § 45 i.V.m. § 46 Ziffer 2 AuslG kann ausgewiesen werden, wer einen nicht nur . vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Die von dem Kläger begangene Straftat erfüllt zwar die Voraussetzungen eines Ausweisungsgrundes gemäß § 46 Ziffer 2 AuslG. Die Beklagte hat aber ihr Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt.
Die Ausübung des Ermessens erfolgte rechtsfehlerhaft, weil die Ausweisungsentscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen wurde. § 45 Abs. 2 AuslG und Art. 6 GG gebieten die Berücksichtigung der Folgen einer Ausweisungsentscheidung für Familienangehörige. Insbesondere die Auswirkungen auf das Wohl von Kindern sind stets zu würdigen (vgl. GK-AusIR, § 45 AuslG Rn. 497). Eine auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhende Abwägung der Folgen ihrer Entscheidung für das Wohl der Kinder des Klägers konnte die Beklagte nicht treffen, weil sie diese Folgen nicht hinreichend aufgeklärt hat.
Die Beklagte hat den Kläger und die Mutter der Kinder angehört. Beide haben übereinstimmend mitgeteilt, dass der Kläger bis zur Trennung ein herzlich-liebevolles Verhältnis zu seinen Töchtern gehabt und sie zuverlässig versorgt habe. Nach der Trennung und dem Umzug des Klägers in eine andere Stadt sei es zu Besuchskontakten gekommen. Auch die Ehefrau des Klägers gab an, dass der Kläger ihrer Meinung nach seine Kinder liebe und die Kinder stets fröhlich von dem Umgängen nach Hause gekommen seien. Bei dieser Aussage ist zu berücksichtigen, dass das Verhältnis zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau (zumindest zu jenem Zeitpunkt) nicht konfliktfrei gewesen ist, weil diese Angst hatte, der Kläger könnte in einer Panikreaktion die Kinder entführen.
Die Beklagte hat aus ihren Ermittlungen den Schluss gezogen, dass der Kläger nicht in den Genuss besonderen Ausweisungsschutzes gemäß § 48 Abs. 1 AuslG komme, weil er mit seinen Kindern nicht in familiärer Lebensgemeinschaft lebe. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hat dann weiter im Rahmen der Ermessensausübung entschieden, schutzwürdige Bindungen bestünden nicht, weil der Kontakt nur sporadisch sei. Dieser Schluss ist rechtlich nicht haltbar. Es ist denkbar - im vorliegenden Fall vielleicht sogar nahe liegend -, dass die Bindung des Klägers zu seinen Kindern schutzwürdig ist, obwohl der Kontakt nur sporadisch ist. Weitere Ermittlungen dazu hat die Beklagte nicht angestellt, obwohl dazu aufgrund der Schreiben des Klägers und auch der Mutter der Kinder durchaus Anlass bestanden hätte. Wenn das Verhältnis des Klägers zu seinen Kindern auch nach der Trennung, die erkennbar nicht darauf beruhte, dass der Kläger das Interesse an seinen Kindern verloren hätte, dann ist zumindest denkbar, dass es für die Kinder von großer Bedeutung ist, ob sie weiterhin Kontakt zu ihrem Vater haben können oder - im Falle einer Ausweisung - nicht. Bei der Bewertung der Art des Umgang und der Zahl der Besuchskontakte ist zu berücksichtigen, dass die Mutter der Kinder bei der Zulassung solcher Kontakte - verständlicherweise - eher abwehrend reagiert (hat). Man mag dem Kläger entgegenhalten, dass er sich dieses aufgrund der von ihm begangenen Straftat selbst zuzurechnen hat. Die gesetzliche Verpflichtung, bei einer Ausweisungsentscheidung die Auswirkungen auf das Wohl von Kindern in den Blick zu nehmen, dient aber vor allem dem Interesse dieser Kinder.
Bei dieser Sachlage hätte es nahe gelegen und wäre rechtlich geboten gewesen, weitere Nachforschungen anzustellen, etwa das Jugendamt der Stadt Halle um einen Bericht zu bitten.
Anhaltspunkte für das Gewicht der Beziehungen der Kinder zu ihrem Vater enthält das zur Akte gereichte Schreiben der Frau Gleim, die den Kläger als Vertraute der Kindesmutter bei den Besuchskontakten begleitet hat. Frau Gleim bringt in diesem Schreiben zum Ausdruck, dass die Kinder ihren Vater brauchten. Eine Bestätigung erfährt diese Einschätzung durch einen für die Regelung des Umgangsrechts gefertigten Bericht des Jugendamtes vom 07.03.2005, den der Kläger vorgelegt hat. Das Jugendamt berichtet in diesem Schreiben, dass die Mutter der Kinder in einem Gespräch im Januar 2004 betont habe, dass sie den Kontakt der Kinder zu ihrem Vater unbedingt erhalten möchte, weil dieser für die Kinder sehr wichtig sei.
Die Einschätzung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, die persönliche Bindung des Klägers zu seinen Kindern sei nicht schutzwürdig, ist vor diesem Hintergrund ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts rechtlich nicht haltbar gewesen.
Mit der Aufhebung der Ausweisungsverfügung bleibt die Aufenthaltsgenehmigung des Klägers unangetastet mit der Folge, dass er nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist und für die Abschiebungsandrohung die Grundlage entfällt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGo in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, bestehen nicht.