Landgericht Göttingen
Beschl. v. 19.10.1987, Az.: 6 T 257/87
Nachträgliche Gewährung von Beratungshilfe durch funktionell unzuständige Urkundsbeamtin; Örtliche Zuständigkeit für die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe; Bewilligungsfähigkeit von Beratungshilfe für Asylbewerber; Erstattungsfähigkeit vonÜbersetzungs- und Dolmetscherkosten
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 19.10.1987
- Aktenzeichen
- 6 T 257/87
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1987, 15242
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:1987:1019.6T257.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 03.06.1987 - AZ: 46 UR II 98-100/87
Rechtsgrundlagen
- § 133 BRAGO
- § 128 BRAGO
- § 10 Beratungshilfegesetz
- § 128 BRAGO
- § 1 Abs. 1 Nr. 2 Beratungshilfegesetz
- § 126 Abs. 1 BRAGO
- § 26 BRAGO
In dem Rechtsstreit
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
auf die Beschwerden der Beschwerdeführerin vom 11. September 1987
gegen
die Beschlüsse des Amtsgerichts Göttingen vom 3. Juni 1987
durch
den Vizepräsidenten des Landgerichts ... und
die Richter am Landgericht ... und ...
am 19. Oktober 1987
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerden werden gerichtsgebührenfrei zurückgewiesen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der Beschwerdegegner erteilte den eingangs bezeichneten Ausländern Hilfe bei ihren Asylbewerbungsverfahren.
Den Schüler ... beriet und vertrat er in Schriftsätzen an die Stadt ... am 5. November 1986 sowie an das ... vom 5. November 1986 und 12. Januar 1987. Unter dem 24. Januar 1987 reichte der Beschwerdegegner seinen Gebührenfestsetzungsantrag ein, mit dem er neben einer Gebühr aus § 132 Abs. 2 BRAGO 12,00 DM Pauschalkosten und Mehrwertsteuer sowie 160,00 DM Dolmetscherauslagen beanspruchte.
Dem Ausländer ... fertigte der Beschwerdegegner Schreiben an die Ausländerbehörde der Stadt ... sowie an das ... am 25. November 1986, nachdem er mit dem Antragsteller am 17. Dezember 1986 ein Gespräch geführt hatte. Unter dem 19. Januar 1987 beantragte er die Festsetzung einer Gebühr nach § 132 Abs. 2 BRAGO in Höhe von 80,00 DM, 12,00 DM Pauschalkosten und Mehrwertsteuer sowie 236,50 DM für Dolmetscher- bzw. Übersetzungskosten. Aus einer Anlage zum Kostenfestsetzungsantrag ergibt sich, daß der Dolmetscher zur Vorbereitung einer Besprechung hinsichtlich der Asylantragsbegründung eine in arabischer Sprache verfaßte Stellungnahme des Antragstellers übersetzte, so daß die nachfolgende Besprechung in gestraffter Form durchgeführt werden konnte.
Für den Schüler ... verfaßte der Beschwerdegegner im Rahmen dessen Asyl Verfahrens Schriftsätze an die Stadt ... am 5. November und 26. November 1986. Außerdem führte er am 15. November 1986 eine Mandantenbesprechung durch. Unter dem 24. Januar 1987 beantragte der Beschwerdegegner, neben einer Gebühr gemäß § 132 Abs. 2 BRAGO auch Nebenkosten und Dolmetscherauslagen in Höhe von 170,00 DM festzusetzen. In einer Anlage führte der Beschwerdegegner hinsichtlich der Dolmetscherkosten zur Erläuterung an, daß am 15. November 1986 eine Besprechung zur Vorbereitung der Asylantragsbegründung stattgefunden habe. Der Antragsteller habe zuvor eine Begründung in arabischer Sprache vorgelegt, die habe übersetzt werden müssen.
Mit Beschluß der Rechtspflegerin bzw. Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim Amtsgericht ... vom 3. Juni 1987 wurde in allen Fällen nachträglich die Gewährung von Beratungshilfe bewilligt und den Kostenfestsetzungsanträgen des Beschwerdegegners ohne Einschränkung stattgegeben.
Hiergegen hat der Bezirksrevisor beim Landgericht ... als Vertreter der Landeskasse unter dem 30. Juni 1987 Erinnerung mit der Begründung eingelegt, daß die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe unwirksam gewesen sei, weil die funktionell unzuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des örtlich unzuständigen Amtsgerichts ... tätig geworden sei. Im übrigen sei die Hinzuziehung eines Dolmetschers und Übersetzers im Rahmen der Beratungshilfe nicht notwendig gewesen, weil hinsichtlich der für das Asylverfahren notwendigen Anträge und Besprechungen das zuständige Ausländeramt nach Lage des jeweiligen Falles gemäß §§ 23, 24 VwVerfG die Übersetzungskosten zu tragen habe.
Das Amtsgericht ... hat die Erinnerung des Vertreters der Landeskasse mit Beschluß vom 7. September 1987 mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Dolmetscherkosten dem Grunde nach gerechtfertigt und der Höhe nach belegt gewesen seien.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Landeskasse.
Die gemäß §§ 133, 128 Abs. 4 BRAGO zulässigen Beschwerden sind nicht begründet.
Die Bewilligungsbeschlüsse über die nachträgliche Gewährung von Beratungshilfe sind rechtswirksam und damit Grundlage für die Kostenfestsetzungsbeschlüsse im Sinne von §§ 133, 128 BRAGO. Die Beanstandung des Vertreters der Landeskasse, daß die funktionell nicht zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim Amtsgericht ... über die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe entschieden habe, greift nicht durch. Abgesehen davon, daß teilweise in der einschlägigen Literatur im Falle einer bereits durchgeführten Rechtsberatung eine nachträgliche Entscheidung über die Gewährung von Beratungshilfe gar nicht mehr für erforderlich gehalten wird und nur noch über den Kostenfestsetzungsantrag durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle entschieden werden soll (vgl. Schoreit-Dehn, 2. Auflage, § 10 Beratungshilfegesetz Anmerkung 69), ist für den vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß auf demselben Formular unter dem 3. Juni 1987 die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe wie auch die Kostenfestsetzung erfolgt sind. Dabei hat die bearbeitende Beamtin als "Rechtspflegerin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle" unterzeichnet. Dem Vertreter der Landeskasse ist grundsätzlich Recht darin zu geben, daß gemäß §§ 12 Beratungshilfegesetz, 3 Rechtspflegergesetz für die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe der Rechtspfleger und für die Festsetzung der aus der Landeskasse zu erstattenden Vergütung der Urkundsbeamte des Amtsgerichts gemäß §§ 10 Beratungshilfegesetz, 128 BRAGO zuständig sind. Im vorliegenden Fall wird jedoch die Namensunterschrift mit den Zusätzen Rechtspflegerin und Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle diesen Anforderungen gerecht, zumal dieselbe Person in beiden Funktionen zu entscheiden hatte.
Auch bezüglich der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts ... für die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe ist nichts zu erinnern. Die Kammer sieht keine Veranlassung, von ihrer Ansicht abzugehen, daß in Fällen nachträglicher Beratungshilfebewilligung das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk der Rechtsanwalt seine Kanzlei hat. Sie folgt damit - nicht zuletzt auch aus Gründen der Rechtseinheit im OLG-Bezirk - der u.a. vom OLG Celle vertretenen Rechtsprechung (OLG Celle Rechtspfleger 1984, Seite 241; so auch OLG Stuttgart, Juristisches Büro 1983, Seite 1706; OLG Karlsruhe, Juristisches Büro 1982 Seite 735; KG in Juristisches Büro 1983, Seite 1707; LG Hannover, die Juristisches Büro 1983, Seite 1712), im übrigen aber uneinheitlich ist ... (vgl. Übersicht bei Greißinger, Rechtsprechung in Beratungshilfesachen, Anwaltsblatt 1986, Seite 419). Der Gesetzgeber wollte in § 4 Abs. 1 Beratungshilfegesetz eine praktikable Möglichkeit zur raschen Hilfeleistung der Betroffenen schaffen. Wenn der Antragsteller den Rechtsrat jedoch bereits vor Verfahrenseinleitung eingeholt hat, geht es tatsächlich nur noch um die den Antragsteller nicht sonderlich berührende Frage, ob die Leistung des Rechtsanwalts über die vom Rechtssuchenden selbst zu zahlende Gebühr von 20,00 DM (§ 8 Rechtsberatungsgesetz) hinaus von der Landeskasse zu vergüten ist. Es tritt daher in Fällen nachträglicher Bewilligung von Beratungshilfe regelmäßig der Ort, an dem der Betroffene tatsächlich um Rechtsrat nachgesucht hat, als derjenige Ort in Erscheinung, an dem das Bedürfnis für Beratungshilfe allein aufgetreten ist.
Auch hinsichtlich der grundsätzlichen Bewilligungsfähigkeit von Beratungshilfe für Asylbewerber hat die Kammer keine Zweifel. Der Vertreter der Landeskasse weist zwar zu Recht darauf hin, daß die zuständigen Verwaltungsbehörden - hier die Ausländerämter - verpflichtet sind, Ausländern zu helfen. Das Ausländeramt kommt daher grundsätzlich auch als "andere Möglichkeit" im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 Beratungshilfegesetz in Betracht. Dies kann jedoch nur für einfach gelagerte Rechtsfragen des täglichen Lebens gelten. Für das oft vielschichtige Asylbewerbungsverfahren, in denen die Bewerber auch mit Vorhalten und Einwänden der Behörden rechnen müssen, ist die Inanspruchnahme von vorbereitendem anwaltlichen Rechtsrat grundsätzlich erforderlich und nicht zu beanstanden. Demgemäß haben das Amtsgericht und Landgericht ... auch in früheren Fällen (vgl. z.B. 46 UR II 1275/85; 6 T 222/84) Beratungshilfe im Rahmen von Asylverfahren für erforderlich gehalten, ohne daß die Landeskasse an der grundsätzlichen Bewilligung Anstoß genommen hätte. Abgesehen davon, daß es bei den Asylbewerbungsverfahren um spezielle Rechtsfragen des öffentlichen Rechts geht, kann die Hilfe der Behörden jedenfalls dann von zweifelhaftem Wert sein, wenn der Rechtssuchende gegenüber diesen Behörden argumentieren muß (vgl. auch AG Mönchen-Gladbach in Juristisches Büro 1984, Seite 1745; AG Aachen in Anwaltsblatt 1986, Seite 345; LG Berlin in Anwaltsblatt 1984, Seite 105; Schoreit-Dehn, § 1 Rechtsberatungsgesetz, Anmerkung 94).
Was die Erstattung von Übersetzungs- und Dolmetscherkosten angeht, dürfte kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß zu den "Auslagen" im Sinne von § 126 Abs. 1 BRAGO nicht nur Auslagen nach §§ 26 ff. BRAGO gehören, sondern auch vom Rechtsanwalt verauslagte Dolmetscherkosten als grundsätzlich erstattungsfähig betrachtet werden müssen (vgl. auch LG Bochum in Juristisches Büro 1986, Seite 403 mit zahlreichen Nachweisen der OLG-Rechtsprechung). Auch der Höhe nach bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken hinsichtlich der Erforderlichkeit der Dolmetschertätigkeit.
Im Ergebnis waren daher die Beschwerden des Vertreters der Landeskasse zurückzuweisen. Nach § 128 Abs. 5 BRAGO ist das Beschwerdeverfahren gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.